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2. Krieg und Staatsbildung in der Frühen Neuzeit

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Dass der Krieg ein großer Staatsbildner ist, ist evident und gewissermaßen ein Glaubenssatz der Politikgeschichte. Wer in der Lage ist, sich die ökonomischen und militärischen Ressourcen zu verschaffen, um über eine längere Dauer Heere in Operation zu halten, seine eigene Gesellschaft als Kriegsgesellschaft zu organisieren, Gebiete zu erobern und zu verwalten, der kann auch einen Staat bilden. Das gilt selbst dann, wenn der Krieg am Ende verloren wird. Der Bolschewismus hat auf der Basis einer disziplinierten Kriegsgesellschaft, jedoch nach einem katastrophal verlorenen Krieg, eine ganz neue Staatlichkeit ausgebildet. In diesem Zusammenhang sind die großen und langen Kriege der Frühen Neuzeit, allen voran der Dreißigjährige Krieg, als „Staatsbildungskriege“ bezeichnet worden.1 Man könnte also sagen: Im Krieg entsteht – mehr oder weniger unintendiert – der Staat.

Sowohl von Historikern, Politikwissenschaftlern als auch Soziologen ist die entgegengesetzte Perspektive ins Spiel gebracht worden: dass staatliche Strukturen zu dem Zweck aufgebaut werden, Kriege zu führen.2 Kriegführung ist über weite Strecken der Geschichte die essenzielle Aufgabe (und das Ziel) des Staates. Wenn einer einen Krieg führen will, braucht er staatliche (oder zumindest parastaatliche) Strukturen: ein Geldschöpfungssystem (ob über Steuern oder schnöden Raub), militärisches Personal (ob als Söldner, zwangsgedungen oder als professionelle Kriegerklasse), einen Verwaltungsstab, der einen Krieg organisieren kann.

Welche der beiden Theorien die „richtige“ ist, kann hier nicht entschieden werden und ist auch wahrscheinlich nicht entscheidbar.3 Wir haben es mit einem Bedingungsverhältnis zu tun, das Charles Tilly in die berühmte Formel gebracht hat: „War made the state, and the state made war.“4 In jedem Fall aber gilt, dass die beiden Jahrhunderte nach 1500 in Europa diejenige Epoche sind, in der die innige Verbindung von Krieg und Staat am ausgeprägtesten war. Es handelte sich um die friedloseste Zeit der europäischen Geschichte. In 95 Prozent der Jahre herrschte Krieg; durchschnittlich alle drei Jahre wurde ein neuer begonnen, und Dauer und Ausmaß der Kriege nahmen dramatisch zu – bis hin zum Dreißigjährigen Krieg in Mitteleuropa. Die modernen Staaten haben ihre Existenz in diesen Kriegen gesichert und ihre Kapazitäten ausgebaut; andere sind verschwunden und zu bloßen Regionen herabgesunken.

Staat und Staatlichkeit in der europäischen Moderne

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