Читать книгу Jona und der unverschämt barmherzige Gott - Timothy Keller - Страница 12
ОглавлениеKapitel 2
Die Stürme der Welt
3 Er ging hinab nach Jafo, fand ein Schiff, das nach Tarschisch fuhr, bezahlte den Fahrpreis und stieg hinein, um mit ihnen nach Tarschisch zu fahren, weg vom Angesicht des HERRN. 4 Aber der HERR warf einen großen Wind auf das Meer, und es gab solch einen gewaltigen Sturm, dass das Schiff zu zerbrechen drohte. (Jona 1,3b-4)
Jona läuft davon, aber Gott lässt ihn nicht los. Der Herr „warf einen großen Wind auf das Meer“ (V. 4). Das Wort „werfen“ wird oft im Zusammenhang mit Waffen benutzt, z. B. einem Speer (vgl. 1. Samuel 18,11). Es ist ein anschauliches Bild von Gott, der einen gewaltigen Sturm auf das Meer um Jonas Schiff herum „wirft“. Es war ein „großer“ Wind; mit demselben Wort (hebr. gedola) wird Ninive in Vers 2 beschrieben. Wenn Jona sich weigert, in eine große Stadt zu gehen, bekommt er einen großen Sturm. Für uns ist das gleichzeitig eine ernste und eine tröstliche Botschaft.
Stürme durch Sünde
Die ernste Botschaft ist, dass jeder Akt des Ungehorsams gegen über Gott einen Sturm mit sich bringt. Dies ist eines der großen Themen der alttestamentlichen Weisheitsliteratur, besonders des Buchs der Sprüche. Wir müssen hier jedoch aufpassen. Es ist nicht so, dass jede Schwierigkeit, die wir erleben, die Strafe für eine bestimmte Sünde ist. Ein ganzes biblisches Buch – Hiob – beschäftigt sich damit, dass guten Menschen eben nicht immer nur Gutes widerfährt und dass nicht immer dann, wenn uns Böses geschieht, eine Sünde der Grund dafür sein muss. Die Bibel sagt nicht, dass jede Schwierigkeit die Folge von Sünde ist – sehr wohl aber, dass jede Sünde mich in Schwierigkeiten bringt.
Wir können nicht unseren Körper vernachlässigen und erwarten, kerngesund zu sein. Wir können nicht unsere Freunde vernachlässigen und erwarten, dass sie unsere Freunde bleiben. Wir können nicht unsere eigenen Interessen über das Gemeinwohl stellen und trotzdem eine gut funktionierende Gesellschaft erwarten. Wenn wir die Konstruktion und den Sinn der Dinge missachten – wenn wir gegen unseren Körper, unsere Beziehungen oder die Gesellschaft sündigen –, wird sich das rächen. Unser Verhalten hat Konsequenzen. Wenn wir die Gesetze Gottes verletzen, verletzen wir unser eigenes Wesen, denn Gott hat uns dazu geschaffen, ihn zu kennen, zu lieben und ihm zu dienen. Die Bibel redet manchmal davon, dass Gott Sünde bestraft („Der HERR verabscheut alle Hochmütigen […]. keiner von ihnen kommt ungestraft davon“, Sprüche 16,5), aber auch davon, dass die Sünde selbst uns bestraft („Ihre Gewalttätigkeit reißt die Gottlosen mit ins Verderben, denn sie wollen sich nicht an das Recht halten“, Sprüche 21,7). Beides ist wahr. Zu jeder Sünde gehört ein Sturm.
Der Alttestamentler Derek Kidner schreibt: „Sünde […] führt zu Rissen im Gebäude des Lebens, die unausweichlich zum Zusammenbruch führen müssen.“16 Allgemein formuliert: Wer lügt, wird meist selbst belogen, wer zuerst angreift, wird auch angegriffen, und wer von dem Schwert lebt, wird durch das Schwert sterben. Gott hat uns dazu erschaffen, vor allem anderen für ihn zu leben; das ist gleichsam die geistliche „Voreinstellung“ für unser Leben. Wenn wir unser Leben und unseren Sinn auf etwas anderes gründen als auf Gott, handeln wie gegen die Gesetzmäßigkeiten des Universums und gegen das, wozu Gott uns geschaffen hat.
