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ANGRIFFSPLANUNG

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Der Flug vom Washingtoner Ronald Reagan zum New Yorker La Guardia Airport war eine einzige Schüttelei. Die Ausläufer eines massiven Sturmtiefs in den Carolinas warfen das Flugzeug hin und her. Mehr als einmal erwartete er das Abbrechen eines Flügels, aber die betagte Boeing versah tapfer ihren Dienst. Offenbar war auch den anderen Fluggästen mulmig, denn im Flugzeug war es verdächtig ruhig. Lediglich die Stewardess sah auf ihrem Sitz, auf dem auch sie sich zur Sicherheit angeschnallt hatte, ziemlich unbeeindruckt aus. Ihm jedenfalls reichte es und er war heilfroh, als die Landung relativ problemlos klappte. Hastig verließ Max Snyder, sobald es ging, den Flieger und atmete tief durch.

Am Ausgang des Flughafengebäudes erspähte er Ilans Fahrer, der ihm seinen Aktenkoffer abnahm und ihn zu der etwas entfernt parkenden Limousine lotste. Dankbar ließ er sich auf den Rücksitz fallen und versuchte, sich zu entspannen. Er schloss die Augen und praktizierte ein wenig autogenes Training. Der Chauffeur ließ ihn gewähren, er wusste von früheren Gelegenheiten, welch unangenehmer Zeitgenosse sein heutiger Fahrgast sein konnte.

Die Fahrt zum Rockefeller Plaza war erfreulich kurz, von dem sonst üblichen Gedrängel auf den Straßen war diesmal nichts zu sehen. Max Snyder stieg aus und hastete in das Rockefeller Center zu dem für Silberstein reservierten Aufzug. Durch seine Chipkarte aktiviert, öffneten sich dessen Türen und nach seinem Eintreten setzte sich der Aufzug zum vorprogrammierten Stockwerk in Bewegung. Dort angekommen, führte ihn ein wartender Mitarbeiter zum Büro der Investmentlegende Ilan Silberstein, der sich bei seinem Eintritt sofort erhob.

»Hallo Max, schön, dich zu sehen. Setz dich.«

Wie immer war Ilan Silberstein makellos gekleidet, seine gepflegte Erscheinung und sein schlohweißes, volles Haar verliehen ihm eine unnachahmliche Grandezza. Hinzu kamen, wie Snyder wusste, perfekte Manieren und eine sehr kultivierte Sprache. Das waren alles Dinge, die niemand von ihm behaupten würde. Er war eher der hemdsärmelige Typ, der keinerlei Empathie ausstrahlte. Aber wie er wusste, war auch bei Ilan nicht alles Gold, was glänzte.

»Hallo Sir, leider habe ich nicht so tolle Nachrichten.«

Ilan Silberstein stellte eine geöffnete Flasche Wasser und zwei der in den USA unvermeidbaren Pappbecher auf den Besuchertisch und nahm gegenüber von Snyder Platz. »Schieß los.«

»Also, die Nummer mit dem Pair kennst du ja.«

»Ja, der ist uns hier in meiner Stadt entwischt, also eigentlich ist er euch entwischt. Auf jeden Fall hat er uns ganz schön blamiert.«

Als Silberstein Snyders griesgrämigen Gesichtsausdruck bemerkte, fügte er hastig hinzu: »Solche Dinge passieren, deswegen solltest du keine Magengeschwüre bekommen. Mir ist nur nicht klar, warum Liam den Studenten umbringen musste.«

»Das weiß ich auch nicht, das war völlig überflüssig. Auf jeden Fall ist dieser Pair in Deutschland wieder aufgetaucht.«

»Dann ist ja alles gut, wir schnappen ihn uns eben dort.«

»Eben nicht. Mich hat dieser Kaminski vom BND angerufen. Pair hat sich bei ihm gemeldet, deswegen wissen wir ja auch, dass er in Deutschland ist. Der Typ hat dem Kaminski eiskalt erklärt, dass er an drei Stellen, die er nicht näher bezeichnete, Aufzeichnungen, Dokumente und was weiß ich noch alles deponiert hat. Diese Papiere würden detailliert unsere Aktivitäten belegen und im Falle seines plötzlichen Todes veröffentlicht. Er will wieder ein normales Leben führen und nichts mehr von Geheimorganisationen wissen.«

Silberstein lehnte sich in seinem Sessel zurück und sah Snyder prüfend an.

