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2.4 Das Ich als psychische Instanz

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Ab 1920 taucht das Ich als Teil des Instanzen-Modell des psychischen Apparates auf, was einen wichtigen Wendepunkt darstellt: »Erst in den zwanziger Jahren wurde die Ich-Psychologie ausdrücklich als ein legitimes Kapitel der Analyse definiert.« (Hartmann, 1952, S. 157) Es gebe hier eine »Renaissance des Ich-Begriffs« (a. a. O., S. 158) (gemäß der frühen Überlegungen zur hemmenden Wirkung und damit der Grundlegung der Ich-Funktionen) und nun könne innerhalb der Psychoanalyse von einer »explizite[n] Ich-Psychologie » (Hartmann, 1950, S. 119) gesprochen werden. Oben ist bereits deutlich geworden, dass ein wichtiger Grund für die Entwicklung des Instanzen-Modells die Einsicht gewesen ist, dass die Abwehr unbewusst von statten gehen muss, um zu wirken. Das bedeutet, dass unbewusste Anteile des Ichs konzipiert werden müssen: Das Ich ist weiterhin »Stätte des Konflikts«, es spürt die und vermittelt zwischen den Ansprüchen der übrigen Instanzen und der Außenwelt. Entscheidend ist, dass das Ich nun »als ein System von Funktionen definiert« wird (Hartmann, 1956, S. 281). Daher ist in der weiteren Konzeptentwicklung oft davon die Rede gewesen, dass das Ich mehr oder minder ein deskriptiver Begriff für die Summe der Ich-Funktionen ist: »Ich« ist, was das Ich tut. Fonagy und Target (2003, S. 70) meinen allerdings, es bestehe »nicht einfach aus einer Ansammlung von Mechanismen, sondern bildet eine kohärente Struktur, deren Aufgabe darin besteht, die miteinander rivalisierenden Anforderungen des Es, des Über-Ichs und der äußeren Realität zu meistern.« Offensichtlich hat die Definition des Ichs als Summe seiner Funktionen also Vor- und Nachteile: Damit kann einer Verdinglichung entgangen werden (in der das Ich zu einer Art Homunculus würde, der prüft und steuert), andererseits bleibt zu fragen, ob man das Konzept dann überhaupt braucht und man nicht statt dessen von »strukturellen Fähigkeiten« oder ähnlichem sprechen sollte ( Kap. 5.1.5). Die metapsychologischen Gesichtspunkte (vgl. Freud, 1915e, S. 281; ökonomisch, dynamisch-topisch) werden nun um einen strukturellen ergänzt (Hartmann, 1956, S. 280).

Im Instanzen-Modell, das eine Antwort auf den Sitz der Abwehr und das Wirken der psychischen Zensur gibt, geht es um das triebhafte, körpernahe und »asoziale« Es und das Über-Ich als internalisierte Gewissensfunktion, als »Repräsentanz unserer Elternbeziehung« (Freud, 1923b, S. 264) unterschieden. Das Über-Ich gibt vor »So sollst du sein« beziehungsweise »So darfst du nicht sein« (a. a. O., S. 262), was in Kapitel 4 bei der Diskussion des Ich-Ideals wieder aufgenommen werden wird ( Kap. 4). Ferner ist das Ich »der durch den direkten Einfluß der Außenwelt unter Vermittlung von W-Bw veränderte Teil des Es« (a. a. O., S. 252), es ist »eine Art Fassade des Es, ein Vordergrund« (1926e, S. 222). Oben war bereits zum Thema geworden, dass in der frühsten Thematisierung das Ich als eine Art Antwort gegenüber dem Primärprozess als unvermitteltem Erregungsablauf konzipiert wird. Hier taucht etwas ähnliches auf der Ebene der Instanzen auf. Im Gedanken, das Ich sei ein veränderter Teil des Es, folgt Freud der Annahme, »daß das Ich aus der Frustration von Triebwünschen hervorgeht«, es »nimmt auf der Grundlage der Natur jener Objekte, deren das Kind unter dem Druck der Realität entsagen muß, Gestalt an« (Fonagy & Target, 2003, S. 70f.). Erneut muss hier darauf hingewiesen werden, dass sich Teile dieses konzeptuellen Modells auf das beziehen, was heute als das Selbst bezeichnet würde (Selbstrepräsentanz aus der Erfahrung von Begrenzung und Differenz), und andere Teile auf das, was als Ich oder Struktur bezeichnet würde (Funktionen, die sich bilden, um die Realität und ihre Anforderungen zu bewältigen).

