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Vorausplanen

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Planung ist leider ein sehr vager Begriff, und die ihm innewohnende Ungenauigkeit hat zu einer umstrittenen und letztlich vergeblichen Diskussion in der Paläoanthropologie geführt, was das Vermögen der Neandertaler betrifft, Pläne zu schmieden. Sehen Sie sich einmal die folgenden drei Szenarien an:

1. Vier Schimpansenmännchen sitzen auf dem Waldboden und bemerken im Baum über sich einen einzelnen Stummelaffen. Sie tauschen Blicke aus, und dann klettern drei von ihnen benachbarte Bäume empor, während der vierte den Baum besteigt, auf dem sie den unglückseligen Stummelaffen entdeckt haben. Sie jagen ihn, umzingeln ihn, töten ihn und fressen ihn auf.

2. Vier Inuit sind einen Tag lang mit dem Schlitten unterwegs, bis sie zu einem bestimmten Pass in den Bergen kommen, wo sie abwarten. Zwei Tage später erscheint eine Karibuherde und beginnt, den Pass zu durchqueren. Die Inuit töten viele von ihnen.

3. Gegen Ende der Regenzeit setzen vier australische Aborigines eine bewaldete Fläche in Brand, damit das Gras ein zweites Mal „ergrünt“. Dies wiederum zieht Kängurus an, die ein wichtiger Bestandteil des Speiseplans der Aborigines sind. Im nächsten Jahr brennen sie eine andere Fläche nieder; eine bereits verwendete nehmen sie sich erst wieder nach zehn oder zwölf Jahren vor.

Dies sind alles Beispiele für durchdachtes Vorausplanen, aber sie gleichen sich nicht, weder hinsichtlich des Aufwands der Aufgaben noch hinsichtlich des Zeitraums, für welchen im Voraus geplant wird. Was meinen wir mit Vorausplanen? Sicherlich planen die Schimpansen in Beispiel 1 voraus, und doch ist ihr Plan ganz anders geartet als der der australischen Jäger. Auch die Neandertaler planten voraus, das bestreitet niemand. Aber diese Tatsache allein erzählt uns noch nicht sehr viel über die Neandertaler oder ihr Planen. Wir müssen den Vorgang des Planens in einzelne Komponenten unterteilen; danach wird es uns möglich sein, näher zu untersuchen, wie die Neandertaler planten, und diesen Vorgang mit dem beim modernen Menschen zu vergleichen.

Damit eine Handlung wie geplant abläuft, muss sie auf der Vorausberechnung eines bestimmten zukünftigen Zustands beruhen, und diese Vorausberechnung hat eine Auswahl bestimmter Handlungsweisen zur Grundlage. Wenn ein Löwe am späten Nachmittag erwacht, sich aufmacht und ein Zebra verfolgt und tötet, ist das dann schon ein umgesetzter Plan? Wir glauben: nein. Diese Handlungsweise ist einfacher als Ergebnis von Hunger und gut antrainierten Reaktionen zu deuten, es gibt keinen Grund zur Annahme, dass der Löwe ein bestimmtes Tötungsszenario vorausberechnet. Was ist nun mit den Schimpansen in Beispiel 1? Vielleicht klettern Gruppen von Schimpansenmännchen dann, wenn sie Stummelaffen bemerken, immer benachbarte Bäume empor – in diesem Fall wäre das Szenario ganz ähnlich dem mit dem Löwen. Aber es scheint, als sei hier mehr am Werk. Die Schimpansen berechnen die spezifischen Fluchtoptionen des Affen voraus, und obwohl es möglich ist, dass dies nur eine gut antrainierte Routine ist, erscheint es doch wahrscheinlicher, dass die Schimpansen vorausplanen, dass sie ihre Handlungsweise auf den zu erwartenden Zustand ausrichten. Wie schwierig ist dies, in kognitivem Sinn? Eine Voraussetzung für erfolgreiche Planung ist die Autonoese – das subjektive Empfinden von Zeit, von Vergangenheit und Zukunft, und die Fähigkeit, sich selbst in dieser Vergangenheit und Zukunft zu verorten. Und um sich irgendwo zu verorten, benötigt man ein Konzept davon, sich selbst als unabhängigen Agens zu begreifen. Schimpansen haben tatsächlich ein Konzept von sich selbst als Individuum – die meisten können lernen, sich selbst im Spiegel zu erkennen – und scheinen auch ein subjektives Gefühl für Vergangenheit und Zukunft zu haben. Man kann daraus durchaus schließen, dass sie über ein gewisses Maß an Autonoese verfügen. Aber ihre Vorausberechnung eines bestimmten zukünftigen Zustands muss nicht annähernd so detailliert sein wie die der Inuit oder der Aborigines, es muss also noch zusätzliche kognitive Komponenten geben.

