Читать книгу World Runner (1). Die Jäger - Thomas Thiemeyer - Страница 17

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Das Mädchen stand direkt neben Emily. Rotes Kapuzenshirt, Bluejeans, Schnürstiefel. Ihr Gesicht war unter der Kapuze verborgen. Tim meinte, grüne Augen zu erkennen, die ihn intensiv beobachteten. Ihren Arm hatte sie um Emily gelegt, was bemerkenswert war. Normalerweise war seine Schwester Fremden gegenüber eher scheu.

»Da seid ihr ja endlich«, begrüßte Emily die beiden Jungs vorwurfsvoll, als sie heftig schnaufend über die Brüstung kletterten. »Habt euch ganz schön Zeit gelassen. Das ist übrigens Sakura.« Sie wedelte lässig mit der Hand in Richtung des Mädchens. »Sie hat was mit euch zu besprechen.«

Tim presste seine Umhängetasche mit dem erfolgreich geborgenen Päckchen an die Brust. Verblüfft starrte er auf das fremde Mädchen. Er wollte etwas sagen, doch es kam kein Ton heraus. Eine dichte Traube von Menschen hatte sich gebildet und starrte sie an. Den Leuten war nicht verborgen geblieben, dass Tim und Farid der Auslöser für die ganze Aufregung waren. Noch immer schallten von unten aufgeregte Rufe zu ihnen empor. Doch da war noch etwas anderes.

Sakura neigte den Kopf, als ob sie lauschte. »Hört ihr das?«

Tim spitzte die Ohren. Das Heulen von Martinshörnern! Drüben am rechten Rheinufer blitzten Blaulichter auf.

»Das ist unser Zeichen zum Aufbruch.« Sakura preschte los. Sie nahm Emily bei der Hand und zog sie hinter sich her. Ein dicker Mann stellte sich ihr in den Weg und packte sie am Arm. »Moment mal, junge Dame, wohin willst du so schnell? Warte gefälligst, bis die Poli…«

Weiter kam er nicht. Mit einer winzigen Bewegung verdrehte Sakura seinen Arm. Er jaulte auf und ließ sie los.

Die Menschen rissen die Augen auf. Rufe der Überraschung und Furcht erklangen. Passanten wichen erschrocken zurück, Mütter nahmen hastig ihre Kinder auf den Arm. Es war klar, dass sie die vier Jugendlichen für potenziell gefährliche Straftäter hielten. Eine Gasse tat sich auf.

»Worauf wartet ihr noch?«, rief Sakura Tim und Farid über die Schulter zu. »Wir müssen hier weg!«

Tim warf Farid einen gehetzten Blick zu, den dieser mit einem knappen Nicken erwiderte. Dann stürmten sie ebenfalls los. Tim war ein guter Läufer, doch Sakura war nicht weniger schnell. Ohne Emily wäre sie bestimmt noch schneller. Tim, der ihr nicht die Verantwortung aufhalsen wollte, übernahm die Hand seiner kleinen Schwester und gemeinsam folgten sie Sakura Richtung Innenstadt.

Sie verließen die Brücke, rannten über die roten Ziegel am Reiterstandbild vorbei auf den Dom zu und bogen dann hinter dem Römisch-Germanischen Museum in Richtung Roncalliplatz ab. Den ganzen Weg über meinte Tim, die Martinshörner zu hören. Vor seinem inneren Auge tauchten überall Einsatzfahrzeuge auf.

Am Heinzelmännchenbrunnen hielten sie keuchend an und setzten sich auf die steinerne Umfriedung. Sie brauchten eine Weile, um wieder sprechen zu können.

