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SIGNALE

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Die letzten zwei Stunden hatten ihn total geschafft. Es war ja immer schwierig, mit Fondsmanagern über ihr Portfolio zu diskutieren, aber heute war es besonders ermüdend gewesen. Die Geschichte war immer die gleiche. Da wurden über die Jahre verschiedene Aktienpositionen aufgebaut, von denen einige später überdurchschnittliche Kurssteigerungen aufwiesen und einige eben nicht.

Um letztere hatte sich die Diskussion der zurückliegenden zwei Stunden gedreht, mit einem besonderen Augenmerk auf Aktien, welche, verglichen mit dem Kaufzeitpunkt, sogar Kursverluste aufwiesen. Da Fondsmanager auch nur Menschen waren, starb auch bei ihnen die Hoffnung zuletzt. Darüber hinaus hatte jeder eine natürliche Scheu, Kursverluste zu realisieren und damit frühere Fehler einzugestehen. Dabei geht es bei derartigen Kursflops nur um die Frage, ob ich heute mit meinem Wissen die Aktien noch einmal kaufen würde. Wenn das nicht der Fall ist, bleibt nur der harte Schnitt, das bedeutet: Verkauf der Position. Die Kursverluste mussten dann halt mit Kursgewinnen anderer Aktien wieder ausgeglichen werden. Offenbar war das aber schwer zu verstehen.

Niels Werner hatte derartige Debatten in seinem Berufsleben schon unzählige Male führen müssen. Zum Schluss blieb meistens nur das »par ordre du mufti«, obwohl er das nicht gerne tat. Ihm war es lieber, wenn er überzeugen konnte, aber heute war ihm das nicht gelungen. Er machte sich darüber eine mentale Notiz, den Managern des Aktien-Europa-Fonds würde er künftig stärker auf die Finger sehen. Falls sie das Mandat der Bundesregierung bekommen würden, hieß es außerdem, neue Fondsmanager dafür zu finden, denn natürlich würde dieses von ihm im Stillen immer Bürgerfonds genannte Investmentvehikel sich mit seinem Geld schwerpunktmäßig in Europa tummeln.

Als er auf dem Weg zu seinem Büro den Handelsraum durchquerte, winkte ihn der Chefhändler der Wertebank zu sich heran.

»Hallo, Lars, was gibt es Neues auf dem Parkett?«

Lars Wolf wiegte seinen Kopf. »Darüber bin ich mir noch nicht im Klaren, Niels. Irgendetwas braut sich zusammen. Der Markt ist insgesamt freundlich, aber unsere Aktien sind durchgehend schwach.«

»Na ja, unsere Ad-hoc-Meldung hat ja nicht gerade für Begeisterung gesorgt. Zumal wir auch nichts Konkretes zu sagen hatten, lediglich dass nach unseren verbalen Informationen wir von einem Scheitern der internationalen Bankenallianz ausgehen müssen.«

»Schon klar, aber da stimmt trotzdem etwas nicht. Ich sehe ständig Verkäufe unserer Aktien aus Handelsplätzen, denen in der Vergangenheit keine oder kaum Käufe gegenübergestanden haben. Wenn ich wetten müsste, würde ich sagen, dass das Leerverkäufe sind.«

»Von welchen Handelsplätzen sprichst du?«

»Hauptsächlich New York und London, ein wenig auch aus Paris.«

Das konnte ja wohl nicht sein, Déjà-vu lässt grüßen. Waren etwa die alten Freunde von Gerd Brauner, Steve, Luke und Francois am Werk? Niels Werner blies die Backen auf und ließ die Luft zischend entweichen.

