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San Francisco

Der Blick über die Bay Area an einem Sonntagmorgen im Juli besaß etwas Magisches. Die ziegelroten Pfeiler der Golden Gate Bridge, die grünen Hügel von Presidio, der Mountain Lake Park mit seinen Joggern, Spaziergängern, Hunden und Familien, die Kinderwagen vor sich herschoben. In der Bucht hinter dem Strand waren unzählige Boote unterwegs, deren weiße Segel wie Schneeflocken über das Meer tanzten.

Drüben in San Rafael hing noch der Nebel über den Bergen, aber der würde bald weggeschmolzen sein. San Francisco bereitete sich bei bestem Ausflugswetter auf ein ruhiges, entspanntes Wochenende vor.

In der Zentrale von GlobalGames war von Ruhe und Entspannung nichts zu spüren. Im Bürogebäude hinter dem Palace of Fine Arts summte es wie in einem Bienenstock. Dreißig Mitarbeiter schoben Überstunden und sorgten dafür, dass alles bereit war für den großen Moment. Und der kündigte sich mit dumpfem Dröhnen an.

Mortimer Hansen stand am Fenster in der obersten Etage des dreistöckigen Gebäudes und spitzte die Ohren. Das dumpfe Wummern ließ die Fensterscheiben klirren. Dann sah er ihn.

Von Norden kommend, fegte der Hubschrauber über das Wasser. Der rote Rumpf mit den türkisfarbenen Buchstaben SE warf Schatten auf die schaumbedeckten Wellen. Möwen stoben davon oder wurden von dem heftigen Wind des Rotors zur Seite gefegt. Das Wasser aufwirbelnd, kam der Helikopter auf sie zu, drehte eine Kurve und setzte dann unter donnerndem Gebrüll auf der freien Rasenfläche vor dem Gebäude auf. Mortimer beeilte sich, ihren Gast willkommen zu heißen.

Ein Mann stieg mit gesenktem Kopf aus dem Hubschrauber, seine Haare vom Wind der Rotoren verwirbelt. Er machte sich an der Außenverkleidung zu schaffen und stellte sicher, dass die Treppe ordnungsgemäß ausgefahren wurde. Die Rotorblätter kreisten langsamer und blieben schließlich stehen. Das Triebwerk erstarb.

Über die Stufen herab kam Shenmi Stevenson. Sie trug einfache Jeans, ein bedrucktes T-Shirt und weinrote Chucks. Hätte Mortimer nicht gewusst, wer ihn da besuchte, er hätte sie für eine einfache Studentin gehalten. In ihrem Arm lag Posh, ihr weißer Japan-Spitz.

Mortimer presste die Lippen aufeinander. Er hasste diesen Hund. Das verdammte Biest hatte ihm beim letzten Treffen zum Abschied doch glatt sein Paar Lieblingsschuhe zerbissen. Aber das konnte er seiner Chefin natürlich nicht sagen. Trotzdem, Posh musste weg. Am besten in einen Raum, in dem die Hundedame möglichst keinen Schaden anrichtete. Fehlte noch, dass sie ihm den wichtigsten Tag seiner Karriere versaute.

Er setzte ein strahlendes Lächeln auf. »Ms Stevenson, was für eine Freude, Sie zu sehen. Hatten Sie einen guten Flug?«

»Guten Morgen, Morti. Ja, es war herrlich. Stell dir vor, wir haben Wale gesehen, drüben bei Point Reyes. Herrlicher Anblick. Sie hatten sogar ein paar Kälber dabei.«

»Wunderbar«, schleimte Mortimer. »Um diese Jahreszeit sind sie ja eher selten. Da waren Sie aber vom Glück gesegnet, Ms Stevenson.«

»Glück oder Karma, das ist die Frage, Morti.« Sie strich Poshs Haare glatt. »Ich bevorzuge den Gedanken, dass nichts im Leben durch Zufall entschieden wird. Wer hart arbeitet, der wird belohnt werden. Und wir haben viel und hart an diesem Projekt gearbeitet. Ich hoffe, es ist alles bereit?«

»Wir haben nur auf Sie gewartet.«

»Gut, dann wollen wir hineingehen.«

Im Combat Direction Center, kurz CDC, herrschte angespannte Stille. Der sechzig Quadratmeter große Überwachungsraum war voller Mitarbeiter, die das Eintreffen von Shenmi Stevenson mit Nervosität erwarteten. Hier lag das Nervenzentrum von GlobalGames. Monitore leuchteten, Anzeigen schlugen aus und Drucker ratterten. Im Sekundentakt gingen neue Meldungen ein.