»Na, die Schnellsten seid ihr nicht gerade!« Grimmig funkelte Sakura die Jungs unter ihrer Kapuze an. »Wie kann man nur so einen Aufruhr veranstalten? Fehlt nur noch der Heli! Und das mitten unter all den Muggeln.«

»Muggel?« Emily horchte auf. »Wie bei Harry Potter?«

»Yep«, erwiderte Sakura lächelnd. »Oder fast. Normalbürger, von denen man als Spieler besser nicht beobachtet wird.« Erneut warf sie Tim und Farid einen strafenden Blick zu und fuhr betont langsam fort: »Weil sie einem nämlich Schwierigkeiten machen können!«

»Alter, das war doch nicht unser Plan!«, platzte Farid heraus. »Es ging alles so schnell. Erst die ewige Warterei, dann endlich die Chance loszulegen –«

»So eine Unachtsamkeit kann euch das Genick brechen«, unterbrach ihn Sakura unwirsch. »Wir Runner dürfen uns keine Fehler erlauben. Habt ihr die Sache wenigstens gefilmt?«

Farid hob grinsend sein Handy. »Alles hier drin.«

»Dann würde ich euch empfehlen, den Film schnell hochzuladen. Ehe noch etwas passiert.«

»Warum die Eile?« Tim sah sie aufmerksam an.

Endlich streifte sie die Kapuze zurück und er starrte sie verblüfft an. Weil sie in Runner-Kreisen bereits eine Legende war, hatte er sie deutlich älter geschätzt. Aber sie schien ungefähr so alt zu sein wie er selbst. Vom Körperbau her war sie eher stämmig und kompakt. Nicht ganz das Elfenwesen, das er sich vorgestellt hatte. Das Haar fiel lockig über ihre Schultern und war von einer Farbe, die an glänzende Kastanien erinnerte. Ihre Haut war hell und um die Nase herum mit kleinen Sommersprossen bedeckt. Am faszinierendsten fand Tim aber ihre Augen. Ein solches Grün hatte er erst einmal gesehen: in einem Fluss in Südfrankreich, in dem eine besondere Art von Wasserpflanzen wuchs.

Sakura zog ihre Kapuzenjacke aus, wendete sie und schlüpfte wieder hinein. Statt Rot trug sie jetzt Blau.

»Warum ihr euch mit dem Hochladen des Videoclips beeilen müsst, willst du wissen?« Unvermittelt erschien ein breites Lächeln auf ihrem Gesicht. »Tja, gut möglich, dass euch in den nächsten Tagen eine interessante Botschaft erwartet. So wie mich.« Sie wackelte bedeutsam mit den Augenbrauen. »Nur deswegen habe ich mich übrigens zu erkennen gegeben. Ist nämlich sonst nicht meine Art.«

»Was denn für eine Botschaft?«, fragte Farid neugierig.

»Wartet’s ab«, sagte sie. »Ich bin sicher, dass ihr ein Teil davon sein wollt.«

»Geht’s vielleicht noch ein bisschen geheimnisvoller?«, erkundigte sich Farid leicht genervt.

»Du sprichst in Rätseln.«

»Tue ich das?« Ihr Lächeln offenbarte eine kleine Lücke zwischen ihren oberen Schneidezähnen. Tim fiel sie sofort auf. Diese winzige Unvollkommenheit machte sie nur noch anziehender. »Ich bin übrigens Annika. Ihr könnt mich aber auch weiter Sakura nennen, wenn euch das lieber ist. Eure Namen kenne ich auch schon. Farid, Tim …« Sie nickte ihnen zu. »Nur dein Nickname sagt mir nichts. Achenar? Wer ist das?«

»Du bist wohl kein Retrogamer, oder?«

Sie schüttelte den Kopf.

»Einer der zwei bösen Brüder aus dem Adventure Myst«, erwiderte Tim. »War das erste Spiel, das ich als Kind gezockt habe. Gespickt mit Rätseln. Ich fand die vielen Rätsel super, auch wenn ich einen ganzen Monat gebraucht hab, um sie zu lösen.«

»Ein Tüftler also.« Sie nickte zufrieden. »Nun, umso besser. Wenn ihr euch selbst einen Gefallen tun wollt, wartet nicht lange und ladet das Video hoch. Ich denke, das dürfte eure Chancen, doch noch in die Top 100 zu kommen, deutlich verbessern.«

»Schon passiert.« Farid hatte den Laptop, den er immer in seinem Rucksack herumtrug, aufgeklappt. »Der Claim ist gelistet und das Video steht online. Ich denke … holla, was haben wir denn hier?« Er runzelte die Stirn.

