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V. Ausnahmen
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1. Ausnahmen zur funktionellen Qualifikation lege fori beschränken sich auf Fälle, in denen die Qualifikation einer anderen Rechtsordnung überlassen werden muss, um zwingende international-privatrechtliche Ziele sicherzustellen.
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2. Hierzu gehört der schon genannte Fall (Fünftes Qualifikationsproblem Rn 461 ff) der Qualifikation im Stadium der Rückverweisungsprüfung: Gesamtverweisung kommt dem Ziel des internationalen Entscheidungseinklangs nur nahe, wenn wir so entscheiden, wie das fremde Recht entscheiden möchte; das schließt dessen Systembegriffe ein.
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3. Nicht lege fori, aber auch nicht lege causae sind die Systembegriffe völkerrechtlicher Verträge des IPR (und IZPR) zu qualifizieren. Das überragende Ziel solcher Verträge ist die Rechtsvereinheitlichung, die nur dann erreicht wird, wenn alle Mitgliedsstaaten nicht nur formal dieselben Normen anwenden, sondern sie auch übereinstimmend auslegen. Hierzu dient die Methode der vertragsautonomen Qualifikation (in Unterscheidung von der autonomen Qualifikation nach dem eigenen Recht, der lex fori), die sich keinesfalls in der rechtsvergleichenden Auslegung erschöpft, sondern vor allem nach dem Sinn und Zweck der jeweiligen staatsvertraglichen Regelung fragen muss.
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Nachhaltig wurde diese Methode durch den EuGH bei Auslegung des Brüsseler EuGVÜ (ersetzt durch die Brüssel I-VO, nun Brüssel Ia-VO) entwickelt, was bei einem supranationalen Gericht, das per se frei von einem nationalen Systemgerüst ist, nicht verwundert. In einer bemerkenswerten Fehlentscheidung hatte der EuGH allerdings ein einziges Mal die autonome Qualifikation verworfen, weil er sie unzutreffend auf die rechtsvergleichende Methode beschränkte und keine rechtsvergleichend konsensfähige Lösung fand. Es ging um den Begriff „Erfüllungsort“.[7]
Unter den zahlreichen Beispielen brillanter autonomer teleologischer Qualifikation ohne Rücksicht auf rechtsvergleichende Unterschiede durch den EuGH findet sich dagegen die Qualifikation von Zahlungsansprüchen aus einem vereinsrechtlichen Mitgliedschaftsverhältnis als „vertraglich“[8] unter Bezugnahme auf die Ziele, Rechtssicherheit und die Wirksamkeit des Rechtsschutzes im gesamten Gebiet der Gemeinschaft zu fördern und im Geist des Übereinkommens dem nationalen Gericht eine Entscheidung über seine Zuständigkeit ohne Eintritt in die Sachprüfung zu ermöglichen.
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4. Diese Methode ist, zumal der EuGH sie im EuZPR kultiviert hat, ohne Weiteres zu übertragen auf Systembegriffe, die den sachlichen Anwendungsbereich einer Verordnung des EuIPR beschreiben. Die Verordnungen enthalten hierzu einleitende Bestimmungen zum sachlichen Anwendungsbereich, in denen beschrieben wird, welche Themen in den Anwendungsbereich fallen und welche nicht.
ZB enthält Art. 1 Abs. 2 Rom III-VO eine Abgrenzung gegen nicht erfasste Materien. Daraus folgt beispielsweise, dass die Eheaufhebung (§ 1314 ff BGB) nicht scheidungsrechtlich qualifiziert wird. Auch die Frage, ob die begrifflich als „Aufhebung“ bezeichnete „Scheidung“ einer Eingetragenen Lebenspartnerschaft dem Scheidungsstatut nach Art. 5 ff, 8 ff Rom III-VO unterliegt oder sich auch nach dem 21.6.2011 weiter nach Art. 17b Abs. 1 S. 2 beurteilt, beinhaltet ein Qualifikationsproblem (Ist die Aufhebung einer ELP „Ehescheidung“ iSd Art. 1 Abs. 1 Rom III-VO?). Die Frage kann weder systemorientiert noch funktionsorientiert nach einem nationalen Recht (zB der lex fori) beurteilt werden, weil sonst jeder Mitgliedstaat potentiell anders entscheidet, sondern muss aus Sicht der Verordnung selbst beantwortet werden (dazu Rn 819). Eindeutig ist die wechselseitig ausschließende Qualifikation bei der EU-EheGüterVO und der EU-ELPGüterVO.
Teil II Allgemeine Lehren des IPR › § 4 Qualifikation › C. Lösungen der Einzelprobleme