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5 Abschied nach Fallseben
ОглавлениеElija war klar, dass sie zu lange im Wald verbracht hatte. Viel zu lange. Aber auch wenn sie
sich dem Ärger gewiss gewesen war, hatte sie sich unmöglich früher von Jarno loszureißen
können.
Sie war viel zu spät, und daran änderte es auch nichts, dass sie Mari scharf antrieb und den
ganzen Rückweg im Galopp zurücklegen ließ. Schweißnass und mit bebenden Flanken kam
die Stute vor den Stallungen im Innenhof des Schlosses zum Stehen und entgegen ihrer
Prinzipien überließ Elija es einem Stallburschen, das Pferd trocken zu reiten und mit Stroh
abzureiben.
Elija stürmte in ihre Gemächer, wusch sich flüchtig und zog ein Kleid an um dann hastig das
Studierzimmer aufzusuchen, in dem neben ihrem Hauslehrer auch schon ihr Vater wartete.
„Elijana!“, sagte König Gerog mit strenger, tiefer Stimme.
„Entschuldige, Vater!“, murmelte sie.
Doch damit war es diesmal nicht getan. Ihr Vater hatte sich gesorgt, er war ernsthaft wütend.
„Du hast Privilegien, wie sie vermutlich kein Mädchen auf ganz Arlas bekommt. Du weißt,
wie sehr es mir ein Dorn im Auge ist, dass du alleine reitest, noch dazu gekleidet wie ein
Bauer, statt einer Prinzessin würdig. Ich lasse dir bei Weitem zu viel durchgehen. Doch ich
verlange, dass du meine Güte nicht ausnutzt und nicht länger als abgesprochen dem Hof fern
bleibst.“
„Entschuldige, Vater!“, wiederholte sie kleinlaut. Das war ein Fehler. Sie war nie kleinlaut.
Normalerweise reagierte sie auf Tadel trotzig. Aber ihr Körper war noch zu berauscht, um
normal zu reagieren.
„Wo bist du so lange gewesen?“
Elija spürte, wie ihr das Blut in den Kopf stieg. „Ich habe nur die Zeit vergessen, es tut mir
wirklich sehr leid.“
Ihr Vater nickte. Ein abschätzendes Nicken. Es sah gefährlich aus. „Gut. Nun gut. Du wirst
die nächsten zwei Wochen nicht ausreiten, damit ist die Sache für mich vergessen.“
„Zwei ganze Wochen?!“, rief Elija entsetzt. „Vater du kannst doch nicht …“ ‚Nein, Vater,
alles – alles - aber nur nicht das!’, dachte sie verzweifelt.
„Ich kann und ich werde. Ich darf nicht zulassen, dass du mir mit deinen Unzuverlässigkeiten
regelmäßig Sorgen bereitest. Ich brauche meine Nerven für wichtigere Dinge. Zwei Wochen.“
Damit drehte er auf dem Absatz um und verließ das Studierzimmer, die Tür schlug laut hinter
ihm zu. Elija blieb sprachlos zurück und kämpfte mit zitterndem Kiefer gegen die Tränen an.
Das schadenfrohe Lächeln ihres Hauslehrers machte es nicht besser.
Die folgenden Tage quälte sich Elijana vom Morgen bis zum Mittag, vom Mittag bis zum
Abend und vom Abend durch die halbe Nacht bis sie endlich einschlief. Die Minuten und
Stunden wollten nicht vergehen und immer wieder kam Elija die Befürchtung, dass Jarno
nicht ewig vergebens zur Lichtung kommen würde. Vielleicht hatte er es längst schon
aufgegeben und sie abgeschrieben.
Wie sollte sie ihn finden? Sie hatte keine Ahnung wo er lebte und da er sich verstecken
musste, würde sie ihn auch kaum finden, egal wo sie ihn suchen würde.
Jarno … mit seinen großen, marmorieren Goldstern-Augen, die bei Wut tiefschwarz wurden,
wie bei einem Elfen.
Sein dichtes, tiefbraunes Haar, was ihm über die spitzen Ohren fiel und dieses eindeutige
Merkmal völlig verstecken konnte. So weich, wie Haare eigentlich nicht sein konnten.