»Dann lassen wir ihn doch in Ruhe. Von sich aus wird er sicher nicht reden, dann würde ja auch seine eher unrühmliche Rolle in dieser Angelegenheit näher beleuchtet. Daran kann nun wiederum ihm nicht gelegen sein«, und nach einem weiteren prüfenden Blick, »aber daran scheinst du kein Interesse zu haben. Ist da noch mehr?«

»Ja, du bist auf dem richtigen Dampfer, Kaminski hat noch einmal angerufen.«

»Jetzt lass dir doch nicht alles aus der Nase ziehen. Worum ging es diesmal?«

»Er hat von einem Informanten in der bayerischen Partei gehört, dass die Wertebank in Berlin mit einem großen Projekt vorstellig werden will. Ziel ist es, angesichts der praktisch nicht vorhandenen Zinsen die deutsche Regierung dazu zu bringen, am Kapitalmarkt reichlich Geld aufzunehmen und so eine Art Bürgerfonds zu gründen. Die Rede ist von 500 Milliarden in einem ersten Schritt. Dieses Geld soll dann höher rentierlich in den Aktienmarkt investiert werden. Natürlich will die Wertebank dann zunächst die Kapitalaufnahme über Anleihen und danach die Aktieninvestments dieses Fonds managen.«

Es dauerte eine Weile, bevor Silberstein das Wort ergriff, und diesmal war seine Stimme verdrießlich.

»Das darf auf keinen Fall passieren. Wenn die Deutschen damit Erfolg haben, machen die anderen Staaten in Europa das nach. Das bedeutet einen riesigen Kapitalstrom von unseren Börsen weg in die europäischen Finanzmärkte. Das könnte dazu führen, dass unsere bisherige dominierende Rolle auf den weltweiten Kapitalmärkten zumindest abgeschwächt wird, wenn nicht gar der Vergangenheit angehört. Stell dir das mal vor. Die fegen mit ihrer Kreditaufnahme unseren Anleihemarkt leer und blasen mit diesem Geld gleichzeitig ihre Aktienmärkte auf. Wir können dann dem Rest der Welt nicht mehr vorschreiben, was sie zu tun und zu lassen haben. Wir können sie dann nicht mehr mit dem Zugang zu unseren Kapitalmärkten erpressen. Diese bisher erfolgreiche Strategie, entweder ihr macht, was wir wollen oder wir schneiden euch von unseren Börsen ab, können wir uns dann abschminken. Unser politischer Einfluss wäre dahin, denn ausländische Unternehmen würden sich einen Dreck um unsere jeweils erlassenen Handelssanktionen gegenüber anderen Staaten kümmern. Wir könnten nur noch zusehen, wie unsere Politik ins Leere läuft. Längerfristig wäre sogar die Position unseres Dollars als führende Weltwährung in Gefahr. Eine absolute Katastrophe wäre das.«

Jeden seiner Sätze unterstrich er dabei mit einem Schlag seiner flachen Hand auf den Tisch.

»Jetzt, mein lieber Ilan, kennst du den wahren Grund für meine schlechte Laune. Wir müssen das verhindern, ich weiß nur noch nicht, wie.«

Wieder sah Ilan Silberstein lange nachdenklich an die Decke, dann schaute er plötzlich Max Snyder an. »Hast du Hunger?«

»Mann, wie kannst du jetzt ans Essen denken?«

»Na, ich habe jedenfalls Hunger, und wenn ich Hunger habe, kann ich nicht denken. Ich lass uns mal ein paar Sandwiches machen. Außerdem muss ich etwas abklären. Und du, entspann dich in der Zwischenzeit, es wird nichts so heiß gegessen, wie es gekocht wird.«

Mit diesen Worten verließ er das Besprechungszimmer und ließ einen leicht konsternierten Snyder zurück. Bevor der sich jedoch über das merkwürdige Verhalten Silbersteins wundern konnte, vibrierte sein Handy.

