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Schüleraustausch USA

Das erste Mal weit weg von zu Hause. Der Duft von Freiheit und Abenteuer. Erlebe die Vereinigten Staaten von Amerika hautnah und wage den Schritt über den großen Teich! Besuche das Land der unbegrenzten Möglichkeiten, in dem Tellerwäscher zu Millionären werden und Verteiler von Werbeflyern wie Brad Pitt zu Filmstars. Bewirb dich noch heute und lerne den Spirit of America kennen!

Lucie legte die Werbebroschüre zur Seite und blickte auf ihre Uhr. Die Stunden vergingen schleppend. In Deutschland war es jetzt kurz nach dreiundzwanzig Uhr, doch draußen war es immer noch hell. Das lag daran, dass sie gegen die Erddrehung flogen. Verrückt.

Die Geräusche im Flugzeug waren gedämpft. Lucie bemerkte, dass viele die Rollos heruntergezogen hatten und zu schlafen versuchten. Um sie herum lagen die Leute mit zurückgestellten Lehnen und dösten. Manche hatten Schlafmasken vor den Augen. Die ganz Erfahrenen verfügten sogar über aufblasbare Nackenpolster.

Leises Schnarchen drang an ihre Ohren. Sie beugte sich vor und spähte ihre Reihe entlang. Marek röchelte leise vor sich hin. Ein Speichelfaden tröpfelte aus seinem geöffneten Mund. Katta, die seitlich an seine Schulter gelehnt vor sich hin döste, lief Gefahr, davon getroffen zu werden. Ob sie sie warnen sollte? Och nö, lieber nicht. Sie lächelte und freute sich jetzt schon darauf, wenn die blonde Zicke erwachte.

Ihre direkte Sitznachbarin hatte sich als Zoe vorgestellt und schien ganz nett zu sein. Sie war zierlich und trug ihre dunklen Haare als Pagenschnitt. Bis vor ein paar Minuten hatte sie noch gelesen, aber jetzt schlief sie ebenfalls.

Lucie wunderte sich, dass sie selbst noch so wach war. Sie hatte versucht, die Augen zuzumachen, aber es geisterte einfach viel zu viel in ihrem Kopf herum. Sie war noch nie in den USA gewesen und wusste nicht, was sie erwartete. Auf dem Foto, das Connie ihr vor ein paar Wochen geschickt hatte, wirkte ihre Gastfamilie sehr nett, neben ihren Gasteltern William und Rose gab es noch ein Mädchen in ihrem Alter namens Kate und einen großen schwarzen Hund. Aber ob sie sich mit Kate verstehen und in ihrem neuen Zuhause wohlfühlen würde? Und ob ihr Englisch ausreichte, um sich zu verständigen?

Wieder blickte sie auf die Uhr. Noch eine halbe Stunde bis Mitternacht. Sie drehte sich um und sah, dass in der Reihe hinter ihr auch noch alle wach waren. Alle bis auf Connie, die wahrscheinlich fix und fertig war nach der Aufregung.

Lucie stand auf und streckte sich.

»Na, kannst du auch nicht schlafen?«, fragte Jem.

»Kein Stück«, erwiderte sie. »Ich fühle mich, als hätte ich drei Tassen Kaffee getrunken.«

»Geht mir genauso.« Er blinzelte in Richtung Fenster. »Verrückt, dass es immer noch hell ist, oder? Kommt mir so vor wie im Polarsommer, wenn die Sonne niemals untergeht.«

»Warst du schon mal so weit nördlich?«

»Nö, du?«

Sie schüttelte den Kopf. »Schottland war bisher das weiteste.«

»Schottland? Das ist witzig.«

»Wieso?«

»Ach nur so. Als ich dich heute Morgen das erste Mal gesehen habe, dachte ich, du könntest vielleicht aus Irland stammen.«

»Wegen meiner roten Haare?«

»Und deiner grünen Augen.«

»Gibt viele, die mich das fragen«, sagte sie. »Meine Familie kommt aber nur ganz langweilig aus der Eifel. Verarmter Landadel, sozusagen.« Sie lächelte. Jem schien ein ziemlich netter Typ zu sein. Seine dunklen Augen sahen sie aufmerksam an, genau wie heute Morgen im Zug. »Und du? Wo kommen deine Eltern her?«

»Wie man sieht, nicht aus der Eifel.« Er schob den Ärmel seines dunkelblauen Kapuzenpullis hoch und hielt ihr lachend seinen schwarzen Arm entgegen. »Meine Mutter ist Kölnerin, mein Dad kommt aus den USA. Allerdings leben sie nicht mehr zusammen. Er wohnt jetzt wieder in San Diego, gar nicht weit von meiner Gastfamilie. Nach zwei Jahren werde ich ihn das erste Mal wieder treffen …«

»Haben sie sich getrennt?«

Er nickte.

