Читать книгу Adam Bocca im Wald der Rätsel - Tilmann A. Büttner - Страница 5
Die Stadt bei den Flüssen, 1. Kapitel
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Adam Bocca war ein freundlicher junger Mann von neunzehn Jahren und deshalb sehr überrascht, als er an einem warmen Samstagnachmittag im strahlenden Juni am grünen Ufer der Kirna ordentlich eine aufs Maul bekam. Na gut, ich selber bekam auch einen Riesenschreck, weil alles so schnell ging, dass ich Adam gerade noch auffangen konnte, als er rücklings auf die beiden Mädchen auf der Strandmatte zu stolpern drohte. Und das hätte den Typ, der plötzlich wie aus dem Nichts aufgetaucht war, sicher noch viel wütender gemacht. Auf einmal war der Typ da, packte Adam an der linken Schulter, drehte den verdutzten Jungen herum und pfefferte ihm eine schallende Backpfeife, dass es nur so klatschte. Das wäre vielleicht der richtige Moment gewesen, uns schleunigst vom Acker zu machen, aber Adam war mutig genug – vielleicht auch schon zu selig angetrunken –, den Ernst der Lage zu verkennen und vor den beiden jungen Damen statt der schmählichen Flucht den aufrechten Widerstand auszuprobieren. Leider blieb es beim Versuch. „Hör mal, Mann…“ sagte Adam mit leicht verwaschener Aussprache, aber der Typ war offensichtlich nicht heran gerauscht um uns irgendwie zuzuhören. Statt Worte zu wechseln, wollte er lieber gleich Taten sprechen lassen. Der Typ schwang einen einwandfreien rechten Haken, mit dem er Adam am Kinn traf.
Unser guter, argloser Adam! Glück für ihn, dass er wohl wirklich überrascht und auch nicht wenig empört, aber auf gar keinen Fall in Kampfeslaune war. Denn so blieb er ganz locker, und sein Kopf klappte ohne größeren Widerstand nach hinten, wie bei einem Kuscheltier, mit dem man Fußball spielt. Erst jetzt erwachte ich aus einem tranceartigen Zustand der Benommenheit und war in der Lage, Adam aus den Klauen dieses prügelsüchtigen Berserkers zu befreien. Ich hatte schon die üble Ahnung, Adam könnte es mit einer weiteren Probe seiner unwiderstehlichen Verbaldiplomatie versuchen, denn nachdem er sich den Kopf zurecht geschüttelt hatte, machte er den Mund auf. Der Kinnhaken musste ihm aber doch mehr zugesetzt haben, als ich auf den ersten Blick erkannt hatte. Anstatt noch etwas zu sagen, taumelte Adam ein, zwei Schritte rückwärts, so dass das blonde Mädchen gerade noch den Fuß zurückziehen konnte. Nicht auszudenken, wenn Adam der Liebsten dieses Kinnhaken-Bronkos auch noch auf den Fuß gelatscht wäre! Um das zu verhindern und Adams Rückwärtsgang zu stoppen, machte ich einen Ausfallschritt, packte ihn bei beiden Schultern und zerrte ihn flink aus der Gefahrenzone.
Adam ließ sich bereitwillig wegziehen und ging dann ohne Anstalten mit mir weg, ohne sich auch nur einmal nach dem Typen und seinen beiden Damen umzuschauen. Ich behielt den Gorilla natürlich gut im Auge, indem ich mich auf unserem Abzug (um das klarzustellen: gerannt sind wird nicht) immer wieder nach ihm umdrehte. Aber da war die Gefahr schon gebannt, der Typ warf uns nur einen kurzen bösen Blick hinterher und ein seinem begrenzten Esprit angemessenes „Verpisst euch, ihr Säcke!“, dann widmete er sich seinem freigeboxten Zwei-Personen-Harem. Das blonde Mädchen versuchte ihn wohl auch irgendwie zu beruhigen mit „Hey, Freddy, ist gut jetzt“, sowas in der Art, aber genau habe ich es nicht verstanden. So, so, Freddy, der Rächer der angebaggerten Flussufer-Schönheiten, dachte ich mir. Vielleicht hatte unsere Musiklehrerin doch recht gehabt, als sie uns mit klassischen U2-Songs quälte, denn da heißt es doch wohl sinngemäß, dass jede Schönheit einmal mit einem Idioten ausgehen muss. Kaum zu glauben, dass unser schulischer Bildungskanon solche Perlen der Weisheit bereit hält.