»Das könnte in der Tat etwas sein, Lars. Hast du Peter Nehmer schon informiert?«

»Weiß der Geier, wo der steckt. Ich habe noch nicht einmal die Pauli ans Telefon bekommen. Nur ihre hilflose Vertreterin, die Schwarzer.«

»Okay, halte mich auf dem Laufenden.«

»Moment mal, Niels, lass mich nicht dumm sterben, du vermutest doch etwas.«

»In der Tat, achte mal auf den New Yorker Pensionsfonds Relax, den Londoner Hedgefonds True Investor, bekannt unter dem Kürzel TRIN, und die Pariser Privatbank Claron. Das sind alte Freunde, die traditionell gemeinsame Sache machen.«

»Alte Freunde von wem?«

»Ich glaube, das wissen die selbst nicht so genau. Wie gesagt, behalte die im Auge und lass mich sofort wissen, wenn es etwas Neues gibt.«

Lars Wolf hob den Daumen und Niels Werner nahm den Weg zu seinem Büro wieder auf. Dort erwartete ihn seine Assistentin Karin Stigel.

»Ich habe Ihnen Ihren grünen Tee auf den Schreibtisch gestellt. Und Herr Bernhardt hat angerufen, Herr Kolinski ist etwas früher als vorgesehen gekommen, er bittet Sie, alsbald zu dem Gespräch dazuzukommen.«

»Also, wenn der Kolinski sich nicht an die Zeiten hält, muss er eben warten. Ich trinke jetzt erst einmal meinen Tee. Gibt es sonst noch irgendetwas?«

»Nur Herr Kloos war kurz hier. Ich hatte den Eindruck, dass er mir nur sagen wollte, wie froh er ist, Sie wieder bei uns zu haben. Er schien mir in der Vergangenheit reichlich überfordert.«

»Das ist ein anständiger Kerl, der genau weiß, was er kann und was nicht. Ich mag ihn sehr, es hat ein wenig gedauert, aber wir haben uns damals ganz gut zusammengerauft. Ich hoffe doch, Sie sind auch froh, mich wieder hier zu sehen.«

»Aber ja, Herr Werner, wie können Sie nur so etwas fragen.«

In diesem Moment unterbrach das Telefon im Vorzimmer das Geplänkel. Karin Stigel nahm den Hörer ab, sagte etwas und winkte ihm sofort heftig zu. Dann hielt sie mit der linken Hand die Hörmuschel zu und rief: »Frau Schwarzer, sie hat den Krämer vom Finanzministerium in der Muschel. Der will eigentlich den Nehmer sprechen, der ist aber nicht da, die Pauli auch nicht, und sie weiß nicht, was sie tun soll.«

»Sie soll ihn einfach durchstellen.«

Niels Werner trank noch einen Schluck Tee, räusperte sich und nahm den Hörer ab.

»Werner.«

»Dieter Krämer hier, guten Tag, Herr Werner. Ist Peter Nehmer nicht erreichbar?«

»So ist es, Herr Staatssekretär, eine Vorsorgeuntersuchung im Herzzentrum hat unseren Chef in Beschlag genommen. Kann ich Ihnen weiterhelfen?«

»Ich denke schon. Wir hatten ja ein Nachfolgemeeting beim letzten Mal bereits angedeutet. Dieses Meeting ist nun terminiert auf Freitag nächste Woche um 17 Uhr im Bundeskanzleramt. Die fehlende Absprache tut mir leid, aber ich hoffe, Sie können den Termin trotzdem möglich machen. Von unserer Seite werden teilnehmen mein Finanzminister, der Bundeskanzler, der Wirtschaftsminister und natürlich ich. Ich bin deswegen dabei, weil bei einem positiven Votum ich, zusammen mit Ihnen, mit der Implementierung des Staatsfonds befasst sein würde.«

»Wir werden selbstverständlich den Termin möglich machen, Herr Staatssekretär. Darf ich fragen, wie die Stimmung in Berlin ist?«

