Читать книгу Tanz der Finanzen - Thomas Neiße - Страница 15

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An diesem Tag ging ihm das Wetter in London mal wieder so richtig an die Nerven. Es regnete in Strömen und Luke Donaldson hatte trotz seines großen Schirms Mühe, sich halbwegs trocken zu halten. Da das Auto nicht in Frage kam, trotz der Londoner City-Maut war der Verkehr ein Alptraum, war er im Wechsel mit Bus und U-Bahn unterwegs. Endlich an der Station Liverpool Street angekommen, verließ er erleichtert die durch die vielen durchnässten Leute muffige Luft der Bahn und strebte seinem Bürokomplex entgegen. Schon von weitem konnte er das erleuchtete Logo seiner Firma erkennen, das Licht der goldenen Buchstaben TRIN widerstand selbst dem durch den prasselnden Regen verursachten, die Sicht reduzierenden Dunst. Gottseidank war der Rest des Weges durch Arkaden weitgehend überdacht.

An seinem Gebäude angekommen, verriet ihm ein Blick auf die große Uhr in der Eingangshalle, dass er bis zum Beginn der Videokonferenz noch genügend Zeit hatte, um sich beim im Parterre befindlichen Starbucks einen Kaffee zu holen. Der ansonsten überall erhältliche typische englische Kaffee war für ihn, wie für fast alle Schotten, ungenießbar. Während er im Starbucks vor dem Counter Schlange stand, kreisten seine Gedanken bereits um die anstehende Online-Konferenz.

Er hatte keine Ahnung, warum Steve Burner mit ihm sprechen wollte. Er hatte seit dem Tod von Gerd Brauner nichts mehr von ihm gehört, und nun, urplötzlich, wollte er mit ihm konferieren. Laut Lydia würde auch Francois Monterrin der Dritte im Bunde sein. Und das, obwohl, wie er hundertprozentig wusste, Francois den lieben Steve am liebsten auf den Mond schießen würde. Zwischen den beiden gab es irgendeine Unstimmigkeit noch aus gemeinsamen New Yorker Zeiten. Donaldson zuckte innerlich mit den Schultern. Letztendlich war das nicht sein Problem. Aber dass Francois dabei sein würde, verdeutlichte die Wichtigkeit dessen, was Steve ihnen mitzuteilen hatte. Und es schien dringend zu sein, denn in New York dürfte es gerade mal vier Uhr morgens sein, selbst für den notorischen Frühaufsteher Burner war das sehr früh.

Als er mit dem Kaffee seinen Flur erreichte und das Großraumbüro betrat, signalisierte ihm seine Assistentin Lydia Cummings schon von weitem mit gespreizten Fingern die 10 Minuten bis zum Konferenzbeginn. Er warf ihr einen ironischen Handkuss zu und steuerte seinen, nur durch Glaswände abgetrennten, Schreibtisch an. Dann winkte er sie herein.

»Morgen, irgendetwas Wichtiges in den Mails?«

»Nichts, was nicht warten könnte. Du bist spät dran heute, irgendein Problem, abgesehen vom Wetter?« Und als keine Antwort kam: »Der Wirtschaftsprüfer will dich sprechen. Es sieht so aus, als ob er ein Problem mit der Bewertung unserer Fonds hat.«

»Hat er sich genauer geäußert?«

»Nö, aber er hat sehr geheimnisvoll getan.«

Donaldson schnaubte verächtlich. »In welchem Raum ist die Konferenz?«

»In der 4. Die Verbindung steht schon.«

»Okay, bis dann.«

Im Konferenzzimmer angekommen, ließ er sich in einen Sessel fallen und trank genüsslich aus seinem Starbucks-Becher. Dann knabberte er nachdenklich an den Keksen, die Lydia ihm noch schnell in die Hand gedrückt hatte. Was wollte bloß dieser nervige Wirtschaftsprüfer von ihm? Vermutlich ging es mal wieder um die von der TRIN angewandte Methode bei der Wertermittlung der Fondsbestandteile. Darauf hatte der schon die letzten Male herumgehackt.

»Hi, Luke, so vertieft in Gedanken?«

Ups, er war also schon live.

»Hallo Steve, lange nicht gesehen. Wie geht es dir?«

»Wir haben uns das letzte Mal in Paris gesehen, zusammen mit Gerd und Francois. Apropos Francois, der sollte doch auch schon zugeschaltet sein.«

Genau in diesem Moment erschien ein weiterer Bildausschnitt auf dem Monitor.

