Читать книгу Wenn Arbeit Belohnung genug ist - Thorsten Giersch - Страница 6
Weil die falschen Anreize gesetzt werden
ОглавлениеJournalisten weisen oft mit dem Finger auf andere, deshalb ein Beispiel aus der Medienbranche: Ein Online- Journalist lässt sich Klickraten in seine Zielvereinbarung schreiben. 50 Prozent seiner Bonuszahlungen richten sich danach, wie viele Klicks er hereinholt. Von denen generiert er viele durch Bildergalerien, denn jedes Bild ist ein Klick. So passiert es leicht, dass in dem Ressort des Kollegen überdurchschnittlich viele Bildergalerien gezeigt werden, was die meisten Leser alles andere als glücklich macht. Am Ende steigen zwar die Klicks, aber mittelfristig sinkt die Zahl der Visits, d.h. die Seite wird insgesamt von weniger Lesern besucht.
Entlohnungssysteme werden benutzt, um die Interessen des Unternehmens mit denen der Mitarbeiter in Übereinstimmung zu bringen. Es soll anstacheln, bei der Arbeit stets im Hinterkopf zu haben, dass alles Konsequenzen für die eigene Brieftasche hat. Doch das funktioniert nicht. Denn der Mensch drängt als Erstes nach Freiheit. Erscheint ihm eine Handlung unvernünftig, unterlässt er sie – es sei denn, der Kollateralschaden ist zu groß. Finanzielle Anreize zwingen Mitarbeiter zu „unnatürlichem Handeln“, wie Reinhard K. Sprenger schon 2002 in seinem Standardwerk „Mythos Motivation“ schrieb. Die psychologischen Folgen seien fatal: „immer höhere Reizniveaus, Belohnungssucht, ein schlechtes Kooperationsklima sowie das Vernachlässigen langfristiger und qualitativer Dimensionen der Aufgabe“.
Auch die Wissenschaft ist sich bei dem Thema einig. Keine einzige Studie konnte eine dauerhafte Leistungssteigerung durch extrinsische Anreizsysteme nachweisen. Wohl aber gibt es Ausnahmen von der Regel: Die Motivation durch finanzielle Belohnung zu steigern, funktioniert bei monotonen Routine-Tätigkeiten, zum Beispiel am Fließband. Doch diese sogenannten algorithmischen Tätigkeiten gibt es in westlichen Ländern immer seltener. Heuristische Tätigkeiten haben sie abgelöst, also solche, bei denen Kreativität und selbstständiges Lösungsdenken nötig sind.
Unser heutiges Wirtschaftssystem ist längst zu komplex, als dass man einfach durch ein paar zusätzliche Euro auf dem Gehaltsscheck nachhaltig die Leistungsbereitschaft der Mitarbeiter erhöhen könnte. Wissenschaftler haben inzwischen festgestellt, dass der Mensch stärkere Antriebskräfte besitzt und nicht von Natur aus den Weg des geringsten Widerstandes geht. Belohnungen machen abhängig und verlieren schnell ihre positive Wirkung. Sie fördern das kurzfristige Denken und verhindern das Lernen. Viel stärker ist die auf Freude basierende intrinsische Motivation, die Mitarbeiter zum Beispiel dann empfinden, wenn sie bei der Arbeit das Gefühl haben, kreativ zu sein. Das Problem ist, dass viele Unternehmer auf diese Erkenntnisse nicht zurückgreifen. Die Kluft zwischen dem, was die Wissenschaft herausfindet, und dem, was die Wirtschaft tut, ist riesig.