»Nun, zumindest bei uns, und insbesondere bei mir, haben Sie einen großen Eindruck hinterlassen. Nicht umsonst habe ich Ihnen schon nach dem letzten Treffen wohlwollende Zustimmung signalisiert. Ich denke, Sie haben gute Chancen, Ihr Projekt genehmigt zu bekommen, allerdings dürften 500 Milliarden gleich am Anfang ein wenig zu hoch gegriffen sein. Kleinere Tranchen sind da eher zielführend. Einen Hinweis hätte ich noch. Es wäre, glaube ich, für die gegenseitige Chemie besser, wenn Herr Pair nicht an dem Meeting teilnehmen würde. Insbesondere der Wirtschaftsminister könnte als Jurist daran Anstoß nehmen. Aber auch der Bundeskanzler sollte auf keinen Fall kompromittiert werden.«

»Wir respektieren Ihre Bedenken natürlich, aber ich möchte an dieser Stelle auf den untadeligen Lebenswandel, mit Ausnahme der Affekthandlung im Gerichtssaal, von Herrn Pair hinweisen.«

»Ich bin ja bei Ihnen, Herr Werner, aber die Dinge sind nun mal so, wie sie sind. Ich sehe Sie nächste Woche Freitag.« Niels Werner sah nach dem abrupten Ende des Gesprächs den Telefonhörer eine Weile nachdenklich an. Dem fragenden Blick der Stigel begegnete er mit einem resignierenden Öffnen der Arme.

»Wo zum Teufel steckt unser Chef, und wieso ist die Pauli nicht an ihrem Platz?«

Karin Stigels Gesicht war betont ausdruckslos. »Darauf kann ich mir auch keinen Reim machen.«

Werner sah sie nachdenklich an, ihr Gesicht war ihm irgendwie zu nichtssagend. Ihm fiel eine frühere Bemerkung von Peter Nehmer ein, der auf den intensiven Kontakt zwischen den jeweiligen Assistentinnen hingewiesen hatte. Er hatte sogar eine weitläufige Verwandtschaft der beiden erwähnt. Konnte es sein, dass die Stigel viel mehr wusste, es aber nicht preisgeben wollte?

»Na egal, wenn einer der beiden wieder auftaucht, informieren Sie sie über ein neues Meeting in Berlin, Freitag nächster Woche um 17 Uhr im Bundeskanzleramt. Details werde ich dann dem Nehmer persönlich mitteilen. Der Schwarzer brauchen Sie noch nichts zu sagen, ich weiß nicht, ob sie solche Sachen nicht ausplaudert.«

Karin Stigel wollte aus Solidarität mit ihrer Kollegin erst protestieren, überlegte es sich dann aber anders, zumal das Telefon schon wieder klingelte.

»Das war das Büro vom Bernhardt. Die Herren erwarten Sie dringend.«

Kein Wunder, er hatte mit dem Personalchef Jan Bernhardt die Details seines Bedarfs noch nicht besprochen.

»Okay, ich gehe gleich zu denen. In welchem Raum sind die?«

»Direkt beim Bernhardt im Büro.«

Niels Werner war doch sehr auf Kolinski gespannt. Er kannte den Personalberater ja nicht persönlich. Seine seinerzeitige Installation als trojanisches Pferd in der Wertebank durch den Berater war telefonisch erfolgt. Das galt auch für ihre Kommunikation untereinander. Er wusste, dass hinter Kolinski harte Zeiten lagen. Im zurückliegenden Jahr hatte er von der Wertebank, nachdem seine heimliche Verbindung mit Gerd Brauner publik geworden war, nicht einen einzigen Auftrag bekommen. Aber seine Personalberatungsfirma hatte in der Branche einen guten Ruf und Werner wusste selber nur zu gut, wie perfide der liebe Gerd vorgehen konnte. Es war Zeit für einen Neuanfang. Bei seinem Eintritt erhoben sich die beiden Herren, Bernhardt schien bei seinem Anblick sehr erleichtert, Kolinski leckte sich nervös die Lippen.