»Ich bin schon hier, mes amies. Ich habe nur geschwiegen, um eure überschwängliche Begrüßung nicht zu stören.«

»Hallo Francois, nett, wieder französische Ironie zu spüren.« Donaldsons Mundwinkel zuckten und in seiner Stimme schwang eine gehörige Portion Amüsement mit. »Da leider Gerd nicht mehr unter uns weilt, werde ich jetzt mal den Moderator spielen, ich meine, falls ich keinen Widerspruch höre.«

»Ihr Engländer habt über Jahrhunderte die ganze Welt moderiert, dann wirst du das bisschen mit uns auch schaffen. Wir Franzosen treten gern in die zweite Reihe zurück.«

Oha, wie war denn der gute Francois heute drauf, das konnte ja heiter werden.

»Okay, Steve, da ich nichts von dir höre, wäre es am besten, du erklärst uns, was denn so Dringendes anliegt. Und dringend muss es ja sein, wenn du dir die halbe Nacht um die Ohren schlägst.«

»Eigentlich die ganze Nacht. Aber lassen wir das, kommen wir zur Sache. Eine gewöhnlich gut unterrichtete Quelle hat mir geflüstert, dass die internationale Bankenallianz, welche die Wertebank aufgebaut hat, nicht mehr fliegt. Unsere Allamo Trust will aussteigen, und das gilt wohl auch für die Shanghai Corporation. Das allein wäre schon ausreichend, gegen die Wertebank-Aktie zu wetten. Aber es kommt noch besser. Beide haben sich diesbezüglich bis jetzt wohl nur verbal geäußert, und genau deswegen gibt es noch keine Ad-hoc-Mitteilung der Wertebank. Die wird aber über kurz oder lang erfolgen müssen und entsprechend negative Kursreaktionen nach sich ziehen. Das ideale Szenario also, um zwischenzeitlich die Aktie zu shorten.«

Francois Monterrin ergriff nach einer Denkpause als Erster das Wort. »Fangen wir doch einfach noch einmal von vorn an, Steven. Wer war diese gut unterrichtete Quelle?«

Steve Burner wand sich offensichtlich. »Das tut doch nichts zur Sache. Wenn ich euch sage, sie ist Top of the Top, dann reicht das ja wohl.«

»Oh Steven«, jetzt war der französische Akzent sehr ausgeprägt, ein sicheres Zeichen der inneren Anspannung von Monterrin, »wir kennen dich ja auch ein wenig. Deshalb kann ich mich nicht auf dein Wort verlassen. Wer also ist deine Quelle?«

Luke Donaldson musste die Selbstbeherrschung von Steve Burner bewundern. Früher wäre er geplatzt. Andererseits zeigte ihm das aber auch, wie wichtig ihm das Thema war. »Also gut, meine Quelle ist Ilan Silberstein.«

Na, das wurde ja immer besser, wo die Silbersteins waren, war die amerikanische Regierung nicht weit.

»Wieso wollen die der Wertebank an den Karren fahren?«

»Keine Ahnung, Luke. Vielleicht sind die einfach noch sauer. Die hatten doch Gerd bei seinem Übernahmeversuch unterstützt, und wie wir wissen, ist die Sache damals ja gescheitert.« Bevor Donaldson weiterbohren konnte, war wieder Monterrin zu vernehmen: »Also, ich fasse einmal zusammen. Die amerikanische Regierung, oder sollte ich sagen die Silbersteins wollen, warum auch immer, der Wertebank ans Bein pinkeln. Sie wollen das aber nicht selber machen, sondern dich, Steven, und möglichst auch uns vorschicken. Warum sollten wir dieses Spiel mitspielen?«

»Na, das versteht sich doch von selbst«, wie die heftige Handbewegung verdeutlichte, kam jetzt doch eine leichte Gereiztheit bei Burner auf, »weil wir dabei richtig Geld verdienen. Wir bauen Leerverkäufe auf und decken die ein, wenn der Kurs so richtig in den Keller gerauscht ist. Solche Szenarien sind doch ideal, um unsere Performance aufzupeppen.«

»Und warum kaufen wir uns nicht einfach Verkaufsoptionen?« Luke Donaldson konnte sich bequem zurücklehnen, Francois übernahm offenbar die ganze Diskussion mit Steve.

