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ANPFIFF

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Das war ja ein hoch interessantes Telefonat gewesen, sowohl was das Gespräch an sich als auch den Inhalt und die daraus resultierenden Schlussfolgerungen anging. Dieter Krämer schlürfte seinen heißen Frühstückskaffee und rekapitulierte das soeben Gehörte.

Erstens, der Wirtschaftsattaché der amerikanischen Botschaft rief früh am Morgen ihn, den Staatssekretär im Bundesfinanzministerium, auf dessen geheimer Handynummer an. Womit sich die Frage stellte, wie die Amis an diese Telefonnummer gekommen waren und wieso der Anruf nicht hatte warten können. Offenbar hatten sie Wind von seinem Meeting heute Vormittag mit den Leuten von der Wertebank bekommen, was wiederum für ihre exzellenten Informationsquellen sprach.

Zweitens, der Inhalt des Gespräches war zumindest teilweise relativ banal. Und die Themen Konrad Pair sowie Bankenallianz hätte er im Gespräch mit den Bankern ohnehin angesprochen.

Drittens, offensichtlich hatte die amerikanische Regierung etwas gegen die Wertebank, und, ebenso offensichtlich, sie wussten bereits etwas über das Anliegen seiner Besucher. Warum sonst hätten sie versucht, auf diesem ungewöhnlichen Weg diese anzuschwärzen?

Krämer schenkte Kaffee nach, trat ans Fenster und sah in das regentrübe Berlin hinaus. Eines hatten die amerikanischen Freunde in jedem Fall erreicht, er sah dem bevorstehenden Treffen nun sehr erwartungsvoll entgegen. Er schnappte sich wieder sein Handy und rief in seinem Büro an. Prompt meldete sich seine Sekretärin: »Guten Morgen, Herr Krämer.«

»Sind Sie etwa schon im Büro?«

»Nein, aber auf dem Weg dorthin. Das Telefon habe ich auf mein Handy umgeleitet.«

»Gut, wann ist das Meeting mit der Wertebank?«

»Um zehn Uhr.«

»Irgendetwas Neues vom Minister?«

»Nicht, dass ich wüsste. Er hat gestern noch einmal seine Teilnahme bestätigen lassen.«

»Gut, Frau Schrader, ich mache mich dann auch auf den Weg. Bis gleich.«

Krämer kippte den Rest seines Kaffees in die Spüle und stellte die Tasse in die Spülmaschine. Dann zog er sein Jackett an, schnappte sich seine Aktentasche und verließ sein kleines Appartement in der Friedrichstraße. Während des kurzen Weges in die Wilhelmstraße hörte der Regen dankenswerterweise endgültig auf. Als er das Finanzministerium sah, stimmte er heimlich mal wieder mit den Kritikern überein, die dieses Gebäude als das hässlichste in ganz Berlin bezeichneten. Es hatte in der Tat den Charme eines nationalsozialistischen Protzbaus, was es ja letztendlich auch war.

Nachdem er die Sicherheitsschleuse am Eingang passiert hatte, steuerte er schnurstracks den Paternoster an, der ihn direkt zu seinem Büro bringen würde. Dort angekommen wartete schon seine Sekretärin Bärbel Schrader ungeduldig auf ihn.

»Der Herr Minister wollte Sie gerade sprechen.«

»Will er sich vor dem Meeting drücken?«

»Nein, keineswegs, er wollte nur den bayerischen Ministerpräsidenten ankündigen. Der kommt heute in Berlin an und würde gerne am Meeting teilnehmen. Sie brauchen den Minister nur dann zurückzurufen, wenn Sie damit ein Problem haben.«

»Warum sollte ich«, knurrte Krämer, »der hat doch das Treffen überhaupt erst arrangiert. Nee, nee, kein Problem damit. Was steht an, Frau Schrader?«

»Auf Ihrem Schreibtisch liegt seit geraumer Zeit der Entwurf zur Reform des Länderfinanzausgleichs.«