Schließlich bogen Adam und ich auf unserem Weg zum Kiosk des „Goldenen Erpels“ – dem besten Platz in ganz Kys, um sich beim Sonnenbad am Ufer der Kirna mit frischen Kaltgetränken zu versorgen – um die Ecke. Ich hatte Gelegenheit, meinen auf der Balz misshandelten Kumpan näher zu begutachten. Adam hatte Dusel gehabt, seine linke Backe leuchtete von der Backpfeife zwar in lebensbejahendem Rot und auf derselben Seite schien mir sein Kinn ein wenig geschwollen. Aber er blutete nicht und auch sein Kiefer und seine Zähne waren noch ganz und in einem Stück. Und hey, ehrlich, mehr als mich schnell mit Adam vom Acker zu machen hätte ich echt nicht tun können. Gut, zugegeben, ich hätte ihn überreden können, die beiden Mädchen auf ihrer Bast-Strandmatte erst gar nicht anzusprechen.
Ich meine, es war ein toller Tag. Wir saßen mit Carlo und den Jungs am Fluss und als nach einem guten Stündchen Faulenzen und dummes Zeug Quatschen unsere Erstausstattung an Reisbier leer gewesen war, hatten Adam und ich von jedem einen Obolus eingesammelt und uns auf den Weg zum Kiosk gemacht, um Nachschub zu holen. Am oberen Ende des Strandbades, da wo die von frisch gemähtem Rasen herrlich duftende Böschung an die Platanenallee grenzte, hatte Adam mich am Unterarm gepackt und mir – bevor ich mich überhaupt erschrecken konnte – zugeraunt „Wow, schau mal!“ Das war ja nun für einen jungen Mann, gerade verzaubert vom Anblick eines hübschen Mädchens, eine ziemlich anständige Ausdrucksweise. Ich hatte erstmal nach einem Eisstand oder einem tollen Auto oder sowas in der Art Ausschau gehalten. Aber Adams Klammergriff hatte sich einfach nicht gelöst und er hatte mich nach links gezerrt. Es muss der Augenblick gewesen sein, in dem das schwarzhaarige Mädchen sich vom Bauch auf ihre rechte Seite drehte, genau die Sekunde, in der mein Blick von ihr gefangen genommen wurde. Adam hatte mich zur Standmatte der beiden gesteuert. Ich hatte zu ihm vielleicht noch etwas in der Art wie „Ähm, was ist den jetzt mit dem Bier“ oder so gesagt, genau weiß ich das nicht mehr; jedenfalls habe ich nicht versucht, mich von ihm loszureißen. Er hätte mich auch gar nicht zur Strandmatte führen müssen, denn ich war mindestens genauso stark und magisch von den beiden Mädchen angezogen wie er.
Zum Glück hatte er mich wenigstens losgelassen, als wir direkt vor den beiden Mädchen standen, und er zu der Blonden gesagt hatte: „Hallo, ich bin… hier, also… mit meinen Freunden,… bin ich hier. Und ihr?“ Ich bin mir auch nicht mehr sicher, ob ich Adams sensationelle Anmache bewunderte oder seine Dummheit beklagte, die Schwarzhaarige zu übersehen und an der Blonden hängenzubleiben. Wahrscheinlicher ist, dass ich einen herrlichen Augenblick lang gar nichts dachte. Während Adam das blonde Mädchen angesprochen hatte, war ich in eine Art wunderbare Schockstarre beim Anblick ihrer schwarzhaarigen Freundin gefallen.