»Leerverkäufe sind die coolere Idee. Die müssen offengelegt werden, wenn sie 0,5 Prozent des Grundkapitals ausmachen. Ilan hat das ausbaldowert. Dann sehen andere Investoren, es gibt eine oder besser noch mehrere Shortpositionen am Markt und werden die Wertebank-Aktien meiden wie die Pest. Damit verstärkt sich deren Abwärtstrend noch.«

Steve Burner sah sehr selbstgefällig drein, bis sich Monterrin wieder meldete: »Und was ist, wenn einer dieser Investoren gegen uns spekuliert, die Aktien nach oben zieht und wir dann Hals über Kopf Wertebank-Aktien zurückkaufen müssen, um unseren Short zuzumachen?«

»Francois, was ist nur heute los mit dir? Wenn wir drei gemeinsam agieren, ist ein solches Szenario extrem unwahrscheinlich. Welcher Investor hat denn genug Volumen, um sich gegen uns zu stellen?«

»Warren Buffet zum Beispiel.«

»Also bitte, jetzt bleib mal ernst. Das Ganze ist doch eine todsichere Angelegenheit. Wir bauen unsere Shorts ja auch nicht für ewig auf. Wir könnten sie ja auf drei Monate terminieren, je nachdem, was gerade am Markt angeboten wird. Drei Monate sollten für unser Vorhaben mehr als ausreichend sein. Die Wertebank wird das schriftliche Aufkündigen der Bankenallianz in zwei bis drei Wochen bekommen. Dann müssen die eine Ad-hoc-Mitteilung herausgeben und damit die Börse informieren. Zeit genug, um uns entsprechend zu positionieren.«

Es war nicht zu glauben, aber der gute Francois hatte immer noch etwas zu sagen: »Dann sage mir, Steven«, wieder diese französische Betonung des Namens, »dann sage mir, warum wir uns mit Shorts begnügen sollen. Warum spekulieren wir nicht gegen die Wertebank mit dem Ziel, sie zu zerschlagen? Wir übernehmen die Mehrheit, setzen das Management an die Luft und verkaufen die Einzelteile an andere Banken oder bringen sie in einem neuen Gewand an die Börse. Dann verdienen wir doch doppelt.«

Dieser abgefeimte Kerl, dachte Luke Donaldson, der kann doch nie den Hals vollkriegen. Die Idee an sich hatte aber etwas Bestechendes. Zuerst mit den Leerverkäufen richtig Geld verdienen und dann dieses Geld für Aktienkäufe verwenden. Das war es wert im Hinterkopf zu behalten. Aber jetzt galt es erst einmal, seiner Rolle als Moderator gerecht zu werden. »Das ist eine hochinteressante Idee, Francois, die wir unbedingt noch weiter vertiefen sollten. Ich denke, unsere Assistenten sollen weitere Termine für Videokonferenzen ausmachen. Aber jetzt werden wir uns erst einmal auf das Naheliegende konzentrieren. Ich für meinen Teil muss zunächst meinen Research ankurbeln. Ich hoffe, Steve, du verstehst, dass für derartig weitreichende Aktionen ich meine eigenen Erkenntnisse brauche. Ich glaube, das gilt auch für dich, Francois. Wie wäre es mit einer weiteren Konferenz am, sagen wir nächsten Montag, um uns dann noch einmal auszutauschen und die weitere Strategie zu besprechen«, und nach einem zustimmenden Okay von allen Seiten, »gut, wir sollten dann aber später anfangen, damit Steve ausgeschlafen ist. Bis dann, mes amies.«

Luke Donaldson wartete nicht ab, bis die Monitore dunkel wurden, sondern stand sofort auf und ging zu seinem Schreibtisch zurück. Dann rief er nach Lydia. »Ich will sofort unseren Bankanalysten sprechen, der Pit soll alles stehen und liegen lassen und zu mir kommen.«

Der Pit hieß eigentlich Peter Steiner, war ein ausgesprochener Spezialist für Banken und arbeitete schon seit zehn Jahren für die TRIN. Er war auch sogleich zur Stelle. Wie alle in der True Investment wusste er, dass Luke Donaldson sehr ungehalten werden konnte, wenn seine Anweisungen nicht sofort umgesetzt wurden.

