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2.1.1 Die hemmende Funktion des Ichs
ОглавлениеIm »Frühwerk«, also im Wesentlichen im zu jenem Zeitpunkt unveröffentlichten Entwurf einer Psychologie sowie in der Traumdeutung stehen Hemmung und Dissoziation bezüglich des Ichs im Zentrum. Freud entwirft hier ein Modell des Bewusstseins als »Sinnesorgan[.] zur Wahrnehmung psychischer Qualitäten« (1900a, S. 620; Sperrung aufgeh., TS). Bewusstsein bedeutet die Wahrnehmung innerer oder äußerer Reize (vgl. zum Folgenden auch Storck & Billhardt, 2021). Freud unterscheidet ferner zwischen Wahrnehmungszellen (ohne Gedächtnis) und Erinnerungszellen (ohne Bewusstsein): Aktuelle Wahrnehmungen hinterlassen Erinnerungsspuren; werden diese erneut als Erinnerung innerlich »wahrgenommen«, dann wird etwas bewusst. Freuds Modell des Psychischen ist dem Reflexapparat nachgebildet ( Abb. 2.1), das bedeutet, dass im Ablauf zwischen Wahrnehmung und Motorik prinzipiell die innere Wahrnehmung von Erinnerungsspuren als Er-innerung im ganz eigentlichen Sinn eingeschaltet werden kann – vor dem Hintergrund vorangegangener Erfahrungen lustvoller oder unlustvoller Art. Dabei ist die Differenzierung zwischen zwei »Ablaufsarten der Erregung« (1900a, S. 614) bedeutsam. Während der Primärprozess sich darauf bezieht, dass Erregung unmittelbar in die Motorik überführt wird (also ein unmittelbares Streben nach Befriedigung), besteht im sekundärprozesshaften Denken die Möglichkeit, Abläufe zu hemmen oder umzulenken (unter Berücksichtigung des Realitätsprinzips, der Antizipation etc.). Diese hemmende Wirkung, in welcher der Sekundärprozess dann im Grunde einzig besteht, wird durch das Ich vollzogen: »Wenn ein Ich existiert, muss es psychische Primärvorgänge hemmen.« (Freud, 1950a, S.417)
Das Ich »weiß« um mögliche unlustvolle Folgen vor dem Hintergrund des bei Freud auch neuropsychologischen Systems aus Bahnungen, Wunschanziehungen und Seitenbesetzungen. Lustvolle und unlustvolle Erlebnisse hinterlassen ihre Spuren und im Verlauf der psychischen Entwicklung kommt es zur Bildung einer »Organisation« im Psychischen, »deren Vorhandensein [Quantitäts-]Abläufe stört, die sich zum ersten Mal in bestimmter Weise [d.i. begleitet von Befriedigung oder Schmerz] vollzogen haben.« (1950a, S. 416) Diese Organisation ist das Ich als System konstanter (Seiten-)Besetzungen. Freud beschreibt es auch als »ein Netz besetzter, gegeneinander gut gebahnter Neurone« (a. a. O., S. 417).
Abb. 2.1: Freuds (1900a, S. 546) Modell des psychischen »Reflexapparates« zwischen Wahrnehmung und Motilität unter Einschaltung von Erinnerungsspuren
Denken (als wesentliche Leistung des Ichs) ist für Freud ein Umweg (1900a, S. 609), es soll die »ungefährliche« Befriedigung ermöglichen. Das Ich ist zuständig für die Hemmung des Primärprozesses. Auf dem Weg zwischen Wahrnehmung und Motorik (Ablauf der Erregung) werden – in Gestalt von Erinnerungsspuren – potenziell Hemmungen »zwischengeschaltet«. Das heißt, es erfolgt eine Prüfung, ob »befriedigende« Bedingungen aktuell in der Wahrnehmung der äußeren Realität gegeben sind. Das Ich ist zuständig für den Einbezug von Gedächtnisfunktion und Realitätsprüfung, es leistet potenziell den Triebaufschub.