Seine Lippen, die sie so überwältigend geküsst hatten – im Halbschlaf konnte sie sie fast noch
auf ihrem Mund fühlen.
Seine helle, kühle Haut, die weicher und empfindsamer schien, als sie es je bei einem Mann
gesehen hatte.
Elija war der Meinung, an ihrem Kummer und ihrer Sehnsucht vergehen zu müssen noch ehe
die zwei Wochen um sein würde.
Und dann war endlich der Tag gekommen. Es regnete ohne Unterlass, doch das war für Elija
kein Grund, nicht sofort nach dem Frühstück Mari zu satteln und im raschen Trab das Schloss
zu verlassen. Als sie den silbernen Wald erreicht hatte, waren Pferd wie Reiterin längst völlig
durchnässt, Elija kroch die Feuchtigkeit unter den Mantel und der Regen tropfte ihr von der
Kapuze ins Gesicht. Die kalte Nässe ließ die toten Bäume schimmernd glänzen und noch
beängstigender erscheinen und die Befürchtung, dass sie ganz alleine war, und Jarno nicht
einmal in der Nähe, ließ Elija fast entmutigt umkehren.
Die Lichtung war trotz der Wolken am Himmel hell und es regnete an diesem verzauberten
Ort nicht. Doch Elija war allein. Sie wartete eine Weile und rief sogar ein paar Mal – doch
weder Jarno noch Vida tauchten aus dem Dickicht auf.
Als Elija sicher war, dass er nicht mehr kommen würde, nahm sie ihren Mut zusammen, ritt
ein Stück den Weg zurück und bog dann vom Weg ab, um die zweite Lichtung zu finden. Zu
ihrer Überraschung fand sie den Ort recht schnell, doch auch hier war von Jarno keine Spur.
Enttäuscht ritt Elija nach Hause.
In den folgenden Tagen ritt das Mädchen jeden Morgen zu beiden Lichtungen, doch Jarno
und auch Vida blieben verschwunden. Elija versteckte eine Nachricht bei den Felsen an der
Quelle, doch auch Tage später steckte diese unberührt wie sie sie zurück gelassen hatte
zwischen den Steinen.
Die Wut auf die Strafe ihres Vaters stieg ins Unermessliche. Immer häufiger blieb sie den
gemeinsamen Mahlzeiten fern und ließ sich das Essen auf ihr Zimmer bringen. Sie stocherte
eh nur noch lustlos darin herum. Sie mied den Kontakt zu ihrem Vater wo sie nur konnte.
Alles hatte er ihr kaputt gemacht durch die alberne Strafe.
Irgendwann kam Elija der schlimme Gedanke, dass Jarno vielleicht aufgegriffen worden war.
Heimlich schlich sie in der folgenden Nacht in das Arbeitszimmer ihres Bruders, in dem er
über alle Häftlinge im Gefängnis und alle Verurteilungen genau Buch führte. Elija überflog
im Schein einer Kerze die Berichte der letzten Wochen, doch es war niemand inhaftiert oder
angegriffen worden, der im Verdacht stand, kein menschliches Blut in sich zu tragen.
Nur ein paar Zeugenaussagen über die Sichtung fragwürdiger Gestalten im Uralten Wald
waren aufgenommen worden. Die erste war datiert auf den Tag, an dem er sie geküsst hatte.
Zwei Waldarbeiter waren völlig überraschend von einem menschenähnlichen Wesen mit
spitzen Ohren angegriffen worden – Elija schauderte; er hatte die Männer angegriffen? -
vermutlich einem Elfen, stand in dem Bericht. Sie hatten mit ihren Bogen auf ihn geschossen
– wieder erschauderte sie, diesmal viel heftiger - und ihn in die Wälder verfolgt und dann die
Spur verloren. Zwei, drei Tage und fünf Tage später wurde in diesen Wäldern erneut eine
verdächtige Gestalt, in einem dunklen Umhang verborgen, gesichtet. Doch die Gestalt hatte
immer wieder die Flucht angetreten und war nicht genauer gesehen worden.
Elija war erleichtert und gleichzeitig maßlos enttäuscht. Er war seit mehr als drei Wochen
nicht mehr gesehen worden … vermutlich war er längst auf und davon.