»Oh.« Sie schluckte und ließ sich auf den freien Platz neben ihm fallen. »Und warum zwei Jahre?«

»Hat sich halt nicht ergeben«, sagte er schulterzuckend. »Wir hatten nie viel Geld und meiner Mutter war der Flug zu teuer. Den Schüleraustausch kann ich nur machen, weil ich dafür ein Stipendium bekommen habe. Da hatte ich echt Glück.«

»Was macht dein Vater denn?«

»Er arbeitet auf dem Marinestützpunkt von San Diego. Schiffe beladen und so …« Seine Stimme wurde leiser.

Lucie merkte, dass es ihm nicht leichtfiel, darüber zu sprechen. Wie schlimm musste es sein, den eigenen Vater so lange nicht zu sehen? Sie wurde ja schon bei dem Gedanken traurig, dass sie die nächsten zehn Monate Tausende von Kilometern von ihren Eltern entfernt war. Und dass die sich jemals trennen würden, war für Lucie unvorstellbar.

»Hey, soll ich dir mal was Tolles zeigen?« Jem deutete auf seine Sitznachbarn. Die drei waren ganz in ihre Videospiele vertieft. »Schau mal, das ist total spannend.« Er rutschte ein bisschen zur Seite, damit sie einen besseren Blick hatte. Das Mädchen und der kleine Junge mit der Nickelbrille bearbeiteten ihre Gameboys mit schnellen Tastenkombinationen.

Sie runzelte die Stirn. »Was spielen die da?«

»Pokémon«, sagte Jem. »Das ist übrigens Olivia. Daneben sitzt Arthur und ganz außen Paul.«

Paul schien ein ganz spezieller Typ zu sein mit seinen altmodischen Klamotten. Aber Lucie fand es eigentlich cool, wenn Leute ihren eigenen Stil hatten und sich etwas trauten. Sie selbst trug am liebsten Jeans und irgendein bequemes Oberteil – meistens Hoodies –, ziemlich unspektakulär also.

»Hi«, sagte Lucie in die Runde.

»Hi«, antworteten die drei wie aus einem Mund und ohne ihren Blick von den Daddelkisten abzuwenden. Obwohl sie schräg aussahen, wirkten sie irgendwie sympathisch. Dass sie Gamer waren, passte zu ihnen. Sie selbst hatte ein paarmal kleinere Spiele auf dem Smartphone gespielt, aber schnell festgestellt, dass es nichts für sie war. Zu laut, zu bunt, zu hektisch.

»Irre, oder?«, sagte Jem. »Kommt mir vor wie ein Duell der Titanen.«

»Was ist denn daran so besonders?« Lucie runzelte die Stirn. »Pokémon ist doch ein Spiel für Kinder.«

»Habe ich auch gedacht. Aber es scheint doch ziemlich komplex zu sein. Ich bin normalerweise eher der Typ für Shooter und Flugsimulationen, aber ich glaube, das könnte mir auch gefallen.«

»Ich habe keine Ahnung, wie so was geht.«

»Also normalerweise fängst du dir irgendwo ein Pokémon«, sagte Olivia. »Oder du gewinnst es im Kampf, ist ja auch egal. Jedenfalls sind das dann deine Kämpfer. Jedes Monster hat besondere Stärken und Schwächen, sodass du gut überlegen musst, wen du in den Kampf schickst. Aber man kann die kleinen Biester auch züchten und sie so seinen ganz speziellen Bedürfnissen anpassen.«

»Das ist Evolution«, ergänzte Paul. »Um es richtig zu machen, brauchst du vor allem Zeit. Manchmal bis zu einem Monat. Aber dafür bekommst du dann ein Pokémon, das praktisch unbesiegbar ist.«

»Züchten?«, fragte Lucie verwirrt. So ganz konnte sie dem Gespräch nicht folgen.