Was für wunderbare Haare, langes schwarzes, fast bläulich schimmerndes Haar, sie trug es offen und es fiel ihr auf ihre Schultern, die so schön waren, so ebenmäßig und wohlproportioniert, dass mir der Anblick fast weh tat. Ihre Haut hatte einen dunklen, südländischen Teint mit einem Stich ins Olivgrüne, der vollkommen mit dem Blauschwarz ihres Haars harmonierte. Und ihr Gesicht! Ich will gar nicht erst versuchen, ihre seltsam tiefblauen Augen zu rühmen, ihre kerzengerade Nase, die in ungeschminkter Schönheit strahlende Röte ihrer Lippen oder den sanften Schwung ihrer Augenbrauen, die in einer Linie mit ihren Wangenknochen geschaffen schienen. Mir fehlt bestimmt die Gabe, der Schönheit ihres Gesichts gerecht zu werden, aber ich konnte, als ich da vor ihr stand, drei oder vier Armlängen von ihr entfernt, meinen Blick einfach nicht davon abwenden. Und das, obwohl sie einen Bikini trug und ich – und überhaupt jeder Kerl in meinem Alter und mit meiner Bereitschaft für die Schönheit aller Mädchen – jeden erdenklichen Anlass gehabt hätte, nicht nur auf ihr Gesicht zu achten! Wenn man mich zum Beispiel nach der Farbe des Bikinis fragen wollte… okay, ich gebe es zu, das weiß ich noch, sogar ganz genau, sie trug einen leuchtend grünen Bikini, grün wie ein Baum im Frühling. Aber mal abgesehen davon, hatte ich nur Augen für ihr wunderbares Gesicht. Ein so wunderbarer Kopf auf zwei so schönen Schultern.
Ich schwamm auf einer Welle stummer Begeisterung, die Antwort der Blonden auf Adams unnachahmlichen Eröffnungszug der Flirtkonversation kam nur dumpf und wie aus weiter Ferne an mein Ohr. Ewig hätte ich in Trance da stehen können. Aber dann kam ja der Typ, der „Ey-quatsch-mein-Mädel-nicht-an“-Platzhirsch, der Mann, der weiß, dass es nur einen geben kann, der doof genug ist, Mädels mit Hieben gegen Nebenbuhler beeindrucken zu wollen. Mädchen wollen das nämlich gar nicht, ganz bestimmt nicht. Oder ich müsste mich von meinem Axiom verabschieden, dass die Welt eigentlich doch schön ist.
Jedenfalls hatte es „Klatsch!“ gemacht, als der Typ sein Backpfeife verteilt hatte, und davon musste ich wohl aufgewacht sein. Als wir um die Ecke gegangen und in Sicherheit waren kam auch Adam endlich wieder zu sich. „Aua, Mann, verdammt!“ fluchte er. Da konnte ich ihm nur stumm nickend zustimmen. „Wie kann man nur so … so aggressiv sein?“ wunderte er sich. Tja, Adam, lieber Adam, vielleicht bist du jetzt endlich alt genug, um zu erfahren, dass der Schutz der Kuppel uns nicht vor allem bewahrt? Nein, das sagte ich ihm natürlich nicht, obwohl ich gerade anfing, echt sauer auf ihn zu sein. Das hätte wirklich ganz anders ausgehen können. Wenn Freddy drei, vier Reisbier mehr gehabt hätte und wirklich wütend geworden wäre, hätten wir eine wunderbare Strandbad-Schlägerei lostreten können. Das kam ja schon hin und wieder vor an der Uferpromenade der Kirna, und die Beteiligten durften im Anschluss mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auf eine gründliche Behandlung durch die Secuforce, den größten Sicherheitskonzern in Paneupinia, einschließlich Übernachtung und Frühstück rechnen. Und ich rede noch nicht einmal von der vertanen Chance, die Schwarzhaarige kennenzulernen.
