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7

Es war noch dämmerig, als Lucie am nächsten Morgen die Augen aufschlug. Fern hinter den Baumwipfeln wurde der Himmel von einem rosigen Schimmer erhellt. Die ersten Vögel zwitscherten, es versprach, ein herrlicher Tag zu werden. Sie schlang die Wolldecke enger um sich.

Überall unter dem Rumpf und den Tragflächen lagen Passagiere, die die Nacht in kleinen Grüppchen verbracht hatten. Gestern Nacht war es zu dunkel gewesen, um noch nach irgendeiner Unterkunft Ausschau zu halten, weswegen Bennet entschieden hatte hierzubleiben. Ein Glück, dass die Temperaturen so mild waren.

Lucie beobachtete eine Gruppe von Vögeln, die auf der Suche nach Nahrung über den zerborstenen Asphalt hüpften. Ihr grün-rot getupftes Gefieder schimmerte farbenfroh im ersten Licht des Tages. Einige von ihnen flatterten fröhlich zwischen den Passagieren hindurch. Sie schienen überhaupt keine Angst zu haben.

Lucie reckte ihre Arme und gähnte. Angesichts der Umstände und des unbequemen Untergrunds hatte sie erstaunlich gut geschlafen.

»Guten Morgen«, erklang eine leise Stimme ganz in ihrer Nähe. Es war Jem. Er saß an einen der riesigen Reifen gelehnt und sah zu ihr herüber.

»Morgen«, antwortete sie knapp.

»Hast du gut geschlafen?«

»Schon okay.« Sie hatte ein schlechtes Gewissen, weil sie ihn gestern links liegen lassen und sich so offensichtlich an Marek gehängt hatte. Dabei fand sie diesen Typen eigentlich ganz schön daneben mit seinem Machogehabe …

»Ich nicht.« Jem zuckte die Schultern. »Blöder Jetlag. Mein Körper denkt, es wäre halb zwei am Nachmittag, dabei ist es früh um halb sechs. Ich fürchte, das wird noch ein paar Nächte so weitergehen.«

Sie wusste nicht, was sie sagen sollte. Entschuldigungen waren nicht so ihr Ding.

»Hör mal, es tut mir leid«, sagte Jem leise. »Ich habe dich gestern ziemlich grob angepackt, das wollte ich nicht.«

»Nein, ich muss mich entschuldigen«, erwiderte sie, erleichtert darüber, dass er den Anfang gemacht hatte. »Ich hätte ja nicht gleich die beleidigte Leberwurst spielen müssen. Du hast es schließlich nur gut gemeint. Ich war einfach nur so erschrocken.«

»Weswegen?«

»Na, über diese völlige Dunkelheit. Das Land sah aus, als wäre es ausgestorben. Ich wollte es dir zeigen, aber dann hast du mich weggerissen und auf meinen Platz befördert. Es ging so schnell …«

»Wie gesagt: sorry.«

Sie sah ihn interessiert an. »Du warst gestern so anders. So kannte ich dich gar nicht. Deine Farbe …«

»Meine Farbe?«

Sie nickte. »Du hast rot und orange gelodert – wie ein Buschfeuer. Da war eine Wut in dir, die mich total überrascht hat.« Sie senkte den Kopf.

»Schwamm drüber.«

»Du hast mir das Leben gerettet …«

»Ach Quatsch.« Er lächelte. »Und wenn, dann würde ich das jederzeit wieder machen.«

Sie lächelte. Als sie merkte, dass eine Frau nebenan ihrem Gespräch lauschte, stand sie auf, ging zu Jem hinüber und nahm neben ihm Platz. »Gibt es schon etwas Neues?«, flüsterte sie.

»Seit gestern Abend?« Er schüttelte den Kopf. »Nicht, dass ich wüsste. Wie es aussieht, sind wir hier wohl erst mal ganz auf uns allein gestellt.«

»Seltsam«, sagte sie. »Wenn du mich fragst: Die Angelegenheit wird immer merkwürdiger.«

»Höchste Zeit, dass wir uns ein paar Antworten besorgen, findest du nicht?« Er lächelte und fuhr sich mit der Hand über die kurz rasierten schwarzen Haare.

»Ich habe gehört, dass ein paar Passagiere nachher zu den Gebäuden da drüben gehen wollen. Da bin ich auf jeden Fall dabei. Kommst du auch mit?«

»Klar.« Sie spürte, dass sie rot wurde. Jem schien ihr das blöde Getue von gestern wirklich nicht übel zu nehmen. »Alles besser, als hier nur rumzusitzen und Däumchen zu drehen.«

Eine knappe Stunde später hatte sie sich auf den Weg gemacht. Von den dreihundert Passagieren hatten sich acht Erwachsene und zehn Jugendliche eingefunden, allen voran Kapitän Bennett. Vom Aussehen her erinnerte er Lucie ein kleines bisschen an ihren Vater, er war groß gewachsen und hatte helle Haut. Die rotblonden Haare, die er sich sonst wahrscheinlich immer zu einem ordentlichen Scheitel kämmte, standen wirr vom Kopf ab. Lucie verbot sich einen Gedanken an zu Hause, sie wollte sich gar nicht vorstellen, wie ihre Eltern durchdrehten vor Angst, wenn sie von ihrer Notlandung erfuhren.