»Luke, wo brennt es?«

»Schau dir die Wertebank an. Da scheint etwas faul zu sein. Konzentriere dich insbesondere auf deren Bankenallianz. Ich brauche eine Analyse über die Auswirkungen, falls die auseinanderfliegt.«

»Hast du diesbezüglich irgendwelche Informationen?«

Donaldson zögerte einen Moment. »Schau dir das einfach mal an. Ist deren Geschäftsmodell auch ohne diese internationale Bankenallianz tragfähig? Was wären eventuelle Alternativen und wie schnell könnten die umgesetzt werden? Das sind so die Fragen, die mich interessieren. Und ich brauche möglichst schnelle Antworten.«

»Wie schnell?«

»Gestern.«

»Verstehe, dann ist es wohl besser, wenn ich hier nicht länger herumhänge.«

Donaldson machte eine zustimmende Handbewegung und rief etwas später Hank Morris, seinen Chef von der Handelsabteilung an.

»Hank, Luke hier, check mal die Bedingungen am deutschen Aktienmarkt für Leerverkäufe bei der Wertebank. Und der Teufel soll dich holen, wenn davon auch nur die leiseste Andeutung nach draußen dringt. Ich hoffe, wir verstehen uns.« »Vollkommen, Luke, wird erledigt.«

Luke Donaldson trank seinen letzten Schluck Kaffee und entspannte sich dabei ein wenig. Er hatte nun alle notwendigen Schritte unternommen und konnte jetzt nur noch auf die Ergebnisse warten. Die Entspannung war allerdings nur von kurzer Dauer.

»Der Washborne ist jetzt da.«

Donaldson sah Lydia Cummings zwar missbilligend an, winkte den Wirtschaftsprüfer aber in sein bescheidenes Büro. Es war offensichtlich, dass der mehr als nervös war. Das konnte nur extrem schlechte Nachrichten bedeuten.

»Also, Herr Washborne, was kann ich für Sie tun?«

»Nun, Herr Donaldson, wir haben über die Bewertungen Ihrer Fonds ja schon öfter gesprochen. Das Problem ist aber nach wie vor gegeben. Bei der Bewertung der Einzelpositionen in Ihren Fonds benutzen Sie für asiatische Werte die Schlusskurse des vorherigen Handelstages, für die europäischen Werte die Mittagskurse und für die amerikanischen Werte die Eröffnungskurse, da die Zeitdifferenz in die USA fünf Stunden beträgt. Das bedeutet in letzter Konsequenz, dass die Wertstellung der Fondsanteile willkürlich berechnet wird.«

»Aber das machen doch alle Fondsgesellschaften so.«

»Deswegen ist diese Methode aber nicht richtig. Wir brauchen ein Verfahren, welches zu einem bestimmten Zeitpunkt alle Kurse weltweit erfasst. Wie das genau aussehen soll, wird derzeit in einer Arbeitsgruppe des Finanzministeriums erarbeitet. Auch ich gehöre dieser Gruppe an und ich bin beauftragt worden, Sie zu fragen, ob Sie dieser Arbeitsgruppe beitreten wollen.«

»Na, wenn das Ihr einziges Problem ist, dann ist das einfach zu lösen. Selbstverständlich werde ich dabei mitarbeiten. Vielleicht ersetzt mich hier und da einer meiner Mitarbeiter, aber im Prinzip bin ich natürlich dabei.«

Jake Washborne ignorierte die unausgesprochene Verabschiedung, er hatte offensichtlich noch etwas auf dem Herzen. »Herr Donaldson, wir sollten uns dann auch überlegen, wie wir folgendes Problem aus der Welt schaffen. Wie gesagt, Sie bewerten mittags unserer Zeit mit allen Unzulänglichkeiten, über die wir ja schon gesprochen haben. Veröffentlicht werden die Preise für die Fondsanteile aber manchmal erst um 16 Uhr. Dazwischen liegen also mehrere Stunden, in denen faule Orders abgewickelt werden können.«

»Wollen Sie damit andeuten, dass bei unseren Fonds unsaubere Handelspraktiken angewandt werden?«

»Ich will gar nichts andeuten. Ich will nur darauf hinweisen, dass, wenn jemand den Wert der Mittagsberechnung kennt, dieser dann aber erst Stunden später veröffentlicht wird, er mehrere Stunden Zeit hat, nämlich bis zur Veröffentlichung, daraus einen Nutzen zu ziehen.«

Der Tag war zwar erst wenige Stunden alt, aber Luke Donaldson fühlte sich bereits unendlich müde.

»Danke, Herr Washborne, ich werde das zunächst mit meinen Mitarbeitern diskutieren und komme dann auf Sie zu.«

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