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Wie ich ein »harter Hund« wurde

Manchmal glaube ich, dass es eine göttliche Vorsehung oder einfach Schicksal war, dass Hermann Gerland meinen Weg kreuzte.

Der »Tiger« hatte immer ein Auge auf mich gerichtet, selbst wenn mich ein anderer Trainer betreute, so wie Erich Schiller in der B-Jugend des VfL. Mit ihm feierte ich meinen größten Erfolg, als wir am 14. Juli 1985 Deutscher Meister wurden. Mit 3:0 gewannen wir gegen Kickers Offenbach am Bieberer Berg. Bei den Kickers stand damals Ralf Weber im Team, mit dem ich Jahre später bei Eintracht Frankfurt zusammenspielen sollte. Die besten Partien auf dem Weg ins Finale absolvierte ich gegen den Hamburger SV. Beim HSV spielten wir am Rothenbaum und gewannen durch meinen Treffer mit 1:0. Im Rückspiel siegten wir sogar mit 4:1, und ich konnte zwei Tore beisteuern. Unser Kapitän hieß damals Olaf Dressel. Auch er machte später Karriere in der Bundesliga.

Als ich in der A-Jugend des VfL antrat, hatte ich meine Schule beendet und eine Lehre als Schlosser begonnen. Das war für mich echt hartes Brot. Morgens früh um vier Uhr stand ich auf und fuhr mit der bereits gepackten Trainingstasche zur Arbeit. Nach Feierabend ging es nahtlos weiter: mit dem Bus zum Trainingsgelände des VfL, Training unter Hermann Gerland und danach Weiterfahrt mit dem Bus zum Gelände der »Bogestra«, der Bochumer und Gelsenkirchener Straßenbahn AG. Dort arbeitete meine Mama. Jeden Tag holte ich sie ab, und wir gingen dann gemeinsam nach Hause. Das war wie ein Ritual für mich.


Deutscher Meister! Diesen Titel holte ich mit der B-Jugend des VfL Bochum in der Saison 1984/85. Auf dem Foto nach der Siegerehrung stehe ich ganz links.

Zu Hause angekommen, schrieb ich beinahe täglich noch Berichte für die Berufsschule. Das ging oft bis Mitternacht. Zeitlich war es ein Mordsstress, und Stress gab es leider auch mit einigen Arbeitskollegen. Ich musste Arbeiten verrichten, die gar nicht zur Ausbildung gehörten. Einige Kollegen hatten ihren Spaß daran, mich zu schikanieren. Motto: Jetzt zeigen wir dem Profi mal, wo hier der Hammer hängt.

Ich sprach mit Hermann Gerland und schilderte ihm meine Probleme. Das gipfelte in dem Satz: »Ich schaffe das alles nicht mehr.« Hermann antwortete: »Es gibt nur zwei Möglichkeiten für dich. Entweder du machst weiter wie bisher. Oder du hörst sofort auf und konzentrierst dich auf deine Profikarriere. Ich sorge dafür, dass du einen Zweijahresvertrag bekommst.« Ich nahm die Steilvorlage dankend an und brach meine Ausbildung ab.


Bei einem Hallenturnier im Januar 1986. Bei einer der vielen Auseinandersetzungen mit meinem Vater wurde dieses Foto zerrissen.

Es gibt einen Satz Gerlands, der sich mir eingeprägt hat. Wir absolvierten ein Pokalspiel in Münster. Bei großer Hitze lieferten wir in den ersten 45 Minuten eine grottenschlechte Leistung ab und lagen folgerichtig 0:2 zurück. Gerland sprach mich direkt an: »Wenn du nicht zurückwillst auf die Straße, dann musst du kämpfen, kämpfen, kämpfen. Also beweg deinen Arsch.«

Danach habe ich das Spiel mit meiner Mannschaft noch gedreht. Wenn ich mich recht erinnere, haben wir 5:2 gewonnen, und ich traf dreimal in der zweiten Halbzeit.

