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7 Der Strauchdieb

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Der Ballsaal war fast königlich mit künstlichen Blumen und bunten Schmetterlingen aus

schillernden Stoffen geschmückt. Der Maskenball sollte den Winter vertreiben und den

ersehnten und längst überfälligen Frühling herbeirufen.

Elijana hatte sich ein Kleid aus blauem und grünem Stoff genäht, und dieses mit grünen

Vogelfedern kunstvoll bestickt. Tara hatte aus großen Pfauenfedern zwei Flügel zusammen

gesteckt und diese noch an den Rücken von Elijas Kleid befestigt. Im Gegensatz zu dem

aufwendigen Kleid trug Elija nur eine symbolische Augenmaske aus grünen Federn, die kaum

etwas von ihrem Gesicht verbarg. Dazu hatte die ihre Haare mit Federn verziert hochstecken

lassen.

„Was für ein zauberhafter Frühlingsbote“, rief Tara entzückt, verkleidet und maskiert mit

künstlichen Blumen, die sie mit aufdringlichem Parfum besprüht hatte, um auch zu riechen

wie ein Strauss sommerlicher Blüten. „Hoffentlich fliegst du uns nicht davon!“

‚Das würde ich manchmal so gern’, dachte Elija still und sah für einen Moment

bernsteinfarbenen Augen vor sich.

Tara und Elija betraten den Ballsaal erst, als die meisten Gäste schon angekommen waren.

Wie so oft war die Stimmung so früh am Abend noch gehemmt. Die prunkvoll verkleideten

Frauen standen wie immer in kleinen, kichernden Grüppchen zusammen, während die

Männer, meist nur der Symbolik halber mit einem auffälligen, bunten Rock kostümiert,

gemeinsam über Politik, Handel oder verbrecherische Elfen diskutierten und sich dabei hin

und wieder gegenseitig auf die Schultern klopften.

Die beiden Frauen begrüßten freundlich jedes Grüppchen und schlossen sich dann einer

kleinen Traube anderer junger Frauen an. Überschwänglich bewunderte man sich gegenseitig

für die Schönheit und Originalität der Kostüme, wobei Elija nie die missgünstigen, neidischen

Blicke so manch einer Dame entgingen.

Wie so oft, wenn Feste begannen, fühlte Elija sich anfangs nicht wirklich wohl. Es war ein

Abtasten, ein Bestaunen und Begaffen, und früh am Abend wurde noch ungeniert heimlich

über jede hergezogen, mit der man wenige Stunden später beste Freundin war – und über

andere Frauen redete.

Die hohe Gesellschaft war falsch, eingebildet und immer gierig auf neue Skandale, und es

hatte einige Zeit gebraucht, bis Elija sich an diese Umstände gewöhnt hatte. Oft kam es, dass

sie im Laufe des Abends eh bei den jungen Männern stand, deren Themen ihr einfach

interessanter schienen, auch wenn sie an den Männern selbst kein Interesse hatte.

Elija wusste, dass sie dadurch ein großes Tratschthema abgab, aber sie wusste auch, dass man

ihr als Prinzessin nie wirklich Unterstellungen machen, oder offen schlecht über sie reden

würde, wie es bei den meisten anderen Frauen der Fall war.

Was man im Stillen über sie redete – Tara war immer bestens informiert und hielt sie auf dem

Laufenden - war ihr meist gleichgültig. Und wenn es ihr nicht gleichgültig war, dann fand sie

es amüsant.

Elija nippte gelangweilt an ihrem Wein. Sie hörte nur mit halbem Ohr den Unterhaltungen zu

und sah sich unter den anderen Gästen um. Die Frauen waren in ihren Verkleidungen zum

Teil kaum zu erkennen, bei den Männern war es dagegen wie immer einfach. Kaum ein Herr

trug mehr Kostümierung als einen albernen Hut oder einen bunten Rock.