In der Mitte des Raumes befand sich eine gewaltige Weltkarte, über die ein Meer von Lichtern huschte. Die Karte war kein flacher Farbdruck, sondern ein Relief mit Meerestiefen, Ebenen und Hochgebirgen. Aus der Nähe wirkte es wie eine hochaufgelöste, dreidimensionale Luftaufnahme. Eine halbe Million war dafür ausgegeben worden. Unsinnig viel Geld in Mortimers Augen, aber Shenmi hatte darauf bestanden. Sie sagte, es erinnere sie an die großen Leuchttafeln in den James-Bond-Filmen, auf denen die Superschurken ihre Weltherrschaft planten.

Mortimer zupfte an seinen Augenbrauen. Eine dumme Angewohnheit. Ein Zeichen von Nervosität. Er öffnete den obersten Knopf seines Kragens. Täuschte er sich oder war es stickig hier drin? Die Sonnenblenden waren heruntergelassen, das Licht gedämpft.

»Könnt ihr bitte mal die Klimaanlage hochdrehen?«, rief er. »Hier drinnen ist es ja kaum auszuhalten.« Unter seinen Füßen spürte er das Summen der Server. Hunderte davon standen in den Kellergeschossen, wo sie eine Unmenge Wärme produzierten.

»Ist schon voll hochgedreht, Mr Hansen«, sagte Lisa Weston, seine langjährige Mitarbeiterin und rechte Hand. »Liegt an der erhöhten Rechenleistung beim Stand-by. Sobald wir online gehen, dürfte sich das Problem erledigen.«

»Also ich finde es sehr angenehm«, sagte Shenmi. »Um ehrlich zu sein, ich habe mir im Helikopter den Arsch abgefroren.« Sie hob die Hand. »Hallo, alle miteinander. Bereit für den großen Tag?«

»So bereit man nur sein kann«, sagte Lisa strahlend und deutete auf einen freien Stuhl. »Wenn Sie mögen, können Sie sich gerne dorthin setzen und uns bei den finalen Schritten begleiten.«

»Ich habe eine bessere Idee«, sagte Mortimer und führte Shenmi nach vorne. »Ich möchte, dass Sie den Startschuss für unser Projekt geben. Sehen Sie den Knopf dort drüben?« Er deutete auf die stahlgraue Konsole, die den überwiegenden Teil der hier verbauten Hardware enthielt. Das Ding sah ziemlich militärisch aus. Auf der Oberseite befand sich ein Sockel, aus dem ein einzelner roter Knopf herausragte.

»Wenn Sie nichts dagegen haben, würde ich Sie bitten, ihn zu gegebener Zeit zu drücken. Wir starten jetzt noch eine letzte Simulation, dann kann es losgehen.«

»Wie aufregend.« Shenmi presste Posh an ihre Brust. Der Köter stieß ein wütendes Kläffen aus. Mortimer rang sich ein Lächeln ab.

Das CDC bildete das Rückgrat seiner Firma und war in diesem Moment mit sämtlichen Erdteilen verbunden. Die Zentrale von GlobalGames war wie ein gigantisches Lebewesen, dessen Augen und Ohren auf die ganze Welt gerichtet waren. Die Hardware stammte von der Harry S. Truman, einem Flugzeugträger der Nimitz-Klasse. Diese galten als die größten Kriegsschiffe der Welt. Anfang 2010 hatte man die Truman auf ein neues System umgerüstet und die alten Rechner ausgebaut. Eigentlich war geplant gewesen, die Hardware zu verschrotten, doch Mortimer, der über entsprechende Kontakte verfügte, erkannte seine Chance und erwarb den Kram für einen Spottpreis. Eine Investition, die er nie bereut hatte.

»In Ordnung«, rief er. »Dann wollen wir mal. Wie sieht es mit Australien und Neuseeland aus?«

»Ist online«, rief einer der Mitarbeiter zurück. Auf der Karte blitzte der Kontinent grün auf.

