Читать книгу Evolution Bundle - Thomas Thiemeyer - Страница 47

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Jems Kopf ruckte hoch. War er eingenickt? Sah fast so aus. Das schlechte Wetter war davongezogen und es schien schon wieder die Sonne. Lucie war ebenfalls eingeschlafen und hielt dabei immer noch seine Hand.

Vorsichtig streifte er sie ab und stand auf. Sie sah so zerbrechlich aus und gleichzeitig wunderschön. Er war froh, dass es ihr wieder etwas besser ging.

Auf Zehenspitzen schlich er zur Tür und stieg aus.

Die anderen saßen im Schatten des Busses und schienen die Lage zu besprechen.

»Na, ausgeschlafen?«, fragte Zoe und lachte.

»Tut mir leid«, sagte Jem. »War wohl alles ein bisschen viel.«

»Wie geht es Lucie?«, wollte Olivia wissen.

»Besser, glaube ich. Aber ihr wollt nicht wissen, was sie mir erzählt hat. Das ist richtig übel.«

Paul wurde kreidebleich. Wahrscheinlich hatte er sofort wieder die Bilder von ihrem Vogelangriff vor Augen. »Wurden Connie und Lucie etwa auch angegriffen?«, fragte er vorsichtig.

Nachdem Jem den anderen berichtet hatte, was geschehen war, standen erst mal alle unter Schock.

Olivia war die Erste, die ihre Stimme wiederfand. »Was sagst du da, Connie tot?«

»Gerissen von einem Berglöwen«, flüsterte Katta. »Das muss man sich mal vorstellen.«

»Seit wann kommen diese Viecher denn in die Stadt?«, fragte Zoe. »Und dann diese unsichtbare Kreatur im Baum. Klingt nach einem echten Horrorfilm.«

»Die arme Lucie …«, sagte Arthur mitleidsvoll.

Jem nickte. »Vor allem, weil sie die ganze Zeit allein war. Aber jetzt ruht sie sich aus.«

»Ist das Beste, was sie tun kann«, meinte Zoe.

»Und bei euch so?« Jem sah seine Freunde aufmerksam an. »Irgendwelche Neuigkeiten?«

»Allerdings«, sagte Arthur. »Ich habe es den anderen extra noch nicht gezeigt, weil ich auf euch warten wollte. Aber nach dem, was ich jetzt gehört habe, ist es wohl besser, wir lassen Lucie schlafen.«

»Denke ich auch«, sagte Jem. »Was hast du denn rausgefunden?«

»Kommt alle rüber zu M.A.R.S., dann zeige ich es euch.«

Der Roboter stand etwas abseits unter einer Palme und rührte sich nicht. Arthur hatte ihn mit dem Holotalkie verbunden, das wiederum an den Laptop angeschlossen war. Eine komplizierte Konstruktion, die aber zu funktionieren schien.

Arthur setzte sich auf eine der Stufen, nahm den Laptop auf den Schoß und tippte ein paar Befehle ein. »So, dann wollen wir mal sehen«, sagte er und drückte die Enter-Taste.

Bzzz …

Ein grünes Licht zuckte auf, verdichtete sich über dem Display des Holotalkies, wurde größer und gewann an Konturen.

Jem runzelte die Stirn. Dann erkannte er, was es war. »Roderick!«

»Zu Ihren Diensten.«

Der kleine Bibliothekar drehte sich im Kreis.

»Oh, lauter bekannte Gesichter, wie schön. Aber was ist das für eine Umgebung? Ich kann mich nicht erinnern …«

»Du bist ein Download«, erläuterte Arthur. »Ich habe mir erlaubt, deine Programmdatei auf diesem Gerät zu installieren. Damit bist du nicht länger an die Bibliothek gebunden. Gefällt es dir?«

Der kleine Mann sah sich um, dann sagte er. »Das gefällt mir sogar sehr.«

»Das freut mich. Dank deiner Hilfe haben wir endlich Fortschritte gemacht. M.A.R.S. konnte die verschlüsselten Datensätze auf seine Festplatte übertragen und hat nun angefangen, sie zu dechiffrieren. Der Vorgang ist zwar noch nicht abgeschlossen, aber so nach und nach trudeln jetzt die ersten Informationen ein. Zum Beispiel sind wir auf die Aufzeichnung einer Nachrichtensendung vom 23. August 2035 gestoßen. Dem Jahr, in dem es passierte. Könntest du sie für uns abspielen?«

»Einen Moment …« Roderick löste sich auf. Auf dem Laptop erschienen Buchstabenfolgen.