Die beiden schlanken, hochgewachsenen Herren, die nun als Diebesleute verkleidet den Saal

betraten, waren eine echte Ausnahme und damit ein wahrer Hingucker für alle Damen. Sie

waren in lange, schwarze Umhänge aus dickem Samt gehüllt, die Kapuzen tief in die

Gesichter gezogen, ihre Augen hatten sie zudem unter schwarzen Augenbinden versteckt.

Sie spielten ihre Rolle hervorragend. Wie echte Strauchdiebe sahen sie sich gekonnt

verstohlen um. Ihre Bewegungen waren ohne Eile, aber flink und geschmeidig.

Ein paar Damen kicherten kokett auf, als die Männer durch den Saal gingen, sie stießen sich

heimlich an und rätselten untereinander, wer die Maskierten wohl waren.

Elija wusste es nicht, auch wenn einer der Strauchdiebe ihr irgendwie bekannt vorkam.

‚Vermutlich einer dieser eingebildeten Herzoge’, dachte sie bei sich. ‚Oder neureiche

Kaufmannsleute, die kein Fest auslassen.’

Der Maskierte hob plötzlich irritiert den Blick und berührte seinen Stirn unter der Kapuze mit

den Fingerspitzen, als hätte er plötzliche Schmerzen.

Der andere – unter seiner Kapuze hingen ihm hellblonde Haare ins Gesicht – sah ihn an,

beugte sich zu ihm und flüsterte ihm etwas zu. Der Erste schüttelte hastig den Kopf.

Elija beachtete die Maskierten nicht länger und nahm sich ein weiteres Glas Wein. Etwas

angetrunken waren solche Feste tatsächlich amüsant – nüchtern dagegen kaum zu ertragen.

Kurze Zeit später trauten sich die ersten Tänzer aufs Parkett und Elija ließ sich von einem

jungen Mann zum Tanz auffordern, was sie nur wenig später schwer bereute.

Elija hielt sich nicht für eine begnadete Tänzerin, doch im Gegensatz zu ihrem

steifknöchernen Partner, der mühsam der Musik nachstolperte, schwebte sie fast über den

Boden. Sie war wirklich dankbar, als Tara sie nach dem ersten Tanz am Arm nahm und hinter

sich her zog, nur weg von diesem adligen Tölpel.

„Elija, ich muss dich unbedingt dem Herzog Fagin vorstellen“, raunte Tara begeistert. „Der

Herzog ist das erste Mal auf einem unserer Feste, umso glücklicher macht es mich, dass er die

Einladung endlich angenommen hat. Du musst ihn kennenlernen. Er ist ...“, raunte Tara

verstohlen, „ein Bild von einem Mann, auch wenn die Maskerade noch nicht viel davon zeigt!

Aber ich wette mit dir – um Mitternacht bekommen wir was zu Bestaunen. Auf einem solchen

Körper muss ein schönes Gesicht sitzen.“

Typisch Tara. Sie war eine bedingungslos treue Seele und würdigte abgesehen von Frede

eigentlich keinen Mann auch nur eines Blickes. Aber sie gab es nie auf, ihre Schwägerin von

den Vorzügen eines jeden in Frage kommenden Verehrers hinzuweisen. Sie zog Elija

kichernd zu einem Stehtisch, an dem besagter Herzog – einer der Strauchdiebe war es – schon

wartete.

Tara räusperte sich mit glühenden Wangen.

„Prinzessin Elijana“, begann sie förmlich, und für einen Moment schien der Strauchdieb vor

dem Namen in Ehrfurcht zu erstarren und neigte in einer angedeuteten Verbeugung sein

Haupt, „ich möchte Euch den Herzog Fagin vorstellen. Herzog Fagin, ich habe die große

Ehre, Euch die Prinzessin, Hoheit Elijana, Tochter König Gerogs, vorzustellen.“

Der Herzog hielt sich zu lange in seiner Verbeugung, Elija knickste beiläufig und fand sein

Getue albern.

„Freut mich, Euch kennen zu lernen, Her-“, Elija blieb das Wort im Hals stecken und um ein

Haar hätte sie ihren fedrigen Fächer fallen gelassen, als der Strauchdieb-Herzog den Kopf hob

und ihr direkt in die Augen sah.

