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LICHTBLICK

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Nachdem er das Telefonat beendet hatte, pfiff Peter Nehmer in seinem Büro leise vor sich hin. Das war in der Tat eine, wie Niels Werner es gerade formuliert hatte, geile Idee. Die Frage war nur, wie sie im Detail aussah und wie er den zuständigen Politikern das Ganze schmackhaft machen konnte. Oh, er hörte im Geiste schon die Einwände, all die Worthülsen, die Politiker so gerne formulieren, wie sozial ungerecht, verteilungspolitisch problematisch und ähnliches. Darüber hinaus verstand die Mehrzahl der in der Verantwortung stehenden Politiker nichts von ökonomischen Zusammenhängen. Wie denn auch, dachte er resigniert, die sind ja vor allem Berufspolitiker. Als solche agieren sie nicht kreativ im Sinne der Bürger, sondern im Sinn von Macht und Einfluss. Wer handelt, macht sich angreifbar und könnte Wählerstimmen verlieren. Da ist es doch besser, mit der Meute zu heulen.

Er rief sich innerlich zur Ordnung. Das vordringlichste Problem war jetzt erst einmal, seine Vorstandskollegen mit ins Boot zu holen. Das würde schwierig genug werden, er konnte sich noch gut an die Diskussionen im Rahmen des Übernahmegefechtes mit der Meinebank erinnern. Insbesondere sein Risikovorstand Barbara Kohler hatte ihm das Leben mit bohrenden Fragen schwer gemacht. Na, mal sehen, ob es da nicht Möglichkeiten gab, sie etwas zu zähmen. Auch beim ständig nach Beratern rufenden Vorstandskollegen Wohler konnten ein paar Daumenschrauben nicht schaden. Von wegen Berater, von dieser Idee durfte nichts nach draußen sickern. Aus diesem Grund würde er auch seinen Kollegen noch nicht komplett reinen Wein einschenken, sondern nur die grobe Richtung seines Strategiewechsels andeuten. Bankvorstände generell waren häufig Selbstdarsteller und auch der eine oder andere Vorstandskollege von ihm neigte zum Plaudern in der Öffentlichkeit.

Nehmer griff erneut zum Telefon und rief seinen Personalchef Jan Bernhardt an.

»Bernhardt.«

»Hallo, Herr Bernhardt«, obwohl sie schon jahrelang zusammenarbeiteten, waren sie immer noch per Sie. »Ich sehe Sie nachher bei unserem Vorstandstreffen?«

»Selbstverständlich, wenn Sie das wünschen.«

»Sehr schön, dann bringen Sie doch bitte eine detaillierte Aufstellung der Mitarbeiterzahlen mit. Vielleicht brauche ich sie zwecks Erläuterung der durch die Umstrukturierung zur Bankenallianz ausgelösten Bewegungen bei unseren Arbeitnehmern. Eventuell müssen wir erneut eine andere Weichenstellung in unserem Geschäftsmodell diskutieren, und da möchte ich ein Gefühl für mögliche Auswirkungen im Personalbereich haben.«

»Gehen wir denn zu unserem alten Modell zurück?«

»Ganz sicher nicht, aber ehrlich gesagt, weiß ich selbst noch nicht, wo die Reise hinführt. Es ist aber klar, die ursprünglich angedachte globale Bankenallianz wird sich so nicht verwirklichen lassen. Wir werden unseren Plan zumindest adjustieren müssen.«

»Ich werde die Zahlen parat haben, Herr Nehmer.«

»Ach, Herr Bernhardt, wenn ich Sie schon mal am Telefon habe«, die Sprechpause hatte genau die richtige Länge, um unschuldig zu wirken, »sagen Sie, wie sieht es eigentlich mit den Vorstandsverträgen aus? Stehen da einige zur Verlängerung an?«

Soso, dachte Jan Bernhardt, kommen wir jetzt zum eigentlichen Zweck des Anrufs? »Nun, Ihr Vertrag ist ja gerade verlängert worden«, sein Tonfall war absolut neutral, »Herr Kern hat noch vier Jahre und Herr Wohler zwei Jahre Laufzeit. Lediglich bei Frau Kohler müsste der Aufsichtsrat so langsam aktiv werden, ihr Vertrag endet in zwölf Monaten.«

»Danke, Herr Bernhardt, wir sehen uns später.«

Dachte ich es mir doch, Nehmer war hochzufrieden. Dann wollen wir mal sehen, wie die Gute reagiert. Aber erst muss ich den Kaiser briefen. Auch bei seinem Finanzchef rief er direkt an, die Sekretärinnen mussten ja nicht alles mitbekommen. Bereits nach dem ersten Klingeln war Horst Kaiser am Telefon. »Peter?«

