Читать книгу Evolution Bundle - Thomas Thiemeyer - Страница 49

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Lucie hielt sich fest an die Lehne des Vordersitzes geklammert. Der Bus schaukelte und schlingerte wie ein Schiff auf hoher See.

Jem, Katta und Zoe waren vorne bei Marek, während Arthur, Olivia und Paul hinten bei M.A.R.S. hockten und weitere Daten aus seinem Speicher herunterluden.

Sie selbst saß völlig benommen auf einem Platz in der Mitte und versuchte, ruhig und gleichmäßig zu atmen. Ihre Gedanken zu sortieren, die wie wild in ihrem Kopf durcheinanderwirbelten. Was Jem ihr über den Angriff erzählt hatte, bereitete ihr Sorge. Sie wusste nicht, was das alles bedeutete, aber es schien, als habe die Natur ihnen den Krieg erklärt. Wie sollten sie so die nächsten Tage überleben? Die nächsten Wochen und Monate? Und was erwartete sie am Flughafen?

Es war, als würde sich ein unsichtbares Netz um sie zusammenziehen, aus dem es kein Entrinnen gab.

Aufgeregte Stimmen rissen sie aus ihren Gedanken. »Das gibt es doch nicht!«, rief Arthur. Auf seinen Wangen waren aufgeregte rote Flecken zu sehen. »Wir haben einen Ort gefunden, an dem möglicherweise noch Menschen leben.«

»Was? Wo?« Jetzt war Lucie hellwach.

»Gar nicht weit weg von hier. Hier, sieh selbst.« Er kam mit seinem Laptop zu ihr und drehte ihn so, dass sie einen Kartenausschnitt sehen konnte. Er tippte auf eine Stelle südlich von Denver. »Es ist nur etwa einhundertdreißig Kilometer von hier entfernt, in den Bergen.«

Lucie rückte näher. Sein Finger ruhte auf einer Gebirgsregion.

»In den Rocky Mountains?«

»An ihrem Ostrand.«

»Cheyenne Mountain«, las Olivia murmelnd. »Wie kommst du darauf, dass dort Menschen leben?«

»Weil das in den Dokumenten steht. Hier, sieh mal, dies ist eine der letzten Aufzeichnungen, die wir gefunden haben.« In seinen Augen lag ein aufgeregtes Funkeln. »Sie stammt aus dem Jahr 2084, also rund fünfzig Jahre nach dem Fernsehbericht, den wir uns vorhin angeschaut haben. In diesem Zeitraum ist das Leben, wie wir es kannten, auf der ganzen Welt zusammengebrochen.«

»Fünfzig Jahre?« Lucies Herz krampfte sich zusammen. Sie konnte nicht begreifen, dass innerhalb so kurzer Zeit Menschen ausgelöscht worden waren und die Natur die Herrschaft übernommen hatte. Damit war aber auch endgültig klar, was sie schon lange befürchtet hatten: Dass niemand aus ihrem alten Leben mehr da war – ihre Eltern nicht, ihre beste Freundin nicht … und theoretisch gesehen hätte Lucie selbst eigentlich auch nicht mehr leben dürfen. Warum um alles in der Welt war ausgerechnet sie in dieser trostlosen Zukunft gelandet?

»Was genau steht denn in diesem Artikel?«, fragte sie.

Arthur räusperte sich. »Ja, also wie gesagt, der Ort liegt am Fuße des Cheyenne Mountain. Das ist nahe der Stadt Colorado Springs auf einer Höhe von knapp zweitausend Metern …«

»Lauter«, rief Marek von vorne. »Wir wollen hier auch etwas mitbekommen!«

Arthur setzte erneut an, diesmal etwas lauter. »Wie hier zu lesen ist, haben sich dort ein paar Hundert Menschen zusammengefunden und Stellung in einem unterirdischen Bunkerkomplex bezogen. Vielleicht, um sich vor den Auswirkungen des Kometeneinschlags zu schützen. Die US Air Force hat ihn während des Kalten Krieges angelegt und er ist so konzipiert, dass Menschen dort drinnen selbst einen Atomschlag überleben können. Die Anlage besitzt eine eigene Stromversorgung, Filtersysteme, Wasser, Nahrungsmittel und was man sonst noch so braucht.«

»Moment mal«, hakte Paul ein. »Wir reden hier aber nicht von NORAD, oder?«

»Doch, genau.« Arthur grinste. »Irre, oder?«

»Das ist mehr als irre, das ist … der pure Wahnsinn.« Seine Augen leuchteten.