Hätte ich Adam nicht vor Prügel bewahren müssen, und hätte er mit seinem tapsigen Auftreten nicht sowieso schon alles vermasselt, dann hätte ich es bestimmt hingekriegt, die Schönheit im Bikini mit einem originellen Spruch anzusprechen und nicht nur ihren Namen, sondern vielleicht sogar ihre Nummer zu erfahren. Und dann muss mir unser hauptamtlicher Gutmensch Adam in die Quere kommen!
Aber ich konnte ebenso wenig wie die anderen Jungs aus unserer Clique dem guten Adam lange böse sein. Er war ein bisschen wie ein kleiner Bruder für uns, auf den aufzupassen wir uns alle Mühe gaben. Die Mühe war auch nicht allzu groß, denn Adam war ein eher schüchterner Junge, der nur selten die Initiative ergriff. Seltsam, ausgerechnet an jenem Samstag war er es gewesen, der die Idee gehabt hatte, an die Kirna zu gehen und uns in die Sonne zu legen. Und dass er aus heiterem Himmel auf die Idee gekommen war, zwei hübsche, ihm aber leider vollkommen unbekannte Mädchen anzusprechen, das passte eigentlich auch nicht so recht zu ihm. Und dann musste es gleich so enden! „Na, komm“, sagte ich zu ihm „kein Alkohol ist auch keine Lösung. Die Jungs warten bestimmt schon auf Nachschub“.
„Sie hätte mir bestimmt ihre Nummer gegeben“, gab er mir zur Antwort.
„Wie bitte?“ Das durfte ja wohl nicht wahr sein.
„Ja, sie hat mich angelächelt, als ich sie nach ihrer Nummer gefragt habe, und wollte sie mir bestimmt gerade sagen, als dieser… dieser Rüpel mich zusammengeschlagen hat.“
„Adam, das war kein Rüpel, sondern ein Arschloch. Und er hat dich auch nicht zusammengeschlagen, sondern dir ganz sportlich eine gezimmert, weil du seine Perle angequatscht hast. Und, ich muss schon sagen, wenn du echt so doof gewesen sein solltest, sie auch noch nach ihrer Nummer zu fragen, dann hast du es auch echt verdient.“
„Verdient? Ich kann ja wohl ansprechen, wen ich will, ohne gleich tätlich angegriffen zu werden. Was denkt der Kerl sich denn! Das ist hier doch keine… Fußballkaschemme!“
Fußballkaschemme, ja, so stellte sich Adam das böse Leben ständig besoffener Sportfreunde vor, barbarische Kerls, die nur darauf warten, unschuldige Mitbürger zusammenzuschlagen. Jetzt war es auch an mir, den lieben Jungen zu beruhigen.
„Nein, so habe ich das ja nicht gemeint. Klar, der Typ ist ein echter Arsch, sag ich doch. Aber du musst hier am Strand schon ein bisschen aufpassen, welches Mädchen du so mal eben auf ihre Nummer ansprichst. Hast du das eigentlich wirklich gemacht?“
„Ja klar, du standest doch daneben.“
„Das schon“, meinte ich, „ich hab’s aber nicht mitgekriegt.“ Hatte ich wirklich nicht, schwarzes Haar und so, was sollte ich tun. „Egal, jetzt lass uns mal das Bier holen gehen, ist ja zum Glück nichts passiert.“
Später, ich weiß nicht wie viel Zeit vergangen war, saßen wir wieder mit den Jungs in unserem kleinen Biertrinklager wenige Schritte von der Stelle entfernt, an der die Wellen des Flusses ans Ufer plätscherten. Der erste, von uns geholte Biernachschub war schon ausgetrunken. Carlo und ein entfernter Bekannter von ihm – der Typ kam wohl aus Vallinigra, stank ziemlich aus dem Mund und kicherte viel und sinnlos vor sich hin, also nicht Carlo, sondern sein Bekannter – hatten die nächste Runde schon geholt, und wir nahmen die ersten Schlucke. Es hatte noch weiter aufgeklart, die letzten Wolken hatten sich entweder ganz verzogen oder in dünne, hohe Schleier verwandelt. Die Sonne stand schon tief über der Stadt und konnte das Ufer ungehindert und mit der vollen goldenen Wucht bescheinen. Wir hatten nicht wirklich ein Auge dafür, waren eher mit einer verbissenen Freude dabei, unsere Flaschen auszutrinken. Unsere Stimmung war wunderbar und beschwingt. Daran konnte nicht einmal Frank Fahrenheit, die alte Nervensäge, etwas ändern, als er sich irgendwann zu uns gesellte und wir ihn widerstrebend bei uns duldeten. Seine doofen Sprüche quittierten wir mit noch dooferen, und so trug „Ferkel-Frank“ zu unserer guten Laune bei, statt sie zu trüben. „Ferkel-Frank“ übrigens wegen seiner Vorliebe für eher ausgefallene Cybersex-Netzinhalte, jeder von uns kannte diese Geschichten und konnte schon deshalb Frank nicht für voll nehmen.