»Hallo, Horst, wir sehen uns ja nachher beim Vorstandstreffen. Ich möchte bewusst nur ein Treffen und keine offizielle Vorstandssitzung. Du und der Bernhardt sind dabei. Du kennst ja schon das Thema, und wie du dir denken kannst, wird es an der einen oder anderen Stelle hoch hergehen. Deine Aufgabe wird es sein, auf einen Wink von mir darauf hinzuweisen, dass es vielleicht gut wäre, bei einer Neuausrichtung unserer Aktivitäten uns an den erzielbaren Renditen zu orientieren. Mit anderen Worten, wir sollten das Asset Management und die Vermögensverwaltung weiter forcieren.«

Horst Kaiser erfasste sofort den tieferen Sinn des Anliegens seines Chefs. »Heißt das, du hast einen Plan, wie das gehen soll? Und du weißt, dass wir endlich wieder einen absoluten Spitzenmanager für diese Sparte brauchen.«

»Niels Werner hat mich angerufen und mir dafür eine Superidee geliefert. In Kurzform: Staat leiht sich zu den derzeitigen Nullzinsen Geld und investiert in den hoch rentierlichen Aktienmarkt. Und diesen, ich nenne ihn mal Bürgerfonds, verwalten wir und verdienen so nebenbei eine hübsche Summe Geld.«

Es dauerte einige Momente, bis die Antwort kam. »Wow, umso dringlicher ist die Managementfrage. Meinst du, du kannst Niels zurückholen?«

»Da bin ich mir ziemlich sicher.«

»Super, dann lass uns diese Sache angehen. Vermutlich wird aber die Kohler wieder Zicken machen.«

»Du alter Chauvi, ich glaube, ich kann sie etwas einbremsen. Ihr Vertrag steht zur Verlängerung an.«

»Endlich mal eine gute Nachricht, sie piesackt mich ganz schön. Und das Schlimme ist, du kannst ihr auch kein X für ein U vormachen. Clever ist sie.«

»Lass mich mal machen.«

Mit diesen Worten beendete er das Gespräch und rief seine Assistentin Hannah Pauli herein.

»Hannah, bitte doch Frau Kohler, mir vor der Vorstandssitzung ein kurzes Briefing über unsere Risikosituation zu geben.«

Bereits nach fünf Minuten war seine Assistentin zurück. »Frau Kohler hat gerade einen Besucher von der Finanzaufsicht empfangen und kann noch nicht so ganz abschätzen, wann das Gespräch beendet sein wird. Sie kommt so bald als möglich.«

Nehmer nickte. »Danke, bis Frau Kohler kommt, bitte keine Gespräche«, und als sich ein Hoffnungsschimmer im Gesicht von Frau Pauli breitmachte: »Nein, auch keine Postbesprechung. Ich muss nachdenken.«

Wieder allein nahm er ein Blatt Papier aus dem Schreibtisch und fing an, seine ersten Überlegungen zu skizzieren. Der Gedanke von Niels Werner war brillant. Deutschland konnte in der Tat zu Nullzinsen Geld am Kapitalmarkt aufnehmen, weil seine Reputation als Schuldner erstklassig war. Der Haushalt würde daher durch diese Aktion nicht belastet werden. Die Frage war nur, was mit diesem Geld geschehen sollte. Das könnten zum einen Investitionen in Infrastrukturoder Umweltprojekte sein. Aber es könnten auch Finanzinvestitionen sein, also Aktienkäufe. Dazu war die Expertise von Asset Managern nötig, sowohl für die Begebung der Anleihen als auch für die Käufe von Wertpapieren und natürlich vor allem für das Managen der getätigten Investments. Da kam dann seine Bank ins Spiel. Es mussten also drei Schritte gelingen, erstens Politiker von der Kreditaufnahme zu überzeugen, zweitens ihnen die Anlage der Gelder im Aktienmarkt schmackhaft zu machen und drittens die Wertebank als das Kompetenzzentrum für diese Transaktionen zu etablieren.

Der dritte Schritt war angesichts der in der Vergangenheit erworbenen hervorragenden Beziehungen in die Politik vermutlich der einfachste. Vor allem die Bayernpartei dürfte ihn stark unterstützen, sie war ihm noch so einiges schuldig für die infolge der gewonnenen Übernahmeschlacht gegen die Meinebank mögliche Rettung von tausenden Bankarbeitsplätzen in München. Den zweiten Schritt musste er mit einem zündenden Marketingschlagwort garnieren, wie Bürgerfonds, Schaffen von Werten für die Bevölkerung, Schaffen eines dritten Standbeins für die marode Rentenversicherung oder ähnliches. Der erste Schritt dürfte der schwierigste sein. Wer macht schon gern ohne Not Schulden? Da müssten in Berlin so einige über ihren Schatten springen, insbesondere der Finanzminister, der immer noch seinen Traum von einer schwarzen Null im Budget hochhielt.