»Entschuldigen Sie mein spätes Auftauchen, ich hatte für unseren Chef noch etwas Eiliges zu erledigen. Herr Kolinski, ich freue mich, dass wir uns endlich einmal persönlich kennen lernen.«

»Ganz meinerseits, Herr Werner.«

Heinz Kolinski bot einen eher enttäuschenden Anblick. Mittelgroß, zur Fettleibigkeit neigend, hatte er etwas von einem Wiesel an sich.

»Waren Sie in der Lage, mit Herrn Bernhardt zu besprechen, warum wir Sie heute hierher gebeten haben?«

Hier schaltete sich Lars Bernhardt ein: »Ehrlich gesagt, konnte ich dazu noch nicht viel Erhellendes beitragen. Wir waren eher mit der Bewältigung der Vergangenheit beschäftigt.«

Niels Werner machte eine wegwerfende Handbewegung.

»Vergangenheit ist, wie der Name schon sagt, vergangen. Ich hoffe, Ihre Firma ist noch so leistungsfähig wie früher?«

Heinz Kolinski konnte seinen Frust nicht so ganz verbergen.

»Sie wissen ja selbst, wie umkämpft der Markt in der Personalberatung ist. Da ist es besonders bitter, wenn der Hauptkunde seine Beziehung zu uns aufkündigt.«

»Wir haben sie nicht aufgekündigt, Sie haben nur keine neuen Aufträge bekommen.« Bernhardt war jetzt ganz im Fahrwasser des Personalchefs. »Das wäre auch gar nicht möglich gewesen. Durch die Änderung unseres Geschäftsmodells mussten wir Leute freistellen, an Neueinstellungen war da nicht zu denken. Das ist heute anders.«

Heinz Kolinskis Gesicht erhellte sich sichtbar.

»Heißt das, Sie brauchen Leute?«

»In der Tat, Herr Kolinski.« Niels Werner entnahm einer mitgebrachten Mappe ein Blatt Papier. »Ich habe es für Sie hier aufgeschrieben. Wir brauchen drei erstklassige Fondsmanager mit Expertise in europäischen Aktien und wir benötigen drei Spezialisten für Unternehmensanalysen.«

Als er das Papier entgegennahm und einen Blick darauf warf, glich Kolinskis Miene nunmehr einer aufgehenden Sonne.

»Darf ich fragen, wie dringlich die Angelegenheit ist? Und über welchen gehaltlichen Rahmen sprechen wir? Sie wissen, in dieser Branche ist es nicht leicht, Leute von Frankfurt nach München zu lotsen. Frankfurt ist halt der Nabel im Asset Management.«

»Der Einsatzort wird nicht in München sein, vermutlich eher in Frankfurt. Wir sind da noch unschlüssig, aber wir ziehen auch Berlin in Betracht.«

Kolinskis Kopf fuhr nach oben, seine Augen waren auf einmal hellwach. Da haben wir es, dachte Werner resigniert, es wäre besser gewesen, der Bernhardt hätte seinen Mund gehalten. Schnell versuchte er, die Möglichkeit Berlin als etwas Normales zu verkaufen.

»Nun, wir wollen unser Asset Management geographisch breiter streuen. Wie Sie wissen, haben wir ja bereits eine Gruppe in Frankfurt sitzen. In den Zeiten der zunehmend digitalisierten Arbeitswelt ist das auch kein Problem mehr.«

»Selbstverständlich, selbstverständlich, Herr Werner.«

»Nachdem dies nun geklärt ist, brauchen Sie mich ja nicht mehr. Die weiteren, eher personaltechnischen Details wie Sozialleistungen unseres Hauses, können Sie ja noch mit Herrn Bernhardt diskutieren. Guten Tag, Herr Kolinski. Herr Bernhardt.«

Mit einer leichten Verbeugung gegenüber seinem Kollegen zog sich Niels Werner zurück. Diese Ratte von Kolinski, natürlich hatte der gleich etwas gewittert. Aber das ließ sich jetzt nicht mehr ändern.

Tanz der Finanzen

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