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Sie fuhren die halbe Nacht hindurch. Jem wechselte sich mit Marek ab und so gelang es ihnen, noch ein gutes Stück der Strecke hinter sich zu bringen. Irgendwann machten sie Pause, hielten an und schliefen ein paar Stunden.

Am nächsten Morgen standen sie auf, aßen und tranken, dann setzten sie ihre Reise fort.

Kurz vor Mittag erreichten sie Colorado Springs. Hinter der Silhouette einiger mehrstöckig aufragender Büro- und Bankengebäude erhoben sich majestätisch die Berge. Auf vielen von ihnen lag Schnee.

Obwohl alles friedlich aussah, entschieden sie sich, die Stadt weiträumig zu umfahren. Der Höhenangabe zufolge lag sie auf tausendsechshundert Metern. Trotzdem war sie vermutlich ebenso von der Katastrophe überrannt worden wie alle größeren Städte dieses Landes. Arthur hatte ihnen die Berichte vorgelesen und sie rasch von ihren Hoffnungen befreit. Die Erlebnisse von Denver steckten ihnen noch in den Knochen. Zur Not konnten sie auf dem Rückweg einen Abstecher riskieren, aber jetzt zog es sie erst mal in die Berge.

Immer wieder mussten sie anhalten, um irgendwelches Gerümpel oder umgestürzte Bäume von der Fahrbahn zu entfernen. Bei einem ihrer Zwischenstopps blickte Jem nach oben und stellte erleichtert fest, dass ihnen keine Vögel mehr folgten. Ihr Plan schien tatsächlich aufgegangen zu sein. Die Routenänderung war die richtige Entscheidung gewesen. Trotzdem sollten sie wachsam bleiben. Diese Tiere hatten verdammt gute Augen. Einmal entdeckt, würden sie sich vermutlich wieder an ihre Fersen heften.

Er fühlte sich inzwischen relativ sicher hinter dem Lenkrad. Lucie saß neben ihm und half ihm, den Weg zu finden. Er hatte das Gefühl, dass die Ereignisse der letzten Tage sie richtig zusammengeschweißt hatten. Sie war ihm so vertraut, als würden sie sich schon ewig kennen, manchmal reichte ein Blick von ihr und er wusste, was sie sagen wollte.

Nachdem sie eine ganze Weile still nebeneinander zurückgelegt hatten, sagte Lucie: »Es ist wie ein verwunschenes Königreich, findest du nicht?«

»Was meinst du?«, fragte er.

»Na, die Berge. Sieh nur, wie der Schnee auf den Gipfeln schimmert. Als wären sie mit Zuckerguss überzogen. Wie Berge im Schlaraffenland.«

Er musste grinsen, weil Lucie recht hatte.

»Sie erinnern mich irgendwie an die Donuts, die meine Mutter mal gemacht hat«, sagte sie. »Ganz warm und mit einer rosafarbenen Zuckerglasur. Frisch sind sie am besten.«

Jem lief bei dem Gedanken daran das Wasser im Mund zusammen. »Hör auf damit!« Er lachte. »Ich würde alles für so einen Donut geben. Oder noch besser für einen Berliner. Während der Karnevalszeit riecht ganz Köln danach. Dann bekommt man sie in jeder Bäckerei und der Duft weht durch alle Straßen. Mit Marmeladenfüllung, oh Mann.« Er blickte versonnen geradeaus. »Und Weckmännchen. Erinnerst du dich noch an Weckmännchen?«

»Klar«, erwiderte Lucie. »Die mit den Rosinenknöpfen und den schwarzen Augen.«

»Vor allem die Tonpfeifen«, sagte Jem. »Ich war ganz verrückt danach. Ich habe die Dinger gesammelt. Eine Zeit lang haben wir sogar versucht, damit zu rauchen, aber das ging nicht so gut. Das Loch im Stiel war zu eng und beim Aufbohren sind uns die Pfeifen oft kaputtgegangen. Was uns aber nicht davon abgehalten hat, es weiter zu versuchen«

Lucie lächelte ihn an. Ein rosiger Schimmer lag auf ihren Wangen. »Ich wollte mich übrigens noch mal bei dir bedanken.«

»Wofür?«

»Na, dass du dich so lieb um mich gekümmert hast, als es mir schlecht ging. Ich war völlig weggetreten, oder?«

»Kann man so sagen, ja.«

»Es tut mir leid …«

»Das braucht dir doch nicht leidzutun«, sagte er und schaffte es gerade rechtzeitig, einem herumliegenden Ast auszuweichen. »Wir alle haben Schlimmes durchgemacht, aber für dich muss es am schlimmsten gewesen sein. Ich hätte mir vermutlich in die Hosen gemacht vor Angst …«

»Du bist süß.«

Jetzt bekam Jem rote Wangen. »Man hat mich ja schon viel genannt, aber noch nie süß.«

»Echt nicht? Du hattest doch bestimmt schon mal eine Freundin.«

»Ich … äh, nein.«

»Ist nicht dein Ernst.«

»Kannst es ruhig glauben.«

»Na ja, dann sind wir schon zwei. Ich hatte auch noch keinen Freund.« Sie blickte geradeaus.