»Ja?«

»Ich habe den Kaminski in der Leitung.«

Die Stimme von Linda Herzog war wie immer unaufgeregt.

»Stellen Sie durch.«

Kurz darauf signalisierte das veränderte Geräusch im Handy den neuen Gesprächspartner.

»Snyder.«

»Hier ist noch einmal Ihr Asset aus Deutschland.«

»Schon gut, Kaminski, was gibt es?«

»Die Wertebank wird ihre Präsenz in Berlin ausbauen. Zum Leiter der dortigen Filiale wurde ein früherer, hochrangiger Mitarbeiter ernannt. Dreimal dürfen Sie raten, wer das ist.«

»Konrad Pair.«

Die Stimme von Snyder hatte wieder diesen unangenehmen schrillen Tonfall.

»Genau der.«

»Danke, Herr Kaminski, Sie haben etwas gut bei mir.«

Kaum hatte er sein Gespräch beendet, als sein kongenialer Partner zurückkam. Kurz informierte er ihn über das soeben Gehörte. Seelenruhig nahm Silberstein eines der in diesem Moment gebrachten Sandwiches, biss genüsslich hinein und schaute sinnierend an die Decke. Schließlich sagte er: »Das passt ins Bild, nicht wahr? Aber es ist ein Fehler von denen, eigentlich ein großer Fehler. Wir haben dadurch einen weiteren Angriffspunkt. Es dürfte ziemlich leicht fallen, diesen Pair und damit auch die Wertebank zu diskreditieren. Wir müssen nur in Berlin die Tatsache betonen, dass nun ein verurteilter Mörder die Repräsentanz der Wertebank in Berlin darstellt.«

Max Snyder nickte beifällig. »Wer soll die deutschen Politiker und die Öffentlichkeit darauf stoßen? Unser Botschafter?«

»Nein, der ist schon zu oft in diplomatische Fettnäpfchen getappt. Dem hört keiner mehr zu. Das gilt leider auch für unseren Präsidenten. Auch den können wir hier nicht einsetzen, von wegen direkter Draht zum deutschen Kanzler. Ich denke, wir sollten dafür den Wirtschaftsattaché benutzen. Der hat doch gute Beziehungen ins Finanzministerium, insbesondere zu diesem Staatssekretär, diesem …«

»Du meinst diesen Kerl, der früher selber mal hier in Wall Street gearbeitet hat, diesen Herrn, wie war doch gleich der Name, Keller, Koller, nein, Krämer, Dieter Krämer.«

»Genau den meine ich, dein Namensgedächtnis ist besser als meines.«

»Vorhin hast du von einem weiteren Angriffspunkt gesprochen?«

»Ja, Max, wie gesichert ist mittlerweile das Scheitern der Bankenallianz?«

»Ziemlich gesichert. Sowohl die Allamo Trust als auch die chinesischen Freunde haben der Wertebank ihren Rückzug aus dieser globalen Allianz mitgeteilt.«

»Mitgeteilt. Wie haben sie das gemacht? Verbal oder auch schriftlich?«

»Soweit ich weiß, erst einmal nur verbal. Warum ist das so wichtig?«

»Das will ich dir sagen. Wenn ein börsennotiertes Unternehmen Kenntnis von einem kursbeeinflussenden Ereignis erhält, ist es gesetzlich verpflichtet, dies in einer sogenannten Ad-hoc-Mitteilung allen anderen Börsenteilnehmern zukommen zu lassen. Der Sinn dieser Regelung ist, dass alle Marktteilnehmer bei Kauf oder Verkauf von Aktien den gleichen Wissensstand haben sollen. Niemand darf im Besitz von privilegierenden Informationen sein.«

»Lass mich raten, die Wertebank hat noch keine derartige Mitteilung veröffentlicht.«