»Na ja, so mit Männchen und Weibchen«, sagte Arthur. »Die paaren sich dann, bekommen Eier, brüten sie aus. Wie im richtigen Leben halt …«

»Wie im richtigen Leben halt.« Auf Olivias Gesicht erschien ein breites Grinsen. »Im Aufklärungsunterricht hast du aber nicht besonders gut aufgepasst, Arthur.«

»Lass ihm doch seine Illusionen«, sagte Paul lachend. »Er hält sich immer noch für was Besseres. Mensch 2.0 oder so. Vermutlich hofft er, an seiner neuen Schule ein hübsches Alienweibchen zu finden, das gemeinsam mit ihm ein Nest baut und Eier legt.«

Olivia kicherte und schob ihre Brille hoch. »Das produziert dann viele kuschelige Facehugger, die dich anspringen und aus deinem Bauch kriechen.«

»Ihr schaut definitiv die falschen Filme«, stellte Arthur kopfschüttelnd fest.

Lucie hatte keine Ahnung, wovon die drei da redeten. Andererseits auch interessant, worüber sich andere Leute so Gedanken machten.

»Aber von Sex hast du schon gehört, oder?«, hakte Olivia nach.

»Wird überschätzt«, entgegnete Arthur. »Dieses ganze Tamtam mit den Geschlechtern, das verbraucht doch viel zu viel Energie. Maschinen sind da viel effizienter.«

»Oje, jetzt kommt er wieder damit.« Paul verdrehte die Augen. »Terminatoren und so …«

»Na klar«, sagte Arthur. »Maschinen sind so viel besser als wir. Sie können sich selbst erschaffen und ihren Bestand immer genauso groß halten wie nötig. Sie können sich selbst modifizieren und an spezielle Umgebungen anpassen. Nicht der Mensch wird den Weltraum erobern, sondern die Maschinen – hört auf meine Worte. So, und was unser kleines Duell hier betrifft, liebste Olivia: Ich bin mal gespannt, was du zu meinem Ditto hier sagst …«

Es funkte und sprühte auf den Bildschirmen.

»Du machst mir keine Angst«, entgegnete Olivia. »Dein Ditto ist doch nur eine blöde Kopie. Ich werfe dafür meinen Quabbel ins Rennen.«

Lucie konnte nicht länger auf die kleinen Bildschirme starren – zu viele Farben und nervige Musik.

»Scheiße«, fluchte Arthur. »Du hast mich gekillt. Dabei war ich genauso stark wie du …«

»Das Original ist halt immer besser als die Kopie. Quabbel rocks!« Sie reckte ihre Faust in den Himmel.

Lucie musste sich abwenden. Ihr Mund schmeckte plötzlich, als wäre er mit Säure gefüllt.

Jem sah sie fragend an. »Alles okay bei dir? Ist dir irgendwie schlecht oder so?«

»Ist schon in Ordnung«, stieß Lucie aus. »Ich kann bloß nicht so gut …«

»Was denn?«

Sie verstummte. Ihr Blick bohrte sich in die grau gemusterte Rückenlehne des Vordermanns. Sie spürte Übelkeit in sich aufsteigen.

Es dauerte einen Moment, dann wurde es besser.

Sie atmete langsam und gleichmäßig. Jem war sichtlich besorgt.

»Was ist denn los? Du bist ja ganz blass.«

»Ach, das ist nichts weiter. Geht schon wieder«, sagte sie.

»Nichts? Du hast ausgesehen, als würdest du gleich umkippen.«

Lucie überlegte, ob sie ihm erklären sollte, was mit ihr los war, entschied sich dann aber dagegen. Sie sprach nicht gerne darüber. Außerdem kannten sie sich ja gerade erst ein paar Stunden. »Nur der Kreislauf.« Sie atmete noch ein paarmal tief durch, dann wurde es besser. »Nichts Dramatisches.«

Er nickte, obwohl sie ihm ansah, dass er ihr nicht glaubte. Arthur rettete sie vor weiteren unangenehmen Fragen. Schimpfend gestand er seine Niederlage ein und forderte Olivia zu einer Revanche heraus.

»Herausforderung angenommen«, rief sie lachend und schon machten sich die beiden für eine neue Runde bereit.

Lucie stand auf. Ihre Beine waren ziemlich wackelig.

»Ich versuche noch mal, ein bisschen die Augen zuzumachen. Vielleicht klappt es ja jetzt mit dem Schlafen.«

»Na klar. Hoffentlich geht es dir danach wieder besser.«

Lucie lächelte gequält und kehrte zurück an ihren Platz. Ihr war immer noch schwindelig. Kein Wunder, dass sie Video-games nicht mochte. Wenn sie selbst bei einem so harmlosen Spiel das große Flimmern bekam, sollte sie besser darauf verzichten. Der einzig positive Nebeneffekt war, dass sie jetzt tatsächlich hundemüde war. Ein bisschen dösen, dann würde die Welt schon wieder ganz anders aussehen.

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