Читать книгу Kind - auf Deine Kosten - Thomas Wölber - Страница 16

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Erklärungsversuche

Eine geraume Zeit später: Wir sitzen abends zusammen, trinken ein Glas Rotwein. Auf einmal wippt Mara aufrecht auf der Stuhlkante, fährt sich immer wieder durchs Haar. Mit leiser Stimme beginnt sie stockend zu erzählen: „Wir sind jetzt über 15 Jahre verheiratet und ich habe nie über die Schattenseite meiner Kindheit gesprochen.“

Demnach musste sich in Maras Elternhaus in dem kleinen spanischen Bergdorf Schlimmes abgespielt haben. Mara berichtet von bösen Intrigen, von Gewalt und Tyrannei seitens des Vaters, einer von der Schwiegermutter zutiefst gedemütigten Mutter, die flüchtete ab und zu in ihr Elternhaus, dann hatte sie Nervenzusammenbrüche; dazu die Tante, die systematisch Unfrieden stiftete … und mittendrin die kleine Mara. Ihre Mutter habe alles über sich ergehen lassen, habe sich gar in der Opferrolle gefallen, mutmaßt Mara. „Und dann habe ich mir geschworen: Niemals werde ich so demütig und schweigend dulden!“

„Thomas, wenn ich dir ins Gesicht schaue, taucht auf einmal das Tyrannengesicht meines Vaters auf.“ Auf meine Mutter projiziere sie unbewusst das böse Intrigieren ihrer Großmutter, ihre nebenan wohnende Schwägerin Iris erinnere sie an ihre hinterlistige Tante – und mit allen habe sie noch aus Kindertagen eine Rechnung offen.

Leider war mit ihrem dominant-patriarchalisch auftretenden Vater zu Lebzeiten nie eine Aufarbeitung möglich gewesen – und jetzt nach seinem Tod, er war zehn Jahre nach unserer Heirat gestorben, schien sie den unverarbeiteten Hass auf mich zu übertragen.

Mein so bemühtes und werbendes Verhalten in den letzten beiden Jahren war ein Kampf gegen Windmühlen, stellen wir gemeinsam fest. Welche Last fällt mir doch von den Schultern! Ich habe wieder große Hoffnung: Wenn Mara es schafft, ihre Vergangenheit aufzuarbeiten, kann alles besser werden.

Mara war es wichtig, sofort am nächsten Tag meine Eltern einzuladen. Ihre Erkenntnis teilte sie ihnen mit und entschuldigte sich für die zahlreichen Verletzungen. Gleichzeitig bescheinigte sie ihnen, sie seien gute Schwiegereltern und Großeltern.

Wenn das mal kein vielversprechender Anfang war …

Fortan versuchte ich meine Frau davon zu überzeugen, professionelle Hilfe zur Vergangenheitsbewältigung anzunehmen. Sie zierte sich, schob es erst vor sich her und meinte dann, mit Gottes Hilfe würde sie das allein schaffen.

Doch es war auffallend, dass sie dieses Thema sorgfältig umging, sowohl im gemeinsamen Gebet als auch in Gesprächen. Der Verweis auf Gott war nur eine Ausrede. Was sie heute erkannte, konnte morgen schon wieder hinfällig sein.

Mara fuhr mit Finn für zwei Wochen zu ihrer Familie nach Spanien. Nach einigen Tagen rief sie mich aufgebracht an: Mit ihrer Mutter habe sie eine gehörige Auseinandersetzung gehabt, sie würde unsere Kids gegenüber den Kindern ihrer Schwester und ihres Bruders benachteiligen: Monatlich stecke die Abuela in jedes der vier Sparschweine gleich viel Geld, aber die drei spanischen Enkel hätten jeder eines, für unsere vier Kinder gebe es aber nur ein einziges Sparschwein. Das wäre ungerecht!

Lautstark hätten sie gestritten, bis ihre im selben Haus lebende Schwester mit hochrotem Kopf über sie hergefallen sei – sie solle sich bei der Mutter sofort entschuldigen, sonst würde sie den Bruder rufen, und der würde sie zum Haus hinauswerfen. Dabei wäre sie mit dem kleinen Finn auf dem Arm immer wieder gegen die Wand gestoßen worden. Sie sei eine arrogante Deutsche, hieß es dazu, ihre Kinder seien verwöhnt und sie habe ihr Vaterland verraten, weil sie weggezogen sei.

Aufgrund dieses Zerwürfnisses brach Mara ihren Urlaub ab und kehrte am nächsten Tag zurück. „Ich sehe erst jetzt, wie gut ich es hier bei dir habe“, sagte sie mir zur Begrüßung.

Nun folgten viele harmonische Wochen. Monatelang gab es keine Telefonate mit ihrer Mutter und ihrer Schwester, womit Störfeuer aus Spanien ausgeschlossen waren. Sollte das der Durchbruch sein zu einem Familienleben, wie wir es die ersten Jahre der Ehe genossen und wie ich es mir immer gewünscht hatte?

Kind - auf Deine Kosten

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