»So ist es. Der legale Grund dafür kann nur das Fehlen eines offiziellen schriftlichen Dokumentes sein. Lediglich auf Grund von verbalen Informationen gibt kein Unternehmen eine Adhoc-Mitteilung heraus. Du weißt ja selbst, wieviel Unsinn in unserer Branche jeden Tag geredet wird, wenn man da jedes Mal …«

Silberstein ließ den Rest des Satzes in der Luft hängen und nahm die Betrachtung der Decke seines Büros wieder auf. Max Snyder ließ ihn zunächst gewähren, er kannte ja dessen Marotten mittlerweile. Aber nach einer Weile wurde er dann doch ungeduldig.

»Das bedeutet, wir schwärzen die Wertebank auch damit an?« Silberstein sah ihn mitleidig an. »Nein, wir machen das viel schlauer. Das entscheidende Asset der Wertebank ist ihr Aktienkurs, und wir, mein Freund, spekulieren auf fallende Kurse.«

»Und wie soll das gehen?«

»Max, hast du denn gar nichts von mir gelernt? Wir machen Shorts auf und lassen das die Börse wissen. Genauer gesagt, wir lassen Shorts aufmachen. Mit anderen Worten, wir sorgen für Leerverkäufe in Wertebank-Aktien. Das heißt, jemand verkauft deren Aktien auf Termin, sagen wir auf drei Monate, obwohl er die noch gar nicht besitzt. Er muss also erst die Aktien in drei Monaten liefern. Fällt bis dahin der Kurs, kann er die Papiere günstiger an der Börse kaufen.«

»Und das funktioniert?«

»Natürlich, das ist doch auch nichts anderes, als wenn du heute zehn Liter Wein verkaufst, gleichzeitig aber auch das Recht erwirbst, dem Kunden den Wein erst in drei Monaten zu liefern. Sinkt der Weinpreis, kannst du die zehn Liter billiger einkaufen und den Wein liefern. Die Differenz zwischen deinem Verkaufspreis plus die Gebühr für das spätere Liefern und dem von dir dann tatsächlich zu zahlenden Preis für den Wein ist dein Gewinn.« »Und wenn der Preis steigt?«

»Dann bist du gekniffen und machst einen fetten Verlust. Also müssen wir für fallende Kurse sorgen. Das passiert einmal durch die Leerverkäufe an sich. Wenn diese ein Volumen von einem halben Prozent des Grundkapitals, in diesem Fall der Wertebank, ausmachen, greift die Meldepflicht. Das bedeutet, die Position wird öffentlich gemacht. Wenn wir nun mehrere Asset Manager dazu bringen, derartige Leerverkäufe zu tätigen, diese dann ihre Positionierung offenlegen müssen, wird die sehr hellhörige Börse Probleme bei der Wertebank wittern und sich entsprechend verhalten. Sie werden also keine Wertebankaktien mehr kaufen, vermutlich ihre Bestände sogar verkaufen. Das allein bringt den Kurs schon nach unten. Und dann kommt von uns zusätzlich der Hinweis auf das Scheitern der Bankenallianz und die fehlende Ad-hoc-Mitteilung. Dann bleibt der Bank nichts anderes übrig, als unsere Meldung zu bestätigen. Das dürfte dem Kurs den Rest geben.«

»Du bist ganz schön raffiniert, Ilan. Das wird die Wertebank ordentlich ins Schwitzen bringen.«

»Natürlich. Je niedriger der Aktienkurs, desto niedriger der an der Börse gehandelte Unternehmenswert, desto größer die Wahrscheinlichkeit einer Übernahme durch Andere. Lass mich mal mit Steve Burner vom Pensionsfonds Relax reden, vertraulich natürlich. Und du sorgst dafür, dass die schriftliche Allianzabsage noch einige Wochen auf sich warten lässt. Wir brauchen ein wenig Zeit.«

Als Max Snyder den Rückflug nach Washington DC antrat, hatte sich seine Laune merklich gebessert.

Tanz der Finanzen

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