Читать книгу Wenn Arbeit Belohnung genug ist - Thorsten Giersch - Страница 4
Einleitung
ОглавлениеFrank R. ist genervt: Seit einer Woche ärgern ihn die Kinder des Nachbarn mit ihren frechen Sprüchen, sogar kleine Beschimpfungen waren dabei. Sein „Ich sag’s euren Eltern“ machte es nur noch schlimmer. So kam R. auf eine Idee: Er bot den beiden Rabauken einen Euro, wenn sie ihn morgen Abend wieder hänseln würden. Sie lachten und kamen am nächsten Abend, um genau das zu tun. Da gab er ihnen 50 Cent, damit sie am nächsten Abend wiederkämen. Die beiden guckten etwas missmutig, kamen aber wieder. An diesem Abend gab Frank R. ihnen nur noch 20 Cent und erntete Empörung: Für so wenig Geld wollten die Jungs ihn nicht mehr beschimpfen.
Das Beispiel stammt vom US-Sozialpsychologen Alfie Kohn, der als einer der Vorreiter auf diesem Gebiet durch zahlreiche Studien belegt hat, dass Belohnung bei weitem nicht das beste Mittel zur Leistungssteigerung ist. Solche künstlichen Anreize wirkten nur kurzzeitig, und es komme sogar zu einem Verdrängungseffekt: So werde nämlich die intrinsische Motivation, die in jedem Mitarbeiter per se vorhanden sei, durch extrinsische Gratifikationen nachhaltig zerstört.
Der US-Vordenker für Management-Berater Daniel H. Pink belegt in seinem Bestseller „Drive. Was Sie wirklich motiviert“ die Mängel dieses Belohnungs- und Bestrafungssystems: Demnach können Belohnungen „eine interessante Aufgabe in eine Schufterei verwandeln“. Die Zuckerbrot-und-Peitsche-Methode erreicht also oftmals genau das Gegenteil dessen, was sie eigentlich bewirken soll. Stellt man Mitarbeitern eine (finanzielle) Belohnung in Aussicht, wählen sie fast immer den einfachen und leicht messbaren Weg. Sie handeln nicht mehr, weil es ihnen sinnvoll erscheint, sondern weil eine Belohnung den Sinn ersetzt hat.
In vielen Unternehmen wird Feuer mit Feuer bekämpft – mit erschreckenden Folgen: Laut Studien macht jeder Zweite nur Dienst nach Vorschrift; jeder Dritte hat innerlich gekündigt. Bücher, in denen Chefs runtergemacht werden, boomen. Dabei gibt es in dem Wust von Management-Ratgebern und Coaching-Literatur nur wenige Fachleute, die echte Lösungen parat haben. Zu ihnen gehören neben Daniel Pink unter anderem Fredmund Malik und Reinhard K. Sprenger. Letzterer spart in seinem Buch „Radikal führen“ nicht mit Kritik: „Die eigentlichen Aufgaben werden von Führungskräften nicht diskutiert, sie werden als selbstverständlich vorausgesetzt.“ Und damit ist vor allem eine vernünftige Führung der Mitarbeiter gemeint – die aus weitaus mehr als Kontrolle und Zielvereinbarungen besteht.
Menschen folgen nur, wenn sie darin einen Vorteil für sich sehen. So wie unsere Vorfahren die Keule nur dann für ein Oberhaupt schwangen, wenn ihnen im Gegenzug Schutz und Orientierung geboten wurde, brauchen die heutigen Chefs mehr als Zielvereinbarungen und Boni, um ihre Legitimität zu rechtfertigen. Die Vorstellung, dass Chefs einzig und allein für die Motivation ihrer Mitarbeiter zuständig seien, ist veraltet. Vielmehr haben sie für das richtige Umfeld zu sorgen, in dem Vertrauen entstehen kann – die Motivation kommt dann ganz von selbst. Nach der Lektüre von Hunderten Management-Ratgebern, Interviews mit Beratern und Führungskräften und der intensiven Beschäftigung mit menschlichen Verhaltensweisen komme ich zu dem Schluss: Nichts motiviert Mitarbeiter mehr als das Vertrauen des Vorgesetzten, also nicht die Loyalität nach oben, sondern von oben. Klingt selbstverständlich, doch ist es das?
„Loyalität ist der Kitt, der ein Unternehmen zusammenhält“, sagt der Bestsellerautor und Arbeitspsychologe Manuel Tusch. Und sie wirkt vielfältig. Mit Loyalität nach oben ist gemeint, dass sich ein Mitarbeiter, wohlgemerkt von sich aus, verpflichtet fühlt, für sein Unternehmen oder seinen Chef alles zu geben – und dafür auch Entbehrungen hinzunehmen. Diese preußischen Tugenden treten mittlerweile in den Hintergrund. Was wirklich motiviert, ist, wenn Chefs, egal auf welcher Ebene, Loyalität nach unten zeigen, also ihren Leuten das Gefühl geben, dass alles für sie getan wird. Was einfach klingt, wird zu einem erschreckend hohen Teil falsch gemacht. Entsprechend startet dieses Buch mit einer Argumentationskette, warum finanzielle Anreize als Motivationsmittel ausgedient haben.