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3 Nicht Mensch, nicht Elf ...

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Am nächsten Morgen konnte Elija das gemeinsame Frühstück kaum abwarten. Doch sie ließ

sich Zeit um ihrem Vater keinen Grund für besondere Aufmerksamkeit zu geben. Wenn sie

sich jetzt verdächtig machte, konnte sie das Einhornfohlen vergessen.

Elija war sich sicher, dass es wieder kommen würde, auch wenn ihr nicht klar war, woher sie

das wusste. Auf dem Weg zu den Stallungen durchquerte sie auf dem Dienstbotenweg die

Küche und steckte in einem unbeobachteten Moment ein frisches Hühnerbein ein, das mit

vielen anderen bereit lag um für das Abendessen vorbereitet zu werden.

Wenig später saß Elija im Sattel und ritt geradewegs auf den geheimnisvollen Wald zu.

Wieder überkam sie ein furchtsames Schaudern, als sie das Waldstück der silbrigen Bäume

durchquerte, wieder verstärkte sich die Angst mit jedem Trabtritt ihres Pferdes bis sie kurz

vor einer Panik stand, und wieder brachte die zauberhafte Lichtung Erleichterung, obwohl sie

auch heute das Gefühl beobachtet zu werden, nicht von sich weisen konnte.

Elija ließ Mari grasen und setzte sich selber ein wenig ins weiche Gras um zu warten, ob das

Fohlen kommen würde. Tatsächlich musste sie nicht lange verweilen und es knackte im

Geäst. Zögernd schritt das Einhornfohlen auf die Lichtung und schien sie mit einem kleinen

Schnauben zu begrüßen, als es sie sah.

Langsam, um es nicht zu erschrecken, stand Elija auf und griff in ihrer Tasche nach dem

mitgebrachten Fleisch. Das Fohlen schnupperte erregt und kam rasch näher. Nur eine

Armlänge stand es entfernt. Elija hielt ihm das Fleisch hin und es begann hungrig Stücke

heraus zu beißen und zu reißen, verschlag sie gierig und fraß zuletzt auch den Knochen, der

knirschend seinen harmlos scheinenden Zähnen nachgab. Zufrieden schleckte eine rosa Zunge

etwas Blut von den weichen Lippen und es blickte Elija an, als wollte es sich für das Mahl

bedanken.

Elija wurde mutiger und trat einen Schritt näher. Sie streckte ihre Hand aus, berührte das

weiche, flaumartige Fell am Hals. Das Fohlen schien überhaupt nicht mehr ängstlich, wie

selbstverständlich ließ es sich streicheln, als wollte es kein wildes Tier, sondern ein

freundliches Reitpony werden. Elija kraulte es an den Ohren und ließ ihre Finger vorsichtig

über das dunkelgraue Horn gleiten. Noch war es kurz und stumpf – nicht lange und es würde

eine spitze, gefährliche Waffe abgeben. Elija kam der Gedanke, ob es wohl möglich war,

Einhörner zu zähmen. Sie kannte Legenden von tapferen Männern der Vergangenheit, die

Einhörner gezähmt hatten, die auf ihnen reiten konnten wie auf Pferden. Sie erinnerte sich an

die Bilder in der großen Halle des Schlosses – Elfen, die auf blutäugigen Einhörnern in die

Schlacht ritten.

Doch ihr Vater hatte sie immer gelehrt, dass dies nur Märchen gewesen waren – Einhörner

konnten nicht gezähmt werden. Andererseits … wenn man sie früh genug an Menschen

gewöhnte … und dieses hier war in jedem Falle noch jung, sehr jung.

„Wo ist denn nur deine Mutter?“, fragte Elija leise.

„Tot“, kam hinter ihr eine Antwort.

Elija schrie laut auf vor Schreck und wirbelte herum, das Einhornfohlen stieg steil auf die

Hinterbeine und trat die Flucht an. Elija hatte den Mann, der nun wenige Meter hinter ihr

stand und wie in Gedanken ihre Stute Mari am Hals kraulte, nicht kommen hören.