Das konnte doch nicht möglich sein. Nein, sicher nicht – die Maske verdeckte doch das ganze

Gesicht. Doch diese Augen – Bernstein mit goldenen Sternen darin … so vielen goldenen

Sternen, und es schienen noch mehr zu werden – konnte es doch kein zweites Mal geben!

Elija fing ein kaum merkbares Kopfschütteln auf und bemühte sich um Fassung. Sie hatte

sofort verstanden. Sie durfte ihn jetzt nicht verraten.

Eindeutig war das Jarno.

Ganz eindeutig kein Herzog.

Völlig eindeutig war er nicht berechtigt, hier zu sein.

Und absolut eindeutig hatte auch er nicht damit gerechnet, sie hier zu sehen.

„Entschuldigt!“, trällerte Elija nervös mit hoher Stimme, wedelte hastig mit dem gefederten

Fächer als könne sie damit ihr Erröten verhindern und räusperte sich. „Entschuldigt, ich habe

mich verschluckt. Es freut mich sehr, Herzog Fagin!“ Sie knickste noch mal und hustete.

„Och meine Liebe“, tröstete Tara und klopfte ihr zaghaft den Rücken. „Vielleicht hilft ein

Schlückchen Wein?“

Auffordernd sah sie den falschen Herzog an, doch der stand da wie vom Donner gerührt. Tara

machte eine angedeutete Handbewegung, als würde sie aus einem imaginären Glas trinken,

wiederholte die Geste etwas auffälliger, als er nicht reagierte, und endlich regte sich der

Maskierte.

„Natürlich, die Damen!“, sagte er mit rauer Stimme und drehte sich um, verschwand in einer

einzigen, fließenden Bewegung zwischen den Menschen, in Richtung der Bediensteten, die

Wein ausschenkten.

Elija befürchtete … oder hoffte … er würde sofort die Flucht antreten.

„Jetzt sag nicht, du kennst ihn schon“, drängte Tara, kaum dass er außer Hörweite war.

„Was? Wieso … ich ….“

„Du bist ja ganz aufgeregt!“

„Ach was, ich dachte nur zuerst, er wäre jemand anderes.“

„So? Wer denn?“ Tara war einfach zu neugierig.

„Es gab da mal einen jungen Mann“, gab Elija zu. Wie sollte sie Tara ihr komisches

Verhalten erklären? „Der Herzog … sieht ihm irgendwie ähnlich.“

„Einen jungen Mann? Warum hast du mir nie davon erzählt? Komm schon Elija, ich will alles

wissen!“

„Ich verspreche, dass ich es dir erzähle“, sagte Elija und fragte sich sofort, wie sie aus diesem

Versprechen wieder rauskommen sollte. „Aber später. In Ruhe.“ Nun war es erst mal

wichtiger, Tara loszuwerden, ehe Jarno zurück kam. So verwirrt und zittrig wie sie war,

würde sie ihn verraten.

„Nun gut“, Tara zuckte enttäuscht die Schultern. „Aber glaube nicht, dass ich es vergesse!

Und jetzt amüsiere dich schön, da kommt dein Herzog schon zurück!“ Damit zwinkerte sie

Elija zu und schob sich zwischen ein paar anderen Gästen hindurch davon.

‚Wenigstens das’, dachte Elija dankbar.

Jarno, verkleidet als Herzog, der sich als Strauchdieb verkleidet hatte, kam mit drei

Weingläsern zurück, reichte Elija eines, sah sich suchend nach der zweiten Dame um, kippte

das dritte Glas dann kurzerhand selbst in einem Schluck runter und stellte es leer ab, nahm

dann einen weiteren, großzügigen Schluck aus seinem eigenen Glas.

Elija räusperte sich nervös. Das durfte doch nicht wahr sein. Fast zwei Jahre lang hatte sie

sich nach diesem Tag gesehnt; dem Tag, an dem sie ihn wieder sehen würde. Und nun

standen sie sich gegenüber und konnten sich nicht einmal ansehen?