»NORAD?« Lucie verstand kein Wort. »Was bedeutet das? Davon habe dich noch nie gehört.«

»Was?« Arthur sah sie fassungslos an.

»Schaust du keine Filme oder Fernsehserien?«, fragte Paul.

»Doch, schon. Manchmal. Wieso?«

»Wargames, Dr. Seltsam, Terminator, Interstellar, Stargate? Klingelt da nichts bei dir?«

»Nein, jetzt erzähl schon, was es damit auf sich hat.«

»Das North American Aerospace Defense Command war ein Abwehrsystem der USA und Kanada, mit dem Zweck, feindliche Interkontinentalraketen aufzuspüren und davor zu warnen«, erläuterte Arthur. »Ein satellitengestütztes Frühwarnsystem, mit einem enorm großen Rechenzentrum, tief unter dem Cheyenne Mountain. Die Überwachungseinrichtungen waren so leistungsstark, dass das Gerücht aufkam, man könne damit sogar den Weihnachtsmann auf seinem Weg rund um den Erdball verfolgen. Weshalb es dort jedes Jahr eine besondere Weihnachtsveranstaltung für Kinder gab.«

»Du verarschst mich doch.«

»Cross my heart and hope to die«, sagte Arthur und malte ein Kreuz auf seine Brust.

»Achtung!«, brüllte Marek plötzlich von vorne.

Lucie spürte einen Ruck, gefolgt von einem höllischen Reifenquietschen. Sie wurde nach vorne geschleudert. Der Aufschlag presste ihr die Luft aus der Lunge. Das Fahrzeug schlingerte und blieb schließlich stehen.

Jem drehte sich um. »Alles in Ordnung dahinten?«

Lucies Herz beruhigte sich nur langsam. Ihre schweißnassen Hände waren um die Lehne verkrampft. »Was ist denn los, warum haben wir gebremst?«

Marek drehte sich um. »Am besten, ihr kommt nach vorne und seht es euch selbst an.«

Sie standen auf einer Brücke, schätzungsweise zwanzig Meter über dem Erdboden. Unter ihnen verliefen ein paar kleinere Straßen sowie die Gleise der Bahnlinie. Flache, überwucherte Gebäude, umgeknickte Straßenlaternen und verwahrloste Parkplätze. Auch auf der Brücke war die Fahrbahn mit Grasbüscheln, Sträuchern und kleinen Bäumen bedeckt. Allerdings war da eine Stelle direkt vor ihnen im Asphalt, auf der das Gras besonders dicht wuchs. Der Fahrbahnbelag sah einigermaßen solide aus, zumindest auf den ersten Blick. Doch als sie ausstiegen und die Stelle genauer untersuchten, stellten sie fest, dass hier etwas nicht stimmte.

Irgendjemand hatte ein paar Äste und Zweige ausgelegt und sie mit frischen Grassoden bedeckt.

Lucie trat näher heran und sah sich die Stelle an. Zwischen der Erde und den Wurzelballen schimmerten tief darunter die Gleise im Licht. »Mein Gott«, stieß sie aus. »Da ist ein riesiges Loch.«

Jem trat neben sie und tippte mit der Fußspitze leicht gegen einen der Äste. Er rutschte weg und stürzte in die Tiefe, wobei er große Stücke des daraufliegenden Grases mit sich riss. »Scheiße, was ist das denn?«

»Jetzt seht ihr, warum ich so hart auf die Bremse getreten bin«, sagte Marek. »Hätte ich da unten nicht etwas Metallisches funkeln sehen, ich wäre glatt drüber hinweggefahren.«

»Dieses Loch ist ja riesig!«, sagte Jem. »Da wäre der Bus auf jeden Fall abgeschmiert.«

»Oh Gott«, flüsterte Olivia.

»Tja«, sagte Marek mit rauer Stimme. »Und wir wären dabei alle draufgegangen.«

»Wie war das denn auf dem Hinweg?«, fragte Olivia. »Kann sich jemand an die Stelle erinnern?«

Marek schüttelte den Kopf. »Es war schon dunkel, als wir hier langkamen. Außerdem waren wir ja auf der Gegenfahrbahn.«

»Das Loch muss schon länger da gewesen sein«, murmelte Jem, der den Rand der Öffnung mit den Fingern abtastete. »Die Bruchstelle ist alt. Total maroder Beton, seht ihr?« Er zerkrümelte etwas von dem Mauerwerk zwischen seinen Fingern.