„Wer … wer bist du? Und … was willst du?“, stotterte Elija und versuchte ihre Stimme

selbstsicher und mutig klingen zu lassen. „Geh von meinem Pferd weg.“

Der Fremde dachte nicht daran, er schien sie einfach zu ignorieren. Er war in einen ähnlichen

Umhang gekleidet wie sie selbst ihn beim Reiten trug, nur war seiner aus einfachstem Leinen,

alt und verschlissen. Die Kapuze fiel ihm tief in die Stirn. In der Helligkeit auf der Lichtung

konnte sie sein Gesicht im Schatten der Kapuze nicht mal erahnen.

Nur an der Statur konnte Elija erkennen, dass es ein Mann sein musste. Er war groß, sicher

eineinhalb Kopf größer als sie (und Elija war groß für eine Menschenfrau!), und schlank.

‚Ein Elf!’, schoss es ihr durch den Kopf und sie begann den Boden nach einer möglichen

Waffe abzusuchen. Doch hier lag nicht mal ein Reisigzweiglein auf dem Boden, erst recht

kein wehrhafter Knüppel. Und ihr silberverzierter Dolch, den sie immer bei sich trug, war an

Maris Sattel befestigt, wo er im Moment besseren Zugriff darauf hatte, als sie.

„Du solltest deinem Pferd den Sattel abnehmen, wenn du so lange rastest“, sagte er plötzlich

und kam ein Stück auf Elija zu. Elija wich wiederum ein paar Schritte zurück, doch blieb

dann stehen – wohin sollte sie hier schon fliehen, wenn ihr Pferd für sie unerreichbar war. Er

stand zwischen ihr und Mari – und hinter Mari war der einzige Pfad, der aus diesem Kreis

herausführte. Andererseits … das Fohlen hatte sich auch durch das Unterholz der Baumwand

arbeiten können. Wenn sie …

Die Aussicht, zu Fuß blindlings in diesen kalten, seltsamen Wald zu flüchten, schien Elija

nicht viel klüger, als mit bloßen Händen gegen den Fremden kämpfen zu müssen, zumal er sie

eh verfolgen würde. Elija war stark für eine Frau, bei zwei älteren, rauflustigen Brüdern war

das überlebenswichtig. Allerdings waren Elfen, wenn der Fremde denn einer war, körperlich

überlegen.

Der Mann blieb mit etwas Abstand stehen und hob sich die Kapuze vom Kopf. Elija wagte,

etwas aufzuatmen. Er hatte tiefbraunes Haar und hellbraune Augen, enorm schöne, sanft

geschwungene, große Augen, musste Elija irritiert feststellen. Seltsame Augen.

Er war selbst nicht älter als sie, allenfalls ein oder auch zwei Jahre, und sein Gesicht sah nicht

unfreundlich aus. Das war bestimmt kein Elf.

„Ich danke dir für das Fleisch“, sagte er und nickte mit dem Kopf in Richtung des Fohlens,

was einige Meter hinter Elija wieder aus dem Unterholz geklettert war und nun freudig auf

den Fremden zuging und sich von ihm Streicheln und Klopfen ließ. Seine Stimme war

angenehm warm. Er zog ein kleines, blutiges Stück aus einem Lederbeutel am Gürtel und

schob es dem Fohlen zwischen die Zähne.

„Sie hat immer Hunger, ich komme kaum nach, sie zu füttern.“

Über sein Gesicht huschte ein flüchtiges Lächeln, ein hübsches Lächeln. Seine Augen waren

wirklich zauberhaft schön. Sie schienen in allen Facetten zwischen orange und braun zu

schillern, und leuchteten, je nach Lichteinfall, bei seinen Bewegungen sogar golden auf.

Elija konnte ihn eine Weile nur anstarren.

„Du fütterst es?“, fragte sie ihn verwundert.