Dieses: »Wenn du nicht wieder auf die Straße zurückwillst, musst du kämpfen«, begleitet mich mein ganzes Leben. Ausgelöst durch die Brutalität meines Vaters litt und leide ich immer noch unter einer Art Verfolgungswahn. Alle vier bis fünf Monate erfassen mich Angstzustände, die sich durch Schweißausbrüche und schlechten Schlaf ankündigen. Dann habe ich das Gefühl, dass man mir etwas antun will und ich etwas dagegen unternehmen muss.


Mit der A-Jugend des VfL wurden wir Kreispokalmeister. Urkunden und Trophäe nahm ich zusammen mit Trainer Klaus Hofmann (links) und Kapitän Olaf Dressel (Mitte) entgegen. Olaf wurde auch als Profi mein Mannschaftskollege in Bochum.

Ich weiß, dass ich auf dem Fußballplatz als »harter Hund« galt, schon in der Jugend und auch als Profi. Hier möchte ich den Leuten erklären, warum ich so geworden bin, wie ich heute bin, und was meine Antriebsfedern waren.

Ich wollte mich wehren können gegen Übergriffe, wie ich sie durch meinen Vater erleiden musste. Wenn ich in ein Fußballspiel ging, sah ich in den direkten Gegenspielern meinen Vater und nahm mir vor: Den hau ich um! Daraus eine Motivation zu ziehen, war schon fast krankhaft. Sogar im Training kam es zu Situationen, in denen ich einfach anderen wehtun wollte. Diese Gewaltbereitschaft in mir versuchte ich, durch diszipliniertes Fitnesstraining zu kompensieren. Ich trimmte in unzähligen Übungseinheiten meine Kraft, Ausdauer, Schnelligkeit und Explosivität. Und als das Fitness-Training nicht mehr ausreichte, wechselte ich zum Kampfsport.

Ich begann als Zwölfjähriger, nachdem mich mein Vater wieder einmal verhauen hatte, mit Taekwondo. Freunde schleppten mich in die Polizeisportschule in Langendreer. Dort meldete ich mich an. Dienstags und donnerstags Fußballtraining – montags, mittwochs und freitags Kampfsport. Es zahlte sich aus, denn mein Selbstvertrauen wuchs und wuchs. Ich spürte die Stärke und trat immer selbstbewusster auf.

Drei Jahre und einige Prüfungen später verlor ich die Lust, weil es mir zu harmlos erschien, nur mit sogenannten Semi- oder Halbkontakten diesen Sport zu betreiben. Ich wollte den Vollkontakt. So kam ich zum Kickboxen und einige Zeit später zur brasilianischen Spielart des Jiu-Jitsu. Bei diesem Sport, der auch »Gracie Jiu-Jitsu« genannt wird, wird der Schwerpunkt auf den Bodenkampf gelegt. Tritte und Schläge sind dadurch kaum möglich oder verlieren an Wucht. Er bietet auch schwächeren Personen in aussichtslos erscheinenden Situationen effektive Möglichkeiten, sich durchzusetzen. Es ist in erster Linie eine Frage der Technik und nicht der Stärke – ein Umstand, der mir besonders gefiel. Angesichts des Kräfteverhältnisses bei uns zu Hause kein Wunder.


Zweimal wurde ich als Jugendlicher in die deutsche Nationalmannschaft berufen. 1987 spielte ich mit der U19 gegen Chile. Wir gewannen 2:0; ich gab die Vorlage zum zweiten Treffer durch Michael Kostner.

Übrigens hat auch Zlatan Ibrahimovic, der im schwedischen Malmö im Ausländerviertel Rosengard keine einfache Jugend verbrachte, früh Taekwondo ausgeübt. Ich glaube, er verfügt sogar über einen schwarzen Gürtel. Es hat mich nicht gewundert, als ich davon erfuhr.

Bis 2006 habe ich noch Kampfsport ausgeübt, ohne es jemals an die große Glocke zu hängen. Dann habe ich damit aufgehört und mich nur noch auf den Fußball konzentriert. Der Grund dafür war denkbar einfach: Mein Vater ist 2005 gestorben. Danach habe ich schlicht keinen Grund mehr gesehen, mich für einen Notfall rüsten zu müssen.


Bei einem internationalen Pfingstturnier in Ulm, 1987. Wir schlugen im Finale Dukla Prag.


Als Jungprofi liebte ich Schmusekätzchen.

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