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RACHEGELÜSTE

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Sein von Haus aus ohnehin sauertöpfisches Naturell hatte sich in den zurückliegenden Tagen noch weiter eingetrübt. Auch der Blick aus seinem Arbeitszimmer in den schönen Woodland Park konnte seine Stimmung nicht aufhellen. Es war ja auch wirklich zum Auswachsen. Seit Tagen trieb sich offenbar Konrad Pair in New York herum, hatte sich aber noch nicht bei Silberstein gemeldet. Sein genauer Aufenthaltsort war ein Rätsel. Auch wie er überhaupt nach New York gereist war, hatten sie noch nicht wirklich aufklären können. Sein Schatten Liam Waggoner hatte ihn zwar in den Ronald Reagan Airport hineingehen sehen, dann aber aus den Augen verloren.

Max Snyder zuckte mit den Schultern. Es war ja auch eigentlich nicht wichtig. Wichtig war, dass Pair es offenbar für nötig gehalten hatte, seine Fahrt nach New York zu verschleiern. Das ließ sich nur mit einem gehörigen Misstrauen erklären und, was fast noch schlimmer war, wahrscheinlich hatte er Waggoner in seinem Kielwasser bemerkt. Deswegen hatte er den für ihn gebuchten Flug nicht genommen. Das immerhin wussten sie. Und dass er die John Norton-Kreditkarte schon einige Male in New York benutzt hatte.

Er drehte sich um und ging zurück zu seinem Schreibtisch. Dort studierte er die Liste mit den Kreditkartennutzungen in New York: Publix, Publix, Drugstore, Barnes & Nobles. Hier stoppte er abrupt. Barnes & Nobles? Was hatte Pair in einem Buchladen zu suchen? Hier stand es: Kauf eines Buches über Financial Accounting von Stickney & Weil. In ihm keimte ein fürchterlicher Verdacht. Er riss seine Bürotür auf und rief seiner Sekretärin zu: »Liam Waggoner, ich will ihn sofort sehen!« Seine Vorzimmerdame goss ungerührt ihre Pflanzen weiter, derartige Ausbrüche hatte sie schon öfter erlebt.

»Herr Waggoner ist in New York. Er versucht, die Kreditkarte aufzuspüren.«

»Dann holen Sie ihn ans Telefon, sofort.«

Seelenruhig wählte Linda Herzog die Telefonnummer. Nach einer Weile sah sie ihn bedauernd an.

»Herr Waggoner geht nicht ran.«

»Dann versuchen Sie es weiter.«

Max Snyder knallte seine Bürotür wieder zu. Kaum hatte er sich in seinen Bürostuhl fallenlassen, läutete sein Telefon.

»Na, haben Sie endlich geruht, an Ihr Handy zu gehen?«

Nach einem kurzen Moment der Stille: »Max, hier ist Jerry.«

»Oh, Jerry, sorry, ich dachte, es ist Liam.«

»Alles okay bei dir?«

»Ja, alles okay. Was hast du?«

»Dieser Typ, mit dem der Norton auf dem Frankfurter Flughafen gesprochen hat, du erinnerst dich?«

»Ja, klar, ihr solltet sein Foto mit den Dateien unserer Immigrationsbehörde abgleichen. Habt ihr etwas gefunden?«

»Deine Idee dazu war goldrichtig. Bei den ESTA-Anträgen sind wir fündig geworden. Der Typ ist Deutscher und heißt Niels Werner. Ein Auskunftsersuchen an die deutschen Behörden ist schon unterwegs.«

»Das schadet zwar nichts, aber eigentlich brauchen wir das nicht. Ich kenne den Mann, na ja, kennen ist nicht das richtige Wort. Sagen wir, ich weiß, wer das ist und in welcher Beziehung er zu Norton steht. Danke, Jerry, wenigstens ein Lichtblick an diesem trüben Tag.«

Wie recht er mit seiner Einschätzung des Tages hatte, wurde ihm relativ schnell im unmittelbar folgenden Telefonat mit Liam Waggoner deutlich.