Es war aber völlig klar, dass er einen detaillierten Plan zur Ausgestaltung und Umsetzung nicht allein bewerkstelligen konnte, er brauchte dafür eine Arbeitsgruppe. Dazu sollten auf alle Fälle sein Finanzchef Horst Kaiser und Niels Werner, den er hoffte zurückholen zu können, gehören. Vielleicht wäre es ja nicht schlecht, auch Barbara Kohler hinzuzuziehen. Zuckerbrot und Peitsche, das altbewährte Mittel. Und er hätte sie dann schon mal auf seiner Seite. Er selbst könnte nur sporadisch mitarbeiten, schließlich hatte er so nebenbei noch eine Bank zu führen, deren internationale Allianz gerade in Trümmern lag. Woher Niels Werner das wusste, war ihm völlig schleierhaft, er selbst hatte erst gestern diesbezügliche Hinweise erhalten. Er ließ derzeit von seinen Experten eine Ad-hoc-Mitteilung für die Kapitalmärkte vorbereiten, schließlich war es seine Pflicht, Eigenkapital- und Kreditgeber sofort über geschäftsrelevante Veränderungen zu informieren. Ach ja, und dann musste er noch seinem Aufsichtsratsvorsitzenden Benjamin Fieber die bittere Nachricht der auseinanderdriftenden Partner der Bankenallianz überbringen.

Nehmer notierte sich die einzelnen Schritte und malte jede Menge Diagramme in sein Notizbuch. Er registrierte weder, wie schnell die Zeit verging, noch dass Barbara Kohler plötzlich vor seinem Schreibtisch stand. Erst als sie sich räusperte, schaute er auf. »Ah, Frau Kohler, setzen Sie sich doch bitte.« Er zeigte auf den Stuhl vor seinem Schreibtisch.

»Ich fürchte, dazu haben wir keine Zeit, Ihr Vorstandstreffen soll doch in zehn Minuten beginnen.«

»Ach, entspannen Sie sich, ohne uns können die nicht anfangen.« Er drückte den Knopf der Sprechanlage. »Frau Pauli, informieren Sie doch bitte meine Kollegen, dass das Treffen fünfzehn Minuten später beginnt, wir haben hier erst noch etwas zu klären. Danke.«

Daraufhin setzte sich Frau Kohler an den kleinen Besprechungstisch und schaute ihn erwartungsvoll an. Nehmer konnte sich nun nicht mehr hinter seinem Schreibtisch verschanzen, sondern musste ihr Gesellschaft leisten. Seinem Gesicht war dabei nicht anzusehen, ob er sich ausgebremst fühlte oder nicht.

»Frau Kohler, ich habe Sie natürlich nicht wegen des Risikoberichtes hergebeten. Mir war es ein Bedürfnis, Sie, bevor wir in das Treffen mit unseren Kollegen gehen, über unsere bröckelnden Bankallianzen zu informieren.«

Barbara Kohler zog hörbar die Luft ein. »Oh nein, bloß nicht das. Wer bröckelt?«

»Nun, unser amerikanischer Partner, die Allamo Trust, hat einen neuen Chef, und der hat mir gestern seine neuen Prioritäten mitgeteilt. Wir kamen in dieser Aufzählung nicht mehr vor. Er will sich vor allem auf den US-Markt konzentrieren. Damit nicht genug, wollen auch unsere chinesischen Freunde nicht mehr mitmachen.«

»Ausgerechnet. Die beiden waren doch die Eckpfeiler unserer künftigen Strategie. Jetzt stehen wir schön blöd da, wir haben schließlich ganze Geschäftsbereiche zu deren Gunsten geschlossen. Wieso kriegen die auf einmal kalte Füße?«

Er zuckte mit den Schultern. »Da bin ich auf Vermutungen angewiesen. Die Chinesen könnten sauer sein, weil wir unseren Anteil an der Meinebank an die Bundesrepublik Deutschland verkauft haben. Dadurch konnten sie ihre Absicht nicht realisieren, im deutschen Bankenmarkt nachhaltig Fuß zu fassen. Bei den Amerikanern tappe ich im Dunkeln, allerdings hat die dortige Regierung sich über die Silbersteins wohl mit der Meinebank verbündet. Zumindest habe ich die Andeutung von Brauner über seine unbegrenzten Finanzmittel, um uns aufzukaufen, so verstanden. Vielleicht liegt hier, wie bei den Chinesen, der Hund begraben.«

»Du lieber Himmel, was wurde und wird denn hier gespielt?« Die Denkfalten in Barbara Kohlers Gesicht vertieften sich um einiges.