»Ozeanien?«

»Ebenfalls.«

»Asien?«

»Alles auf Go.«

»Afrika?«

»Grünes Licht.«

»Europa.«

»Aber so was von.«

»Südamerika?«

»Go.«

»Nordamerika?«

»Was für eine Frage. Natürlich grün.«

»Antarktis?«

Schlagartig wurde es still. Alle Anwesenden sahen ihn entgeistert an. So lange, bis Lisa laut loslachte. »Der war gut.«

Mortimer grinste. »Nicht wahr? Fast hätte ich euch erwischt.«

Shenmi Stevenson blickte verwundert. »Wieso, was ist mit der Antarktis?«

»Dort leben im Sommer viertausend Menschen, den Rest des Jahres deutlich weniger. Für den Vorentscheid lohnt das nicht. Allerdings könnte es später für den eigentlichen Contest interessant sein. Wir arbeiten noch daran.«

»Verstehe …«

Mortimer ließ seinen Blick über die Karte schweifen. Sämtliche Länder leuchteten grün, alle Module waren auf Stand-by. Der Anblick ließ sein Herz höherschlagen. Dass sie es so weit gebracht hatten, war das Ergebnis von zwölf Monaten intensiver Recherche und Arbeit. Während der Anfangsphase hatten Hunderte von Mitarbeitern rund um den Erdball Module angebracht. Manche von ihnen an abgelegenen oder schwer zu erreichenden Orten. Die GlobalGames-Mitarbeiter mussten im Verborgenen arbeiten, nichts durfte nach außen dringen. Es galt, das gesamte Spiel unter den Augen der Öffentlichkeit vorzubereiten, ohne dabei erwischt zu werden. Das musste auch so bleiben. Hätte es jemand bemerkt und ausposaunt, die ganze Arbeit wäre umsonst gewesen. Die öffentlichen Medien würden erst in der zweiten Phase des Spiels, dem sogenannten Contest, zum Zuge kommen. Dann aber mit voller Durchschlagskraft. Das Timing war von entscheidender Bedeutung. Alles stand und fiel mit dem richtigen Moment. Doch das war noch Zukunftsmusik. Erst mal musste der Vorentscheid glatt über die Bühne gehen.

Mortimer lächelte angespannt. »Gut gemacht, Leute. Ms Stevenson, das ist Ihr Zeichen. Wären Sie so freundlich, den Knopf an dem Pult neben der Weltkarte zu drücken? Er setzte alle Module online. Der Vorentscheid ist damit offiziell eröffnet.«

»Oh, wie aufregend.« Shenmi trat auf ihn zu. »Ich denke, es wäre besser, wenn ich dafür die Hände frei hätte, nicht wahr? Wären Sie so gut, Posh für einen Moment zu halten?«

Mortimer zuckte zurück. Es gab jedoch keinen Grund zur Sorge. Posh wirkte entspannt, geradezu friedlich. »Ja, sehr gerne, Ms Stevenson.« Er streckte die Hände aus.

Doch er hatte sich zu früh gefreut. Kaum lag Posh in seinen Armen, änderte sich ihr Verhalten. Mortimer spürte, wie sie sich verkrampfte. Sie wurde zappelig, versuchte auszubrechen. Mortimer ließ das nicht zu. Mit stählernem Griff zwang er das Tier, ihm zu gehorchen. Nicht heute, du Biest, dachte er. Nicht an meinem großen Tag.

Shenmi stand vor dem Pult mit dem Knopf, die Hand darüber ausgestreckt. Ihr Lächeln war von strahlender Schönheit. »Dann wollen wir mal«, rief sie. »Lasst uns Geschichte schreiben. Alle bereit? Drei … zwei … eins.«

Sie ließ die Hand auf den Knopf sausen.

Mortimer zuckte zusammen. Vielleicht griff er dabei etwas zu fest zu, denn Posh stieß ein schrilles Jaulen aus. Sofort lockerte Mortimer seinen Griff. »Sorry«, flüsterte er.

Die Hundedame starrte ihn an. Ein dumpfes Knurren stieg aus ihrer Kehle, während sie langsam ihre messerscharfen Eckzähne entblößte. Dann biss sie in Mortis Hand.

World Runner (1). Die Jäger

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