»Wieso gehen Sie nicht an Ihr Handy? Sie wissen doch, Sie haben jederzeit erreichbar zu sein.«

»Es tut mir leid, aber ich war beschäftigt und habe den Klingelton vom Handy nicht mitbekommen.«

Angesichts der trotz ständigen Räusperns belegten Stimme von Liam Waggoner wusste Max Snyder instinktiv, dass unangenehme Nachrichten auf ihn zukamen.

»Spucken Sie es schon aus.«

»Na ja, mir ist aufgefallen, dass die Kreditkarte eigentlich immer nur für Käufe eingesetzt wurde, die für Norton untypisch sind.«

»Schau an, das haben Sie also auch schon gemerkt.«

Liam Waggoner ignorierte diese Äußerung seines Chefs, er wusste die Zeichen eines brodelnden Vulkans nur zu gut zu deuten.

»Wir haben uns daher auf die Stellen des Kreditkarteneinsatzes konzentriert. Ich selbst habe beim häufig frequentierten Publix auf eine erneute Nutzung gewartet. Die kam dann auch relativ prompt.«

»Ja und?«

Max Snyders Stimme hatte einen etwas schrillen Unterton.

»Ich habe danach den Kerl einkassiert. Er war Student der Volkswirtschaft, 25 Jahre alt, Name: Daniel Manner. Bei der Befragung hat er ausgesagt, die Kreditkarte von einem holländischen Touristen bekommen zu haben. Er wollte sie ihm nach der ersten Nutzung zurückgeben, aber der Tourist war nicht mehr an dem vereinbarten Platz. Dann hat er die Karte weiter benutzt. Den Touristen hat er übrigens nach einem Foto als John Norton identifiziert.«

Max Snyder knirschte kurz mit den Zähnen. Dieser Mistkerl von Pair! Weiß der Kuckuck, wo der sich mittlerweile herumtrieb. Vermutlich hatte er die USA schon verlassen.

»Hat der Knabe eine Ahnung, wo dieser holländische Tourist hin wollte?«

»Äh, dazu konnte er keine Auskunft mehr geben.«

Ihn überlief es heiß und kalt. Wie hatte Waggoner eingangs gesagt: Er war Student.

»Ihr habt doch wohl nicht …«

»Doch, es tut mir leid, die Befragung war vielleicht etwas zu grob, aber wir wollten halt schnelle Antworten von ihm.«

»Waggoner, Sie sind ein hirnloser Idiot!« Snyders Stimme hatte nun einen gefährlichen Unterton. »Es bestand keinerlei Veranlassung den Jungen zu töten. Er stellte weder für uns noch für unsere Organisation eine Gefahr dar«, und nachdem er sich nach einer längeren Pause wieder in der Gewalt hatte, »ich hoffe, ihr habt ihn gescheit entsorgt.«

»Keine Sorge, er ist im Krematorium sauber verbrannt worden, als Beigabe für einen kürzlich ebenfalls Verstorbenen.«

»Dann machen Sie sich jetzt auf den Weg zu den Port Authorities. Das ist der Startpunkt für die Greyhounds. Ich wette, unser Freund ist mit denen weitergereist und mein Tipp wäre nach Kanada.«

»Wird gemacht, Boss.«

Boss! Das hatte Waggoner noch nie zu ihm gesagt. Dem war wohl doch ein wenig das Herz in die Hose gerutscht. Das nutzt dir nichts, mein Lieber, in deine Personalakte kommt trotzdem eine Notiz. Schlampige Auftragsausführung, unnötige Brutalität und so weiter. Bevor er jedoch anfangen konnte, dies auszuformulieren, kam ungerührt Linda Herzog in sein Büro und stellte eine Kanne Kräutertee auf seinen Tisch.

