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Langsam ruckelte der Touristenbus über die nur notdürftig asphaltierten, schmalen Wege des Nationalparks. Sechs Jahre hatten die Vulkanausbrüche, die Lanzarote zu einer faszinierenden Touristenattraktion haben werden lassen, im 18. Jahrhundert gedauert. Timanfaya, der über fünfzig Quadratkilometer große Nationalpark der Kanareninsel, gehörte seit jeher zum Pflichtprogramm eines jeden Besuchers. Gregor Frobisch blickte aus dem Fenster des Busses und rieb sich die Augen. Es war unangenehm heiß und trocken, fast hatte man den Eindruck, als sei es Hochsommer und nicht Herbst. Es war aber nicht nur das Klima, das für seine blutunterlaufenen Augen verantwortlich war.

Vor nicht einmal vier Monaten hatte ihn Max Huber, sein Kollege vom Polizeirevier Neuss, angerufen, während er an einem Fortbildungsseminar für polizeiliche Führungskräfte in Koblenz teilnahm.

„Gregor, hast du von dem Flugzeugabsturz gehört?“

Frobisch stockte augenblicklich der Atem. Seine Frau Jill war mit ihrem gemeinsamen Sohn Lucas übers Wochenende nach Rom geflogen und sollte an diesem Tag planmäßig zurückkehren. Er hatte noch am Vorabend mit den beiden telefoniert.

„Mit welcher Fluggesellschaft sind Jill und Lucas geflogen?“, fragte Max Huber vorsichtig.

„Air Italy, glaube ich …“

„Scheiße“, kam es knapp zurück, „Wie schnell kannst du dich von deinem Seminar loseisen?“

Frobisch nahm Hubers Worte wie hinter Glas wahr. Sie prallten von einer unsichtbaren Scheibe ab und drangen nicht komplett bis zu ihm vor. Trotzdem hatte er begriffen. Schweigend erhob er sich und verließ, das Handy immer noch am Ohr, den Raum. Der Seminarleiter hob protestierend den Arm und rief Frobisch „Moment mal, was soll das werden?“ hinterher. Frobisch knallte die Tür hinter sich zu, verließ das Gebäude durch die Drehtür am Haupteingang und steuerte schnurstracks auf das erstbeste freie Taxi zu.

„Maritim Hotel, und bitte beeilen Sie sich!“

Max Huber versuchte alles, um Frobisch beizustehen.

„Gregor, es gibt noch keinerlei gesicherte Erkenntnisse über die Zahl der Opfer. Du darfst die Hoffnung nicht aufgeben. Vielleicht hat der Pilot ja eine Notlandung hingekriegt und es gibt Überlebende!“

Der Taxifahrer hatte das Radio eingeschaltet. Die Nachrichten begannen: „Tragischer Flugzeugabsturz über den Alpen fordert fast zweihundert Tote.“ Gregor Frobisch hielt den Atem an und legte zitternd auf.

„Hallo? Hallooo? Die anderen Gäste sind schon ausgestiegen und wollen gern den Park erkunden. Möchten Sie nicht mitkommen?“

Die Reiseleiterin sah Frobisch besorgt an. Er saß im hinteren Teil des Busses wie ein Häufchen Elend, den Kopf gegen die Scheibe gelehnt, und wurde von einem heftigen Weinkrampf geschüttelt. Alles kam wieder hoch: Der Moment, als er die ersten Bilder von der Absturzstelle gesehen hatte. Ein einziges Trümmerfeld. Es hatte Tage gedauert, bis man seine Frau und seinen Sohn identifiziert hatte. Und obwohl ihm alle Kollegen davon abrieten, bestand Frobisch darauf, sie noch einmal zu sehen. Oder besser gesagt das, was von ihnen übrig geblieben war. Die Leere im Haus, die Stille, die ihm jedes Mal, wenn er den Flur betrat und ein „Hallo Schatz“ oder „Papaaaa“ erwartet hätte, buchstäblich den Atem raubte und ihn um den Verstand zu bringen drohte. Frobisch war sehr schnell klar geworden, dass er dringend einen Tapetenwechsel benötigte. Es musste nicht weit sein. Die Hauptsache war, wegzukommen von dem Ort, an dem er die letzten Jahre mit seiner Familie verbracht hatte. Als er die Stellenausschreibung für den Posten des Polizeichefs in Dortmund sah, musste er nicht lange nachdenken und bewarb sich noch am gleichen Tag. Der Ruhrpott mit seinem bisweilen zwar etwas ruppigen, aber immer ehrlichen und direkten Charme würde ihn auf andere Gedanken bringen. Da war er sich ganz sicher. Außerdem hatte er von Peer Modrich und seiner Kollegin gehört. Gudrun Faltermeyer hieß sie, wenn er sich nicht täuschte. Wenn es stimmte, was alle sagten, waren die beiden wohl ziemliche Originale und dennoch absolut integre Persönlichkeiten mit einem untrüglichen kriminalistischen Spürsinn. Die Zusammenarbeit mit den beiden würde sicherlich Spaß machen.

„Ich komme“, schniefte Frobisch und trottete der Reiseleiterin hinterher. Der Sauerstoff tat ihm gut, Hitze hin oder her. Morgen ging sein Flieger zurück nach Deutschland. Übermorgen würde sein erster Arbeitstag in Dortmund sein. Frobischs Neuanfang war überfällig.

Totkehlchen

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