Eine Möglichkeit ist, dass menschliche Jäger viel mehr und viel kompliziertere Erinnerungen an Jagd-Szenarien in ihrem Langzeitgedächtnis speichern können. Durch ihr semantisches und prozedurales Gedächtnis haben sie einfach ein viel größeres Spektrum an Lösungen für jedes zu erwartende Szenario parat. Und sicherlich speichert ihr episodisches Gedächtnis Erinnerungen an vergangene Jagderlebnisse. Die Projektion solcher episodischer Erinnerungen auf die Zukunft gibt ihnen einen fertigen Aktionsplan an die Hand. Wir glauben, dass die Neandertaler dies genauso taten, nach dem Motto: Was früher funktioniert hat, wird in Zukunft wieder funktionieren.

Ein weiterer Unterschied zwischen der Planung bei Schimpansen und bei Menschen liegt in der Kommunikation. Schimpansen kooperieren, wenn sie jagen, und sie scheinen ihr gemeinsames Ziel durch Blicke zu kommunizieren – aber danach senden sie keine Botschaften mehr aus, mit denen sie einander helfen würden, ihre Handlungen zu koordinieren. Sie vokalisieren ihren emotionalen Zustand (z.B. Erregung), und andere Schimpansen können sie auf diese Weise lokalisieren, aber sie benutzen ihre Stimme nicht (und auch keine Zeichen), um Handlungen zu koordinieren. Menschen tun das, und wir sind der Meinung, dass die Neandertaler dies ebenfalls taten. Eine effektive Jagd im Maßstab, wie die Neandertaler sie praktizierten, bedarf einer gewissen Koordination durch die Kommunikation von Informationen. Dies ist nur einer der Gründe, weshalb wir vermuten, dass die Neandertaler eine Sprache besaßen.

Sind Autonoese, Langzeitgedächtnis und Kommunikation taktischer Informationen alles, was man zum Vorausplanen braucht? Nein, etwas fehlt noch, und es ist vielleicht sogar der wichtigste Punkt, um Unterschiede in der Planungsfähigkeit zu verstehen. Es ist die Menge relevanter Informationen, denen ein Individuum seine Aufmerksamkeit widmen kann und über die es zur selben Zeit nachdenken kann. Psychologen bezeichnen diese Fähigkeit als Arbeitsgedächtnis, auch wenn Arbeitsaufmerksamkeit es vielleicht noch besser treffen könnte.27, 28 Um Ihnen eine bessere Vorstellung von dem zu geben, was der Begriff Arbeitsgedächtnis bezeichnet, folgt nun eine klassische Aufgabenstellung für das Arbeitsgedächtnis: Erinnern Sie sich beim Lesen dieses Absatzes jeweils an das vorletzte Wort in jedem Satz, in der richtigen Reihenfolge, und sagen Sie am Ende alle Wörter auf, ohne in den Text zu sehen. Es ist ein wenig mühsam, vor allem, weil man sich dabei ziemlich konzentrieren muss, das heißt einen Großteil seiner Aufmerksamkeit dieser Aufgabe widmen muss. Sie können die Sätze zählen, mit denen Sie dies schaffen – das ist eine der Möglichkeiten, die Kapazität Ihres Arbeitsgedächtnisses zu messen. Beachten Sie, dass Sie dabei mehrere Dinge auf einmal tun müssen: Erstens müssen Sie lesen. Zweitens müssen Sie das vorletzte Wort in jedem Satz identifizieren. Drittens müssen Sie sich an die Wörter erinnern. Wir würden darauf wetten, dass diejenigen von Ihnen, die sich dieser Herausforderung tatsächlich gestellt haben, die Sequenz mehrmals laut wiederholen mussten, während sie versuchten zu lesen. Dieser Einübungsmechanismus ist eine von mehreren Komponenten des Arbeitsgedächtnisses.

