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c. Die „Türkenkriege“

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Die Geschichte kriegerischer Auseinandersetzungen zwischen dem Osmanischen Reich und europäischen Mächten reicht bis ins 14. Jahrhundert zurück. Das 16. und 17. Jahrhundert bezeichnet die intensivste Phase. Seit der Eroberung der Hauptstadt des Byzantinischen Reichs, Konstantinopel (und ihrer alltagssprachlichen Umbenennung in „Istanbul“ – noch bis 1930 war der offizielle Name „Konstantinopel“!) (1453), expandierte das Osmanische Reich auf den Balkan Richtung Mitteleuropa. Zunächst stand es vor allem im Konflikt mit der Seemacht Venedig, bald aber auch mit Österreich, dessen Herrscher gleichzeitig Kaiser des Reichs war, später mit Russland, aber auch mit dem Königreich Polen, das im 17. Jahrhundert fast bis an das Schwarze Meer reichte. Diese Kriege zogen sich bis zum Ende des 18. Jahrhunderts hin; gezählt werden bis zur Französischen Revolution allein sechs venezianische, acht österreichische und neun russische Türkenkriege. Zweimal belagerten die Osmanen Wien und bedrohten Mitteleuropa, was zu Endzeitpaniken führte.24

Das war Teil der europäischen Kriegsgeschichte und nicht, wie die Legende sagt, eines Abwehrkampfs des christlichen Europas gegen die von außen kommende islamische Invasion. Häufig war z. B. Frankreich mit dem Osmanischen Reich verbündet, um den Gegner, das Reich und Habsburg, zu schwächen. Auch viele Soldaten in den osmanischen Heeren waren keine Muslime. Aber die „Türkengefahr“ wurde zeitgenössisch als eine existenzielle Bedrohung des christlichen Europa begriffen, und Erinnerungen an die arabische Eroberung der Iberischen Halbinsel wurden konstant neu aufgerufen. Über lange Zeit konnte das Osmanische Reich weite Teile Südosteuropas zum Teil seines Imperiums machen (Griechenland blieb bis 1829 Teil des Osmanischen Reichs). Die ständige Kriegsgefahr nötigte den Kaiser, bei seinen Reichsständen um Unterstützung zu bitten, was ihn im Reich schwächte und zu Zugeständnissen nötigte. Gleichzeitig aber fungierte das gemeinsame Feind- und Schreckbild des „Türken“ als ein negatives Integrationsmoment, das die (christliche) Reichs- und die Kaiseridee im gespaltenen Reich (und vielleicht auch darüber hinaus) stärkte. In Südosteuropa konnte sich keine stabile Staatlichkeit herausbilden, weil die Region immer Teil eines Imperiums und Spielball der beteiligten Mächte war, sei es des Osmanischen, des Russischen oder des Habsburgerreichs. Eine weitere Folge, bezogen auf (Mittel-)Europa und das Reich war, dass die Vormacht Österreich sich weniger auf Nationalstaatlichkeit, sondern auf die Entwicklung eines Imperiums konzentrierte, dafür enorme militärische Kapazitäten aufbaute und zur europäischen Großmacht aufstieg. Als im 19. Jahrhundert ein deutscher Nationalstaat auf der Agenda stand, war das Reich der Habsburger zum größeren Teil außerhalb des deutschen Sprachraums gelegen. Gleichzeitig war aber diese Konfliktzone auch eine Kontaktzone: Wenn nicht Krieg war, musste man anderweitig zurecht kommen, so dass zwischen Habsburg und dem Osmanischen Reich Formen interkultureller Diplomatie mit den jeweils „anderen“ entstanden – auch das ein Kennzeichen moderner Staatlichkeit.25

Staat und Staatlichkeit in der europäischen Moderne

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