»Das entspannt und beruhigt die Nerven. Übrigens hat ein Herr Kaminski vom deutschen Nachrichtendienst versucht, Sie zu erreichen.«

»Und das sagen Sie erst jetzt?«

Max Snyders Stimme hatte schon wieder eine gepresste Tonlage. Seelenruhig schenkte die Herzog ihm trotzdem Tee in die mitgebrachte Tasse.

»Trinken Sie erst einmal einen Schluck, wie gesagt, das beruhigt. Ich verbinde Sie dann gleich.«

Nachdem sie sein Büro wieder verlassen hatte, schlürfte Snyder vorsichtig an seinem Tee. Mmh, in der Tat nicht schlecht. Auch wenn die Herzog ihm manchmal auf die Nerven ging, wusste er doch ihren Dienst in seinem Vorzimmer sehr zu schätzen. Ihm blieb gerade noch Zeit für einen weiteren Schluck Tee, als es schon wieder klingelte.

»Ja.«

»Kaminski hier. Guten Tag, Herr Kollege.«

Der grauenhafte Akzent von diesem Kerl tat seinen Ohren weh. Warum mussten diese Deutschen immer in so einem abgehackten Stakkato sprechen und stets am Ende des Satzes mit der Betonung in den Keller gehen? Egal, er zwang einen freundlichen Unterton in seine Antwort.

»Herr Kollege, wie geht es und was gibt es Neues?«

»Tja, so einiges. Ich hatte vorhin einen Anruf von Konrad Pair.«

Max Snyder saß stocksteif.

»Was wollte der Mistkerl?«

»Er hat mich darüber informiert, dass er in Deutschland ist und gedenkt, sein normales Leben wieder aufzunehmen.«

»Haben Sie den Anruf zurückverfolgen können?«

»Dafür war er nicht lang genug, aber das Gespräch kam definitiv aus dem Inland.«

»Na egal, wir werden ihn schon finden. Mit Ihrer Mithilfe natürlich.«

»Ich fürchte, das wird uns nicht viel nützen. Er hat mir eiskalt erklärt, dass er sein Wissen niedergeschrieben hat und die jeweiligen Papiere an drei Stellen hinterlegen wird. Für den Fall seines plötzlichen unnatürlichen Todes werden die Dokumente automatisch an die Presse weitergeleitet.«

Wenn er weiter so mit seinen Zähnen knirschte, würde er bald ein längeres Gespräch mit seinem Zahnarzt haben.

»Aber wie will er denn ein normales Leben führen? Er muss doch die Öffentlichkeit meiden.«

»Das habe ich ihm auch gesagt. Er hat mich daraufhin nur ganz ungerührt daran erinnert, dass er ja legale Entlassungspapiere aus dem Gefängnis vorlegen könne, die ihm bestätigen, wegen extrem guter Führung wieder freigesetzt worden zu sein. Nach deutscher Rechtsprechung ist er damit sauber. Eine eventuelle Aufregung in der Öffentlichkeit wegen zweierlei Maß bei der Behandlung von Kriminellen würde er locker aushalten.«

»Hat er sonst noch etwas rausgelassen? Wovon will er leben?«

»Das wird sich zeigen. Ich persönlich würde mich nicht wundern, wenn er zur Wertebank zurückgeht. Soweit wir wissen, wird er dort immer noch sehr geschätzt. Sobald ich etwas höre, melde ich mich. Bis dann, Herr Snyder.«

»Machen Sie’s gut, Herr Kaminski.«

Nach dem Telefonat ging Snyder an sein Bürofenster zurück und nahm seine Betrachtung des Woodland Parks unter ihm wieder auf. Das musste er erst einmal verarbeiten. Er spürte eine ungeheure Wut in sich und den übermächtigen Wunsch, sich zu rächen, nur wie und an wem, das war ihm noch nicht so ganz klar.

Tanz der Finanzen

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