Im Allgemeinen assoziiert man das Arbeitsgedächtnis mit den höchsten Stufen der Kognition. Die Kapazität des Arbeitsgedächtnisses eines Individuums korreliert stark mit exekutiven Funktionen wie dem Leseverständnis und dem Abschneiden bei Intelligenztests. Das Arbeitsgedächtnis ist nicht einfach nur die Menge an Informationen, denen man seine Aufmerksamkeit widmen kann. Es enthält auch eine exekutive Komponente, die uns dabei hilft, darüber nachzudenken, was es ist, dem wir Aufmerksamkeit schenken. Zwei der exekutiven Funktionen, die für die Planung von Bedeutung sind, sind die Reaktionsinhibition und das Ausblenden von Ablenkungen. Ihr prozedurales Gedächtnis und die Evolution versorgen Sie mit einer riesigen Palette automatischer Reaktionen auf Situationen, mit denen Sie Ihr tägliches Lebens konfrontiert. Ein gutes Beispiel ist die Flucht-oder-Kampf-Reaktion. Aber manchmal müssen Sie eine solche automatische Reaktion unterdrücken. Sie können schwerlich ein Nashorn töten, wenn Sie schon beim bloßen Anblick eines Nashorns vor lauter Angst die Flucht ergreifen. Es ist die exekutive Komponente des Arbeitsgedächtnisses, die einen den Fluchtreflex unterdrücken lässt. Auch Ablenkungen können bei der Planung und Durchführung von Aktionsplänen ein ernstes Hindernis sein. (Die meisten Leser werden dies bestätigen.) Menschen mit einem Arbeitsgedächtnis von besonders hoher Kapazität sind besser in der Lage, Ablenkungen auszublenden und sich auf ihre jeweilige Aufgabe zu konzentrieren. Wenn man diese exekutiven Funktionen mit der Autonoese kombiniert, ermöglicht dies besonders elaborierte Pläne für künftige Handlungsweisen.

Schauen wir noch einmal auf unsere Beispiele mit der Jagd. Sie alle unterscheiden sich voneinander hinsichtlich der Anforderungen an die Kapazität des Arbeitsgedächtnisses. Die Schimpansen müssen ihre natürliche Reaktion unterdrücken, die darin bestünde, den Affen sofort zu jagen. Die Aborigines indes müssen viel mehr tun als das: Nicht nur, dass sie ihre Angst vor dem Feuer verdrängen müssen, sie treiben eine ganze Menge Aufwand und verbringen viel Zeit damit, ihre Handlungen zu organisieren, in Erwartung einer Belohnung, die sie erst Wochen oder sogar Monate später erhalten, während sie zur selben Zeit über die Konsequenzen ihrer Handlungen für die folgenden Jahre nachdenken müssen. In solchen Situationen können einen kurzfristige Ziele oder Wünsche ziemlich einfach von den langfristigen Plänen ablenken und deren erfolgreichen Abschluss verhindern.

Unsere primären Belege dafür, wie die Neandertaler planten, stammen von dem, was wir über ihre Jagd rekonstruieren können. Die Neandertaler haben zukünftige Ereignisse vorausgesehen und mit diesem Wissen im Hinterkopf ihre Entscheidungen getroffen. Die Jagd im Kaukasus mittels Hinterhalt an der Wanderroute des Wilds ist ein schlüssiger Hinweis darauf, dass die Neandertaler nicht ziellos ihre Territorien durchstreiften. Aber es ist auch klar, dass sie nicht so weit im Voraus planten wie viele moderne Jäger und Sammler. Wir haben keine Beweise für eine Anpassung der Taktik an die Jahreszeit, wie wir sie beim modernen Menschen sehr häufig finden, und schon gar keine Beweise dafür, dass sie mehrere Jahre vorausdachten wie die modernen Jäger und Sammler in Australien. Die Taktiken der Neandertaler waren sehr effektiv und Teil einer gut antrainierten Strategie. Aber wir haben keine Hinweise auf langfristige Prognosen oder die Art Reaktionsinhibition, die moderne Jäger und Sammler und auch Landwirte verwenden, um für die Zukunft zu planen. Im Moment sieht es also so aus, als deute alles auf kleine, aber doch sehr reale Unterschiede zwischen Neandertaler und modernem Mensch hin, was das Planen betrifft.