Ein paar der Jungs hatten sich unterdessen todschicke Sonnenbrillen auf die Nase gesetzt, andere die Augen geschlossen, was ihnen eine nachdenkliche Miene gab, wieder andere hatten sich einfach mit dem Rücken zur Sonne gesetzt, um nicht geblendet zu werden. So hatte auch ich es gehalten, und vielleicht war ich deshalb der erste, der bemerkte, dass Stella zu uns herüber kam.
Dass sie Stella hieß, das wusste ich natürlich noch nicht in dem Augenblick, als ich das fantastische schwarzhaarige Mädchen sah, das zusammen mit ihrer schwer bewachten blonden Freundin Adam und mich beinahe in eine schlimme Falle gelockt hätte. Jedenfalls kam sie jetzt auf unsere Gruppe sich hingefläzter und Reisbier trinkender Jungs zu. Kurz blieb sie stehen, schirmte mit der flachen Hand ihre Augen gegen die tief stehende Sonne, orientierte sich und ging dann weiter zu uns hin. Sie hatte eine helle, weite Stoffhose angezogen und ein Oberteil in derselben baumgrünen Farbe, die auch ihr Bikini hatte. Ja, na gut, daran konnte ich mich sofort erinnern, nachdem ich sie an ihrem wunderbaren schwarzen Haar erkannt hatte. Über der Schulter trug sie eine große Stofftasche in einem quietschend leuchtendem Orange. Die tief stehende Sonne beleuchtete sie wie ein Bühnenscheinwerfer, nur eben unendlich viel goldener, wärmer. Der bläulich-schwarze Ton ihrer tief dunklen Haare war dadurch überblendet, es schien nun eher in leichten Rottönen zu glühen. Ihre Haut wirkte noch südländischer und schimmerte wie edles Holz. Ganz unbeirrt und zielstrebig kam sie auf uns zu. Ich verschluckte mich an meinem Bier und prustete Carlo eine ansehnliche Portion aufs Hemd.
Schließlich blieb sie vor unserer Gruppe stehen. „Habt ihr eins davon für mich übrig?“ fragte sie und deutete auf unseren geschrumpften Vorrat an Reisbierflaschen.
Carlo, ganz Kavalier, sprang eilfertig auf, rief freudig „Na klar, willst du dich vielleicht zu uns setzen?“ und öffnete – sehr beeindruckender Trick – den Kronkorken einer Flasche mit seinem Ring; was seine Verlobte wohl dazu gesagt hätte? Und warum uns Kerlen immer das Gehirn stehen bleibt, wenn wir in der Nähe von Mädchen wie Stella sind?
