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Dapples’ Strategie – Nestlé findet mit neuen Konzepten aus der Krise Die Neuorientierung des Unternehmens unter Louis Dapples

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In Anbetracht der drückenden finanziellen Probleme sah sich der Verwaltungsrat der Nestlé & Anglo-Swiss im Mai 1922 gezwungen, den Finanz- und Wirtschaftsexperten Louis Dapples als Krisenmanager beizuziehen. Dapples war in einer Schweizer Bankiersfamilie in Genua aufgewachsen und lange Zeit im internationalen Bankgeschäft tätig gewesen. Unter seiner Leitung wurde der angeschlagene Grosskonzern in den 1920er-Jahren reorganisiert und damit auf ein neues Fundament gesetzt.

Erstens wurde die bisher unvollständige Verschmelzung zwischen der Nestlé und der Anglo-Swiss mit der Zentralisierung der Unternehmensführung 1922 in London endgültig vollzogen. Die Bündelung der drei Hauptsitze in Cham, Vevey und London an einem Ort führte nicht nur zu einem schlankeren Verwaltungsapparat, sondern ermöglichte dem Unternehmen auch, wesentlich schneller Entscheidungen zu treffen. 1924 wurde die Leitung schliesslich von London nach Vevey verlegt. 1925 vollzog Nestlé den Schritt vom Familien- zum modernen Managerunternehmen, indem die Unternehmensführung erstmals Berufsmanagern anvertraut wurde. Zu den Persönlichkeiten, welche in die neue Direktion berufen wurden, gehörte unter anderem auch Eduard Müller, der 1937 zum Nachfolger von Louis Dapples ernannt werden sollte.244

Zweitens schreckte Dapples, dem nachgesagt wurde, er verfüge über eine eiserne Hand und eine stählerne Faust, auch vor harten Massnahmen nicht zurück, die bisher im Verwaltungsrat keine Mehrheit gefunden hatten: Das defizitäre Amerikageschäft245 wurde 1925 dem US-Unternehmen Borden zum Kauf angeboten. Borden war allerdings nicht bereit, den von Nestlé gewünschten Preis zu bezahlen, worauf Dapples die gesamte Produktion in Amerika reorganisierte, um die Verluste auf ein Minimum zu reduzieren.246 Zahlreiche Milchfabriken in den Vereinigten Staaten wurden daraufhin verkauft und Milchbetriebe in Australien, Grossbritannien und der Schweiz geschlossen. Zusammen mit erheblichen finanziellen Opfern der Aktionäre konnten dadurch bis im November 1925 alle ausstehenden Schulden des Unternehmens bei den Banken getilgt werden.247

Mit diesen Massnahmen brachte Dapples nicht nur kurzfristig die Finanzen wieder ins Lot, sondern beendete auch die bisherige Strategie der Nestlé & Anglo-Swiss, sich mit Grössenvorteilen eine Vormachtstellung auf den weltweiten Kondensmilchmärkten zu verschaffen. Stattdessen formulierte er 1923 neue strategische Ziele, welche das Schweizer Unternehmen bis heute prägen.

Wie im Folgenden gezeigt wird, umfassten diese neben einer Rationalisierung der Verwaltung und Produktion auch eine Rückkehr von einer Massen- zu einer Markenpolitik, eine Reorganisation der geografischen Unternehmensstruktur sowie die Entwicklung neuer Produkte.248 Ausserdem stellte die Krise von 1921 den Beginn einer äusserst vorsichtigen Finanzpolitik des Unternehmens dar, welche auch nach der finanziellen Genesung beibehalten und bis in die 1980er-Jahre fortgeführt wurde: Mit Gewinnausschüttungen an die Aktionäre wurde sehr vorsichtig umgegangen und die weitere Expansion des Unternehmens sowie Akquisitionen von anderen Unternehmen zu 100 Prozent aus eigenen Mitteln finanziert.249

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