Jem wusste nicht, was er sagen sollte. Ihm fiel nichts ein, er wusste nur, dass er nicht wollte, dass sie jetzt aufhörte. Plötzlich drehte sie sich zu ihm um. Sie sah ihn direkt an. »Wärst du gerne mein Freund?«

»Nun, ich …« Sein Hals war plötzlich sehr rau.

»Ja oder nein? Du darfst es mir ruhig ganz ehrlich sagen. Ich kann damit umgehen.«

Er bemühte sich, geradeaus zu gucken, obwohl ihm das gerade sehr schwerfiel. Ihm schwirrte der Kopf. Er hatte ja schon einige Anmachen miterlebt, aber noch nie so eine.

»Also … ja«, antwortete er zu seiner eigenen Verblüffung. »Ich wäre gerne dein Freund.«

Lucie schwieg. Sie saß nur da, lächelte und sprach kein Wort. Was für ein seltsames Mädchen. Dann, plötzlich, beugte sie sich vor und gab ihm einen Kuss. Nur ein Schmatzer auf die Wange, aber er hatte das Gefühl, als würde ihn ein Sonnenstrahl treffen. Wärme durchströmte ihn und erfüllte ihn von den Zehen bis zu den Ohren.

Einige Kilometer weiter trafen sie erneut auf ein Hindernis. Diesmal war es ein umgestürzter Baum, der quer zu ihrer Fahrbahn lag. Während M.A.R.S. und Marek ihn zur Seite räumten, rief Arthur die anderen zu sich, um ihnen etwas zu zeigen. Er war anscheinend schon wieder auf etwas gestoßen, das keinen Aufschub duldete.

Jem fiel es schwer, sich zu konzentrieren. Er hatte nur Augen für Lucie. Er wäre lieber mit ihr alleine gewesen, aber die Umstände sprachen leider gerade dagegen. Also stellte er sich in die zweite Reihe und folgte der Unterhaltung mit halbem Ohr.

»Ich glaube, ich habe herausgefunden, was hier geschehen ist und wer unsere großen Unbekannten sind«, sagte Arthur. »Hier, seht euch das an.«

Roderick stand schon wieder auf seinem Display und lächelte freundlich. »Wiederhol noch mal, was du mir eben erzählt hast«, forderte Arthur ihn auf. »Die Sache mit den Squids.«

Squids? Jem hob den Kopf. Dieses Wort hatte er noch nie gehört.

Roderick räusperte sich. »Gerne. Auch, wenn ich einschränkend sagen muss, dass die Information noch unvollständig ist. Es ging um Ihre Suchanfrage nach einer Lebensform, die über eine überproportionale Intelligenz verfügt und darüber hinaus in der Lage ist, sich zu tarnen. Und in der Tat: So eine Lebensform gibt es.«

Ein seltsames Objekt erschien über dem Display.

Jem trat näher. Was war denn das?

»Was Sie hier sehen, Herrschaften, ist eine Lebensform, die auf der Erde seit mehr als dreihundertvierzig Millionen Jahren heimisch ist. Sie hat ihre Form seither nur unwesentlich verändert und gilt als Meister der Anpassung. Außerdem ist sie hochintelligent. Die Rede ist von den Tintenfischen. Den Sepia, den Kraken und Oktopoden. Der wissenschaftlich korrekte Ausdruck lautet Kopffüßer oder Cephalopoden.«

Jem spürte ein Kribbeln im Nacken. »Das Vieh im Radkasten«, stieß er aus. »Die schlaffen, wurmartigen Tentakeln, das halb durchsichtige Fleisch, die merkwürdigen Saugnäpfe. Jetzt weiß ich, woran mich das die ganze Zeit erinnert hat.«

Roderick nickte. »In den letzten paar Jahrhunderten ist es diesen Tiere gelungen, ihre maritime Heimat verlassen und das Land zu bevölkern. Eine Veränderung in ihrer DNA ermöglicht ihnen, Luftsauerstoff zu atmen und sich über Land fortzubewegen. Sie haben nicht nur die Spitze der Nahrungskette eingenommen, sondern sogar den Menschen als Krone der Schöpfung verdrängt. Diese Informationen gelangten niemals an die Öffentlichkeit. Sie wurden als streng geheim eingestuft und mit der höchsten Sicherheitsstufe versehen.«

»Moment mal«, warf Jem ein. »Wir reden hier aber immer noch von Tieren, oder?«

»Die Grenze zwischen Mensch und Tier ist sehr willkürlich gewählt«, sagte Olivia. »Im Grunde haben die Menschen sie frei erfunden, weil sie sich für etwas Besseres halten.«