„Ja du etwa nicht?“ Jetzt lächelte er erstmals sie an und Elija fühlte sich, als würde ihr ein

bisschen schwindelig werden.

„Ihre Mutter wurde erschossen“, erklärte der Fremde dann wie teilnahmslos, nur seine Miene

verfinsterte sich etwas. Zwischen seinen Augen erschien eine kleine Falte auf seiner Stirn.

„Sie haben sie aus reiner Mordlust erschossen, ihr das Horn genommen und ihren Körper

liegen gelassen.“

Elija lief es kalt den Rücken runter. Ihre Brüder waren auch schon auf der Jagd nach

Einhörnern gewesen, sie wusste, wie stolz sie auf die Hörner waren und wie wertvoll diese

waren.

„Es sind gefährliche Tiere“, sagte sie schwach.

„Gefährlich?“, zischte der Fremde aufgebracht, und für einen winzigen Moment schienen

seine Augen pechschwarz und grausam und Elija kam der erschreckende Gedanke, dass er

doch ein Elf sein musste.

Mit dem nächsten Augenblick jedoch sah er wieder aus wie zuvor, und Elija war sich nicht

mehr sicher, ob ihre Nerven ihr einen Streich gespielt hatten.

„Sie sind nicht gefährlicher als du und ich“, erklärte er ruhig. „Sie töten, wenn sie Hunger

haben und sie töten, wenn sie angegriffen werden. Oder ihre Fohlen schützen wollen.“ Er

strich dem kleinen Einhorn behutsam über den Rücken. „Sie hier, ist noch zu klein um alleine

zu überleben. Ihre Mutter hatte keine Chance, ihr das Jagen beizubringen. Sie ist auf meine

Hilfe angewiesen.“

„Dann hast du sie gezähmt?“

„Ja“, knurrte der Fremde, in einer seltsamen Stimmlage, die dem Mädchen einen Schauer

nach dem anderen über den Körper liefen ließen. „Ich hatte keine Wahl. Sie wäre an der Seite

ihrer toten Mutter verhungert. Ob ein zahmes Einhorn jedoch besser ist als ein totes, wage ich

noch zu bezweifeln.“

Elija zog die Stirn kraus.

„Was ist schlecht an einem zahmen Einhorn?“

Der Fremde sah sie verwundert an.

„Ist dir das nicht klar? Sie scheut die Menschen nicht mehr. Sie ist freundlich auf dich

zugegangen – jeder andere Mensch hätte es ausgenutzt und ihr einen Pfeil in die Brust gejagt,

und damit geprahlt, ein wildes Einhorn getötet zu haben.“ Seine Worte waren kühl, seine

Stimme ebenso.

„Oh!“, sagte Elija bestürzt. „Ich … ich kann euch helfen!“, rief sie dann. „Wir bringen sie zu

unseren Stallungen, dort bekommt sie alles was sie braucht. Keiner wird ihr etwas antun,

wenn ich es verbiete. Sie ist doch nicht gefährlich!“

Der Fremde verdrehte die Augen, offensichtlich genervt, aber nicht direkt unfreundlich.

„Du kannst ein Einhorn nicht in einen Stall sperren“, erklärte er. „Spätestens wenn sie den

ersten Menschen beißt, wird man sie nicht mehr so harmlos finden. Und dann?“

„Ich werde nicht zulassen, dass man ihr etwas antut!“, beharrte Elija.

„Und du meinst, du hättest da etwas zu sagen, ja?“ Er lachte spöttisch, das machte Elija

wütend.

„Ich bin Prinzessin Elijana von Arlas“, sagte sie hoheitsvoll, doch bereute im gleichen

Moment, dass er nun wusste, wer sie war. Jedoch schien ihr Titel ihn nicht zu beeindrucken,

er sah nicht mal auf, sein Blick blieb stur auf das Fohlen gerichtet. Sie sprach etwas schwach

weiter, ihre Stimme zitterte ein wenig. „Wenn ich sage, dass ….“

„Und wenn du Arla persönlich aus dem Arsch gekrochen wärst“, unterbrach sie der Fremde

barsch und Elija starrte ihn entsetzt an.

