Читать книгу Goldberg und der unsichtbare Feind - Thomas Lang - Страница 14
A slow train coming
ОглавлениеDen Song hatte His Bobness exklusiv für die Bahn geschrieben. Ohne es zu wissen.
Die Sache mit Rochefort in Belgien klang einfach. Eigentlich.
Abfahrt Stuttgart 9:04 Uhr. Koblenz, Luxembourg, Rochefort. Ankunft 17:37 Uhr. Achteinhalb Stunden. Ein Klacks, wenn die Flüssigkeitszufuhr passte. IC bis Koblenz. Bitburger oder Erdinger, nun ja. Sag was dagegen! Ja, mache ich seit Jahren, dachte Minkin. Ändert sich was in diesem Land? An der Bierpolitik der Bundesbahn? Einen Scheiß tat es.
Im TGV. Was wollte man vom Franzosen erwarten? Gastro war nicht seins. Konnte er einfach nicht, der Franzose. Essen, Trinken, war einfach nicht sein Ding. Deshalb kaufte man besser ein paar Dosen Paderborner am Bahnhofskiosk, bevor man in den TGV stieg. War das Einmaleins der alkoholischen Bahnfahrer.
Der Stuttgarter Hauptbahnhof war immer noch für eine Überraschung gut. Vor ein paar Jahren hatten die Alphamännchen dem Bahnhof ordentlich eins mitgegeben. Die Flügel gestutzt. Man dachte, okay, das war es jetzt. Sie lassen ihn in Ruhe sterben. R.I.P. Fehlanzeige. Heuer hatten sie die kathedralenhafte Bahnhofshalle komplett entbeint. Um was zu tun? Das Ganze moderner zu machen. Mit Shops, Lounges, Meetingrooms. Sollte das Milaneo unter den Durchgangsbahnhöfen werden. Die Shopping-Queen der Zug-Haltestellen. Vorerst hatten sie farbige Linien auf den Boden geklebt, die dem ungeübten Bahnfahrer bei der Orientierung helfen sollten. Das Gegenteil war der Fall.
Minkin fand sein Gleis. Trotz der Orientierungshilfe. Nicht wegen. Schaffte es noch, zwei Dosenbier in einem Sparmarkt zu erstehen und erwischte gerade so seinen IC nach Koblenz. Wenn Romane den Leser nach Koblenz führen, sollte man sehr, sehr vorsichtig sein. Koblenz ist wie Bielefeld, nur realer.
Kurz hinter Frankfurt schaffte es der IC, ein Hochkabel abzureißen. Musst du erst mal hinkriegen. Der Zug stand auf offener Strecke. Irgendjemand murmelte was von Materialermüdung.
Mein Zustand, dachte Minkin. Materialermüdung. Es war wie in den meisten Bereichen, die der Staat privatisiert hatte, sie gingen langsam vor die Hunde, weil man sie dem Diktat der Wirtschaftlichkeit unterworfen hatte. Was Unsinn war, eine Bahn musste genauso wenig Gewinn abwerfen wie ein Krankenhaus oder ein Kindergarten. Diese Sachen mussten einfach funktionieren. Wird auch Christian Lindner irgendwann kapieren, wenn er Zeit zum Nachdenken findet zwischen Twittern, Posten und Haare schön machen.
Minkin saß im Bordbistro, als die Fahrgäste über Lautsprecher aufgefordert wurden, sich ebenda zu versammeln. Keine gute Idee. Das Bistro wurde im Nu proppenvoll. In Sachen Fortbewegung passierte erst mal nichts. Wie auch, das hier war die Bahn. Bloß kein Aktionismus. Der Chefsteward machte eine Durchsage. Wir haben einen Evakuierungsplan. Die Bahnhostessen verteilten Schokoladenherzen in Goldpapier mit dem Aufdruck Lieblingsgast. Man wusste in diesem Moment nicht, was die größere Lüge war: das mit dem Lieblingsgast oder die Behauptung, dass sie einen Plan hatten.
Dauerte drei Stunden, bis Minkin und die anderen Fahrgäste über einen Steg zu einem anderen Zug gebracht wurden. Irgendwann setzte der Zug seine Fahrt nach Koblenz fort. Über Luxemburg schaffte es Minkin am späten Abend, nach Rochefort zu gelangen. Es war kurz nach 21 Uhr.
Goldberg hatte ihm das Hotel Le Malle Poste gebucht. Ein SPA-Hotel. Richtig, nicht das SPAR-Hotel, das Minkin erwartet hatte. Minkin hatte nichts gegen Billighotels. Er machte zwar auch nicht den Fehler, Schäbigkeit mit Romantik gleichzusetzen, aber SPA-Hotels hielt Minkin für unnütz.
Im Le Malle Poste hatten sie das große Wellness-Besteck ausgepackt. Das heißt? Sauna, Hamam, Pool. Perlen vor die Säue. Minkin wäre im Traum nicht auf die Idee gekommen, hier zu buchen. Hatte aber alles seinen Grund, wie die ESOS zu sagen pflegten. Halt dich an den Nachtportier, er wird dich ins Kloster bringen, hatte ihm Goldberg mit auf den Weg gegeben. Der Nachtportier sprach zudem deutsch. Noch ein Vorteil.
»Sie sind zu spät.«
Und das von einem Nachtportier, der das Späte quasi zu seinem Beruf gemacht hatte.
