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Es war Nacht, als der Schauer aufhörte und die ersten Sterne und der Mond herauskamen. Lucie blickte durch die großen Scheiben nach draußen. Ein merkwürdiges Wetter war das hier. Mal war es warm, dann wieder kalt. Mal regnete es, dann schien wieder die Sonne. Die Luft roch feucht. Umso besser, dass sie ins Flughafengebäude umgezogen waren und jetzt ein schützendes Dach über dem Kopf hatten.

Die Nachricht, dass sie allem Anschein nach in der Zukunft gelandet waren, hatte sich wie ein Lauffeuer verbreitet. Die meisten hatten es nicht glauben können, waren kopfschüttelnd umhergelaufen und wollten sich vergewissern, ob das alles nicht doch irgendein schlechter Scherz war. Einige der Passagiere standen kurz vorm Nervenzusammenbruch, die schmächtige Frau mit dem Pferdeschwanz, die ein paar Meter von Lucie entfernt am Boden kauerte, wimmerte schon seit Stunden leise vor sich hin und ließ sich von niemandem ansprechen. Eine ältere Dame, die Lucie gestern noch erzählt hatte, dass sie ihren Enkelsohn in den USA besuchen wollte, war sogar in Ohnmacht gefallen. Lucie selbst versuchte, nicht so viel darüber nachzudenken und sich irgendwie abzulenken. Das Buch, das sie sich für den Flug mitgenommen hatte, war schon lange ausgelesen, jetzt starrte sie in den sternenklaren Himmel. Sie spürte eine Leere in sich und war unendlich erschöpft, doch schlafen konnte sie nicht. Eine nervöse Unruhe hatte sie ergriffen und ließ sie einfach nicht los.

Bereits am Nachmittag hatten die Passagiere damit begonnen, ihre Sachen ins Flughafengebäude zu schleppen. Das betraf nicht nur das Gepäck und die Vorräte, sondern vor allem Dinge wie Decken, Kissen, Erste-Hilfe-Koffer, Signalpistolen und vieles mehr.

Den meisten schien klar geworden zu sein, dass sie so bald keine Hilfe zu erwarten hatten und dass sie vermutlich noch eine ganze Weile hier ausharren mussten.

Mit M.A.R.S.’ Hilfe waren einzelne Gebäudeabschnitte von Pflanzen gesäubert und sanitäre Einrichtungen in Betrieb genommen worden. Wasser gab es im Überfluss, auch wenn die Pumpen wegen des Stroms nur tagsüber arbeiteten.

Um zusätzliche Elektrizität zu erhalten, wurden weitere Sonnenkollektoren von Pflanzenwuchs befreit und an das Energienetz angeschlossen.

Immerhin hatten sie genug zu essen. Zu Lucies Überraschung waren viele der Nahrungsmittel in den Shops und Supermärkten noch genießbar – was schon fast an ein Wunder grenzte, angesichts der langen Zeit, die inzwischen vergangen war. Kandierte Erdnüsse und Chips waren offenbar länger haltbar, als sie vermutet hätte, ebenso Konserven und Dinge wie Haferflocken, Müsli oder Trockenobst. Das würde für Tage oder Wochen reichen. Und für frisches Obst oder Gemüse mussten sie nur nach draußen gehen. Das Land um sie herum war wie ein Garten Eden. Man brauchte nur die Hand ausstrecken und sich bedienen.

Allein, was die Einheimischen betraf, waren die ausgeschickten Spähtrupps ohne greifbare Ergebnisse wiedergekommen. Menschen schienen in dieser seltsamen Welt nicht zu existieren.

Lucie stand auf und schlenderte durch die Halle. Etwas weiter drüben, neben einem Schalter der Air France, sah Lucie das Feuer, das Marek entfacht hatte. Dort sah sie auch die restlichen Mitglieder der Austauschgruppe. Kreisförmig saßen sie um das Feuer und starrten in die knisternden Flammen. Der Geruch von Gebratenem lag in der Luft. Unter dem Kommando von Martin Jaeger – einem totalen Unsympath, wie Lucie fand – waren vorhin ein paar Leute ausgeschwärmt, um auf Jagd zu gehen. Offenbar hatten sie Erfolg gehabt.