„Du kannst ein Einhorn nicht in einen Stall sperren. Glaub es mir, oder lass es und merke es

selbst. Nimm sie halt mit und stell sie dir in den Schlossgarten. Aber heul nicht, wenn sie

nächstes Jahr die Hofköter frisst und übernächstes Jahr dein Reitpferdchen, Prinzesschen. Es

ist und bleibt ein Einhorn.“

Elija stand wie vom Donner gerührt. Nie in ihrem Leben war sie beleidigt worden – ihre

Brüder mal ausgenommen - und nun auf derart gemeine, gotteslästernde Weise.

Und dass, obwohl sie nur helfen wollte. Ihre Angst war verflogen und machte einer trotzigen

Wut Platz.

„Für deine Frechheiten könnte ich dich einkerkern lassen, ist dir das klar?“, fragte sie mit vor

Ärger zusammen gebissenen Zähnen. Der ungehobelte Kerl grinste sie nur kühl an.

„Du könntest mich alleine für meine Existenz einkerkern lassen, weißt du das nicht?“

„Was soll das – warum verspottest du mich? Warum beleidigst du mich? Wer bist du

überhaupt?“

Aus seinem gemeinen Grinsen würde ein Lächeln, nicht ohne Spott, aber freundlich. Elija

musste sich zugestehen, dass er enorm gut aussah, trotz aller Unverschämtheiten.

„Mein Name ist Jarno“, sagte er schließlich und hielt ihr versöhnlich die Hand hin. „Ich

wollte dich weder erschrecken, noch beleidigen.“

Elija nannte ihren Rufnamen und ergriff seine Hand. Sie fühlte sich kühl und merkwürdig an.

Sie konnte sich aber nicht erklären, woran das lag, also ließ sie schnell wieder los.

„Ich habe dich gestern schon mit Vida gesehen und als du heute wieder gekommen bist ….“

Elija war sich nicht sicher, aber sie glaubte zu erkennen, dass er leicht rot wurde.

„Du hast Vida nicht verraten, daher habe ich es riskiert, in der Hoffnung, dass du mich auch

nicht verrätst.“

„Warum sollte ich das tun? Oder warum sollte ich es nicht tun? Musst du dich verstecken?“

Jarno nickte, seine Augen schienen sich etwas zu verfinstern.

„Warum? Was hast du getan?“

„Nichts.“

„Nichts? Dann hast du keinen Grund dich zu verstecken.“

Er schüttelte amüsiert den Kopf und grinste schief.

„Du hast wirklich keine Ahnung, oder?“

Elija hatte durchaus eine Vermutung, aber die war so absurd, so unwahrscheinlich, dass sie

sich damit vermutlich lächerlich gemacht hätte, also schüttelte sie den Kopf und zog die

Augenbrauen hoch, damit Jarno weiter sprach.

„Himmel, Mädchen, ich bin ein Halbblut“ erklärte er, als wäre das eine ganz nahe liegende

Sache.

„Also doch!“, rief Elija erstaunt.

„Du hast es doch gewusst?“

„Nein, nicht direkt. Ich dachte du wärst ein Elf. Aber das kann ja nicht sein, denn dann hättest

du …. Ein Halbblut … das ist ein Mischling, oder? Ich wusste nicht, dass es so was noch gibt,

ich dachte …“

„Du dachtest, die wären alle ausgerottet, richtig?“

Elija senkte beschämt die Augen. Sie wusste, was mit Mischlingskindern geschah.

„Aber dann ist es gefährlich für dich hier zu sein“, bemerkte sie. „Warum bist du nicht …. bei

den Elfen?“ Ihre Worte irritierten sie. Es war auch für sie gefährlich, dass er hier war; er war

gefährlich. Wieso kam ihr das erst als zweites in den Sinn?