»Schon gut, ich habe verstanden.«

Seufzend setzte sich Krämer und öffnete den bezeichnenderweise roten Ordner. Am besten würde man den ganzen Quatsch völlig abschaffen und stattdessen ein neues Steuersystem einführen, in dem innerhalb gewisser Grenzen Gemeinden, Länder und der Bund eigene Steuern erheben würden. Aber wie so oft war für Logik in der Politik kein Platz. Entsprechend nervtötend war das Studium der Vorlage und er war heilfroh, als die Schrader ihm signalisierte, dass die Zeit für das Meeting gekommen war. Außerdem informierte sie ihn über die Verspätung des bayerischen Politikers und es war klar, dass dann auch der Minister später zum Gespräch dazu stoßen würde. Aber egal, Hauptsache, er konnte dieser Vorlage entkommen.

Im Besprechungszimmer erhoben sich bei seinem Eintritt drei Männer von ihren Plätzen, die, obwohl unterschiedlichen Aussehens, sich doch irgendwie ähnelten. Banker halt, dachte er. Nachdem er jeden mit Handschlag begrüßt hatte, forderte er sie mit einer einladenden Geste auf, wieder Platz zu nehmen. »Meine Herren, ich freue mich, Sie hier in diesem geschichtsträchtigen Gebäude begrüßen zu dürfen. Der Herr Minister wird später zu uns stoßen, er wartet noch auf den bayerischen Ministerpräsidenten, der ebenfalls an unserem Gespräch teilnehmen möchte.«

Peter Nehmer ergriff das Wort: »Vielen Dank, Herr Staatssekretär, ich darf vielleicht kurz unsere Gruppe vorstellen. Zu meiner Linken sehen Sie Niels Werner, den Leiter unserer Asset-Management-Sparte, zu meiner Rechten sitzt Konrad Pair, unser Repräsentant in Berlin, und ich bin Peter Nehmer. Ich leite die Wertebank.«

»Vielen Dank, Herr Nehmer, ich denke, wir sollten die Zeit, bis der Minister kommt, nutzen, um einige Details vorab zu besprechen. Ehrlich gesagt, bin ich doch etwas verwundert, dass ein verurteilter Mörder Ihre Bank hier in Berlin repräsentiert und an unserem Gespräch teilnehmen soll.«

Bei diesen Worten fixierte Dieter Krämer ausschließlich Konrad Pair. Der erwiderte jedoch seinen Blick mit stoischer Ruhe. »Ich darf darauf hinweisen, Herr Staatssekretär, dass ich wegen Totschlags und nicht wegen Mordes verurteilt wurde. Und ich bin nach, inklusive der Untersuchungshaft, einem Jahr Gefängnis wegen extrem guter Führung vorzeitig, und ich möchte betonen, offiziell, entlassen worden.«

»Herr Pair, verstehen Sie mich nicht falsch, ich möchte das deutsche Rechtssystem auch nicht kritisieren. Für mich ist das völlig in Ordnung. Aber meine Meinung wird nicht von allen geteilt werden und Ihre Arbeit hier in Berlin wird durch Ihre Vergangenheit nicht unbedingt erleichtert.«

»Das ist uns durchaus bewusst, Herr Staatssekretär, aber zu der Vergangenheit von Herrn Pair gehört auch seine Reputation als ausgezeichneter Wirtschaftsfachmann. Und als solcher ist er heute hier.« An dieser Stelle wurde Peter Nehmer unwillkürlich lauter. »Und ehrlich gesagt, wenn er nicht geschossen hätte, dann hätte vermutlich ich es getan, spätestens dann, wenn eine Auslieferung in die USA diskutiert worden wäre. Dieser Kerl hatte schließlich meinen Sohn entführt und wollte mich erpressen.«

Sieh an, sieh an, die halten zusammen wie Pech und Schwefel, ziemlich selten in der heutigen Zeit, das gefällt mir.