Das Ich ist »eine[.] zusammenhängende[.] Organisation der seelischen Vorgänge in einer Person« (Freud, 1923b, S. 243) oder, andernorts, »eine Organisation, ausgezeichnet durch ein sehr merkwürdiges Streben nach Vereinheitlichung, nach Synthese« (1926e, S. 223). Hier wird erneut der Gedanke deutlich, dass das Ich im Instanzen-Modell in erster Linie durch seine Funktionen definiert wird. Das ist auch der Fall, wenn Freud kennzeichnet, am Ich hänge das Bewusstsein, es beherrsche »die Zugänge zur Motilität, das ist: zur Abfuhr der Erregungen in die Außenwelt« und von ihm gingen »die Verdrängungen aus« (1923b, S. 243). Als Sitz der Abwehr verstanden, »haben [wir] im Ich selbst etwas gefunden, was auch unbewußt ist« (a. a. O., S. 244).

Auch im Instanzen-Modell zeigt sich der Gedanke des Ichs als Niederschlag aufgegebener Objektbesetzungen. Freud meint, »daß der Charakter des Ichs ein Niederschlag der aufgegebenen Objektbesetzungen ist, die Geschichte dieser Objektwahlen enthält« (a. a. O., S. 257). Hier steht Freuds Annahme zum Ausgang des Ödipuskonflikts im Hintergrund, in der er annimmt, dass die Rivalität mit dem Vater um die Nähe zur Mutter und die daraus erwachsenen Konflikte dadurch (kompromisshaft) bewältigt werden, dass der Junge sich mit dem Vater identifiziert (und die sexuelle Liebe zur Mutter aufgibt, d. h. diese »Objektbesetzung«). Im Zuge von Identifizierungen kommt es zu einer »Ichveränderung« (a. a. O., S. 274) und das »Ich [bildet] sich zum guten Teil aus Identifizierungen […], welche aufgelassene Besetzungen des Es ablösen« (a. a. O., S. 277) (vgl. Storck, 2018b, S. 73ff., zur Perspektive ödipaler Konflikte jenseits starrer familialer oder geschlechtlicher Positionen).

Das heißt grundlegend nichts anderes, als dass unsere Selbstbilder sich aus der Geschichte unserer Beziehungserfahrungen ergeben. Freudianisch ist dabei der Akzent, dass das Selbst damit zu tun hat, libidinöse Wünsche und Besetzungen aufzugeben oder zumindest zu sublimieren, das heißt, ihnen eine sozial akzeptable Form zu geben.

Die Bildung des Selbst beziehungsweise des Ichs (bei Freud eben uneinheitlich oder vermischt verwendet) ist an Sexuelles angebunden beziehungsweise an Körperliches. Freud postuliert, das »Ich« sei »vor allem ein körperliches, es ist nicht nur ein Oberflächenwesen, sondern selbst die Projektion einer Oberfläche.« (Freud, 1923b, S. 253) Damit ist gemeint, dass sich körperliche Empfindungen (z. B. bei »schmerzhaften Erkrankungen«, aber auch viel grundlegender in jeder Berührungserfahrung; vgl. Storck, 2020d) dem Erleben vermitteln und so eine erste Umgrenzung des Körpers erlebt werden kann, eine Grenze zwischen dem, was zum »eigenen« Körper gehört und was diesem nur berührend oder schmerzend begegnet. Wie sich derart »der eigene Körper aus der Wahrnehmungswelt heraushebt« (Freud, 1923b, S. 253), ist zugleich das Vorbild für das Erleben einer Umgrenztheit des Selbst, sowie von dessen Getrenntheit, aber Bezogenheit auf Andere und Anderes. Daher meint Freud, »das Ich leitet sich letztlich von körperlichen Gefühlen ab, hauptsächlich von solchen, die auf der Körperoberfläche entstehen. Es könnte deswegen als eine psychische Projektion der Körperoberfläche angesehen werden« (a. a. O.). Leibliche Interaktion ist also entscheidend dafür, wie jemand sich selbst erleben kann, als wie getrennt und bezogen auf ein Gegenüber.