»Darf ich mich zu euch setzen?«, fragte Lucie, als sie die anderen erreicht hatte. Sie wollte lieber in Gesellschaft sein, als allein ihren Gedanken nachzuhängen.

»Mach’s dir bequem«, sagte Marek grinsend und lüpfte den Cowboyhut, den er irgendwo gefunden haben musste. »Ist noch reichlich Platz da.«

»Woher kannst du das?«, fragte sie.

»Was, Feuer machen?« Er winkte großspurig ab. »Das ist nun wirklich keine Kunst, hier liegen doch überall Feuerzeuge rum. Aber versuch das mal nur mit Steinen und Holzstücken, dann wird’s interessant.«

»Kannst du das auch?«

»Na, und ob. Pfadfinder. Fünf Jahre lang, dreimal die Woche«, erklärte Marek. »Da lernt man schon so einiges. Wasser finden, Unterstände bauen, sich in der Natur orientieren und natürlich Nahrungsmittel besorgen.«

»Aha«, sagte Lucie. Pfadfinder passte irgendwie überhaupt nicht zu Marek. Das zeigte mal wieder, dass man nicht immer etwas auf den ersten Eindruck geben sollte. Vielleicht kamen noch ganz andere Seiten an ihm zum Vorschein, die man nicht vermutet hatte. »Und welche Nahrungsmittel waren das zum Beispiel?«, erkundigte sie sich.

»Na ja, vor allem Fische. Entweder mit Speeren oder mit selbst gebauten Angeln. Fische bekommt man eigentlich überall und sie sind eine gute Nahrungsquelle«, erklärte Marek und Lucie bemerkte Jems genervten Blick. Im Gegensatz zu Marek war er kein Typ, der sich in den Vordergrund spielte, obwohl er wahrscheinlich auch jede Menge zu erzählen gehabt hätte.

»Aber wenn kein Fluss oder Teich in der Nähe ist«, fuhr Marek fort, »tut’s auch mal ein Kaninchen oder Eichhörnchen. Die bekommt man am besten mit Schlingen.«

»Und du nimmst sie auch aus?«

»Häuten, ausnehmen, das ganze Programm. Nur, was das Jagen betrifft, ist unsere liebe Zoe hier besser als ich.«

»Wieso?«

»Na, zum Beispiel, weil sie in der Bundesauswahl der Jugendsportschützen ist. Sie hat vorhin drei Kaninchen erlegt.«

Lucie war verblüfft, das zu hören. Sie stellte gerade fest, dass sie eigentlich so gut wie nichts über ihre Mitreisenden wusste. Sie blickte auf die Tasche, die neben Zoe lag und von der sie sich nie zu trennen schien.

»Hast du da deinen Bogen drin?«

Zoe erwiderte ihren Blick. »Jep.«

»Darf ich ihn sehen?«

»Klar.« Sie öffnete den Reißverschluss und zog etwas heraus, was Lucie nur mit Mühe erkennen konnte. Das Ding hatte keinerlei Ähnlichkeit mit den Holzstäben, mit denen sie früher Cowboy und Indianer gespielt hatten.

Jem schien zu wissen, was das war. Er pfiff durch die Zähne. »Ein Recurve. Tolles Gerät. Wie weit kannst du damit schießen?«

»Zielgenau etwa neunzig Meter. Aber wenn es nur nach Weite geht, etwa dreihundert.«

»Was, echt?« Lucie klappte der Unterkiefer runter.

»Echt.« Zoe nickte.

»Sie ist so gut, dass sie auf fünfzig Meter einer Fliege das Auge rausschießen könnte«, sagte Marek grinsend und warf ein kleines Stöckchen ins Feuer, das neben ihm gelegen hatte.

»Was du immer so redest …« Zoe lächelte.

Lucie sah auf die Pfeile und war beeindruckt. Die Vorstellung, aus hundert Metern Entfernung von so einem Ding durchbohrt zu werden, war nicht gerade angenehm.

Etwas summte an ihrem Ohr. Sie wedelte es mit der Hand weg, doch es kam wieder. Als es sich niederließ, klatschte sie es mit der Hand tot.

»Was ist los?«, fragte Jem.