»Schön und gut, Herr Nehmer. Im Zusammenhang mit Ihrer Bank existiert aber noch ein anderes Problem. Wie wir hören, steht Ihre internationale Bankenallianz kurz vor dem Scheitern. Sie haben aber noch keine entsprechende Mitteilung herausgegeben, um die Börse zu informieren.«

»Bis heute haben wir noch keine schriftlichen Dokumente diesbezüglich erhalten. Nur auf Grund von vagen verbalen Äußerungen können und dürfen wir auch keine Ad-hoc-Mitteilung herausgeben. Aber auch ohne schriftliche Informationen werden wir das demnächst wohl doch tun müssen, denn die Spatzen pfeifen das offensichtlich ja schon von den Dächern. Es ist mir völlig unerklärlich, wie diese Information nach draußen dringen konnte. Darf ich fragen, woher Sie diese Erkenntnisse haben?«

In diesem Moment betraten der Finanzminister und der bayerische Ministerpräsident den Raum.

»Bleiben Sie sitzen, bleiben Sie sitzen, meine Herren. Ich freue mich, Sie in meinem Ministerium begrüßen zu dürfen. Wir kennen uns ja alle bereits, eine gegenseitige Vorstellung kann daher unterbleiben«, und an Krämer gewandt: »Ich habe doch hoffentlich nichts verpasst?«

»Keineswegs, Herr Minister, wir haben nur über einige Kleinigkeiten gesprochen, eigentlich war es lediglich Smalltalk.«

»Na schön, meine Herren, bitte bedienen Sie sich, wie ich sehe, ist für das leibliche Wohl gesorgt«, und nachdem das Tassengeklapper und Kaffee einschenken erledigt war, fragte der Finanzminister: »Was kann ich für Sie tun?«

Peter Nehmer ergriff das Wort: »Vielen Dank, Herr Minister, für diesen Gesprächstermin. Vielen Dank, Herr Ministerpräsident, auch Ihnen. Die Wertebank ist heute hier, um Ihnen einen, zugegebenermaßen leicht revolutionären, Vorschlag bezüglich der Staatsfinanzen zu machen. Wird dieser Vorschlag umgesetzt, würde Deutschland auf Jahre, nein, Jahrzehnte hinaus ein enormes finanzielles Polster besitzen, welches bei ökonomischen Krisen die Handlungsfähigkeit der deutschen Politik sicherstellen würde. Darüber hinaus wäre die Stellung Deutschlands in der Europäischen Union, aber auch weltweit nachhaltig gestärkt. Ich schlage vor, dass Herr Pair Ihnen jetzt die Idee erläutert. Er war wesentlich an ihrer Entwicklung und Formulierung beteiligt.«

»Pair, sagten Sie, war der Name?«

»Ja, Konrad Pair, er war als anerkannter Ökonom über lange Jahre unser Chefvolkswirt und leitet nun seit einigen Tagen unsere Berliner Filiale.«

Es war unmöglich, in den Gesichtszügen des Ministers zu lesen.

»Na schön, dann schießen Sie mal los.«

»Herr Minister, Herr Ministerpräsident, Herr Staatssekretär, wir alle wissen, was für ein wunderbares Land Norwegen ist. Was nicht alle wissen, ist, wie klug die dortige Wirtschafts- und Finanzpolitik ist. Norwegen hat schon vor einigen Jahren einen Staatsfonds ins Leben gerufen, der durch die Einnahmen aus den Öl- und Gasressourcen gespeist wird. Dieser Staatsfonds investiert sein Vermögen in die weltweiten Kapitalmärkte mit deutlich höheren Renditen als angesichts der gegenwärtigen Nullzinsphase zu erwarten gewesen wäre. Sein Volumen beträgt mittlerweile tausend Milliarden Euro. Dieser Fonds dient der Zukunftssicherung des Landes und als Reserve für Zeiten mit wirtschaftlichen Problemen. So hat Norwegen im Zuge der Corona-Pandemie dem Fonds 50 Milliarden entnommen, um der daniederliegenden Wirtschaft des Landes wieder auf die Sprünge zu helfen.«