»Mag sein«, sagte Marek. »Aber die Äste sind frisch. Genau wie das Gras. Das hat jemand erst kürzlich dorthin gelegt.«

»Jemand?«, fragte Lucie. »Du meinst … Menschen?«

»Menschen, Tiere, was weiß ich«, erwiderte Marek. »Aber wenn ihr mich fragt, sieht das nach einer Eins-a-Falle aus.«

Das Gedankenkarussell in Lucies Kopf begann, sich wieder zu drehen. Sie dachte an das Loch, das sich plötzlich im Bahnhof aufgetan hatte. Es war plötzlich da gewesen und hatte Connie in den Tod befördert. Und jetzt wäre es ihnen beinahe ähnlich ergangen.

Jem sprach aus, was Lucie dachte. »Auch wenn das ziemlich absurd klingt – sieht ganz so aus, als hätte es irgendjemand auf uns abgesehen.« Er blickte sich in alle Richtungen um, als wolle er sich vergewissern, dass niemand ihn hörte. »Überlegt doch mal, was seit Zoes Schuss auf die Glasfassade alles passiert ist – der Angriff der Vögel, das Verschwinden von Bennett und Jaeger und dann noch die Sache mit Connie …«

Lucie zuckte kurz zusammen, als Jem Connies Namen erwähnte.

»Ich glaube sogar, das hat noch früher angefangen«, meinte Arthur. »Erinnert ihr euch an dieses schlabbrige Ding im Radkasten?«

Lucie schüttelte sich. »Wie könnten wir das vergessen?«

»Seit diesem Zeitpunkt hatte ich das Gefühl, dass wir ständig beobachtet werden. Nicht, dass ich irgendetwas gesehen hätte, es ist mehr so eine Intuition.«

»So wie bei mir«, sagte Jem. »Ich weiß ganz sicher, dass dort vor dem Brillenladen etwas war. Es hat mich beobachtet und sich nicht zu erkennen gegeben.«

»Jetzt, wo ich so darüber nachdenke …«, murmelte Lucie leise. »Ich hatte auch das Gefühl, dass da im Baum etwas war. Der Berglöwe mag Connie zwar … getötet haben, aber ich glaube, dass er von etwas gesteuert wurde. Etwas Fremdartigem, das viele Farben besitzt. Hat jemand eine Ahnung, was das gewesen sein könnte?«

»Keine Ahnung«, sagte Arthur. »Ich bin kein Tierexperte.«

»Ich auch nicht«, räumte Olivia ein.

»Aber das würde ja bedeuten, dass jemand die Tiere dazu angestiftet hat«, überlegte Jem. »Dass jemand die Vögel auf uns gehetzt und die Wölfe hinterhergeschickt hat.«

Stille trat ein.

»Und wenn es doch Menschen waren, die uns diese Falle hier gestellt haben?«, fragte Zoe. »Tiere sind zu so etwas doch überhaupt nicht in der Lage.«

»Tiere sicher nicht …«, sagte Jem und strich sich übers Kinn. »Aber vielleicht ja irgendetwas, womit wir Menschen es in unserer Geschichte noch nie zu tun hatten. Immerhin befinden wir uns ja in der Zukunft. Wer weiß, was sich da entwickelt hat. Vielleicht eine andere intelligente Lebensform.«

»Niemand ist intelligenter als wir Menschen«, sagte Marek entschieden. »Das Tier muss erst noch geboren werden, dass es in Sachen Verstand mit uns aufnehmen kann.«

»Da wäre ich mir gar nicht so sicher«, meinte Olivia nachdenklich.

»Jedenfalls bleibt die Frage, wie wir jetzt weiter vorgehen sollen«, sagte Jem. »Dieser Weg ist zumindest unpassierbar.«

»Heißt das, wir müssen umkehren?« Lucies Herz wurde von einer eiskalten Faust gepackt und zusammengepresst. Sie sah ihn mit ängstlichen Augen an.

»Sieht so aus, ja.« Er nahm ihre Hand. »Aber mach dir keine Sorgen. Wir werden es schon schaffen. Irgendwo gibt es einen anderen Weg und wir werden ihn finden. Vertrau mir.«

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