„Willst du das wirklich wissen? Ist eine längere Geschichte.“

Elija nickte.

Jarno atmete tief ein und setzte sich dann ins Gras. Er deutete Elija an, sich ebenfalls zu

setzen, sie kniete sich zwei Meter neben ihm zu Boden und beschloss innerlich sprungbereit

zu bleiben. Wenigstens war ihr Pferd nun wieder erreichbar für sie. Dann begann er zu

erzählen.

„Mischlinge, die Elfen nennen uns Halbblüter, sind nicht wirklich gut angesehen. Wir …“, er

zögerte. „Nein. Ich glaube, ich muss früher beginnen“ sagte er und verschränkte seine Füße

vor sich. „Als Kinder sind wir noch ziemlich gleich, weißt du? Es ist kaum möglich, ein

Menschenkind von einem Elfen- oder gar einem Mischlingskind zu unterscheiden und daher

verbringen viele Mischlinge ihre Kindheit recht unbeschwert im Reich der Elfen.“

Elija lief ein kalter Schauer über den Rücken. Sie musste daran denken, dass

Mischlingskinder in ihrem Land getötet wurden. Man warf sie ins Feuer, meist lebendig. Oder

man tötete sie und verbrannte ihre Leichen. Kinder, die menschlichen Kindern so ähnlich

waren? Wie konnte man sich überhaupt sicher sein …?

Er sah sie für einen Moment irritiert an, dann schien er zu schaudern, schüttelte kaum

wahrnehmbar den Kopf, sprach aber weiter.

„Erst mit ungefähr zwölf bis 14 Jahren merkt man langsam einen Unterschied. Die

Körpertemperatur von Elfen wird niedriger und sie entwickeln diese typischen Augen.

Elfen werden größer als Menschen, aber es dauert länger bis sie wachsen. Sie sind länger

Kind und erst mit etwa 21 Jahren, ausgewachsen.

Menschen, aber auch viele Halbmenschen, bekommen ab einem gewissen Alter meist Haare

im Gesicht, auf Armen und Beinen … und …“, er nickte grinsend in Richtung seiner Hose

und Elija musste trotz ihrer Anspannung kichern.

„Nun, damit wird es dann offensichtlich, dass etwas nicht stimmt. Und letztlich testen sie mit

14 Jahren … den Stand der Magie. Und in der Hinsicht lässt es sich nicht vermeiden, ehrlich

zu sein. Nur Elfen reinen Blutes sind in der Lage, Älteste Magie zu sprechen. Bist du nur ein

Mischling, kommt es an dieser Stelle garantiert raus.“

„Und dann jagen sie euch davon?“

„Nein, so ist es nicht. Die Elfen sind nicht generell grausam“, sagte er nachdrücklich, und

Elija wurde flau im Magen, als sie wieder daran dachte, was die Menschen mit Halbblütern

machten. „Aber sie wollen uns nicht gleichwertig in ihrer Mitte haben. Es gibt ein Dorf, weit

nördlich an der Küste. Dort sollen wir leben, dort lässt man uns in Ruhe, zumindest solange

man keine andere Verwendung für uns hat.“ Er sagte das ganz selbstverständlich,

emotionslos, aber Elija bemerkte ein seltsames Flackern in seinen Augen. Als würde sich

permanent ihre Farbe etwas ändern …

„Verwendung?“, hakte sie nach, und wieder war da der Hauch eines dunklen Zuckens in

seinen großen Augen.

„Wir sind Gefangene, die das Dorf nicht verlassen dürfen“, erklärte er ruhig. “Nur wenn

höher gestellte Elfen Interesse an uns haben, holen sie uns als Leibeigene zu sich.“

„Und du bist aus diesem Dorf wieder geflohen?“

„Ich bin in diesem Dorf geboren. Geflohen bin ich erst, als ich für eine Elfenfamilie als …

Arbeiter geholt wurde. Es war nicht besonders … angenehm dort“, er verzog den Mund zu

einem Grinsen. „Also dachte ich mir … ich geh und schau mir lieber mal die Welt an.“

„Das ist aber reichlich gefährlich“, stellte Elija fest.

