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Kampf in Gummistiefeln

Es gibt ein Foto meiner Grundschulklasse 4 A, das bereits auf den ersten Blick erkennen lässt, dass mit mir etwas nicht stimmt. Ein Schüler sitzt da ganz rechts unten mit schmutziggelben Gummistiefeln, einem ausgeleierten, schwarz-weißen Pullover und einem Gesicht, das böse schaut und auf Konfrontation aus ist. Ein Foto, das am 13. Februar 1980 geschossen wurde. Ich war elf Jahre alt und wurde seit sechs Jahren regelmäßig von meinem Vater missbraucht.

Das Leid, der Vertrauensverlust und die Ängste, die mein Leben bestimmten, führten beim Kind und Schüler dazu, dass ich mich nur schwer integrieren ließ. Ich neigte zur Aggressivität und führte lieber ein isoliertes Dasein. Ich wollte mich immer nur körperlich behaupten gegenüber anderen Schülern.

Unsere Grundschule lag nicht weit entfernt von der Sonderund einer Hauptschule. In den Pausen mischten sich auf dem Schulhof Grund- und Hauptschüler. Dabei kam es zu Auseinandersetzungen, in die ich oft verwickelt war. Ich prügelte mich fast jeden Tag.

Es gab auf der Sonderschule eine Clique, die permanent provozierte. Vor allem ich geriet immer wieder in ihren Fokus, weil ich mich von Drohungen oder Mobbing nicht einschüchtern ließ. So gab ein Wort das andere, bis schließlich ein Kreis gebildet wurde und der Zweikampf begann. Der Gegner, mit dem ich mich dann prügelte, stammte immer aus dieser einen Gruppe. Und immer war es der gleiche Platz – hinter der Turnhalle. Heute bin ich nicht stolz darauf. Damals schon, denn ich gewann jeden Zweikampf.

Mein Verhalten seinerzeit, mein Einzelgängertum, die Aggressivität – all das zeigte mir später, dass irgendetwas von der Brutalität meines Vaters in mir steckte. Ich habe das jahrelang verflucht und tue es noch heute. Immer wieder kamen diese aggressiven Impulse in mir hoch. Irgendwann habe ich mir gesagt, diese Art zu leben ist abscheulich. Nach und nach änderte ich mich. Heute versuche ich, liebenswürdig und nett zu sein, und ich denke, dass ich es geschafft habe. Manchmal aber, in Stresssituationen, muss ich mich zwingen, die Kontrolle zu behalten. Das passiert hin und wieder – aber weil ich heute die Gründe dafür kenne, finde ich schnell wieder in die Spur.

Meine Mutter Eugenie, mein wichtigster Halt in der grausamen Atmosphäre einer Familie, die keine war, musste gegenüber den Lehrern Rede und Antwort stehen. Sie sollte erklären, warum ich so war. Kein leichtes Unterfangen für sie, die von diesem Unmenschen von Ehemann selbst wie ein Tier behandelt wurde. Also bemühte sie sich, so nahe wie möglich an die Wahrheit zu gehen, ohne den Hauptgrund zu nennen. Sie sprach von häuslicher Gewalt, der Angst vor dem Terror und den Alkohol-Eskapaden meines Vaters.

Letztere waren ja ohnehin bekannt in unserer Straße. Dort hatte ich täglich mit Spott zu leben. Wenn ich sogar im Sommer mit den Gummistiefeln spielte, fragten mich andere Jugendliche: »Hat dein Vater, der Säufer, kein Geld für deine Schuhe?« Kinder sind oft nicht nur naiv, sondern können auch ganz schön brutal sein. Ich antwortete mit Schlägen. Ich ähnelte einem Raubtier, das in die Ecke gedrängt wird und um sich beißt.

Manchmal – so merkwürdig das auch klingt – half ich auch anderen Kindern aus bedrohlichen Situationen. Wenn sie angegriffen wurden, stellte ich mich schützend vor sie. Eine Maßnahme, die aufgrund meiner körperlichen Präsenz schon früh fruchtete. Heute weiß ich, dass es häusliche Muster waren, die mich dazu brachten. Ich »lernte« im Elternhaus, dass du ausgeliefert bist, wenn dich niemand schützt. Nur wenn meine älteren Brüder da waren, kam es nicht zum Missbrauch. Auf der anderen Seite »begriff« ich, dass körperliche Stärke hilft, wenn du einen Machtkampf gewinnen willst. Du musst nur hart genug zuschlagen. Diese beschissenen Schwarz-Weiß-Muster verdanke ich meinem Peiniger.


Weihnachten bei der Familie Legat. Wie ein Fest der Freude wirkt es nicht – und es war auch keines. Als diese Aufnahme gemacht wurde, war ich sieben Jahre alt und der Gewalt meines Vaters ausgeliefert.

Was auf der Grundschule begann, setzte sich in der Hauptschule fort. Der Name Legat war dort schon berüchtigt. Dafür hatte einer meiner älteren Brüder gesorgt. Doch die Lehrer, dies erfuhr ich später, glaubten, dass ich aufgrund meines fußballerischen Talents charakterlich anders sei. Nun, ich stellte ihre Geduld auf eine harte Probe.

Doch tatsächlich: Je mehr sich abzeichnete, dass ich vielleicht als Profifußballer eine Chance bekommen sollte, desto besser wurde es mit der Zeit. Ich stand oft in der Zeitung und bekam auch auf dem Schulhof meine ersten Fans. Durch den Fußball, das regelmäßige Training und die Spiele ließ mein aggressives Verhalten nach. Ich schloss die Schule schließlich in der zehnten Klasse mit der Sekundarstufe eins ab.

Wenn das Leben foul spielt

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