»Das ist doch Blödsinn …«

»Kein Blödsinn. Überleg doch mal. Wenn ich in Bio richtig aufgepasst habe, unterscheiden wir uns vom Schimpansen nur in zwei Prozent unseres Erbgutes – achtundneunzig Prozent sind absolut identisch. Und trotzdem ziehen wir eine unsichtbare Grenze und sagen, er sei ein Tier und wir wären Menschen.«

»Und diese Kreaturen scheinen deutlich anpassungsfähiger und intelligenter zu sein als Schimpansen«, fügte Paul hinzu. »Um Vögel, Wölfe und Berglöwen zu manipulieren, bedarf es einer ungeheuren Willenskraft. Die gedankliche Kapazität müsste so groß sein, dass sie schon in den Bereich der Telepathie geht. Ein solches Lebewesen wäre uns Menschen weit überlegen.«

»Es handelt sich um eine Theorie, die bereits seit vielen Jahren von führenden Evolutionsbiologen vertreten wird«, erklärte Arthur. »Allerdings haben wohl nicht mal die kühnsten unter ihnen damit gerechnet, dass es so schnell passieren würde.« Er zuckte die Schultern. »Tja, Leute, tut mir leid, euch das sagen zu müssen, aber die Krone der Schöpfung hat seit Kurzem nicht mehr zwei Arme, sondern acht.«

Jem war fassungslos. »Und wir haben es überfahren«, murmelte er.

»Es muss irgendwo zwischen den Sträuchern gewesen sein«, sagte Zoe. »Bennett hat es nicht rechtzeitig erkannt und ist einfach drübergefahren. Wir haben es getötet. Keine besonders feine Art, sich einander vorzustellen.«

»Aber das war doch keine Absicht«, warf Lucie ein. »Es war ein Unfall.«

»Und die Sache mit dem Pfeil? Wie willst du ihnen das erklären?« Zoe zog eine Braue in die Höhe. »Alles, was diese Viecher von uns wissen, ist, dass wir rücksichtslos und grausam sind und dass wir sie nach Belieben töten. Wahrscheinlich halten sie uns für skrupellose Killer. Und für Killer gilt die Todesstrafe.«

»Oh Mann …«, murmelte Jem.

»Also, jetzt mal langsam«, sagte Katta. »Mir geht das echt ein bisschen zu schnell. Tintenfische? Die leben doch im Meer.«

»Schon lange nicht mehr«, erwiderte Roderick.

»Ich darf Sie auf einen Artikel vom 23. Januar 2081 hinweisen. Er stammt aus der Fachzeitschrift Scientific American und wurde knapp fünfzig Jahre nach dem Einschlag des Kometen Thor verfasst. Zu diesem Zeitpunkt wusste man bereits recht gut über die Veränderungen auf der Erde Bescheid. Aber man hielt die Erkenntnisse geheim. Entgegen den Prognosen führender Wissenschaftler hatte der Kometeneinschlag nämlich doch beträchtliche Auswirkungen. Gewaltige Mengen von Kohlendioxid waren in die Atmosphäre gelangt, die zu einer Erwärmung der Durchschnittstemperatur auf der Erde führten. Die Polkappen schmolzen, der Golfstrom versiegte und der Meeresspiegel stieg um mehrere Meter. Das Weltklima änderte sich rapide. Trockene Gebiete verwandelten sich in Wüsten, gemäßigte Breiten in Regenwälder. Riesige Teile der Küstenregionen wurden zu Flachwasserzonen.«

Roderick malte ein paar Kontinentalumrisse in die Luft. Europa sah auf einmal ganz anders aus. Auch Nordamerika war für Jem kaum noch wiederzuerkennen. »In den neu entstandenen Flachwasserzonen konnte sich eine neue Form von Leben entwickeln«, fuhr er fort. »Kopffüßer, die bisher an das Leben im Meer gebunden waren, drangen dort ein und eroberten das Land. Erst über die Sumpfgebiete, später über die schwülwarmen Regenwälder. Es war ein großer Schritt in der Evolution.«

»Evolution«, murmelte Arthur. »Mutation. Die Natur hat sich verändert. Erinnert ihr euch an die Wölfe? Das waren doch keine normalen Wölfe. Eher eine Mischung aus Hund und Raubkatze, oder?«

»Genau wie die Riesenratten im Tunnel«, flüsterte Lucie. »Oder die Pflanzen und Vögel am Flughafen.«

Jem wischte seine schweißnassen Hände an der Hose ab. Endlich hatte er eine Bestätigung für das, was er die ganze Zeit gespürt hatte. Er sog die Luft ein. »In was für eine Riesenscheiße sind wir hier bloß hineingeraten?«

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