Vermutlich war der Kuss für ihn nicht mehr gewesen, als ein Spiel mit dem Feuer und er
küsste inzwischen längst die Nächste.
Resigniert verstaute Elija die Aufzeichnungen sorgfältig und schlich zurück in ihr Zimmer.
Nur noch alle paar Tage ritt sie zu der geheimnisvollen Elfenzuflucht. Hier konnte sie ihre
Gedanken fliegen lassen, sich ungestört ihren Träumereien hingeben. Gleichzeitig verbitterte
es sie jedes Mal aufs Neue, den Ort zu verlassen, daher ließ sie unglücklich immer mehr Tage
vergehen, ehe sie zurückkam.
In den ersten Wochen ritt sie fast jeden Tag in den umliegenden Wäldern umher –
irgendwann würde er möglicherweise einfach erscheinen. Lautlos und unbemerkt plötzlich
auf dem Weg stehen und breit grinsen.
Doch es passierte nichts, und Elija ging irgendwann dazu über, das Schloss kaum mehr zu
verlassen.
Keine Hoffnung bedeutete auch keine Enttäuschung.
An einem lauen Frühsommerabend bat König Gerog seine Tochter zu einem Spaziergang mit
ihm hinaus in den Schlossgarten. Er wirkte traurig und besorgt, wie er mit gesenktem Kopf
schweigend neben Elijana zwischen den Blumenbeeten umher schritt, für die seine Tochter
keinen Blick mehr übrig hatte.
„Elijana, mein Kind“, begann er schließlich mit ruhiger Stimme. Er sprach langsam, wie zu
einem kleinen Mädchen. „Du bist so bedrückt, so still geworden. Seit einiger Zeit ist all deine
Fröhlichkeit wie dahin.“
„Es ist nichts, Vater“, gab Elija tonlos zurück, spürte wie verräterische Tränen in ihren Augen
aufstiegen. Sie konnte ihm schlecht sagen, dass er die Schuld an allem trug.
„Mein Kind, du bist bald sechzehn Jahre alt. Ich kann verstehen, dass der Palast und allein die
Gesellschaft eines Bruders und des alten Vaters nicht mehr das Richtige für dich sind.
Vermutlich fühlst du dich einsam.“ Elija schluckte. Was ahnte er? „Vielleicht war ich
manchmal auch zu streng, habe zu viele Regeln für dich aufgestellt.“
‚Diese Erkenntnis kommt reichlich spät’, dachte Elija giftig und biss sich auf die Innenseite
ihrer Wange bis sie Blut schmeckte.
„Ich habe lange nachgedacht, und ich möchte dir einen Vorschlag machen. Ich habe viele
Briefe mit Fredes Frau Tara gewechselt. Sie meint, was du brauchst, wäre eine Freundin zum
reden. Und etwas Abstand zu mir.“ Er räusperte sich leise. „Wenn es dir recht ist, würden
Frede und Tara dich gerne für ein Jahr oder zwei zu sich einladen. Du hättest mehr
Gesellschaft, würdest viele neue Menschen kennen lernen. Frede gibt oft rauschende Feste,
alles was Rang und Name hat, geht hin. Nur dein alter Vater hockt in seinem Schloss. Verzeih
mir mein Kind, ich habe spät begriffen, dass dir dieses Leben zu langweilig sein muss. Ich
mag nicht zusehen, wie du ein ebensolcher Griesgram wirst, wie ich es dir vorlebe.“
Elija wusste nicht, was sie antworten sollte. Frede hatte seine Burg weit im Süden, hunderte
Kilometer weit weg. Die Möglichkeit, Jarno wiederzusehen, wäre damit ein für allemal dahin.
Andererseits … sie machte sich auch so keine Hoffnungen mehr ihn wiederzusehen und
vielleicht könnte sie sich auf der Burg ihres Bruders ablenken und ihren Liebeskummer
irgendwann vergessen.
Ja, das wäre vermutlich eine gute Idee und würde über den Jammer hinweg helfen.
Wenigstens ein bisschen.
Elijana überlegte nicht weiter und stimmte, wenn auch unglücklich, zu.