An dieser Stelle hakte Dieter Krämer sofort ein: »Wir haben aber leider keine signifikanten Öl- und Gasreserven, Herr Pair.« »Das ist natürlich richtig, Herr Staatssekretär, und deswegen haben wir bis heute auch keinen Staatsfonds in unserem Land. Aber auch wir haben eine Einnahmequelle. Infolge des erstklassigen Rufes Deutschlands als Schuldner können wir zu Nullzinsen am Kapitalmarkt Geld aufnehmen. Unser Vorschlag ist nun, derartige Anleihen mit einer Laufzeit von dreißig Jahren zu begeben und mit dem so gewonnenen Kapital einen Staatsfonds ins Leben zu rufen.«

Die Politiker am Tisch tauschten ungläubige Blicke und schüttelten leicht den Kopf. Der Minister ergriff zuerst wieder das Wort: »Sie wollen, dass wir neue Schulden machen, obwohl wir das Geld gar nicht benötigen? Wissen Sie eigentlich, wie froh wir sind, den Haushalt wieder auf halbwegs solide Füße gestellt zu haben?«

»Herr Minister, genau deshalb wäre jetzt der richtige Zeitpunkt für eine Mittelaufnahme. Ihr Jahreshaushalt wird davon ja in keiner Weise tangiert. Sie zahlen für diese Anleihen keine Zinsen, also steigt in Ihrem Budget der Posten Schuldendienst auch nicht.«

»Aber irgendjemand muss dieses Geld am Ende doch zurückzahlen.«

Nun schaltete sich Niels Werner ein: »Herr Minister, wenn Aktien auch künftig die Renditen abwerfen, die sie in den letzten 100 Jahren erzielt haben, nämlich durchschnittlich zwischen 6 und 8 Prozent jährlich, dann verdoppelt sich in den nächsten 10 Jahren Ihr eingesetztes Kapital. Um es an einem Beispiel zu verdeutlichen: Bei 500 Milliarden Kapitalaufnahme hätte der deutsche Staatsfonds in 10 Jahren auch ein Volumen von 1000 Milliarden.«

Auf den hilfesuchenden Blick des Finanzministers nickte Dieter Krämer zustimmend. Für ihn klang das alles extrem logisch. Er war gespannt, wie sein Chef darauf reagieren würde. Der jedoch hüllte sich in Schweigen, so dass er selbst das Frage- und-Antwort-Spiel fortsetzte: »500 Milliarden! Gibt der Kapitalmarkt das überhaupt her und wird eine derartige Kreditaufnahme nicht letztendlich doch den Zins nach oben treiben?«

Niels Werner schüttelte den Kopf: »Herr Staatssekretär, der weltweite Anleihemarkt hat ein Volumen von rund 100 Billionen Euro, der Aktienmarkt übrigens nicht ganz so viel, aber auch da sind es 90 Billionen. Da würden die 500 Milliarden leicht zu erzielen sein. Aber natürlich müssten die marktschonend aufgenommen und dann platziert werden, das bedeutet volumenmäßig Schritt für Schritt und im Zeitablauf nach und nach. Das würde sicherlich kaum Auswirkungen auf Zinsen und Aktienmärkte haben.«

»Herr Werner«, der Minister hatte seine Sprache wiedergefunden, »bei jedem Konzept liegt der Teufel im Detail. Wir, das heißt, die Bundesregierung, sind Politiker und keine Fondsspezialisten. Woher sollen wir denn die Expertise nehmen, um ein solches Monstrum zu installieren und dann auch noch zu bändigen?«

Nun war die Reihe an Peter Nehmer: »Dafür haben Sie uns, Herr Minister, wir haben die Spezialisten für so etwas.«

Aha, dachte Dieter Krämer, jetzt ist die Katze aus dem Sack. Aber warum auch nicht. Die Wertebank will sich neue Geschäftsmöglichkeiten erschließen, das ist durchaus legitim. Sein Minister war aber offenbar anderer Meinung: »Sie wollen, dass ich einen weiteren Schattenhaushalt einrichte?«