… Accessing …

… Accessing …

Ein neues Hologramm tauchte auf. Nicht nur eine einzelne Person, sondern ein ganzer Raum. Jem ging näher heran. War das ein Nachrichtenstudio? Tatsächlich. Und da erschien auch schon Roderick als Nachrichtensprecher in Anzug mit Krawatte.

»Guten Abend, meine Damen und Herren, ich begrüße Sie zu News Today.« Jem sah, wie er sich über die holographische Darstellung einer Weltkugel bewegte. Das Bild zeigte die USA, den Golf von Mexiko, einen Abschnitt Mittelamerikas sowie die gesamten Südstaaten bis runter nach Florida. Ein gewaltiger Feuerball, den Roderick mit elegantem Hüftschwung umrundete, hing lodernd über dem Meer. Das Bild war eingefroren und stellte wohl die letzten Sekunden vor dem Einschlag dar.

»Ein kosmisches Ereignis von nie da gewesenem Ausmaß hält die Welt in Atem. Der Komet 69P/Nikka-Taketsuru – Beiname Thor – streifte heute Vormittag um zehn Uhr die Atmosphäre der Erde. Ein großer Teil der Hauptmasse löste sich und ging über dem Golf von Mexiko nieder. Das Feuerwerk war noch in dreitausend Kilometer Entfernung zu sehen.«

»Irre«, flüsterte Jem. Er war wie elektrisiert. Seine Handflächen kribbelten so, dass er sie in seine Hosentaschen stecken musste.

»Anstatt jedoch als fester Körper im Meer aufzuschlagen, explodierte der Komet und verteilte sein kosmisches Material über eine Fläche von mehreren Tausend Quadratkilometern. Menschen kamen wie durch ein Wunder nicht zu Schaden.« Roderick machte eine Vierteldrehung und das Studio veränderte sich. Das Bild vom Golf war verschwunden. Stattdessen hing jetzt ein unregelmäßig geformter Himmelskörper im Raum, der langsam um seine eigene Achse rotierte.

»Bei einem Kometen handelt es sich – im Gegensatz zu einem Meteoriten oder Asteroiden – nicht um einen homogenen Felsbrocken, sondern um das, was Wissenschaftler gemeinhin als schmutzigen Schneeball bezeichnen«, erklärte er und fuhr ohne Unterbrechung fort: »Eine Mischung aus felshartem Eis mit einem hohen mineralischen Anteil, die fast durchweg mit Schotter und lockerem organischem Material bedeckt ist. Die ersten wirklich gesicherten Daten über die Zusammensetzung und den Aufbau von Kometen erlangte die Wissenschaft im Jahre 2014, also vor nunmehr einundzwanzig Jahren, durch die Raumsonde Rosetta und ihren Vorbeiflug am Kometen Tschurjumow-Gerassimenko. Das Landefahrzeug Philae wurde auf die Oberfläche geschickt, mit dem Auftrag, Gesteinsproben zu sammeln und Messungen vorzunehmen. Die damals gewonnenen Erkenntnisse gaben der Kometenforschung einen beträchtlichen Auftrieb. So wurden sechzehn organische Moleküle nachgewiesen, von denen vier noch nie auf einem solchen Himmelskörper gefunden worden waren.«

»Habt ihr das gewusst?«, flüsterte Katta.

»Natürlich«, entgegnete Olivia mit hochgezogener Braue. »Du etwa nicht? Das war doch das große Thema damals im Fernsehen.«

»Nicht bei Germanys Next Topmodel«, entgegnete Katta schnippisch.

»Seid doch mal still«, zischte Marek. »Wenn es euch nichts ausmacht, würde ich das gerne sehen.«

Roderick war inzwischen beim Inneren des Kometen angelangt. »Grundsätzlich lässt sich feststellen, dass es sich bei Kometen um wahre Baukästen organischer Verbindungen handelt. Viele dienen als Ausgangspunkt für wichtige biochemische Reaktionen. Thor bildet da keine Ausnahme. Die These, dass das Leben einst von Kometen auf die Erde gebracht wurde, galt nach der Erforschung von Tschurjumow-Gerassimenko als gesichert. Doch was bedeutet der Absturz des Kometen nun für unsere Erde?«

Jem hing gespannt an den Lippen des kleinen Mannes. Es kam ihm vor, als würde Roderick den Auftritt sichtlich genießen.

»Um dieser Frage nachzugehen, schalte ich nun ins Hauptstadt-studio Washington, zu unserem Experten Dr. Willard Ash.« Roderick tippte in die Luft und sofort erschien das Bild eines angegrauten Mannes mit schütterem Haar, hinter dessen dicken Brillengläsern tiefe Tränensäcke lagen. Seine Schultern hingen leicht herab und er machte den Eindruck, als hätte er nächtelang nicht geschlafen.