Konnte er nicht lieber etwas sagen, statt sich zu betrinken? Er stand stocksteif da und starrte

auf sein Weinglas.

„Nun“, begann sie mit viel zu hoher Stimme und grinste unsicher unter ihrer Maske, „ich

hätte nicht gedacht, dich hier wiederzusehen.“

„Das hätte ich auch nicht erwartet.“ Jarno schien zerknirscht, regelrecht beunruhigt. Elija

hatte nicht das Gefühl, dass er sich besonders freute, sie zu sehen. Das hatte sie sich

geringfügig anders vorgestellt. Er hielt nicht einmal ihren Blick, sah nur nervös auf dem

Boden herum und seine Wimpern verdeckten ihr die Sicht auf die Bernsteinaugen.

„Was hast du so gemacht in der ganzen Zeit?“, fragte Elija um das verlegene Schweigen zu

brechen.

„So dies und jenes“, wich er aus.

„Wie geht es Vida?“

„Gut. Sie ist groß geworden, und sie frisst inzwischen auch wie eine Große.“ Jarno lächelte

endlich und seine Stimme bekam wieder den samtweichen Klang, den Elija von früher

kannte. Nur ein wenig tiefer inzwischen. „Sie hat das Jagen gelernt. War nicht leicht, ihr

beizubringen, sich selbst zu versorgen, aber so viele Karnickel wie ein Einhorn frisst, konnt’

ich schlecht schießen.“

Elija sah sich verstohlen um, doch niemand der Umstehenden schien ein Wort gehört zu

haben.

„Nicht so laut!“, warnte sie, doch Jarno zuckte nur mit den Schultern.

„Nun“, sagte Jarno nach einer weiteren Ewigkeit des Schweigens, „es hat mich in jedem Fall

gefreut, dich wieder zu sehen. Ich hätte dir gerne damals Lebewohl gesagt, aber ...“

Elija entging der Hauch von Vorwurf in seiner Stimme nicht.

„Ich … ich wollte kommen, damals!“, sagte sie rasch, viel lauter und wieder höher, als sie es

beabsichtigt hatte. „Ich konnte nicht, weil ich ….“ Nein, sie würde vor diesem Kerl nicht

zugeben, dass ihr Vater ihr Hausarrest gegeben hatte. „Ich war krank!“ log sie, und verfluchte

ihre Maske, weil sie so wenig von ihrem dunkel errötenden Gesicht verbarg.

„Krank“, stellte Jarno fest und Elija war klar, dass er ihr nicht glaubte.

„Ja, krank!“, sagte sie bestimmt. „Und als ich … wieder gesund war … da warst du nicht

mehr da und bist auch nicht mehr gekommen.“ Jetzt klang Elijas Stimme vorwurfsvoll, ohne

dass sie es gewollt hatte.

„Ich bin weitergezogen“, erklärte er schlicht.

„Das war vermutlich das Beste“, sagte Elija leise. „Wusstest du, dass du mehrfach gesehen

und auffällig wurdest? Noch ein, zwei Zeugenaussagen und man hätte die ganzen Uralten

Wälder durchkämmt.“ Jarno pfiff leise durch die Zähne. „Das findest du wohl witzig, oder?“,

zischte Elija, in der langsam eine gewisse Wut aufstieg. „Was machst du eigentlich hier?“

Sie konnte mehr erahnen, dass Jarno unter der Maskierung errötete, als sie es sah.

„Nichts. Ich feiere.“

„Und warum denkt Tara, du wärst der Herzog-“

„Psst!“, jetzt war es an Jarno, Elija mit einer warnenden Geste zum Schweigen zu bringen.

„Ich erkläre es dir“, sagte er leise … zögerte für einen Moment … und endlich sah er ihr in

die Augen. „Aber vorher würde ich gerne mit dir tanzen!“

„Tanzen?“ In Elija brodelte es unter seinem Blick.

