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Оглавление„Meine sehr verehrten Damen und Herren von der Presse, liebe Kolleginnen und Kollegen.“ Modrich verdrehte die Augen. Er hasste diese hochoffiziellen Anlässe. ‚Fenster auf, Zeit raus, Fenster wieder zu’, dachte er und unterdrückte nur mit großer Mühe ein Gähnen. Er hatte letzte Nacht kaum ein Auge zugetan, weil Shao, der neben Modrichs Bett auf einer alten Matratze lag, während des Schlafes leise vor sich hin blähte. Das kam häufiger vor, aber in dieser Nacht musste etwas Shaos Verdauungstrakt heftiger als sonst in Wallung gebracht haben. In kurzen Abständen gab Shao ein leise zischendes Geräusch von sich, das Modrich jedes Mal vorwarnte und die Luft anhalten ließ. Der Gestank war derart penetrant, dass Peer sein Gesicht nach dem nächsten Atemzug ins Kopfkissen presste, um nicht die volle Ladung abzubekommen. Irgendwann, es musste kurz vor zwei Uhr nachts gewesen sein, hatte Modrich die Nase sprichwörtlich voll und entschied sich, auf die Wohnzimmercouch zu wechseln. Leider hatte er dabei die Rechnung ohne Shao gemacht. Der hatte nämlich überhaupt keine Lust, alleine im Schlafzimmer zu bleiben. Zuerst hockte er leise winselnd vor der verschlossenen Schlafzimmertür. Als Peer dies ignorierte, fuhr Shao schärfere Geschütze auf. Zuerst kratzte er am Teppichboden vor der Tür, und zwar so heftig, dass Modrich fürchtete, sein Hund würde ein Loch in den Boden des Zimmers buddeln, bis er auf der anderen Seite der Tür wieder wohlbehalten bei seinem Herrchen herauskäme. Als Shao endlich vom Teppichboden abließ, wähnte sich Modrich schon im Reich der Träume. Der Hund schien sich mit seiner Situation abgefunden zu haben. Alles, was Modrich noch wahrnahm, war ein tiefes Schnaufen, das klang, als wollte auch Shao nun endlich einschlafen. Offenbar war das Schnaufen allerdings nur die finale Vorbereitung Shaos, die Schlafzimmertür wie ein Rammbock aufzustoßen. Ein kurzer, schneller Anlauf, ein kerniger Sprung. Im nächsten Moment prallten sechzig Kilo mit voller Wucht gegen die stabile Holztür. Modrich, der durch seine bleierne Müdigkeit eigentlich schon eingeschlummert war, fiel vor Schreck von der Couch. Sein erster, instinktiver Gedanke war, dass sich ein Einbrecher Zutritt zu seiner Wohnung verschafft hatte, das laute Jaulen ließ ihn aber blitzschnell realisieren, dass sein Hund gegen die Schlafzimmertür gedonnert war und diese vermutlich stark beschädigt hatte. Auf allen Vieren krabbelte er in Richtung Tür, öffnete sie zaghaft, als der Tosa all seine Kraft aufbrachte, durch den eigentlich viel zu kleinen Spalt stieß und dabei Modrich zu Boden warf. Freudig erregt wedelte Shao mit dem Schwanz, ließ sich auf Modrich nieder und schleckte sein Gesicht ab.
„Ja doch, ich freu mich auch, dich wiederzusehen, Shao!“
Modrich schaffte es nur mit Mühe, das Tier zur Seite zu rollen und selber wieder auf die Beine zu kommen.
„Wir machen das wie folgt“, sprach Modrich und hob dabei den Zeigefinger in Richtung Shao, der seinen Kopf zur Seite legte. „Du darfst dich heute ausnahmsweise auf der Couch hier ausbreiten. Ich gehe wieder zurück in mein Bett und lasse die Schlafzimmertür offen. So kann ich hoffentlich endlich schlafen und du weiterhin ungestört vor dich hin blähen. Einverstanden?“
Mit dem letzten Wort nahm Peer den Kopf des Hundes in seine Hände, schüttelte diesen sachte und gab Shao einen Gute-Nacht-Kuss. Drei Stunden später hatte Modrich ein Einsehen und ging mit Shao vor die Tür. Es war höchste Zeit.