»Dr. Ash, Sie gehören einer Gruppe von Klimaforschern an, die sich seit Jahren mit den Auswirkungen eines möglichen Kometenniedergangs auf das Weltklima beschäftigen. Nun ist es also passiert. Was wissen wir über diesen Kometen und was können Sie uns zu diesem frühen Zeitpunkt an Erkenntnissen liefern?«

»Ich grüße Sie«, sagte der Mann mit gepresster Stimme. »Nun, genaue Vorhersagen lassen sich zu diesem Zeitpunkt noch nicht treffen. Unsere Datenauswertung läuft selbstverständlich auf Hochtouren. Ganz allgemein müssen wir aber wohl davon ausgehen, dass sich das Weltklima in naher Zukunft ändern wird. Und zwar beträchtlich.«

»Weltklima, habt ihr das gehört?« Jem sah seine Freunde der Reihe nach an. Ihnen allen stand die Verblüffung ins Gesicht geschrieben. »Das könnte die Erklärung sein. Deswegen ist es so warm. Die vielen Sümpfe, die Gewitter, die hohe Luftfeuchtigkeit.

»Du hast recht«, flüsterte Olivia. »Aber jetzt lass ihn ausreden.«

Dr. Ash fuhr mit seinen Ausführungen fort: »Die Astronomen haben errechnet, dass Thor eine Masse von schätzungsweise zehn Milliarden Tonnen aufgewiesen hat. Zehn Milliarden, von denen der Großteil aus gefrorenem Kohlendioxid besteht. Beim Verdampfen hat der Komet eine ungeheure Menge an Treibhausgas in die Atmosphäre geblasen. Etwa halb so viel, wie in einem Jahr weltweit durch das Verbrennen fossiler Energien entsteht.«

»Das klingt ja zunächst nicht allzu schlimm …«, sagte Roderick.

»Täuschen Sie sich nicht.« Ash nahm seine Brille von der Nase und putzte sie umständlich. »Vergessen Sie nicht, welche Probleme wir bis vor wenigen Jahren mit den Treibhausgasen und der daraus resultierenden Erderwärmung hatten. Es hat Jahrzehnte gedauert, bis sich die Nationen der Welt auf einheitliche Emissionswerte geeinigt haben. Und nun kommt dieser Komet daher und wirft all unsere Bemühungen über den Haufen. Darüber hinaus ist dies kein langsamer Ausstoß, sondern eine spontane und heftige Verpuffung. Ein räumlich begrenztes Ereignis, welches die feinen Abläufe im Weltklima gehörig durcheinanderbringt. Stürme, Unwetter und ein massiver Anstieg der Luftfeuchtigkeit werden die Folge sein. Zuerst betreffen sie nur ein vergleichsweise kleines Gebiet, doch im Laufe der Monate werden sie sich ausbreiten und weltweit auftreten. Meeresströmungen könnten sich erwärmen und es könnte zu einer Art Super-El-Niño führen, der das Weltklima über Jahrzehnte verändern wird.«

»Das ist es, das ist die Erklärung«, rief Jem und lauschte dann weiter den Ausführungen des Klimaforschers.

»Ich will hier nicht zu sehr schwarzmalen«, sagte Dr. Ash, »aber ich prognostiziere einen weltweiten Anstieg der Temperaturen um durchschnittlich vier Grad oder mehr. Was das bedeutet, können wir heute noch gar nicht abschätzen.«

Roderick nickte. »Vielen Dank nach Washington.«

Er wandte sich wieder dem Zuschauer zu. »Düstere Worte von unserem Kollegen. Aber das Klima ist nur einer der Bereiche, der Fragen aufwirft. Der andere betrifft die organischen Verbindungen, die mit dem Kometen zur Erde gelangt sind. Um diese Frage näher zu beleuchten, wende ich mich an Professor Dr. Helen Hurst vom mikrobiologischen Forschungsinstitut an der Harvard University. Hallo, Dr. Hurst.«

Eine gut aussehende Mittvierzigerin erschien als plastisches Hologramm mitten im Studio. Wie sie so dastand, hätte man glauben können, sie wäre wirklich anwesend.