Marek hatte sich natürlich direkt an Bennetts Fersen geheftet, der ein ordentliches Tempo vorlegte. Mit einem Stock bewaffnet, kämpften sie sich durch das schulterhohe Gras. Katta und Zoe waren beim Flugzeug geblieben. Mädchen haben da nichts verloren, so Mareks lapidare Begründung. Da aber weder Zoe noch Katta auf Lucie den Eindruck machten, als würden sie sich von einem Jungen etwas sagen lassen, vermutete sie, dass sie ohnehin keine Lust hatten mitzukommen.

Während Jem sich ein paar Meter weiter vorne mit einem kräftigen Mann unterhielt, lief Lucie neben Olivia her, die sich wahnsinnig über Marek aufregte.

»Macho«, brummte sie. »Der glaubt wohl, Frauen gehörten an den Herd.«

»Ach, der will sich doch nur ein bisschen aufspielen«, sagte Lucie lächelnd. »Ich nehme das nicht so ernst.«

»Es ist aber ernst«, erwiderte Olivia giftig. »Es kann doch echt nicht sein, dass es heutzutage immer noch Leute gibt, die so einen Stuss von sich geben. Als hätte es die Frauenbewegung und Emanzipation nie gegeben. Für Typen wie Marek sind Frauen nur ein Besitz. Hübsch müssen sie aussehen, fleißig sollen sie sein und ansonsten sollen sie möglichst die Klappe halten. Und das Schlimmste: Es gibt Frauen, die darauf abfahren.« Sie schüttelte mürrisch den Kopf. »Steinzeit.«

Lucie wusste nicht, was sie sagen sollte. Olivia hatte sich richtig in Rage geredet, dieses Thema schien sie sehr zu beschäftigen. Es klang fast so, als hätte sie selbst schon mal schlechte Erfahrungen mit so jemandem gemacht.

Lucie hingegen konnte keinerlei Erfahrungen mit Jungs vorweisen. Dass sie mit ihren fünfzehn Jahren noch nie einen Freund gehabt hatte, fand ihre beste Freundin Anna einen Skandal, aber Lucie störte das nicht. Klar war sie schon mal verliebt gewesen, allerdings hatten die Betreffenden das niemals erfahren.

Gedankenverloren spähte sie geradeaus. Die aufgehende Sonne überzog die Flanken des Gebäudekomplexes mit warmem Licht. Die zunehmende Helligkeit förderte immer neue Details zutage.

Die Fassade wirkte ziemlich heruntergekommen. Ein Haufen Chrom, Glas und Stahl, der früher bestimmt mal sehr beeindruckend ausgesehen hatte, aber mittlerweile eher ein Fall für die Abrissbirne war. Hinter einer Gruppe von Bäumen rankten sich Efeu und wilder Wein an den Fassaden empor. Auf den kegeligen Dächern wuchs dichtes Buschwerk.

Doch gab es auch einige Stellen, die sehr gepflegt aussahen. Zum Beispiel der Eingangsbereich. Dort, wo die großen Schiebetüren waren, hatte jemand die Pflanzen gestutzt und die Glasflächen gereinigt. Das obere Drittel des Gebäudes war mit Solarpaneelen gepflastert, die ebenfalls sauber und funktionstüchtig aussahen. Und was das bedeutete, war klar: Es musste irgendjemanden geben, der sich um all das kümmerte. Und dieser Jemand konnte ihnen bestimmt sagen, wo sie hier gelandet waren. Und Hilfe holen. Lucie spürte, wie sich ihre Anspannung zumindest ein kleines bisschen löste, immerhin war dies der erste Hoffnungsschimmer seit ihrer Bruchlandung.

Die großen Drehtüren funktionierten zwar nicht, aber es gab seitlich ein paar kleinere Schiebetüren, die unverschlossen waren. Bennett gab die Anweisung zu warten, bis er, Marek und ein paar der anderen Erwachsenen die Lage sondiert hatten.

Lucie hatte dagegen nichts einzuwenden. Die Sonne schien gerade so schön und die Wärme und das Licht halfen dabei, die Erinnerungen an den gestrigen Abend zu vertreiben. Sie setzte sich auf den warmen Asphalt, beobachtete die exotisch aussehenden Schmetterlinge und wartete.

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