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Jens Kleibrink hatte das Klingeln des Weckers nicht gehört. Seine Frau stand im Türrahmen und betrachtete ihn liebevoll, während er, die rechte Hand im Schritt und den Kopf ins Kissen gedrückt, genussvoll schnarchend im Bett lag. Elisabeth war voller Tatendrang.

Zu Hause war es immer Jens, der als Erster aufstand, sobald der Wecker um sechs Uhr klingelte. Er bereitete das Frühstück zu, während Elisabeth noch einen Moment im Bett verharrte und erst allmählich, nach intensivem Recken und Strecken, wach wurde und aufstand. Danach betrat Elisabeth leise das Kinderzimmer, um Benny zu wecken. Für den Elfjährigen war das frühe Aufstehen eine einzige Qual. Sie wussten nicht mehr, wie oft sie sich gefragt hatten, welchen Sinn und Zweck der Unterrichtsbeginn um 7:55 Uhr erfüllte. Sogar einige Lehrer hatten in Gesprächen durchblicken lassen, dass ihnen der frühe Vogel herzlich egal war und sie versuchten, Verständnis für morgenmuffelige Kinder aufzubringen. Benny Kleibrink war allerdings ein Sonderfall. Im Grunde war der Junge mit den unbändigen blonden Locken und den großen braunen Augen bis zur ersten großen Pause absolut unansprechbar. Und da war es vollkommen wurscht, ob die Ansprache sanft, aufmunternd, mahnend oder ohrenbetäubend laut war. Bennys Reaktion war immer identisch: Alles, was er herausbrachte, war ein undefinierbares Grunzen. Und ein Gesichtsausdruck, der deutlich signalisierte, dass es besser war, ihm nicht zu nahe zu kommen. Das Einzige das – in den meisten Fällen zumindest – half, war der Duft eines frischen Toasts, fingerdick bestrichen mit Erdnussbutter.

Der Hüttenservice hatte das Frühstück vor wenigen Minuten vor der Tür abgestellt und leise geklopft. Während Elisabeth in Sekundenschnelle aus dem Bett hüpfte, blieb Jens liegen und machte ein schmatzendes Geräusch.

„Hmmm“, brummte er, während Elisabeth ihm das frische Toastbrot unter die Nase hielt. „Wie der Sohn, so der Vater“, wisperte sie Jens ins Ohr und beobachtete, wie sich ein jungenhaftes Lächeln auf das Gesicht ihres Mannes legte. Es waren diese kleinen, eher beiläufigen Momente, die Elisabeths Herz noch immer schneller schlagen ließen.

„Wird Zeit, Schatz! In einer guten Stunde müssen wir am Treffpunkt sein. Ich bin schon ganz aufgeregt!“

Das opulente Büffet im fünfzig Meter entfernten Hauptgebäude der Ferienanlage hatten sie am Vorabend sausen lassen und stattdessen in einem kleinen gemütlichen Restaurant landestypische Spezialitäten genossen: Maisgrieß, dazu frischer Fisch. Jens und Elisabeth bereuten ihre Entscheidung keine Sekunde.

Sie hatten die Fahrt zum St. Lucia See zusätzlich zum ohnehin schon teuren All-inclusive-Pauschalangebot gebucht, auch wenn es ihr Urlaubsbudget eigentlich nicht mehr zuließ. Aber wer wusste schon, ob sie noch einmal eine solche Gelegenheit bekommen würden? Eine herkömmliche Safari, wie man sie in Namibia oder in anderen Ländern des afrikanischen Kontinents buchen konnte, wäre für Jens und Elisabeth nicht infrage gekommen. Sie wollten etwas Besonderes, etwas Abwechslungsreiches. Sie würden in wenigen Stunden sowohl Nashörner und Leoparden als auch Pelikane und Reiher bewundern dürfen. Den Abstecher in die Sumpfgebiete konnten sie leider nicht verhindern. Der Reiseleiter schüttelte lachend den Kopf, als Jens ihm erklärte, wie sehr sich seine Frau vor jeglichen Amphibien ekelte. Als Abschluss würde es dann noch eine Walbeobachtung geben. Darauf freuten sich beide besonders. Buckelwale in freier Natur zu erleben war dann doch ein extraordinäres Spektakel, von dem sie noch Jahre später zehren dürften.

Eine halbe Stunde später klopfte es an ihrer Tür. Aufgeregt wie kleine Schulkinder schauten sich die beiden an.

„Bereit?“, fragte Jens und hielt dabei beide Arme hoch. Elisabeth klatschte ihren Mann ab und erwiderte: „Aber auf jeden Fall! Los geht’s!“

Totkehlchen

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