Oberstaatsanwältin Thea Brammenkemper strafte Modrichs genervten Gesichtsausdruck mit einem verächtlichen Blick und fuhr fort.
„Für alle, die mich noch nicht kennen: Mein Name ist Thea Brammenkemper. Ich bin seit einem knappen Monat die leitende Oberstaatsanwältin. Leider kann der Polizeipräsident aufgrund einer wichtigen Dienstreise nicht hier sein. Aus diesem Grund darf ich – und ich sage das nicht ohne Stolz – an seiner Stelle nun diese Aufgabe übernehmen. Lassen Sie uns kurz zurückblicken: Kurt Heppner war ein herausragender Kollege. Über viele Jahre hat er die Dortmunder Kriminalpolizei mit großem Geschick, kriminalistischem Spürsinn und einzigartiger Menschenkenntnis geführt. Niemand in diesem Revier hätte nur einen Gedanken daran verschwendet, dass es in Kurt Heppners Leben ein dunkles Geheimnis geben konnte, das schlussendlich aus einem vorbildlichen Staatsdiener einen unkontrollierbaren und kaltblütigen Mörder gemacht hat.“
Ihr Blick schweifte durch die Reihen und blieb bei Gregor Frobisch hängen.
„Und so tragisch und dramatisch Heppners Abgang auch war, bleibt uns nun keine weitere Zeit für Sentimentalitäten. Vielmehr ist es nun an uns und besonders an mir, den Nachfolger Kurt Heppners möglichst geräuschlos in seine neue Position zu heben und ihm den Einstieg etwas zu erleichtern. Selbstverständlich übernehme ich diese Aufgabe, gerade im Hinblick auf die traditionell gute Zusammenarbeit unserer Institutionen, sehr gern.“
Wieder blieb ihr Blick an Peer Modrich hängen, der diesmal allerdings nicht gähnte, sondern ein breites Grinsen aufsetzte.
„Kommissar Modrich“, raunzte Brammenkemper, „würden Sie die anderen Anwesenden und mich doch freundlicherweise an Ihrer guten Laune teilhaben lassen? Ich bin sicher, wir alle möchten dringend wissen, was an meinen letzten Worten so überaus witzig war.“
Peers Absicht, das Wort ‚geräuschlos‘ nur zu denken, ging gründlich daneben. Stattdessen murmelte er selbiges leise, aber eben hörbar in seinen Bart.
„Entschuldigung, geht das auch etwas lauter?“, trompetete die Oberstaatsanwältin. Ihre Halsadern waren bedrohlich angeschwollen. Peer dachte allerdings nicht an Deeskalation.
„Nun, wenn Sie mich so direkt fragen, liebe Frau Oberstaatsanwältin“, begann er, „sollen Sie natürlich eine Antwort bekommen.“
Alle Anwesenden drehten sich zu Modrich um, der in der hintersten Reihe saß und sich weiter um Kopf und Kragen redete. Alle außer Gregor Frobisch.
„Offensichtlich, und das sage ich bei allem gebotenen Respekt, ist Ihre Definition von ‚geräuschlos‘ eine andere als meine.“
Thea Brammenkemper richtete sich hinter dem Rednerpult auf, setzte ihre Lesebrille ab und ging dann langsam auf Modrich zu. Sie war eine äußerst stattliche Erscheinung. Dem Anlass entsprechend trug sie hohe Schuhe, die sie auf eine wirklich beeindruckende Größe wachsen ließen. Ihr war nicht entgangen, dass die meisten der anwesenden Pressevertreter und natürlich auch die versammelten Kollegen einen Mordsspaß an dem hatten, was Modrich gerade abzog. Als amtierende Oberstaatsanwältin musste sie in dieser Situation die Ruhe bewahren und diesen vorlauten Polizeikommissar souverän und ausschließlich verbal in seine Schranken weisen, auch wenn ihr in diesem Moment die Hand relativ locker saß. Ehe es jedoch dazu kommen konnte, hatte sich Gregor Frobisch von seinem Platz in der ersten Reihe erhoben und stellte sich nun mit einer beschwichtigenden Geste hinter das Rednerpult.
