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II. Normwidersprüche, Typen
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Ursache von Anpassungsbedarf sind also nicht Mängel der einzelnen beteiligten Rechtsordnungen, sondern die technische Auflösung des Sachverhalts („analytische Methode des IPR“) durch die kollisionsrechtliche Anknüpfung. Dabei kann es zu drei Typen von Normwidersprüchen kommen:
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1. Normenmangel liegt vor, wenn für ein Rechtsproblem keines der beteiligten Statuten eine Lösung enthält.
Romanische Rechtsordnungen gestalten die Nachlassbeteiligung des überlebenden Ehegatten traditionell schwach aus. Die erbrechtliche Beteiligung des überlebenden Ehegatten wurde zunächst verbreitet nur als lebzeitiger Nießbrauch an einem Nachlassteil ausgestaltet. So erbte zB der Ehegatte nach niederländischem Recht bis zum Inkrafttreten des 2. Buches des Nieuw Burgerlijk Wetboek (1982) nicht neben Abkömmlingen. Daneben besteht aber regelmäßig als gesetzlicher Güterstand eine Errungenschaftsgemeinschaft, die dem überlebenden Ehegatten einen hälftigen Anteil sichert. Trifft eine solche Rechtsordnung als Erbstatut auf ein Ehegüterstatut mit Gütertrennung, so erhält der überlebende Ehegatte bei formaler Kombination beider Normausschnitte nichts oder sehr viel weniger als nach jeder beteiligten Rechtsordnung für sich genommen.
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Normenmangel führt dazu, dass Problemlösungen, die innerhalb jeder der beteiligten Rechtsordnungen in einer oder der anderen Einordnung im Ergebnis existieren, in der Kombination beider Rechtsordnungen fehlen, weil sie jeweils dem „falschen“ (nicht anzuwendenden) Teil der Rechtsordnung angehören. Normenmangel kann auch graduell auftreten, muss also nicht in der gänzlichen Nichtgewährung eines Anspruchs bestehen.
Nach deutschem Recht erhält ein Ehegatte neben einem Abkömmling in Zugewinngemeinschaft nur eine Erbquote (§ 1931 Abs. 1 BGB) von einem Viertel, das sich aber um ein weiteres Viertel nach § 1371 Abs. 1 BGB erhöht. In Gütertrennung (§ 1931 Abs. 4 BGB) erhält er erbrechtlich die Hälfte. Fällt bei Zusammentreffen mit einem ausländischen Güterstatut die zusätzliche Quote nach § 1371 Abs. 1 BGB weg, so kann Anpassungsbedarf entstehen, wobei freilich zu beachten ist, dass nicht nur die schon im deutschen Recht höchst widersprüchlichen Erbquoten (warum erhöht Gütertrennung die Erbquote?)[2] zu bedenken sind, sondern auch konkrete ehegüterrechtliche Ausgleichsansprüche, die im deutschen Recht § 1371 Abs. 1 BGB ausschließt. Solche sind dinglich (zB im italienischen Güterstand der comunione legale), aber auch in der Zugewinngemeinschaft ähnlichen ausländischen Güterrechtsordnungen schuldrechtlich (zB das griechische Recht, das Recht von Ontario) bei Auflösung des Güterstandes durch Tod vorgesehen und bestehen teilweise ebenfalls nur zugunsten, aber nicht zulasten des verwitweten Ehegatten.
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2. Normenhäufung entsteht, wenn für ein Rechtsproblem mehrere beteiligte Rechtsordnungen Lösungen enthalten, die in Kumulation zu einer von keiner Rechtsordnung gewollten Vermehrung von Ansprüchen führen. Auch Normenhäufung ist ein graduelles Phänomen, bedeutet also nicht notwendig eine Situation des Alles oder Nichts.
In den US-Bundesstaaten, welche dem Modell des Uniform Probate Code folgen, erhält der überlebende Ehegatte neben Abkömmlingen $ 50.000 und die Hälfte des restlichen Nachlasses. Daneben erhält er neben Abkömmlingen keinen güterrechtlichen Ausgleich. Ist Erbstatut eine solche Rechtsordnung und Güterstatut deutsches Recht, so würde die Anwendung von § 1371 Abs. 1 BGB dazu führen, dass der Ehegatte bei einem Nachlass im Wert von $ 100.000 den ganzen Nachlass, bei höherem Nachlasswert drei Viertel plus $ 50.000 erhält.
Ein muslimischer Ägypter ist mit vier Ägypterinnen verheiratet. Die gesamte Familie zieht nach Deutschland, wo sich nach und nach alle vier Frauen von dem Ehemann trennen und Trennungsunterhalt verlangen. Nach Art. 3 des Haager Unterhaltsprotokolls 2007 (iVm Art. 15 EG-UntVO) gilt (mangels Rechtswahl) deutsches Recht, das aber inhaltlich nicht zugeschnitten ist auf die Konkurrenz von vier Ansprüchen auf Trennungsunterhalt. Art. 5 HUntStProt 2007 hilft nicht, da es nicht um die Abwehr von gesteigerten Unterhaltspflichten nach einem mit der Ehe nicht eng verbundenen Recht geht; die Ehegatten haben ja alle in Deutschland zusammen gelebt. Das Häufungsproblem entsteht vielmehr, weil ein ägyptisch-islamisches Eheschließungsstatut, das die Polygamie erlaubt, mit einem deutschen Unterhaltsstatut, das ihre Folgen bewältigen soll, zusammentrifft. Der deutsche ordre public löst das Problem nicht, denn im Zeitpunkt der vier Eheschließungen hatte der Fall keinerlei Inlandsbezug (Rn 586, 590 ff).
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3. Normenunverträglichkeit entsteht, wenn eine beteiligte Rechtsordnung Ansprüche oder Rechte gewährt, die eine andere beteiligte Rechtsordnung nicht anerkennt und die deshalb nicht durchsetzbar sind.
Nachlassbeteiligungen können nach dem Erbstatut in einem trust nach englischem Recht, in einem Nießbrauch oder in anderen beschränkten dinglichen Rechten bestehen. Gehört zum Nachlass ein Grundstück, das in einem Staat belegen ist, dessen Rechtsordnung dieses spezifische Recht nicht kennt und daher sachenrechtlich nicht umsetzt (testamentary trust an deutschem Grundstück scheitert am deutschen Sachenrecht), entsteht zwar kein Normenmangel (denn die Erbberechtigung besteht formal); die Norm des Erbstatuts kann sich aber im maßgeblichen Sachenrechtsstatut nicht verwirklichen.
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In allen Fällen entsteht der Anpassungsbedarf aufgrund von materiell beeinflussten Gerechtigkeitserwägungen: Die Zufälligkeit der Bestimmung zusammentreffender Statuten im IPR darf nicht dazu führen, dass ein Ergebnis erzielt wird, das sich außerhalb des Regelungsrahmens jeder der beteiligten Rechtsordnungen, jeweils als Gesamtsystem angewendet, bewegt.