Sie zeigte ihm das Exemplar. Groß und grünlich schimmernd. So etwas hatte sie noch nie gesehen.

Doch Jem nickte. »Ich tippe auf Mücken. Auch wenn sie nicht so aussehen. Auf jeden Fall ziemlich aggressiv, die Viecher. Musste auch schon ein paar von ihnen erschlagen. Morgen sollten wir damit anfangen, sie auszuräuchern.«

»Mücken, pinke Hummeln und gestreifte Ratten sind nicht das Einzige, was hier seltsam ist«, warf Olivia ein. »Irgendwie scheinen die Tiere überhaupt keine Angst vor uns zu haben. Arthur, Paul und ich sind vorhin an einem Strauch vorbeigegangen, der voller Vögel war. Glaubst du, sie wären weggeflogen? Sind einfach hocken geblieben und haben uns angeschaut.«

»Man hätte sie mit der Hand pflücken können«, berichtete Paul. »Richtig unheimlich.«

Katta warf Lucie ein Fläschchen rüber. »Jedenfalls hast du hier was zum Einreiben. Habe ich vorhin in einer der Apotheken gefunden.«

»Eigentlich kein Wunder bei den vielen Wasserflächen«, überlegte Jem. »Als ich Lucie auf ihren Sitz verfrachtet habe, konnte ich es für einen kurzen Moment durchs Fenster sehen. Überall Sümpfe, ringsherum.«

»Sehr ungewöhnlich«, sagte Arthur. »Diese Schwüle und diese Sümpfe. Denver liegt eigentlich recht hoch. Sein Spitzname lautet Mile High City. Kommt daher, weil das Kapitol genau eine Meile über Meereshöhe liegt.«

»Was du alles weißt.« Olivia stupste ihn in die Seite.

Er errötete. »Hat eigentlich einer von euch Netz? Bei meinem Smartphone ist immer noch völlig tote Hose.«

»Niemand hat hier Empfang, auch der Kapitän nicht. Hat er vorhin eingestanden«, erzählte Paul. »An den Geräten liegt es nicht. Es gibt einfach kein Netz. Kein Handynetz, kein Funknetz, nichts.«

»Hoffen wir mal, dass unsere Geräte einfach nur zu veraltet sind«, sagte Arthur. »Die andere Möglichkeit wäre nämlich ein bisschen gruselig.«

Lucie runzelte die Stirn. »Wovon sprichst du?«

»Na, zum Beispiel, dass niemand mehr hier ist, um zu senden. Weder Radio noch Fernsehen, keine Mittelwelle oder Langwelle oder andere Frequenzen.«

»Oh.«

»Stimmt, das ist gruselig«, sagte Jem.

»Unsinn«, stieß Marek aus. »Jetzt geht das schon wieder los. Warum seht ihr denn alle so schwarz? Was wir hier brauchen, ist ein bisschen Optimismus.« Er reckte sich. »Morgen früh werden wir es uns hier so richtig gemütlich machen. Was wollt ihr denn? Wir haben ein Dach über dem Kopf und genügend zu essen und trinken.«

»Also ich werde nicht hier rumsitzen und darauf warten, dass Hilfe kommt.«

»Was hast du denn stattdessen vor?« Der Spott in Mareks Stimme war unüberhörbar.

Lucie bemerkte den herausfordernden Ausdruck in Jems Gesicht. Als er antwortete, klang seine Stimme betont beiläufig, viel zu beiläufig.

»Ich werde in die Stadt fahren«, verkündete er. »Rauskriegen, was los ist. Informationen sammeln – darüber, was hier vor sich geht, warum sich niemand blicken lässt und warum keiner auf unsere Hilferufe reagiert.«

Lucie blickte ihn überrascht an. »Der Flughafen liegt vierzig Kilometer von der Innenstadt entfernt. Wie willst du es bis dahin schaffen?«

Jem lächelte wissend. »Tja, du hast mich da auf eine Idee gebracht!«

»Was, ich? Wie?« Sie hatte keine Ahnung, wovon er sprach.

»Ich habe mir da etwas überlegt. Lasst euch überraschen. Wer Lust hat, kann mich morgen früh in der Tiefgarage besuchen kommen. Dann werdet ihr es sehen.«

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