„Ja. Das macht ihr hier nicht viel anders als wir. Ich kann also tanzen, falls du das wissen

möchtest.“

Er hielt ihr in einer galanten Geste den Arm hin und Elija ergriff ihn zögerlich. Ihn

wiederzusehen war das Eine gewesen. Doch in dem Moment, als ihre Hand seinen Arm

berührte, und sie seinen Körper unter dem weichen Mantelstoff spürte, fühlte Elija sich

wieder wie damals im Wald, völlig fasziniert und hingerissen von diesem Wesen, halb

Mensch und halb Elf.

‚Er manipuliert mich! Es ist ganz sicher ein schäbiger Zauber!’ dachte sie, ohne sich groß

daran zu stören.

„Nein, ist es nicht!“, flüsterte Jarno ohne sie anzusehen, und Elija fragte sich noch eine ganze

Weile, ob sie etwa laut gedacht, oder sich seine Worte durch die Lautstärke der Feiernden

einfach nur eingebildet hatte.

Er konnte wirklich tanzen.

Elija fühlte sich wie betrunken. Wunderbar, als würde sie mit ihm zur Musik schweben, als

würden sie einfach tanzen und die Musik würde sie begleiten, sich ihrem Tanz anpassen, und

nicht andersherum.

Gleichzeitig spürte sie voller Unruhe, wie auffällig sie waren - er allein durch seine Größe

und seine geschmeidigen Bewegungen, denn mehr gab seine Kostümierung auch nicht zu

erkennen, sie durch ihr wehendes Kleid, in dem sie tatsächlich zu fliegen schien. Wie viele

Menschen ihnen bewundernde, staunende Blicke zuwarfen. In den Armen jeden anderen

Tanzpartners wäre sie stolz gewesen, hätte den Neid der Frauen sogar ein bisschen genossen.

In Jarnos Armen konnte sie schlecht vergessen, dass zu viel Aufmerksamkeit von anderen

schnell in einer Katastrophe enden könnte.

Noch war es nicht spät – aber um Mitternacht würden die Masken fallen. Bis dahin musste

Jarno in jedem Fall verschwunden sein, und Elija schien es, als würde die Zeit bei diesem

Gedanken schneller vergehen.

Jarno und Elija tanzten vier, fünf Tänze, vielleicht waren es auch mehr, Elija wusste es nicht

mehr. Sie hätte auch die ganze Nacht hindurch getanzt, doch die Kapelle machte eine kurze

Pause und Jarno nutzte den Moment um ihnen zwei weitere Gläser Wein zu holen.

„Ich würde gerne etwas ungestörter mit dir reden“, sagte er dann leise. Er war sich auch

bewusst, wie auffällig sie geworden waren, wie sehr sie im Fokus der Blicke standen. Es

gefiel ihm nicht.

Elija nickte. Sie ergriff kurzerhand seine Hand und führte ihn durch den Ballsaal zu einer

unscheinbaren Tür. Ohne sich groß Gedanken über die Beobachter und deren schlüpfrige

Fantasien zu machen, verließen sie den gefüllten Saal durch den Dienstbotengang.

Der Gang war schmal, dunkel und schmucklos, und es schien hier noch heißer, als im

Tanzsaal. Der Duft von aufwendigen Köstlichkeiten verriet, dass er auf die Küche zuführen

musste. Elija kicherte als sie gemeinsam hindurch liefen. Sie fühlte sich wie ein kleines Kind

beim Versteckspiel.

Sie stießen eine Tür auf und standen mitten im emsigen Treiben der Küche.

„Entschuldigung!“, kicherte Elija und Jarno winkte den erstaunten Angestellten freundlich zu,

während sie raschen Schrittes durch die Küche liefen und durch die Hintertür hinaus

schlüpften.

Ein Koch warf eine zotige Bemerkung hinter ihnen her und zwei Küchenburschen prusteten

vor Gelächter, als die Tür zum Hof hinter ihnen zufiel.

