Читать книгу Flagschiff Nescafé - Nestlés Aufstieg zum grössten Lebensmittelkonzern der Welt - Thomas P Fenner - Страница 30
Vom Milch- zum Kaffeepulver – Nestlé bringt Nescao, Milo und Nescafé hervor Nestlés erste Schritte mit Milchpulver und pulverisierter Kindernahrung
ОглавлениеNestlés erstes Kindernahrungsmittel auf der Basis von Milchpulver wurde 1921 unter der Marke Lactogen vertrieben, welche durch die Übernahme der australischen The Baccus March Concentrated Milk Company zum Unternehmen gestossen war. Das speziell für Kleinkinder präparierte Milchpulver, dessen Zusammensetzung der Muttermilch angenähert worden war, wurde damals auf dem Prinzip der Walzentrocknung hergestellt, welches auch zur Herstellung von Milchschokolade verwendet wurde.300 Nestlé verkaufte und bewarb Lactogen vor allem in den tropischen Gebieten Asiens, Afrikas und Lateinamerikas.301 In Europa dagegen wurde die australische Pulvernahrung für Kinder nicht allzu stark vermarktet, weil dies negative Vorurteile gegenüber der gezuckerten Kondensmilch hätte hervorrufen können, die damals die wichtigste ökonomische Stütze des Unternehmens war.302
Parallel dazu bot die Nestlé & Anglo-Swiss von Norwegen aus das Milchpulver Molico an, welches explizit nicht als Kindernahrung verkauft wurde, sondern zur Zubereitung von Kaffee, Tee und Kakao sowie zur Herstellung von Milchglacen empfohlen wurde.303 Anders als Nestlés bisherige Verfahren beruhte die Milchtrocknung von Molico nicht auf der Vakuum- oder Walzentrocknung, sondern auf einem Sprühtrocknungsverfahren, welches sich das Schweizer Unternehmen 1916 mit der Übernahme der Firma Egron erworben hatte.304 Mit dem Egron-Sprühtrocknungsverfahren, welches um 1910 von den beiden Norwegern Gustav Jebsen und Christian Finckenhagen entwickelt worden war, konnte im Gegensatz zu anderen Milchtrocknungsmethoden eine Verklumpung der Milchtröpfchen verhindert werden, indem der zerstäubten, noch flüssigen Milch ein Strahl von sehr heisser, komprimierter Luft entgegengesetzt wurde und die Milch somit augenblicklich trocken war.305 Das Verfahren hatte den entscheidenden Vorteil, dass die Trocknung so schnell stattfand, dass keine chemischen Reaktionen auftraten, welche den Geschmack verändert hätten. Ausserdem wurde die Trockenmilch durch die schnelle Trocknung wesentlich länger haltbar.306
1925 patentierte Nestlé deshalb neben Lactogen ein auf der Egron-Sprühtrocknung basierendes Kindermilchpulver unter der Marke Nestogen. Allerdings verhielt sich die Unternehmensführung auch bei diesem Kindernahrungsmittel sehr zögerlich bei der Einführung, weil sie Nestogen als ernsthafte Konkurrenz für die gezuckerte Kondensmilch betrachtete.307 Erst als die Nestlé & Anglo-Swiss während der Weltwirtschaftskrise ihre dominante Stellung auf dem britischen Kondensmilchmarkt verlor,308 wurde Nestogen 1930 schliesslich als neues Kindernahrungsmittel auf den Markt gebracht.309 Ebenso entschied sich Nestlé erst 1931 zur weltweiten Lancierung des sprühgetrockneten Milchpulvers Molico, um dem schleichenden Wechsel von Kondensmilch zu Milchpulver Rechnung zu tragen.310 Allerdings blieb Nestogen der sofortige Durchbruch verwehrt: Zu viele Milchpulver existierten bereits auf dem Markt. Um das Produkt von anderen abzuheben, mischte Nestlé ihm 1932 zusätzliche Kohlenhydrate in Form von Dextrin, Maltose und Saccharose bei, welche damals von Schweizer und deutschen Kinderärzten empfohlen wurden. Erst dadurch konnte sich Nestogen schliesslich durchsetzen.311
Parallel zu Molico und Nestogen beabsichtigte Louis Dapples, mit Hilfe der Egron-Sprühtrocknung weitere Produkte in Pulverform herzustellen.312 Bereits in der zweiten Hälfte der 1920er-Jahre versuchte Nestlé in ihren Forschungslaboren auch Milkmaid Café au lait als Pulvergetränk aufzuwerten,313 welches zusammen mit dem Kakaogetränk Nescao unter der Marke Nescafé eine neue Generation von Kaffee- und Kakaopulvergetränken bilden sollte.314 In den nächsten drei Teilkapiteln wird aufgezeigt, wie aus der Kondensmilch mit Kaffeearoma schliesslich Nescafé entwickelt und weitere Kakao- und Malzgetränke wie Nescao und Milo aus der Milch- und Kindernahrungsmittel-Industrie abgeleitet wurden.