Die anderen, mich eingeschlossen, sagten gar nichts, vielleicht blieb manchen sogar der Mund offen stehen. Und Carlos Begrüßungsrede war ja auch nicht gerade getragen von tiefsinniger Schlauheit. Ob sie sich „vielleicht“ zu uns setzen wollte, na toll. Nee, sie wollte vielleicht auch nur eine Flasche Bier schnorren und sich das Kaltgetränk von ihrem Bronko aus dem Bauchnabel lutschen lassen, Mann, was für eine doofe Frage. Egal, Stella machte es nichts aus.
Sie setzte sich direkt neben Adam, obwohl da eigentlich kein Platz frei war. Aber der Bekannte von Carlo hatte nicht nur das blödsinnige Kichern eingestellt, sondern war auch erschrocken zur Seite gewichen. Besser für ihn, denn Stelle hätte ihm sonst bestimmt einen aussagekräftigen Tritt verpasst. Sie nahm einen großen ersten Schluck. „Lecker“, konstatierte sie, „und schön kalt.“ Dann noch ein echter Jungensschluck und schließlich – ein waschechter Rülpser: „Uuuualp!“. Carlos Bekannter kicherte natürlich gleich wieder los. Treten konnte sie ihn nicht mehr, jetzt, da sie schon saß. Nur verbal. „Bist du irgendwie doof?“ fragte sie ihn mit eiskalter Stimme. Der Kicherer kicherte nicht mehr, machte leicht den Mund auf, und fing sich gleich die nächste ein. „Halt lieber die Klappe“, schnauzte Stella, und nahm noch einen Schluck. Was für ein sensationeller Einstand in einer Runde ihr bis dahin völlig unbekannter Adoleszenten. Hut ab!
Aber sie machte auch gleich klar, dass sie nicht (nur) auf Krawall gebürstet war. „Nix für ungut“, sagte sie, an uns alle gewandt, „aber ich habe für heute Nachmittag eigentlich schon reichlich genug von sozial auffälligen Halbstarken.“ Das konnte Carlos Bekannten eigentlich nicht wirklich versöhnen, aber er sagte nichts, und auch Carlo ergriff keine Partei für ihn, ganz im Gegenteil.
„Kein Problem“, sagte Carlo in seinem jovialsten netter-Mensch-Tonfall, „er wollte sowieso gerade eine neue Runde holen gehen.“
Das verstand der Kichermann auch sofort, seltsamer Weise, er sprang auf, als hätte ihn was gebissen und trollte sich zum Kiosk.
„Na dann, Prost“, sagte Stella, jetzt nur zu Adam, und stieß mit ihrer Flasche gegen seine. „Ich heiße übrigens Stella.“
„Hallo, Stella“, antwortete er. Hoffentlich ist er jetzt nicht so bescheuert, nach ihrer blonden Freundin zu fragen, wünschte ich mir inständig. „Wo ist denn deine Freundin? Die mit der du auf der Strandmatte warst?“ Ach, Adam!
„Die ist mit ihrem Freund abgezogen, die arme Gestörte.“ Ja! JaJaJaJaJa! Der Bronko war nicht Stellas Typ, sondern der von ihrer Blondinen-Freundin, und Stella fand ihn – mindestens – genauso doof wie ich. Da musste ich doch gleich eingreifen.
„Ja, echt, so ‘nen Penner muss man sich echt nicht antun“, gab ich nickend zum Besten. Was ich nicht hätte tun sollen.
„Hör mal, Freundchen“, antwortete Stella und ihre Stimme glitt unüberhörbar wieder ins Eisige, „das ist ja wohl Sandras Sache, wie sie mit ihrem Freund umgeht. Okay, Freddy ist kein einfacher Mensch, aber es wäre auch nicht in Ordnung, wenn sie ihn einfach mal so eben fallen lässt, wenn er ein bisschen ausrastet. Und wenn das jemand dann komisch finden darf, dann ja wohl jemand, der sie kennt, und nicht so ein dahergelaufener Bengel.“ Dahergelaufener Bengel, wie groß waren die Chancen, dass sie mich damit nicht gemeint haben könnte?