Die Kälte draußen war nur für einen Augenblick angenehm auf Elijas Haut. Ihr Kleid war

nicht wirklich dazu geeignet, damit draußen durch die Nacht zu laufen, ihr Schuhwerk noch

viel weniger. Schon bei den ersten Schritten durch den Schnee spürte sie, wie ihre dünnen

Tanzschuhe eisige Feuchtigkeit hindurch ließen und ihr Körper erzitterte.

„Lass uns zum Stall gehen“, flüsterte sie mit bebender Stimme und ehe sie reagieren konnte,

hatte Jarno, ganz galanter Strauchdieb, seinen Umhang abgestreift und ihn Elija über die

Schultern gelegt.

„Wenn dich jemand sieht!“, raunte sie erschrocken. Jarno trug zwar noch seine Augenmaske,

doch die hielt durch ihr Band auch sein Haar zurück und legte dadurch erst recht den Blick

auf seine verräterischen Ohren frei, das untrügliche Zeichen eines unmenschlichen Wesens.

„Tz“, machte Jarno unbekümmert, nahm die Augenbinde ab und steckte sie ein.

Sie hatten die Stallungen schnell erreicht und Elija atmete erleichtert auf als sie feststellte,

dass keiner der Stallarbeiter auf seinem Posten schien. Vermutlich hielten sie sich alle im

Stall für die Gästepferde auf, da gab es bei so vielen Besuchern sicher mehr als genug zu tun.

Vorsichtig schob sie eine leise knarrende Holztür auf die zur Sattelkammer führte und ließ

Jarno hinein.

Im Stall war es ein wenig wärmer und vor allem trocken. Es roch nach Pferden, würzigem

Heu und Leder. Elija überraschte es, wie intensiv diese Gerüche bei Nacht waren. Sie

brauchte einen Moment, ehe sich ihre Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten.

Jarno schien damit keine Probleme zu haben. Seine Augen schienen in der Dunkelheit leicht

golden zu flackern wie eine fast herunter gebrannte Öllampe.

Lautlos bewegte er sich durch die Sattelkammer und trat zwischen zwei Boxen hinaus in die

Stallgasse. Elija fragte sich, was er vorhatte und folgte ihm. Jarno sah jedes der Pferde

aufmerksam an, die meisten begrüßten den Fremden mit freundlichem Grummeln.

„Ich wusste, dass du sie mitgebracht hast!“, rief er dann plötzlich erfreut, öffnete Maris Box

und trat ein. Halbblut und Pferd begrüßten sich, als wären sie alte Freunde.

„An keinen Ort der Welt würde ich ohne sie gehen“, stellte Elija klar, doch ihre Stimme ließ

durchhängen, dass sie sich gewünscht hätte, er würde ihr ein wenig mehr Aufmerksamkeit

widmen als ihrem Pferd.

„Das glaube ich dir“, antwortete Jarno, und Elija hörte einen traurigen Unterton, auch wenn er

lächelte.

„Aber jetzt verrate mir, wie du hier rein gekommen bist!“, verlangte sie zu erfahren.

„Durch das Tor?“

„An allen Toren stehen Wachmänner!“

„Die mich durchaus freundlich begrüßt haben, schließlich habe ich eine Einladung.“

„Wie bist du an die Einladung gekommen?“

„Von Herzog Fagin.“

„Ach? Er hat sie dir gegeben?“

„Könnte man so sagen.“

„Er hat sie dir persönlich gegeben?“

„Nicht direkt.“

„Sondern?“

Jarno seufzte theatralisch. „Nun gut, nun gut. Bevor du mich in Grund und Boden fragst: Ich

habe die Einladungen aus seinem Arbeitszimmer gestohlen. Wo sie im Papierkorb zum

Verfeuern lagen.“

„Du hast sie ihm gestohlen? Aus seinem Arbeitszimmer?“

„Das sagte ich doch!“ Jarno schien zufrieden, seine Stimme klang plötzlich sehr munter. „Ich

versichere dir, er ist ein schrecklich langweiliger und einfältiger Mensch, der die Gesellschaft

anderer Menschen scheut und sich am liebsten in seinem Anwesen versteckt. Du kannst froh

sein, dass ich an seiner Stelle gekommen bin! Meine Gesellschaft ist spannender. Bis eben

dachte ich, du freust dich, mich zu sehen?“

„Ja das tue ich wirklich, aber …“

„Tatsächlich? Hast du mich … vermisst?“

„Ich habe dich jeden einzelnen Tag vermisst!“, quetschte Elija zwischen wütend zusammen

gebissenen Zähnen hervor und kämpfte mit einigen Tränen, die in ihre Augen drängten.

