Читать книгу Buddhas achtsamer Weg aus der Krise - Thomas Hohensee - Страница 14
ОглавлениеDie positive Seite von Krisen
Buddha hat seine Lehre später in vier Wahrheiten zusammengefasst. Leiden ist die erste Wahrheit. Niemand kommt um die Einsicht herum, dass Menschen, ja überhaupt alle Kreaturen, leiden. Obwohl diese Tatsache so offensichtlich ist, wollen wir sie oft nicht wahrhaben. Wir leugnen unser Leiden, spielen es herunter und tun so, als ob wir glücklich seien. Aber tief drinnen wissen wir, dass wir unzufrieden sind. Da wir annehmen oder sogar fürchten, die anderen seien glücklich, verstecken wir unser Leiden lieber. So gründlich, dass wir selbst irgendwann glauben, »eigentlich« ganz glücklich zu sein. Doch das »Eigentlich« verrät, dass es in Wirklichkeit nicht so ist. Im Hintergrund lauern unsere Ängste, Depressionen, Ärgergefühle und weitere unangenehme Empfindungen. Es fehlt nicht viel, sie zum Vorschein zu bringen. Dann sind wir überrascht über unsere heftigen Reaktionen, die in keinem Verhältnis zum Anlass stehen. Wir schämen uns, nicht wirklich glücklich zu sein. Deshalb soll niemand unser Leid sehen, außer vielleicht unsere engsten Mitmenschen.
Stress, der kleine Bruder des Leidens, zeigen wir dagegen gerne. Es ist okay, gestresst zu sein. Mehr noch: Stress ist schön. Dafür gibt es sogar einen akademischen Begriff: Eustress. Leider ist diese schöne Form des Stresses so selten wie das Glück. Ihr Gegenteil, der Disstress, herrscht vor.
Trotzdem ist Stress gesellschaftlich anerkannt, weit verbreitet und gilt daher als normal. Wer nicht gestresst ist, gilt als Außenseiter, und wer möchte schon freiwillig so einer sein? Also gibt man vor, gestresst zu sein, selbst wenn man es ausnahmsweise nicht ist. Bloß nicht unangenehm auffallen, sich nicht verdächtig machen. Warum ist der/die eigentlich nicht gestresst?
Stress verdeckt das tiefere Leiden, über das man nicht sprechen möchte. Es ist leichter, über Alltagsprobleme zu reden als über die Dinge, die einen wirklich bedrücken.
Deshalb beginnt der Weg aus der Krise damit, dass man sich eingesteht, unglücklich und unzufrieden zu sein.
Gefühle, auch unangenehme, haben eine wichtige Funktion in unserem Leben. Sie weisen uns den Weg. Glück signalisiert uns, dass wir uns in die richtige Richtung bewegen. Leiden ist dagegen ein Stoppsignal. Es bedeutet, dass wir uns im Leben verlaufen haben und umkehren beziehungsweise eine neue Richtung einschlagen sollten.
So gesehen, haben Krisen und Leiderfahrungen eine sehr positive Seite. Wenn wir sie nutzen, führen sie zum ersten Schritt in eine bessere Zukunft.
Ohne Krisen gibt es keine Befreiung vom Leiden. Das mag auf den ersten Blick nicht besonders einladend wirken. Lieber würde man sich die unangenehmen Erfahrungen ersparen.
Aber es stimmt: Unser Unglücklichsein ist nur dann negativ, wenn wir darin steckenbleiben. Wir brauchen Probleme, Schwierigkeiten und Hindernisse, um daran zu wachsen. Ohne Widerstand wird niemand stärker. Das gilt für unsere Muskeln genauso wie für unser Glück.
Ein allzu bequemes Leben macht uns empfindlich gegen seine Härten. Vielleicht verstehen Sie jetzt, warum Buddha ein Leben unter freiem Himmel der Verwöhnung im Königspalast vorzog. Indem er allen Problemen ausgewichen war, war er immer empfindlicher und unglücklicher geworden. Ist das nicht genau die gleiche, vergebliche Strategie, die wir favorisieren? Vermeiden wir nicht alles, was irgendwie anstrengend oder schwierig ist? Etwas Neues zu lernen, statt uns in immer wieder ähnlichen, längst bekannten Bahnen zu bewegen? Sport zu treiben, statt jede Strecke mit dem Auto zurückzulegen und ganze Tage vor dem Computer oder Fernseher zu verbringen? Mal eine Mahlzeit auszulassen, statt ständig zuzunehmen?
Sind vielleicht nicht die Krisen das Problem, sondern die Art, wie wir darauf reagieren?