„Alleine durch diese Wälder zu reiten und Einhörner zu füttern ist auch gefährlich“,

antwortete Jarno.

Elija verstand. Das Gefühl, eingesperrt zu sein, war auch für sie kaum zu ertragen, auch wenn

der Vergleich vielleicht hinkte.

„Und du lebst jetzt hier in diesem Wald? Allein?“

Jarno nickte rasch.

„Ich hätte nicht gedacht, dass du … dass du kein Mensch bist. Du siehst aus wie ein Mensch.“

Er lachte wieder leise, es klang als würde er eine Melodie singen.

„Was denkst du denn, wie Halbblüter sonst aussehen? Oder Elfen? Hast du je einen

gesehen?“

„Nein“ musste Elija zugeben. „Nur in Büchern.“

„Diese Bücher würde ich gerne sehen. Ich kenne die Bücher der Elfen, und ich versichere dir,

ihre Zeichnungen von Menschen sehen etwas anders aus, als du, oder die meisten anderen

Menschen, die ich gesehen habe.“

„Ja wirklich? Wie denn?“

Jarno überlegte einen Moment.

„Dicker. Wesentlich dicker. Und viel stärker behaart, überall. Mit schiefen Zähnen und

dicken, roten Nasen.“

Elija lachte hell, und war selbst darüber erstaunt. Sie saß hier mit einem Mischling und lachte

über Menschen?

„Ich muss dich enttäuschen, es gibt sehr viele Menschen, die so aussehen! Erzähl mir, wie die

Elfen aussehen!“

„Nun, sie sehen nicht viel anders aus als ich und du. Sie sind nur größer als du, meist noch

etwas größer als ich. Ihre Augen sind meist farblos, einfach nur grau. Sie haben spitze Ohren,

wie meine, aber noch länger.“

Er strich seine Haare zurück und zeigte seine nach oben spitz zulaufenden Ohren. Eigentlich

ziemlich unauffällig, fand Elija. Aber schaurig, wenn man darauf achtete.

„Das ist glaube ich allen Halbblütern gleich, diese verdammten Ohren. Ohne diese Ohren

würden wir euch vermutlich so ähnlich sein, dass …“

„Dass ihr unbemerkt unter Menschen leben könntet?“, vollendete Elija den Satz.

Nachdenklich betrachtete sie eine abgezupfte Blüte zwischen ihren Fingerspitzen.

„Ich muss mit meinem Vater sprechen“, sagte sie dann leise. „Wenn er erfährt, wie ähnlich

…“

Jarno sprang auf. Eine schnelle, fließende Bewegung, und Elija erschrak.

„Du wirst mich nicht verraten!“ Es war keine Frage. Es war ein Befehl. Er versuchte gelassen

zu klingen, doch Elija entging das nervöse Zittern im Hintergrund seiner Stimme nicht. Und

nicht das dunkle Leuchten in seinen Augen.

„Nein, das werde ich nicht.“ Elija wurde ängstlich. Sie hatte nicht vorgehabt, ihn zu reizen,

doch offenbar war genau das geschehen. „Aber … die Menschen haben nur Angst und wissen

es nicht besser! Aber wenn mein Vater nur wüsste, dass ihr … auch nur Menschen seid, dass

man mit euch reden kann …“

Es sollte beruhigend klingen, doch es verfehlte seine Wirkung völlig. Er wurde richtig wütend

und verbarg das nicht mehr.

Seine Mine wurde steinhart und er zog zischend Luft zwischen den zusammen gebissenen

Zähnen hindurch.