»Ich bevorzuge den Begriff der Spardose, Herr Minister.«

»Meine Herren, das können wir doch nicht im stillen Kämmerlein beschließen. Wenn wir so etwas machen, muss, entsprechend unseren Gepflogenheiten, eine Ausschreibung her, so dass alle Asset Manager die Chance haben; sich zu bewerben.«

Niels Werner konnte sein Entsetzen gerade noch so kaschieren: »Herr Minister, wenn Sie das Vorhaben öffentlich werden lassen wollen, sollten Sie von der Idee gleich vollständig Abstand nehmen. Wenn der Kapitalmarkt auch nur ansatzweise Wind von dem Vorhaben bekommt, wird er sich entsprechend verhalten. Das bedeutet, in einem ersten Schritt steigen die Zinsen, damit wäre Ihr Budget doch tangiert, und in einem zweiten Schritt steigen die Aktienkurse. Damit müssten bei Investments an der Börse deutlich höhere Preise gezahlt werden.« »Wenn ich Sie nun richtig verstehe, bin ich Ihnen irgendwie ausgeliefert, ich meine, falls ich der Sache zustimme«, hier hob er abwehrend die Hände, »bitte, ich weiß ja noch gar nicht, ob das überhaupt umsetzbar ist, politisch, meine ich. Wenn ich das aber auch nicht herausfinden will, ist meine einzige Chance, Ihren Vorschlag abzulehnen.«

Die Antwort von Niels Werner war brutal ehrlich: »Das fasst es ziemlich korrekt zusammen.«

Dieter Krämer bekam allmählich eine gewisse Hochachtung vor den Wertebank-Leuten. So gegenüber dem als leicht cholerisch verschrienen Finanzminister aufzutreten, dazu gehörte schon einiges. Aber er spürte auch, dass sein Chef ebenfalls beeindruckt war. Allerdings war die politische Durchsetzung in der Tat ein Problem. Derartige Aktionen mussten vom Haushaltsausschuss des Bundestages genehmigt werden, der traditionsgemäß von einem Mitglied der Oppositionspartei geleitet wurde. Entsprechend störrisch verhielt sich daher bei manchen Ausgabeplanungen der Ausschuss. Da konnte er aber wahrscheinlich helfen, schließlich war er im Besitz einer Akte, die Bilder des aktuellen Vorsitzenden in einer mehr als nur anrüchigen Bar in New York beinhaltete. Der Zweck heiligt ja bekanntlich die Mittel, und die andere Seite war auch nicht immer fein unterwegs.

Erst jetzt merkte er, dass der Minister offenbar auf einen Kommentar von ihm wartete. Er hatte nur keine Ahnung, worauf.

»Ich denke, Ihre Idee hat viel Charme, meine Herren.«

Nun ergriff noch einmal Peter Nehmer das Wort, der spürte, dass jetzt der Plan aus den buchhalterischen Niederungen gehoben werden musste. Schließlich hatten sie es hier mit Politikern zu tun.

»Herr Minister, Herr Ministerpräsident, Herr Staatssekretär, dieser Fonds hat viel mehr als nur Charme. Mit diesem Fonds emanzipiert sich Deutschland ein Stück weit von den die Kapitalmärkte dominierenden Amerikanern. Damit emanzipiert sich auch Europa, insbesondere, wenn andere Länder auf diesem Kontinent dem Beispiel Deutschlands folgen würden, was sehr wahrscheinlich ist. Sie können mit diesem Fonds auch bei heimischen Unternehmen als Ankerinvestor auftreten, um feindliche Übernahmen aus dem Ausland zu verhindern. Sie bekommen ein Instrumentarium an die Hand, um bei Krisen gegensteuern zu können. Ja, Sie könnten sogar durch diesen Fonds auf Jahre hinaus eventuelle Rentenlücken im Haushalt schließen. Dieser Fonds eröffnet der deutschen Regierung ganz neue Perspektiven und Handlungsmöglichkeiten.«

Wow, dachte Krämer, gut gebrüllt, Löwe. Sein Chef war jedenfalls schwer beeindruckt, so viel konnte er feststellen. Nicht umsonst hatte er sich eifrig Notizen gemacht. Auch der so schweigsame Ministerpräsident hatte auf einmal glänzende Augen, er malte sich wahrscheinlich schon all die neuen Perspektiven aus.