„Na ja, egal, ich bin ja nicht hergekommen, um zu streiten“ meinte sie, wieder in deutlich wärmerem Ton. Schade nur, dass sich ihr Friedensangebot wieder allein an Adam richtete, und sie mich wohl schon wieder aus ihrem Kurzzeitgedächtnis gestrichen hatte. Auch an den anderen schien sie kein besonders großes Interesse zu haben, jedenfalls kümmerte sie sich nicht darum, ob die ihr doch ziemlich selbstbewusstes Auftreten toll oder eher störend fanden. Stattdessen versuchte sie, mit Adam in ein Gespräch zu kommen.
„Und, was machst du so, wenn du nicht gerade Blondinen im Strandbad anbaggerst?“ fragte sie Adam.
Adam schaute geniert zu Boden, gnädig verdeckte ein Schatten auf seinem Gesicht eine aufkommende Röte. „Ich hab sie nicht angebaggert“, sagte er im Ton eines beim Naschen erwischten Kindes, „ich wollte sie nur kennenlernen und nach ihrer Telefonnummer fragen.“
„Oh, ach so, na zum Glück, ich dachte, du wolltest sie anbaggern. Aber wenn du nur auf ihre Telefonnummer aus warst…“ grinste Stella. „Es gibt wohl doch noch ganz anständige Jungs. Wie heißt du?“
„Adam.“
„Schön dich kennenzulernen, Adam.“ Stille. „Und toll, dass du mich nicht gleich so zuquatschst. Vielleicht magst du trotzdem meine Frage beantworten?“
„Hm?“
„Was du so machst, in deinem Leben.“
„Och“, druckste Adam, „nichts besonders.“ Stille.
„In der Branche bin ich auch“ sagte Stella schließlich. „Wir haben ja sooo viele Gemeinsamkeiten. Was speziell nichts Besonderes machst du so?“
„Mach’n Praktikum, beim Amt.“
„Das ist ja mal wirklich ganz dolle nichts Besonderes. Glückwunsch.“
An der Stelle fühlte Carlo sich gedrängt, in das Gespräch einzugreifen. Adam stand ihm doch um einiges näher als der Kichermann.
„Er absolviert eine freiwillige Dienstzeit beim Regierungsamt für Fragen der wirtschaftlichen Entwicklung“ sprang er Adam bei. „Unser junger Freund hier könnte da richtig was draus machen. Wenn er nur nicht so eine Trantüte wäre. Das Zeug dazu hätte er, sein Schlusszeugnis ist jedenfalls ein echter Hingucker. Stimmt’s, Adam?“
Was soll man auf so eine gutgemeinte Hilfestellung antworten, die dir dein bester Freund in Anwesenheit einer sehr hübschen Frau gibt? Nichts. Und genau das tat Adam.
„Wann hast du denn den Abschluss gemacht? In diesem Jahr?“ fragte Stella ihn.
„Nein, letztes“ antwortete Adam, immer mehr drucksend.
„Oha, und seitdem machst du freiwillige Dienstzeit?“
Adam nickte.
„Ich seh‘ schon, du willst Experte im nichts-Besonderes-Machen werden. Ist ja auch wirklich ein Handwerk mit Zukunft“ antwortete Stella, nahm einen letzten Schluck aus ihrer Flasche und nickte so interessiert, als hätte ihr jemand gerade erklärt, er sei der Erfinder der Hochgeschwindigkeits-Transittunnel.
„Also, ich“ ging Carlo jetzt noch einmal dazwischen, „ich studiere. An der Regierungsuni. Ökonomie. Ist echt total stressig, aber auch total interessant, ich mache gerade Scheine in…“
„Na, sapperlot“, unterbrach Stella ihn, „schön, dass du dir bei dem ganzen Stress heute ein bisschen Zeit freischaufeln konntest.“
Carlo wurde rot, ein paar von den Jungs lachten, leise, um nicht als nächster was abzubekommen. Ich glaube, sie waren alle genauso in Stella verliebt wie ich, Adam jetzt mal ausgenommen. Der wollte einfach nicht begreifen, dass Stella, dieses wunderbare Mädchen einzig und allein für ihn hergekommen war und sich unter ein Rudel Bier trinkender Jungs gewagt hatte. Unfassbarer Trottel, der er damals war.