„Erstens“, sagte er, und es klang fast wie ein Fauchen. „Wir sind keine Menschen! Zweitens:

Du glaubst, dass er das nicht weiß? Meinst du, er weiß nicht, dass wir sprechen können, wie

ihr?“

Jarno starrte sie böse an, sein Gesicht verfinsterte sich völlig, und jetzt nahm Elija es ganz

genau wahr: Das Braune seiner Augen wurde schwarz. Sie erinnerte sich an die gezeichneten

Elfen in ihren Büchern: Große, bedrohliche Kreaturen mit spitzen Ohren und schwarzen

Augen. Als Kind hatten ihr diese Bilder Angst gemacht. Jetzt stand ihr jemand mit solchen

Augen gegenüber und funkelte sie zornig an. Furchteinflößend – und auf absurde Art und

Weise dabei schön.

Wie ein Einhorn. Schön aber gefährlich.

Elija biss die Zähne zusammen und versuchte, keine unnötige Bewegung zu machen, weil sie

fürchtete, dass das ein Startzeichen für ihn sein würde.

Sie hatte Angst; merkte, dass sie zitterte und drückte ihre Hände fest ins Gras, um schnell

aufspringen zu können, wenn er sie angriff. Und dass er angreifen würde, stand für sie kaum

mehr zur Debatte. Die Frage war nur wie.

Er fixierte sie, als wollten seine wütenden Augen ihr einfach das Atmen verbieten. Doch Elija

merkte, dass sie hastig und flach weiteratmete.

Die Legenden kamen ihr in den Sinn: Wenn ein Elfen einen Menschen tötet, kann er vor Arla

die Jahre, die er genommen hatte, verlangen und diese auf seine Lebenszeit anrechnen lassen.

‚Wie viele Jahre wird er für mich bekommen?’, dachte sie schockiert.

Plötzlich veränderte sich sein Gesicht. Die Wut schwand, doch Elija konnte seinen kurzen

Blick nicht mehr richtig einschätzen, ehe er zu Boden sah. Er sah fast … gequält aus.

Dann wendete er sich schnell ab und setzte sich wieder dahin, wo er eben gesessen hatte.

Vielleicht noch ein Stückchen weiter weg. Er nahm sich zusammen, seine Augen bekamen

wieder ihren hellen Braunton.

Elija beruhigte ihren aufgebrachten Atem und wagte nach wie vor keine Bewegung. Sie gab

sich Mühe, ihn nicht anzustarren, aber es ging kaum anders.

Er legte sich eine Hand vor die Augen und senkte den Kopf, schüttelte ihn leicht.

„Ich wollte dich nicht erschrecken. Bitte entschuldige“, sagte er schwach.

„Ich habe dich erschreckt“, erwiderte Elija leise, ihre Stimme wackelte noch ein wenig.

„Mach dir keine Sorgen, ich werde kein Wort sagen, wenn du es nicht willst.“

„Weißt du“, sagte Jarno, und seine Stimme klang plötzlich schwerfällig und finster hinter

seinen Händen. „Es haben schon viele meines Volkes versucht, mit den Menschen zu reden.

Wir haben nie viel verlangt. Einen Ort, an dem wir in Frieden leben können haben wir uns nie

erhofft. Nur die Freiheit unserer Kinder. Viele sind losgezogen um euren König um etwas

Gnade zu bitten. Keiner von ihnen kam zurück. Keiner.

Es geht ihnen nur um ihr reines Blut und um ihren geliebten Hass auf die Elfen.“

Elija überkam eine Welle von eiskaltem Zittern. Der Gedanke, dass ihr Vater töten ließ,

obwohl er wusste, dass Halbblüter den Menschen so ähnlich – dass man mit ihnen reden

konnte - schnürte ihr die Kehle zu.

Er log. Es konnte gar nicht sein, dass diese Ungeheuerlichkeiten wahr sein sollten. Er log sie

an.

„Aber es ist noch mehr als nur Angst um meinen eigenen Hals“, sagte Jarno, und seine

Stimme wurde mit einem Mal sehr weich. „Bitte erwähne mich um deinetwillen nicht! Sie

werden dir unterstellen unter einem Bann oder etwas derartigem zu stehen. Bring dich nicht

selbst in Schwierigkeiten. “

Dem Mädchen war es, als hätte er ihr in den Magen geschlagen. Als würde von ihrem Vater

eine Gefahr für sie ausgehen! Wie lächerlich war denn das?