»Tja, das sind in der Tat faszinierende Aussichten«, der Minister war immer noch dabei, in die Realität zurückzufinden, »aber ich muss doch ein wenig Wasser in den Wein schütten. Wie bekommen wir das durch den Haushaltsausschuss? Dessen Vorsitzender zerschießt das doch sofort.«

»Nun, Herr Minister, ich denke, hier könnte ich durch ein persönliches Gespräch mit Herrn Müller helfen.«

Sein Chef sah ihn zwar erstaunt an, ließ das Ganze aber auf sich beruhen.

»Wie mir ein Blick auf meine Uhr verrät, meine Herren, rufen mich jetzt andere Pflichten. Bitte lassen Sie sich nicht stören und diskutieren Sie mit meinen Kollegen weiter. Ich möchte nur noch kurz mit meinem Staatssekretär einige Worte wechseln. Ich wünsche Ihnen eine gute Heimreise. Bis bald.« Krämer folgte seinem Chef in dessen Büro. Ihm gefielen die Wertebank-Leute und ihr Vorschlag war, richtig umgesetzt, zukunftsweisend für Deutschland. Er war sich allerdings nicht sicher, ob der Minister seine Einschätzung teilte, der war bisher noch nie durch unternehmerisches Denken aufgefallen. Aber er war durchaus eitel und vielleicht war das der Hebel, ihn positiv zu stimmen.

»Was meinen Sie, Krämer?«

»Ich halte die Idee für ausgezeichnet und auch für durchführbar. Ob wir dadurch international an Einfluss gewinnen, wird sich zeigen. Auf alle Fälle würde das Finanzministerium innerhalb der Regierung noch wichtiger. Ich denke, die Zeiten, in denen der Außenminister stellvertretender Regierungschef wird, wären endgültig vorbei, ohne den Finanzminister geht dann künftig gar nichts.«

Das Nicken des Ministers wurde immer heftiger.

»Und bedenken Sie, wir könnten über den Fonds und dessen Beteiligungen an Unternehmen über die damit verbundenen Aufsichtsratsmandate dann aktive Industriepolitik machen, etwas, was Sie schon immer wollten. Und Ihre Popularität in der Bevölkerung würde deutlich steigen. Sie wären es, der zum ersten Mal in der Geschichte unseres Landes für den Bürger endlich Werte schafft. Sogar die Gewerkschaften dürften applaudieren.«

»Was würde ich nur ohne Sie machen, Krämer«, sein Chef klopfte ihm auf die Schulter. »Sie haben mal wieder den Nagel auf den Kopf getroffen. Also gut, signalisieren Sie der Wertebank mein Wohlwollen, allerdings müssten wir über das Volumen des Fonds noch einmal diskutieren. 500 Milliarden halte ich als Anfangskapital für deutlich zu hoch, mir würden da in einem ersten Schritt 100 Milliarden vorschweben. Und dann sehen wir erst einmal, wie die Dinge laufen. Ich werde die Idee morgen mit dem Kanzler besprechen.«

»Vergessen Sie Ihren Kollegen Wirtschaftsminister nicht, für dieses Vorhaben brauchen wir alle politische Unterstützung, die wir bekommen können.«

Der Finanzminister nickte nachdenklich.

»Ja, danke, wir sollten auch den Kanzleramtsminister nicht übergehen. Er hat das Ohr des Kanzlers.«

Als Krämer sich zum Gehen wandte, holte ihn die Stimme seines Chefs wieder ein: »Wie kommen Sie darauf, den Miesepeter Müller positiv stimmen zu können?«

»Herr Minister, es ist besser, wenn Sie das nicht wissen.«

Tanz der Finanzen

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