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9:10 Uhr

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Acht Minuten und neunzehn Sekunden brauchen die Lichtstrahlen von der Sonne bis zur Erde. Nun blinzeln sie durch die Baumkrone der Eiche, deren grüne Blätter einen frischen Kontrast zu dem wolkenlosen Blau des Himmels abgeben. Von einem Ast baumeln zusammengebundene weiße Reebok-Sneaker und drehen sich im lauen Wind langsam um sich selbst.

Ein Spatz landet auf dem Schnürsenkel. Er pickt ein paar Mal auf den Knoten, zupft mit dem Schnabel daran und erkennt, dass es nichts zu Essen ist. Sein Kopf zuckt suchend in alle Richtungen, dann zwitschert er eine Melodie und fliegt herab auf den Bürgersteig, wo er über die mit Kaugummifladen übersäten Steinplatten hüpft. Mit seinem Schnabel hackt er nach hellen Plastiksplittern, die darauf über den Bürgersteig titschen. Schritte schrecken den Vogel auf, und er flattert davon.

Der zu spät kommende Schüler macht einen letzten tiefen Zug an seiner Filterzigarette und flitscht den qualmenden Stummel in das Kiesbett neben dem Bürgersteig. Der glimmende Tabak bleibt auf einem Haufen Zigarettenstummeln liegen. Das Kiesbett ist ein einziger großer Aschenbecher. Die grauen Kieselsteine sind in der Unterzahl. Aus ihrer Mitte ragt eine drei Meter breite und zwei Meter hohe Steinplatte, auf der mit handflächengroßen Metallbuchstaben der Name der Schule geschrieben steht: Integrierte Gesamtschule Nicola Tesla.

Gemütlich schlendert der Schüler mit den Händen in den Taschen über den Schulhof. Die verblassten Farben der Kreise, Linien und Kästchen mit Zahlen und Buchstaben auf dem Asphalt sehen aus wie ein Wasserzeichen, als müsste verhindert werden, dass jemand diesen Schulhof samt Gebäude raubkopiert.

Rechts von dem Jungen glitzert ein Meer von Fahrrädern in der Morgensonne, während sich vor ihm das ausladende Schulgebäude mit seinem Mittelteil und den beiden Seitenflügeln wie ein vier Etagen hohes Hufeisen aus braunem Beton und Billigglas erhebt. Von den Enden der Fensterbänke ziehen sich Rostschlieren über die Fassade von oben nach unten, als hätte man in jedem Klassenzimmer 100.000 Liter Ochsenschwanzsuppe erhitzt, und sie war übergekocht.

Die frischen Farben an den Betonwänden im Eingangsbereich leuchten selbst im Schatten bunt. Verschiedene Landschaften grenzen aneinander: Ein Urwald an eine Wüste, die Wüste an ein Meer, das an einen Bergzug, und der an ein Polargebiet, wo sich Pinguine und Eisbären unbeeindruckt voneinander gemeinsam eine Eisscholle teilen. Liebeserklärungen und Beleidigungen in Edding und Tags zieren die Dünen, das Wasser und den Schnee.

Ohne seine Hände aus den Taschen zu nehmen, stößt der Schüler die schwere Eingangstür mit seiner Schulter auf. Quietschend schwingt sie bis zum Anschlag gegen die Wand, und er schlurft mit seinen Schuhen über die in den Boden eingelassenen Bürsten. Die Tür schließt sich hinter ihm.

Ein Schuss. Das Echo in den leeren Fluren.

Er bleibt stehen, seine Augen kreisen. Ein zweiter Schuss.

Nichts hält ihn mehr. Er reißt die Tür wieder auf und läuft hinaus auf den Schulhof.

School-Shooter

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