„Wirklich?“ Jarnos Stimme wurde weich und warm, wie der Samt seines Umhangs, den Elija

trug. Er warf ihr seinen funkelnden Blick quer durch den Stall zu und seine Stimme wurde

noch leiser. „Ich habe dich auch vermisst!“

„So so. Und du denkst, das rechtfertigt es, dass du Menschen bestiehlst? In ihre Häuser

eindringst?“

Elija wollte nicht patzig sein – viel lieber wollte sie sich in seine Arme werfen. Aber diese

albernen Tränen waren hartnäckig, und am besten ließ sich überzogene Rührseligkeit nun mal

mit Sarkasmus bekämpfen.

„Himmel noch mal, Elijana, du stellst vielleicht Fragen!“

„Ja bei den Göttern noch mal, aber das ist doch nicht dein Ernst! Vielleicht ist das in euren

Völkern normal, dass man stiehlt, aber …“

„Menschen stehlen nie?“ Jarno lachte amüsiert und Elija ärgerte sich darüber.

„Nun gut ja, manche Menschen stehlen auch. Aber sie werden dafür bestraft.“

„Wenn man sie zu fassen bekommt.“

„Richtig. Und mein Vater und meine Brüder tun alles damit man sie zu fassen bekommt, um

das Recht zu schützen und durchzusetzen. Du bringst mich in einen Zwiespalt, denn

eigentlich müsste ich dich verraten, weil du den Herzog -“

Elija war im gleichen Moment klar, dass sie zu weit gegangen war.

Jarno war nahezu unbemerkt mit einem lautlosen Sprung herangekommen und stand plötzlich

so nah vor Elija, dass sie seinen Atem in ihrem Gesicht spüren konnte. Sie fühlte sich ein

bisschen schwindelig. Vielleicht, weil er sie erschreckt hatte …

„Da gibt es nur ein Problem“, sagte er leise, mit einem gefährlichen Zischen in der Stimme,

und Elija bemerkte, wie die goldenen Sterne in seinen Augen schwarz wurden. „Ich werde

bestraft, allein für den Umstand meines Lebens. Allein die Tatsache, dass mein Vater

menschlich war, und meine Mutter nicht, ist für mich ein Todesurteil. Macht es da noch

irgendeinen Unterschied, ob ich stehle? Ob ich mich irgendwo einschleiche, wo ich nicht sein

dürfte? Ob ich das richtige oder das falsche tue? Macht es überhaupt einen Unterschied, was

ich tue?“

Elija war die Antwort klar, und sie schämte sich selbst für ihre dumme, verletzende

Bemerkung, die ihn getroffen hatte. Gleichzeitig sog sie gierig seinen Geruch ein, diesen

fremdartigen, vertrauten Geruch und klebte an seinem Anblick. Er hatte sich wenig verändert.

Seine Züge waren ein wenig härter geworden, weniger jungenhaft, aber immer noch auf diese

eigenartige Art weich.

Seine großen, breiten Katzenaugen funkelten dunkel.

Es irritierte sie selbst, dass sie keinen Hauch von Angst verspürte, auch wenn er vor ihr stand,

wie ein rachsüchtiger Dämon.

Etwas anderes ließ ihr Herz rasen.

Ohne darüber nachzudenken, griff sie ihm um die Taille und zog sich an ihn, drückte ihre

Wange gegen seine Brust und atmete seinen Geruch ein. Er stand lange wie versteinert, ehe er

die Umarmung zaghaft erwiderte.

