Читать книгу Buddhas achtsamer Weg aus der Krise - Thomas Hohensee - Страница 10
ОглавлениеWarum ist die Welt so unvollkommen?
Ganz einfach: weil sie sich verändert. Etwas, was erst noch im Entstehen ist, kann nicht perfekt sein. Ebenso wenig kann etwas, was im Vergehen ist, perfekt sein. Im Verhältnis zu seinem perfekten Zustand ist es ein Minus, und zwar eines, das so lange zunimmt, bis es bei null angekommen ist. Und wer will schon eine Null sein oder mit einer zusammenleben?
Sofern man überhaupt bereit ist, irgendetwas für perfekt zu halten, ist dieser Zustand vorübergehend. Gestern war es noch nicht vollkommen, und morgen wird es das nicht mehr sein. Es handelt sich also allenfalls um einen zeitlich begrenzten Moment der Perfektion.
Dieser mag Minuten, Stunden, Tage oder Jahre andauern, doch wir wissen, er wird vorübergehen. Allein schon dieser Gedanke löst in vielen Menschen eine Krise aus.
Unvollkommenheit und Krisenerleben gehen Hand in Hand. Angesichts von Fehlern, Mängeln, Problemen und Widrigkeiten verlieren wir leicht die Beherrschung.
Der Kaffee, der uns gerade noch erfreute, ergießt sich über unsere Lieblingsjeans. Und schon liegt unsere Welt, die gerade noch in Ordnung war, in Scherben.
Eine Tasse zerbricht. Damit ist das Geschirr nicht mehr vollzählig.
Irgendetwas klemmt, hakt, drückt, rutscht oder fällt immer. Die Fassade eines Hauses bekommt Risse. Sie sah einmal sehr schön aus. Doch jetzt blättert die Farbe ab. Eine vollkommene Außenansicht bliebe dagegen immer gleich.
Noch nicht vollendet, nicht mehr vollendet: Zwischen diesen beiden Polen bewegt sich unser Leben.
Auf der Karriereleiter fehlen noch ein paar Stufen, die Gesundheit ist zurzeit sehr gut, aber die Partnerschaft ist nicht mehr das, was sie mal war.
Auch wenn die Antwort auf die Frage, warum die Welt unvollkommen ist, einfach scheint, ist die Sache doch etwas komplizierter.
Nicht nur die Dinge und die anderen Menschen verändern sich, auch wir tun dies pausenlos. Unsere Vorlieben wechseln. Was uns gestern oder vor zehn Jahren noch sehr gefiel, befriedigt uns heute nicht mehr. Musik, die wir als Teenager liebten, finden wir auf einmal peinlich. Unser Geschmack hat sich geändert.
Unvollkommenheit ist auch eine Frage unserer Bewertung. Daher können sich Menschen selten darüber einigen, was großartig ist und so bleiben sollte.
Ein Meisterwerk der Kunst, sagen Sie? Ich finde es belanglos.
Ein Meilenstein der Musik, finde ich! Sie halten es einfach nur für Lärm.
Ein Beispiel vollkommener Architektur? Oh, nein, bitte lassen Sie es uns abreißen.
Während Veränderung etwas ist, das man nachweisen und dokumentieren kann, ist Unvollkommenheit anders. So kann ich von einem Blumenstrauß im Abstand einer Woche Fotos machen. Daraus geht die Veränderung klar hervor. Aber wenn ich mit einem anderen darüber diskutiere, ob die Blumen vor einer Woche, heute oder überhaupt perfekt waren oder sind, gibt es dafür keinen Beweis, mit dem wir einander überzeugen könnten.
Ob die Welt perfekt oder unvollkommen ist, darüber lässt sich streiten. Passen Sie auf, dass aus dem Streit keine Krise wird!