»Was ist los?« Tim beugte sich zu ihm hinüber. Auch Emily drängelte sich aufgeregt neben sie.

»Da ist noch ein Film aufgetaucht«, erklärte Farid verblüfft. »Direkt unter unserem. Wo kommt der denn jetzt her?«

»Sieht aus, als hätte mich jemand vom Schiff aus gefilmt und den Clip ins Netz gestellt.« Erschrocken starrte Tim auf den Bildschirm. Er erinnerte sich, dass einige der Leute auf dem Partyschiff ein Handy auf ihn gerichtet hatten. Zum Glück war er kaum zu erkennen.

»Genau das habe ich befürchtet.« Sakura nickte düster.

»Dabei ist es gerade mal eine Viertelstunde her«, murmelte Tim.

»Und wieso taucht das bei WorldRunner auf?«, fragte Farid.

»Leute, WorldRunner ist doch berüchtigt für seinen ausgefeilten Algorithmus«, belehrte Annika sie und sah sie vorwurfsvoll an. »Das Programm verfolgt netzgebundene Datensignaturen mit Lichtgeschwindigkeit! Der Algorithmus durchforstet andauernd das Netz und setzt automatisierte Links. Er stellt Querverbindungen zwischen Zeit und Ort her und fügt dann verschiedene Aufnahmen eines bestimmten Ereignisses zusammen. Echt jetzt, Tim, hast du denn das Kleingedruckte nicht gelesen?«

Tim schüttelte den Kopf. »Tue ich nie.«

»Na, jedenfalls reichen Zeitpunkt und Ort meistens schon aus, um eine Querverbindung zwischen den Quellen herzustellen. Wenn du den Link wieder raushaben willst, musst du einen Antrag stellen. Gar nicht so einfach. Sieh mal, da ist noch ein Video.«

Tim merkte, dass es vielleicht ein Fehler gewesen war, sich zu wenig mit den technischen Details zu beschäftigen und das ausschließlich Farid zu überlassen. Er schwor sich, dem künftig mehr Aufmerksamkeit zu widmen. Mit wild klopfendem Herzen starrte er auf den Monitor. Diese neue Aufnahme zeigte sehr viel mehr von seinem Gesicht. Hier war er deutlich zu erkennen. Zum Glück hatte er sein Mundtuch hochgezogen. Freunde und Mitschüler würden ihn vielleicht erkennen, Fremde jedoch nicht. Zeitgleich mit dem Auftauchen der neuen Aufnahmen schossen die Klickzahlen in die Höhe.

Sakura stand auf. »So, Leute, ich mache mich vom Acker. Das solltet ihr auch tun. Es schwirren immer noch eine Menge Leute herum, die euch beobachtet haben könnten. Und bis die Polizei weg ist, dürfte es noch eine Weile dauern.«

Farid klappte seinen Rechner zu und steckte ihn ein.

»Aber … willst du echt schon gehen?« Tim hoffte, dass seine Enttäuschung nicht allzu offensichtlich war. Sosehr er Sakura auch bewunderte, wissen musste sie das ja nicht.

Sie nickte. »Ich muss. Aber ich denke, wir werden uns wiedersehen. Apropos: Hast du eigentlich gefunden, was ich in der Box versteckt habe?«

Er griff nach dem Päckchen mit dem Datenstick und zog es aus der Tasche. »Meinst du das hier?«

»Ja.«

»Was ist da drauf?«

»Wirst du schon sehen. Du hast es dir wirklich verdient. Macht’s gut, ihr drei, wir sehen uns.«

Mit diesen Worten verschwand sie in Richtung Hohe Straße. Tim blickte ihr hinterher, bis der blaue Punkt in der Menge unsichtbar wurde. Seine Wangen glühten, als hätte er zu lange in der Sonne gesessen.

World Runner (1). Die Jäger

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