Das ist mitnichten ein »reibungsloser« oder einzig reifend-progressiver Vorgang. Zum einen hat er mit dem »Aufgeben« libidinöser Besetzungen zu tun, zum anderen bleibt es ein spannungshafter Prozess. Freud kennzeichnet das Ich im Instanzen-Modell (und hier ist wiederum eher das Ich in seinen Funktionen und Aufgaben statt des Selbst als Bezeichnung der inneren Selbstbilder gemeint) als Vermittler zwischen dreierlei Ansprüchen. Er bezeichnet es »als armes Ding, welches unter dreierlei Dienstbarkeiten steht und demzufolge unter den Drohungen von dreierlei Gefahren leidet, von der Außenwelt her, von der Libido des Es und von der Strenge des Über-Ichs.« (1923b, S. 286; vgl. Hartmann, 1956, S. 283) Das Ich als ein »Grenzwesen« (Freud, 1923b, S. 286) muss die Balance halten zwischen Triebhaftigkeit, Gewissenhaftigkeit und sozialer Orientierung. Es muss permanent nach genügend funktionalen Kompromissbildungen suchen, psychische Symptombildung und Störungen werden in Richtung solcher Konflikte beschrieben, etwa als Ich-Über-Ich-Konflikt. Dem Ich stehen dazu im Freud’schen Verständnis ( Kap. 3.2.2 zum Ansatz von Hartmann zu einer erweiterten Perspektive) vor allem die Abwehrmechanismen zur Verfügung. Die Entwicklung des Instanzen-Modells gründet wesentlich auf der erforderlichen Annahme, dass die Abwehr, um darin erfolgreich zu sein, etwas vom bewussten Erleben fern zu halten, ihrerseits unbewusst ablaufen muss. Die Abwehr ist ein unbewusster Ich-Anteil, der nötig ist, um das Über-Ich zufrieden zu stellen (also vor Beschämung oder Schuldgefühlen sowie der darauf bezogenen Angst zu schützen), um geeignete Formen für Triebwünsche zu finden, um soziale Folgen eigenen Handelns einzubeziehen oder auch um vor überflutender Angst zu schützen.

Im Instanzen-Modell wird also zum einen die Abwehr anders als zuvor beschreibbar, zum anderen verändert sich die Konfliktkonzeption (dieser ist nun einer zwischen unterschiedlichen Instanzen), und schließlich lassen sich auch die Widerstände in ihren unterschiedlichen Formen genauer beschreiben, nämlich als Es-Widerstände, Über-Ich-Widerstände und Ich-Widerstände (Freud, 1926d, S. 192f.; vgl. Storck, 2021a, Kap. 3.4).

Während also das, worauf der »Schatten des Objekts« fällt, oder das, was sich körperlichen »Grenz«-Erfahrungen verdankt, eher als Selbst bezeichnet werden kann, geht es beim »Ich« hier um (regulierende) Funktionen. In diesem Kontext gebraucht Freud daher auch die Konzeption von Ich-Funktionen. Unter diesen nennen Laplanche und Pontalis (1967, S. 195): »Kontrolle der Motilität und der Wahrnehmung, Realitätsprüfung, Antizipation, zeitliche Ordnung der seelischen Vorgänge, rationales Denken etc., aber auch Mißverständnis, Rationalisierung, Abwehr der Triebforderungen.« (vgl. Freud, 1930a, S. 81ff.) Zepf (2006b, S. 142) zählt Realitätsprüfung, Gedächtnis, Sprache, Wahrnehmung, Fantasieren, prälogisches, vorstellungsmäßiges und logisch-begriffliches Denken auf (vgl. a. Althoff, 2019, S. 14f.). Auf diesen Denkfiguren gründet sich die heute gängige Auffassung, das Ich als »ein Teilgebiet der Persönlichkeit« zu verstehen, das »durch seine Funktionen bestimmt« wird (Hartmann, 1964, S. 13) ( Kap. 3)

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