»Bitte nennen Sie mich Helen.«

»Sehr gerne.« Roderick lächelte. »Wie ich den Zuschauern bereits erklärte, führen Kometen eine ungeheure Menge organisches Material mit sich. Material, wie es bei der Entstehung des Lebens auf unserer Erde eine Rolle gespielt haben könnte. Meine Frage an Sie: Waren Sie schon in der Lage, Proben des Kometen auszuwerten? Und ist es durch den Absturz vielleicht zu einer Vergiftung der Meere gekommen?«

Die Professorin lächelte. »Also zumindest in dieser Hinsicht kann ich Entwarnung geben. Von Vergiftung kann keine Rede sein. Wir konnten einige Proben auswerten und dabei keine unmittelbare Bedrohung feststellen. Zugegeben, Thor hat eine Menge biologischer Materie ins Wasser befördert, aber die Bausteine sind so primitiv, dass sie bestenfalls als Protomaterie bezeichnet werden können.«

»Was bedeutet das?«

»Protomaterie ist die Art von Materie, die zu Beginn der Evolution von entscheidender Wichtigkeit war, die aber heute, in unserem hoch entwickelten Ökosystem, völlig harmlos ist. Diese Bausteine bewegen sich auf atomarer Ebene. Sie sind so winzig, dass sie bei der Verdunstung aufgenommen werden und so in den Wetterkreislauf gelangen. Damit verteilen sie sich gleichmäßig und stark verdünnt über die ganze Erde. Die Verdünnung ist so groß, dass meine Kollegen und ich davon ausgehen, dass diese Bausteine keinen unmittelbaren Schaden anricht…«

Jem hob den Kopf. Der Rest des Gesprächs trat auf einmal in den Hintergrund. Er hatte etwas gehört. Ein Geräusch, das ihm einen Schauer über den Rücken jagte.

Er spitzte die Ohren. Kein Zweifel, da war es wieder.

»Seid mal still«, sagte er.

»Was ist los?«, fragte Arthur, »Sie ist doch noch gar nicht fertig.«

»Schalt das Ding aus!«, fuhr Jem ihn an.

Wiederwillig betätigte Arthur den Knopf. Das Hologramm verlosch. »Ausgerechnet jetzt, wo es am interessantesten wurde.«

»Pssst!«

Alle schwiegen.

Jem hob den Zeigefinger.

Tatsächlich. Da war es wieder. Ein Heulen, das so gar nicht in diese Umgebung passen wollte.

»Was ist das?«, fragte Katta.

Zoes Hand fuhr an die Pistole. »Klingt nach Wolfsgeheul.«

Das Heulen wurde lauter.

»Wölfe?« Kattas Wangen verloren augenblicklich alle Farbe.

»Und da drüben sehe ich auch schon den ersten«, stieß Zoe aus. Sie deutete in Richtung Bahnhof.

Jem kniff die Augen zusammen. Aus dem Haupteingang war ein majestätisches Tier mit grauem Fell und einem unverwechselbaren schwarzen Streifen auf dem Rücken getreten. Flankiert wurde er von zwei anderen: einem zierlicheren mit beinahe schneeweißem Fell sowie einem schwarzen, der etliche kahle Stellen aufwies. Vermutlich Narben von zurückliegenden Kämpfen. Irgendetwas an ihnen war seltsam. Sie wirkten gar nicht so sehr wie Wölfe. Eher wie Raubkatzen.

Die drei standen einfach da und sahen sie mit ihren gelben Augen an.

»Rein in den Bus«, zischte Marek. »Schnell.«

Jem hörte das Knurren und Jaulen jetzt von allen Seiten. Von links, von rechts und auch von jenseits des Busses. Es waren viel mehr als nur diese drei.

»Einsteigen und Türen schließen. Wir fahren los.«

»Und Bennett und Jaeger?«, fragte Olivia.

»Scheiß auf Bennett und Jaeger. Ihre Zeit ist abgelaufen. Nun macht schon, alle in den Bus. Und vergesst M.A.R.S. nicht. Es geht zurück zum Flughafen.«

Es dauerte eine Weile, bis sich alle durch die Tür gezwängt hatten.

»Setzt euch hin und haltet euch fest«, rief Marek, schloss die Tür und startete den Motor.

Jem presste die Lippen aufeinander. Die Anzahl der Raubtiere schien sich verdoppelt zu haben. Die grauen Leiber waren jetzt überall. Gelbe, hungrige Augen starrten sie an.

Marek trat aufs Gaspedal. Der Bus machte einen Satz vorwärts. Jem konnte sich gerade noch festhalten, sonst wäre er quer durch den Bus gesegelt.

Die Kreaturen strömten in Scharen aus dem Unterholz. Jem hatte noch nie so viele Wölfe auf einem Haufen gesehen. Und was sie ihnen entgegenheulten, klang alles andere als freundlich.

»Da lang.« Er deutete nach Westen. »Dort kommen wir auf den Zubringer zur Interstate.«

»Schon gesehen«, rief Marek. »Und jetzt los.«

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