„Und, sag mal“, fing er zaghaft an.
„Ja?“ ermunterte Stella ihn, wohl in der Hoffnung, er würde jetzt endlich mit ihr ins Gespräch kommen wollen.
„Ja, hm, also die… Sandra, also deine Freundin… das ist doch der Name deiner Freundin, also der Blonden von vorhin?“
„Jaaa…“ Stellas Ton kühlte schon wieder deutlich ab.
„Ah, ach so“, stammelte Adam weiter, „die ist also mit dem anderen, na ja, mit dem Freddy zusammen, stimmt’s?“
„Bingo. Fein beobachtet.“
„Du hast nicht zufällig trotzdem ihre…“
„Ihre Nummer?“
„Hmmm.“
„Na gut, pass auf“ seufzte Stella und holte tief Luft. Dann kramte sie in ihrer Tasche herum bis sie einen Stift fand. Sie nahm ihre leere Flasche und schrieb etwas auf das vom Kondenswasser feuchte Etikett, das sie schließlich vorsichtig abzog. „Ich geb dir jetzt eine Nummer.“ Sie klebte Adam das Etikett schwungvoll auf die Backe. Der arme Junge war über seine zweite Backpfeife innerhalb kurzer Zeit so überrascht, dass er – wieder mal – gar nichts sagte oder machte.
„Das ist natürlich nicht Sandras Nummer“, fuhr Stella fort. „Ich glaube du weißt, was es heißt, einen besten Freund zu haben.“ Sie sah Carlo an. „Von dem würdest du auch nicht wollen, dass er deine Nummer rausrückt, wenn jemand Wildfremdes danach fragt. Und ich bin nunmal Sandras beste Freundin, egal, was für ein Voll-Bronko ihr Typ ist. Das wirst du, wie gesagt, sicher verstehen. Ich hab dir meine Nummer aufgeschrieben, nur für den Fall, dass du doch noch ein bisschen mit mir quatschen willst.“ Damit stand sie auf und griff ihre Tasche.
„Danke für das Bier, Jungs. Und, ach ja, wenn einer von euch auf die Idee kommen sollte, Adam etwas zu genau auf die Backe zu schauen und mich dann anzurufen, dann schneid ich ihm die Eier ab. Versprochen.“
Sie drehte sich um und hätte beinahe den Kichermann über den Haufen gerannt, der gerade mit einer Arm voll Bierflaschen angetöffelt kam und vor lauter Schreck, Stella in voller Größe gegenüber zu stehen, einen erschreckten Satz zur Seite machte. Aber sie tat ihm nichts, außer ihm eine Flasche abzunehmen. „Danke, Doofmann“, sagte sie zu ihm, diesmal mit zuckersüßer Stimme „hab dich auch lieb.“ Sie öffnete die Flasche ebenfalls mit einem Fingerring – einem herrlich bunten Schmuckring mit leuchtenden Blütenornamenten – und warf Adam den Kronkorken zu.
„Mach’s gut“.
Ein fantastischer Tag neigte sich dem Ende zu, die Sonne versank hinter dem Horizont und Stella verschwand in der Menge der Menschen, die vom Fluss aufbrachen, um nach Hause zu gehen. Die jetzt immer tiefer stehende Sonne durchstrahlte und wärmte eine weiche Abendluft, in der jeder frei und unbeschwert atmete und alles möglich schien. Wer immer wollte, konnte an so einem Sommerabend alle möglichen Pläne der Welt schmieden oder in das verrückteste Abenteuer aufbrechen. Wenn man denn nur wollte.