»Lag nicht an mir. Lag an der Bahn.«
Hatte der Belgier kein Verständnis für. Woher auch, er kannte die Deutsche Bahn nicht.
»Haben die Mönche Stress mit Uhrzeiten?«, fragte Minkin.
»Sie halten sich an Regeln. Die Trappisten legen da noch mal eine Schippe drauf. Wissen Sie, wie der Orden offiziell in der Katholischen Kirche heißt?«
»Keine Ahnung.«
»Die Zisterzienser der strengeren Observanz.«
Observanz müsste ich erst im Brockhaus nachschlagen, dachte Minkin. Oder googlen, wie die Jugend sagte. Was auf dasselbe hinauslief.
»Wir gehen morgen zu ihnen!«, sagte der Nachtportier.
Ging mehr in Richtung Dienstanweisung. Auch recht, dachte Minkin, nach zwölf Stunden Zugfahrt war auch mal gut mit Arbeiten.
»Sagen Sie, Meister, gäbe es vielleicht noch eine Kleinigkeit zwischen die Kiemen?«
»Nun, für gewöhnlich servieren wir hier ein komplettes Menü. Aber dafür dürfte es jetzt etwas spät sein. Ich werde in der Küche fragen, was man Ihnen noch zubereiten könnte.«
Wenig später kam der Nachtportier wieder.
»Wie gesagt, unsere Gäste dinieren üblicherweise früher. Die Küche könnte Ihnen ein Tartare de Boeuf Holstein oder eine Assiette de Fromage zubereiten.«
»Geht auch beides?«
»Sicher, ich bringe Sie an Ihren Tisch.«
Der Portier führte Minkin in den angrenzenden Speisesaal.
Minkin fühlte sich schlagartig unwohl. Das Restaurant schüchterte ihn mächtig ein. Weiße Tischdecken, Kristallgläser, Silberbesteck, die Stühle stoffüberzogen, schwere Kronleuchter hingen von der Decke, Brokattapeten an den Wänden. Schwerer Landhausstil.
Würde mich nicht wundern, wenn der belgische König in irgendeiner Ecke säße und eine Havanna rauchte. Scheiß drauf, dachte Minkin. Nichts ist perfekt auf dieser Welt. Wenn sie einem hier noch was zum Essen machten, nahm man das überkandidelte Interieur gerne in Kauf.
Das Tartare war roh. Da war sie wieder, die französische Kochkunst in ihrer vollen Blüte. Aber es schmeckte gigantisch und der Käse setzte noch einen drauf. Vielleicht sollte Minkin seine Food-Policy doch noch mal besprechen. Sein Speiseplan wurde von den Jahreszeiten geprägt; heißt im Sommer gerne auch mal ein Kristall. In der kalten Jahreszeit Backfisch mit Kartoffelsalat und ordentlich Remoulade drauf. Wie gesagt, nach Belgien musste man das Thema Food eventuell noch mal neu denken.
Der Kellner ignorierte seine Frage nach einem Bier beharrlich und brachte ihm einen Roten.
»Merlot.«
»Meinetwegen.«
War sackschwer. Roland, der Pfarrer, wäre begeistert gewesen.
Gegen 23 Uhr war Minkin bedient, schleppte sich aufs Zimmer und fiel mit den Kleidern aufs Bett. Er fühlte sich gut wie selten und war sofort weggedämmert. Er wurde erst wieder wach, als jemand gegen seine Türe hämmerte. Verdammt, hatte er gut geschlafen. Das späte Essen musste er zu Hause auch mal ausprobieren als Einschlafhilfe.
»Ja, ich komme.«
Draußen stand der Nachtportier.
»Es ist kurz nach neun. Wir haben eine Verabredung im Kloster.«
Kurz nach neun?
Minkin hatte fast zehn Stunden geschlafen.
»Hören Sie, geben Sie mir fünf Minuten, duschen, Zähneputzen. Dann bin ich startklar.«
»Gut, ich warte unten.«
»Danke, Meister.«
Dauerte eine halbe Stunde, bis Minkin unten beim Nachtportier war. Er hatte diesen Gesichtsausdruck aufgesetzt. Als wollte er ihn in der Luft zerreißen. Behielt den Ärger für sich. Rechne ich ihm hoch an, dachte Minkin. Wusste, dass er dafür bezahlen würde. Wusste auch gleich, womit. Der Portier deutete mit der Hand auf seinen Wagen. Einen gelben R4. Zu klein für Menschen, die nach 1970 geboren wurden. Sardinenbüchse, würde Kretschmann das nennen. Kein Problem für den Portier. Der war kaum größer als einssiebzig und noch dazu drahtig. Er schwang sich förmlich in den Wagen. Minkin hatte lange keinen R4 mehr gesehen. Sagte:
»Antikes Auto.«
»Was daran auszusetzen?«
Ganz schön giftig, der Herr Nachtportier.
»Alles bestens.«
Die beiden fuhren zum Klostergelände, das sich außerhalb von Rochefort befand. Fahren ist so eine Sache. War mehr ein Schaukeln. Minkin musste mehrfach aufstoßen. Konnte das Tartar noch mal abschmecken. Unverdaut war es doch geiler.
Die Fahrt dauerte keine fünfzehn Minuten.
»Wir sind da. Das ist das Kloster Rochefort.«