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ABSCHNEIDEN

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Er liebte Washington DC. Die Stadt hatte das Flair einer Machtmetropole, war aber gleichzeitig noch irgendwie beschaulich. Man konnte alles zu Fuß erreichen, es gab wunderbare Museen, erstklassige Restaurants und sehr viele geschichtsträchtige Denkmäler. Ihn persönlich zog es vor allem zum Vietnam-Memorial. Stundenlang konnte er auf den Namen seines Bruders starren, der dort inmitten der Namen vieler anderer Gefallener eingraviert war, als ob der dadurch wieder lebendig würde. Er war so ziemlich der einzige Mensch, zu dem er eine tiefere emotionale Beziehung gehabt hatte.

Heute allerdings hatte er schnurstracks den Weg zu seinem Büro am Woodland Park eingeschlagen. Er hatte ein volles Programm und vor allem musste er die leidige Affäre Konrad Pair entscheiden. Natürlich hatte der nur deswegen eine amerikanische Identität bekommen, damit er besser aus dem Weg geräumt werden konnte. Max Snyder ließ bei seinen Aktivitäten niemals lose Enden zurück. Und hier in den Staaten konnte er bei einem überraschenden Tod von Pair massiven Einfluss auf die polizeilichen Ermittlungen nehmen. Dadurch war sichergestellt, dass sie im Sande verlaufen würden. In Deutschland wäre so etwas nur äußerst schwierig zu bewerkstelligen gewesen.

Er wollte gerade die Treppe zum Eingang des unscheinbaren Gebäudes hochgehen, in dem sich seine nur Spezialisten bekannte Behörde befand, als sein Handy vibrierte. »Ja?«

»Max?«

»Ja.«

»Jerry hier, ich muss dich sprechen. Wo bist du?«

»Bin gleich in meinem Büro. Ist es dringend?«

»Mega.«

»Dann komm gleich, nachher bin ich im Stress.«

Er beendete das Gespräch und machte sich auf den Weg in sein Büro. Was hatte denn seinen Nachrichtenspezialisten nur so aufgescheucht? Der war doch sonst die Ruhe selbst. Und da war er auch schon, er hatte doch tatsächlich noch vor ihm sein Büro erreicht.

»Komm rein, Jerry. Was gibt es?«

»Du hattest mir doch ein Foto von diesem John Norton in die Hand gedrückt und mich gebeten, meine Lauscher aufzustellen. Hattest du dabei etwas Bestimmtes im Sinn?«

»Eher eine Ahnung. Nennen wir es Instinkt. Bist du über etwas gestolpert?«

»Gestolpert ist gut, gefallen trifft es eher. Schau dir das mal an. Ist das unser Kandidat?«

»Das ist er.« Max Snyder sah Jerry Darkin scharfan. »Woher stammen diese Aufnahmen und wer ist der Typ neben Norton auf dem Bild?«

»Das haben wir noch nicht raus.« Darkin hob die Hände. »Aber wir arbeiten daran. Diese Bilder stammen von einer Überwachungskamera im Frankfurter Flughafen. Wie du weißt, durchsuchen wir regelmäßig die uns von der deutschen Polizei überlassenen Filme nach verdächtigen Personen. Wenn du uns nichts gesagt hättest, wären uns die beiden nicht aufgefallen.« Darkin sah ihn bewundernd an. »Kein Wunder, dass du so gut bist.«

»Geschenkt. Jerry, schick mir Liam rein. Aber bitte unauffällig. Und ich will schleunigst wissen, wer der Typ neben Norton ist.«

Nachdem Darkin sein Büro verlassen hatte, ließ sich Snyder in seinen Sessel fallen. Dieser Mistkerl von Pair! Er sollte doch jeden Kontakt vermeiden. Nicht auszudenken, was der alles erzählt hatte. Er schlug mit der flachen Hand auf seinen Schreibtisch. Das war es dann ja wohl, Herr Norton. Damit hast du dein Todesurteil besiegelt. Max Snyder griff zum Telefon.

»Ilan, Max hier.«

»Hallo, Max. Was treibt dich um?« Die Stimme von Ilan Silberstein, dem nominellen Chef der Investmentfirma Silberstein und Partner in New York, klang wie fast immer sehr distinguiert.

»Wir hatten ja schon über unseren deutschen Freund gesprochen und die finale Möglichkeit erörtert. Jetzt sind neue Fakten aufgetaucht, die uns bestätigen und die Dinge beschleunigen. Ich schicke ihn zu dir nach New York. So etwas lässt sich in einer Millionenstadt besser bewerkstelligen.«

Trotz der aus Sicherheitsgründen unscharfen Ausdrucksweise verstand Silberstein perfekt, wovon Snyder sprach.