»Ja, Frau Kohler, mir dämmert auch erst so langsam die ganze Dimension unseres Kampfes mit Gerd Brauner und seiner Meinebank. Wir sind da offenbar zwischen die Mühlen der zwei mächtigsten Nationen geraten. Aber was jetzt viel wichtiger ist, ist die Frage, wie geht es weiter.« Er machte eine vielsagende Pause, bevor er tief in Barbara Kohlers Augen sah. »Frau Kollegin, ich habe einen sehr ambitionierten Plan, um diese Bank zukunftsfähig neu auszurichten. Ich werde dazu für einen längeren Zeitraum ein hochrangiges Team zusammenstellen müssen, das verschwiegen und absolut loyal mir zuarbeitet.« Er machte wieder eine kurze Pause. »Werden Sie mir dafür zur Verfügung stehen?«

»Aber was für eine Frage, selbstverständlich werde ich das. Wieso fragen Sie das überhaupt?«

»Weil«, und wieder eine kleine Pause, »weil ich nicht weiß, wie lange Sie noch bei uns sind.«

Barbara Kohler durchströmte es heiß und kalt, ihre Lippen zuckten kurz.

»Ihr Vertrag läuft noch ein Jahr, glaube ich.« Der Mistkerl, dachte sie, das weiß er doch ganz genau. »Hat Herr Fieber schon einmal mit Ihnen über eine Verlängerung gesprochen?«

»Nein, noch nicht. Ich dachte, das sei nur eine Formalität.«

Angesichts ihrer leicht zittrigen Stimme war jetzt die Zeit für das Zuckerbrot gekommen. Seine Stimme hatte ein betont gütiges Timbre. »Ist es sicherlich auch.« Er widerstand dem Impuls, ihre Hand zu nehmen. »Da muss ich unserem Herrn Aufsichtsratsvorsitzenden wohl mal einen Hinweis geben. Üblicherweise werden Verträge zwölf Monate vor Ablauf erneuert. Dafür sind dann aber noch umfangreiche Gespräche nötig, die sind auch nicht in wenigen Tagen abgeschlossen. Ich sehe Herrn Fieber vermutlich heute Nachmittag und werde ihn in Marsch setzen. Ich würde mich jedenfalls sehr freuen, wenn Sie bei uns bleiben.«

»Danke, Herr Nehmer, ich fühle mich auch sehr wohl in dieser Bank, und in München sowieso. Und ich werde loyal an Ihrer Seite stehen, darauf können Sie sich verlassen. Darf ich fragen, wie Ihr ambitionierter Plan für diese Bank in seinen Grundzügen aussieht? Völlig vertraulich, versteht sich.«

Nehmer beugte sich mit verschwörerischer Miene vor. »Es fällt mir nicht leicht, aber ich muss wohl meinen Traum von einer internationalen Bankenallianz begraben. Ich plane, unser Haus noch stärker auf das Asset Management auszurichten.«

»Das würde unserem Risikoexposure sicherlich guttun. Sie wissen ja, ich war aus Sicht des Risikomanagements immer skeptisch gegenüber dem internationalen Geschäftsmodell. Immer, wenn zusätzliche Geschäftspartner ins Spiel kommen, steigen auch die Risiken. Man ist schließlich auf Gedeih und Verderb an die Ertragsentwicklung des Partners gebunden, hat aber auf dessen Geschäftspolitik kaum Einfluss, schon gar nicht, wenn er im Ausland residiert. Wird er insolvent, haben auch wir ein Problem. Im Asset Management dagegen handelt es sich ja um Zug-um-Zug-Geschäfte, du gibst mir und gleichzeitig gebe ich dir. Von daher sind hier Kontrahentenrisiken so gut wie nicht vorhanden.«

Er nickte zustimmend. »Ja, in der Tat. Bleibt nur die Frage, wie wir zusätzliches Asset-Management-Geschäft kreieren.«

»Vielleicht können wir dazu unsere exzellenten Beziehungen in Regierungskreise nutzen. Die brauchen doch Vermögensverwalter, jetzt, wo die Milliarden aus den Atomrückstellungen der Elektrizitätsversorger professionell in einem Staatsfonds gemanagt werden.«

Donnerwetter, die Kollegin hatte er ja wohl gründlich unterschätzt. »Eine sehr gute Idee, das werden wir in der Arbeitsgruppe ausführlich zu diskutieren haben. Ich hätte da noch die eine oder andere kleine Ergänzung, über die wir aber jetzt nicht reden können, dafür fehlt uns die Zeit. Wir können unsere Kollegen nicht noch länger warten lassen.«

Peter Nehmer geleitete mit einem hochzufriedenen Gesichtsausdruck Barbara Kohler aus seinem Büro.

Tanz der Finanzen

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