„Ich freue mich außerordentlich, einen so verdienten Kollegen wie Kommissar Modrich an meiner Seite zu wissen“, legte Frobisch los. Thea Brammenkemper machte eine schnelle Drehung und hob protestierend den Zeigefinger. Niemand sollte sie jetzt daran hindern, an diesem Polizeiflegel ein Exempel zu statuieren.
„Verehrte Oberstaatsanwältin Brammenkemper“, fuhr Frobisch fort. „Ich bin mir sicher, dass es Kommissar Modrich gut gemeint hat. Da Sie mich allen Anwesenden eingangs ausführlich vorgestellt haben, sollten wir den offiziellen Teil nun schnell hinter uns bringen und drüben in den Büros des Morddezernats noch ein Gläschen zur Feier des Tages trinken. Ich habe alkoholfreien Sekt besorgt. Ach ja, die geschätzten Kollegen von der Presse sind natürlich ebenfalls herzlich dazu eingeladen.“
Der folgende Applaus stimmte Thea Brammenkemper für den Moment wieder milde. Auch sie hatte nun offenbar eingesehen, dass es besser war, gute Miene zum bösen Spiel zu machen. Diesen Modrich konnte sie sich auch noch ein anderes Mal vorknöpfen. Niemand bemerkte in diesem Augenblick, dass Peer sein Handy am Ohr hatte und seltsam blass wurde. Mit der freien Hand fuchtelte er abwechselnd wild herum und hielt sich den Zeigefinger vor die Lippen.
„Sag das bitte noch mal. Ich habe den letzten Satz nicht verstanden!“
Mit einem Mal verstummten alle Anwesenden einschließlich des neuen Polizeichefs und der Oberstaatsanwältin. Peer nahm das Handy vom Ohr und wandte sich an die Journalisten.
„Bitte nicht böse sein, aber die Party ist leider vorbei, ehe sie beginnen konnte. Ich muss Sie nun bitten, den Raum zu verlassen, und zwar sehr zügig!“ Dann hielt er sich das Handy wieder ans Ohr. „Okay, warte noch einen Moment.“
Die Pressemeute verließ etwas missmutig den Raum. Natürlich hätten sie zu gern gewusst, was für die plötzliche Blässe im Gesicht des Kommissars verantwortlich war. Als kein Journalist mehr zu sehen war und der neue Polizeichef die Tür leise schloss, setzte Modrich das Telefonat fort.
„So, jetzt bitte noch mal, und zwar langsam und deutlich!“
Frobisch und die Oberstaatsanwältin blickten Modrich erwartungsvoll an, als dieser das Telefonat beendete und seinen Blick kurz zu Boden senkte.
„Wir haben einen ziemlich brutalen Mordfall zu beklagen. Haben Sie beide Zeit und Lust, mit mir den Dortmunder Zoo zu besuchen?“
Thea Brammenkemper schüttelte verständnislos den Kopf.
„Modrich, es kann ja sein, dass Sie einen besonders schrägen Humor haben, aber Sie können nicht erwarten, dass jeder über Ihre Witze lacht. Was soll das also jetzt bedeuten?“
„Wenn es um Mord geht, scherze ich nicht“, gab Peer unumwunden zurück. „Ich möchte mit Ihnen den Tatort inspizieren, und dafür müssen wir in den Dortmunder Zoo.“
Brammenkemper schien immer noch nicht ganz zu verstehen, folgte Modrich aber, ebenso wie Gregor Frobisch.