Sie wollte abwinken, ihm am liebsten den Mund verbieten, doch hielt sich zurück. Und es war

nicht die Angst vor einer erneuten Verärgerung Jarnos. Sie hatte einen kurzen Blick von ihm

aufgefangen, und der sagte ihr mit erschreckender Klarheit: „Glaub mir!“

Sie kam nicht umhin, es zu tun.

Elija starrte eine Weile an ihm vorbei in das dichte Gewirr aus silbrigem Unterholz und

beobachtete ihn aus dem Augenwinkel. Er saß bewegungslos da und betrachtete das Gras zu

seinen Füßen. Ab und an bewegte sich sein Kiefer, er kaute auf der Innenseite seiner Wange

herum. Über Elijas Gesicht huschte ein Grinsen – sie hatte die gleiche Angewohnheit und

erwischte sich ebenfalls dabei.

Jarno schüttelte irgendwann leicht den Kopf, als wolle er bedrückenden Gedanken

abschütteln.

„Absurd, dass ich unter allen Menschen ausgerechnet der Tochter des Königs im Wald

begegne“, sagte er leise, wie zu sich selbst. „Völlig absurd.“

„Wie meinst du das?“, fragte Elija, doch er grinste nur. Er wirkte wieder entspannt und seine

hellen, schillernden Augen waren völlig sanft. So sanft wie kaum etwas anderes, fand Elija,

und ihr wurde von innen plötzlich noch ein wenig wärmer. Dem Mädchen kam der Gedanke,

dass sie sich gerade noch schrecklich vor ihm gefürchtet hatte, plötzlich völlig lächerlich vor.

Sie errötete, als sie merkte, dass sie ihn immer noch anstarrte, und sah schnell weg.

Er sprang plötzlich aus der Bewegungslosigkeit auf, so schnell, dass Elija erneut

zusammenzuckte.

„Verzeih“, murmelte er schuldbewusst. „Ich habe dich schon wieder erschreckt.“

Er hielt ihr die Hand hin. Versöhnlich, und um ihr aufzuhelfen.

Elija zögerte, und aus irgendeinem Grund schien ihn das zu belustigen, er zog spöttisch die

Augenbrauen hoch.

„Hast du Angst vor mir?“

„Ich weiß nicht“, gab Elija zu, und ärgerte sich sogleich darüber. „Nein. Ich meine … müsste

ich denn?“

Sein Grinsen wurde zu einem breiten, ehrlichen Lächeln.

„Vermutlich“, sagte er, und meinte es ernst. In seinen Augen leuchtete es auf. „Aber ich hab

nicht vor, dir etwas zu tun. Vermutlich müsste ich viel mehr Angst vor dir haben, als du vor

mir.“

„Und, hast du es? Angst vor mir?“

Er verzog den Mund ein Stück als wollte er etwas sagen, überlegte es sich dann aber anders,

zuckte mit den Schultern und lächelte strahlend. Elija fasste seine Hand und er zog sie auf die

Beine. Der Griff seiner Hand war kühl und irgendwie unsicher.

Das Gefühl war noch seltsamer als zuvor. Er fühlte sich völlig fremd an, und dann wieder

doch gar nicht.

„Du erinnerst mich an irgendjemanden, den ich kenne“, bemerkte Elija. Sei Gesicht verzog

sich überrascht, aber er sagte nichts.

„Ich denke, ich muss jetzt los“, sagte Elija, dabei wäre sie eigentlich gerne länger geblieben.

„Aber ich komme morgen noch einmal und bringe etwas Fleisch für Vida.“

„Vielleicht werde ich auch hier vorbei schauen“, sagte Jarno, doch er lächelte funkelnd und

Elija war sicher, dass er ganz bestimmt kommen würde.

Halbblut

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