»Wen hast du ausgewählt? Liam?«

»Ja, Samuel steht ja nicht mehr zur Verfügung.«

»Gut, ich werde John Norton nach Ankunft bei mir mit Arbeitspapieren ausstatten und ihn dann in unsere Dependance auf Staten Island setzen. Da ist er ungestört und kann in Ruhe seinen Aufgaben nachgehen. Liam kann ihm dort assistieren.«

»Danke, Ilan.« Snyder trat ans Fenster und schaute nachdenklich in die Senke des Woodland Park hinab. Plötzlich schnippte er mit den Fingern und griff erneut zum Telefon.

»Jerry, habt ihr schon etwas?«

»Nein, Max, die deutschen Freunde haben unsere Anfrage noch nicht beantwortet.«

»Vergiss die, da kommt ohnehin nichts. Zapf die Fotodateien der Immigration-Jungs an. Alle Ausländer, die ESTA, Global Entry oder die Greencard beantragt haben, sind dort mit Passfotos festgehalten. Vielleicht ist unser Mann auch dabei.«

»Superidee, machen wir.«

Alles muss man selber machen, dachte Snyder. An alles muss unsereiner denken. Was machen die bloß, wenn ich mal nicht mehr da bin? Dabei war Jerry noch einer seiner besten Leute, aber auch ihm mangelte es manchmal an Fantasie. Bevor er sich noch tiefer in seinen Frust hineindenken konnte, betrat Liam Waggoner den Raum und setzte sich auf einen Wink vor seinen Schreibtisch.

Wortlos schob ihm Snyder die Fotos zu und wartete, bis Waggoner die Aufnahmen studiert hatte. Der ließ sich Zeit und sah sich jedes Bild mehrmals genau an. Er schien jedes gezeigte Detail in sich aufzusaugen. Dann zeigte er mit dem Finger auf Konrad Pair und sah Max Snyder an. Der nickte.

»Ganz richtig, unser neuer Kollege John Norton. Ich denke, Sie sollten seinen Arbeitsvertrag vorzeitig beenden. Am besten in New York, da fällt ein Toter mehr oder weniger kaum auf. Ich schicke ihn zu Silberstein, und die werden ihn im Büro auf Staten Island platzieren. Da haben Sie freie Bahn.«

»Können Sie mir ein paar Informationen über Norton geben? Ich weiß ganz gern, über welche Fähigkeiten mein Gegenspielerverfügt. Das erspart unliebsame Überraschungen.«

»Nun, er war zwar in Diensten unserer deutschen Freunde, aber nicht sehr aktiv. Die meiste Zeit hat er den Chefvolkswirt einer deutschen Bank gemimt. Ich glaube kaum, dass er Ihnen auch nur annähernd ebenbürtig ist.«

»Irgendwelche Jahre in der Armee, irgendwelche Spezialausbildungen?«

»Ach, Liam, jetzt hören Sie auf. Gut, er kann mit einer Waffe umgehen, das hat er ja kürzlich erst unter Beweis gestellt. Aber darüber hinaus traue ich ihm eigentlich nichts Besonderes zu.«

»Ist er etwa bewaffnet?«

»Natürlich, wie jeder hier hat er seine Standardausrüstung bekommen.«

»Na super. Was für eine Schulbildung hat er, wie ist seine Fitness, hat er Freunde in den Staaten, irgendwelche Angewohnheiten, Besonderheiten und dergleichen?«

»Was weiß ich, ich kenne den Mann ja kaum. Was ist bloß mit Ihnen los?«

»Sie kennen den Mann kaum, das genau ist das Problem, Herr Snyder. Ich kenne ihn überhaupt nicht, ich habe ihn nur einmal ganz kurz gesehen. Dieser John Norton stellt eine Unwägbarkeit dar, und Unwägbarkeiten mag ich in meinem Geschäft gar nicht. Wenn dieser Mann Chefvolkswirt war, dann hat er ein Hochschulstudium absolviert. Dann ist er nicht dumm, und das allein macht ihn zu einem Risiko. Mit welcher Begründung werden Sie ihm seinen Transfer nach New York schmackhaft machen?«

»Na, wie denn wohl? Plötzlich auftretende personelle Engpässe in New York bei der Analyse der aus Deutschland hereinkommenden Meldungen. Wir haben sonst niemanden, der Deutsch spricht. Das wird er wohl schlucken.«

Liam Waggoner schüttelte seinen Kopf, aber auch ohne diese Geste drückte seine Körpersprache Zweifel aus. »Wenn er das mal glaubt. In unserer Branche werden plötzlich auftretende Ereignisse grundsätzlich mit Misstrauen betrachtet. John Norton dürfte da keine Ausnahme sein.«

»Na, wenn schon, Sie werden das schon machen. Und jetzt muss ich Sie hinauskomplimentieren, ich habe mich auch noch um andere Dinge zu kümmern.«

Tanz der Finanzen

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