Wie lange hatte sie darauf gewartet …

„Das war so dumm von mir“, flüsterte Elija. Sie spürte, wie Jarno leise gluckste, zuerst dachte

sie, er würde weinen - angeblich neigten Elfen ja zu dramatischer Heulerei -, doch er kicherte.

„Sie könnten mich ja wegen des Diebstahls ein Leben lang einkerkern und danach erst für

mein Mischlingsblut erschlagen! Jederzeit. Aber erst mal müssen sie mich zu fassen

bekommen.“

„Und dann rette ich dich!“ formte Elija stille Worte an seiner Brust, lautlos, so dass er es

eigentlich nicht hätte hören können. Er hörte es trotzdem und kommentierte es mit einem

Kuss auf ihr Haar.

In der Ferne heulte ein Wolf und Jarno warf einen besorgten Blick Richtung Burg.

„Ich muss gehen“, sagte er, und Elija hatte das Bedürfnis, ihn einfach festzuhalten, doch sie

nickte und wollte seinen Umhang ablegen.

„Behalt ihn“, sagte Jarno und rückte den Stoff auf ihren Schultern zurecht, damit sie nicht

frieren würde. Er griff sich die erstbeste Pferdedecke, die auf einem Strohballen lag und warf

sie sich über, so dass er wie unter einem einfachen Kapuzenumhang bedeckt war. Vorsichtig

stieß er die Tür auf und lugte hinaus. Nichts. Nur ein Uhu rief in der Ferne und die kalte

Nachtluft strömte unangenehm in den Stall und kroch Elija unter die Kleidung.

Er konnte doch jetzt nicht einfach verschwinden!

„Ich muss gehen“, wiederholte er rasch, „aber ich muss dich wieder sehen!“ Elijas Herz raste

und sie nickte hastig. „Nördlich von hier, etwa eine halbe Stunde nördlich eures Tempels,

liegt ein Wasserfall. Weißt du, wo das ist?“

„Ich kenne den Ort.“

„Komm dort hin. In drei Tagen, am Morgen.“

Jarno drehte sich um und lief lautlos einige Schritte über den verschneiten Hof. Dichte

Schneeflocken legten sich sogleich in seine Fußspuren. Dann blieb er plötzlich stehen und

kam eilig zurück.

Elija packte die Angst, sie fürchtete, Jarno hätte jemanden gesehen. Doch an der rettenden

Stalltür angekommen, fasste er sie fast schmerzhaft fest an den Schultern und verschloss ihre

Lippen mit einem langen, tiefen Kuss, der viel weniger zärtlich als mehr zwingend nötig war.

Dann riss er sich mit einem leisen Keuchen von ihr los und verschwand nun völlig in der

Dunkelheit.

Mit wackligen Beinen und brennenden Lippen, frierend in der Kälte, blieb Elijana zurück und

starrte ungläubig in die Richtung, in die er verschwunden war.

‚Sicherlich ein Zauber – ganz sicher’, flüsterte sie und berührte glücklich ihre Lippen, wo vor

einem Moment noch seine gewesen waren.

Elija ging nicht zurück zum Fest, dabei war es erst auf seinem Höhepunkt angekommen. Die

Geräusche der Feiernden drangen durch die Mauern und schienen die ganze Burg auszufüllen.

Sie mied es, in die Nähe des überfüllten Ballsaals zu kommen, und stieg direkt die breite,

geschwungene Treppe hoch, die zu ihrem Schlafzimmer führte. In ihrem Kopf randalierte es.

Die Gedanken an diesen Abend waren wie ein kostbarer Schatz und in Gedanken ging sie die

Minuten immer wieder von Neuem durch. In ihrem Zimmer warf sie ihr Ballkleid achtlos auf

einen Stuhl, auf die Abendwäsche verzichtete sie völlig. Elija war sich sicher, ewig wach

liegen zu müssen, doch tatsächlich schlief sie innerhalb weniger Minuten, zugedeckt mit dem

Umhang, in dem der Duft seines Körpers noch gefangen war.

Halbblut

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