ZUSAMMENFASSEND können wir feststellen: Die Neandertaler standen dort, wo sie lebten, an der Spitze der Nahrungskette. Sie konzentrierten sich bei der Jagd auf einige wenige Arten großer Säugetiere und bedienten sich weiter unten in der Nahrungspyramide nur dann, wenn sie es wirklich mussten. In einigen Regionen, z.B. in Nordeuropa, jagten sie Mammuts und Nashörner, und vielleicht waren sie sogar die einzigen prähistorischen Menschen, die sich jemals auf diese gefährlichen Tiere konzentriert haben. Aber die Neandertaler waren auch anpassungsfähig und in der Lage, ihren Fokus auf diejenigen großen Säugetiere zu richten, die die jeweilige Region zu bieten hatte. Ihre Taktik beruhte auf einer genauen Kenntnis des örtlichen Geländes, der Fähigkeit, ihre Beute zu überraschen und aus dem Hinterhalt anzugreifen, und dem Mut, sie aus nächster Nähe mit Stoßspeeren zu töten. Sie jagten in kleinen Gruppen, denen auch Frauen und Kinder angehörten. Es gab keine wirkliche Arbeitsteilung, außer in Bezug darauf, welche Aufgabe jemand bei der Jagd übernahm. Auch wenn sie sich auf ein paar wenige Tierarten konzentrieren, legten sie niemals lange Strecken zurück, um diese Tiere zu verfolgen. Ihre Jagdreviere waren relativ klein, selten über 1.000 km2, oft einfach ein bestimmtes Flusstal. Nur selten reisten sie außerhalb ihrer heimatlichen Territorien. Sie kannte jeden Stein, jede Klippe, jeden Hohlweg, und sie machten sie sich zunutze. Aber die Konzentration auf wenige Arten und die relativ kleinen Jagdreviere bedeuteten auch, dass sie bei der Jagd oft nicht erfolgreich waren und tagelang hungerten. Wenn sie jedoch ein Tier erlegten, mussten sie möglichst viel in sich hineinschlingen, um die 3.000 bis 5.500 Kalorien zu sich zu nehmen, die sie zum Überleben pro Tag benötigten. Gemessen an unseren Verhältnissen hatten sie ein hartes, brutales Leben.

Die Art und Weise, wie die Neandertaler jagten, setzt bestimmte Denkweisen voraus, und sie begünstigt bestimmte Persönlichkeitstypen. Sehr wichtig war dabei das Langzeitgedächtnis – für Erinnerungen an gute Standorte für die Jagd; daran, welche Arten Jagdwild zur Verfügung standen; an Orte zum Verstecken, an Klippen und Hohlwege, an Rohstoffquellen usw. Sie mussten in der Lage sein, in ihrem Territorium den Weg von einem Punkt zum anderen zu finden, und dazu orientierten sie sich an Wegpunkten und verwendeten wahrscheinlich auch Überblickswissen. Sie planten voraus, wenn auch nicht sehr weit, zumindest aber für die Dauer der Jagd. Sie hielten Schmerzen aus und waren in der Lage, Situationen zu überstehen, bei denen jeder von uns aufgeben würde. Sie waren wahrscheinlich schweigsam und nicht leicht zu begeistern. Und sie waren sehr erfolgreich – sie eroberten eine Vielzahl von Lebensräumen im Nordwesten Eurasiens, einschließlich der rauen, kalten Gebiete Westeuropas. Die Neandertaler besaßen ein beeindruckendes kognitives Profil, aber es unterschied sich von dem der modernen Jäger und Sammler.

Einen großen Anteil am Erfolg der Neandertaler bei der Jagd hatte ihre Technologie, insbesondere ihre Speere mit steinernen Spitzen. Über dieses Thema weiß die Archäologie einiges zu berichten; es steht im nächsten Kapitel im Mittelpunkt.

Denken wie ein Neandertaler

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