Die Folgen von Jonas Ungehorsam sind unmittelbar und dramatisch: Ein heftiger Sturm überfällt ihn. Er kommt so plötzlich und wütet so stark, dass selbst die heidnischen Matrosen ahnen, dass hier etwas Übermenschliches im Spiel ist. Doch dies ist keineswegs die Norm. Meistens ähneln die Folgen der Sünde eher der Reaktion des Körpers auf eine gefährliche Dosis Strahlung. Zunächst spürt man rein nichts. Es ist nicht so, als ob plötzlich eine Kugel oder ein Schwert in den Körper dringt. Man fühlt sich ganz normal. Erst später spürt man die Symptome, doch dann ist es längst zu spät.
Die Sünde ist so was wie ein Angriff des Willens auf sich selbst. Es ist so ähnlich, wie wenn man Drogen nimmt. Zuerst fühlt man sich wunderbar, aber mit jedem Mal wird es schwieriger, nicht wieder etwas zu nehmen. Hier nur ein Beispiel: Wenn ich mich Rachegedanken hingebe, fühlt es sich erst richtig gut an, sich vorzustellen, wie man es dem anderen heimzahlen wird. Doch langsam, aber sicher versinke ich immer mehr im Selbstmitleid, ich verliere die Fähigkeit, zu vertrauen und Beziehungen zu genießen, und mein Alltagsleben wird immer grauer und unglücklicher. Sünde verhärtet mein Gewissen, schließt mich in dem Gefängnis meiner Selbstrechtfertigungen und Ausreden ein und frisst mich nach und nach von innen auf.
Zu jeder Sünde gehört ein heftiger Sturm. Das ist ein starkes Bild, denn selbst in unserer Welt, die technisch so fortgeschritten ist, können wir das Wetter immer noch nicht kontrollieren. Einen Sturm kann man nicht bestechen oder mit Argumenten und Worten beeindrucken. „[…] dann habt ihr gegen den HERRN gesündigt, und eure Sünde wird mit Sicherheit auf euch zurückfallen“ (4. Mose 32,2317).
Stürme in einer gefallenen Welt
Die düstere Botschaft ist, dass jede Sünde mit einem Sturm verbunden ist, aber es gibt auch eine tröstliche Botschaft. Für Jona war der Sturm die Folge seiner Sünde, aber der Sturm traf auch die Seeleute. Die meisten Stürme in unserem Leben sind nicht die Konsequenz einer bestimmten Sünde in unserem Leben, sondern die unvermeidliche Folge des Lebens in einer gefallenen Welt, die in Schieflage geraten ist. „Der Mensch wird zur Mühsal geboren, wie die Funken des Feuers emporfliegen“, heißt es in Hiob 5,718, und so ist die Welt voll von zerstörerischen Stürmen. Doch Jonas Sturm führt, wie wir gleich sehen werden, die Seeleute zu einem echten Glauben an den wahren Gott, obwohl nicht sie es waren, die ihn zu verantworten hatten. Und für Jona selbst ist er die erste Station auf seiner Reise zu einem neuen Verständnis der Gnade Gottes. Wenn Stürme in unser Leben kommen (ob nun als Folge unserer Sünden oder nicht), haben Christen die Verheißung, dass Gott diese Stürme zu ihrem persönlichen Besten benutzen wird (Römer 8,28).
Als Gott Abraham zu einem Mann des Glaubens machen wollte, der der Vater aller Gläubigen auf Erden werden würde, ließ er ihn viele Jahre lang umherziehen, mit Verheißungen, die sich scheinbar nie erfüllten. Als Gott Josef von einem arroganten, verwöhnten Teenager zu einem charakterfesten Mann machen wollte, ließ er ihn Jahre der Mühsal durchleben; er musste durch Sklaverei und ins Gefängnis gehen, bevor er sein Volk retten konnte. Und Mose musste, auf der Flucht vor den Ägyptern, vierzig Jahre in der Einsamkeit der Wüste verbringen, bevor er der Führer seines Volkes werden konnte.
Die Bibel sagt nicht, dass jede Schwierigkeit die Folge unserer Sünde ist – sehr wohl aber, dass für den Christen jede Schwierigkeit dazu beitragen kann, die Macht der Sünde über unser Herz zu verringern. Stürme können uns sensibel machen für Wahrheiten, die wir sonst nie sehen würden. Stürme können in uns Glauben, Hoffnung, Liebe, Geduld, Demut und Selbstbeherrschung wachsen lassen, wie nichts anderes das kann. Zahllose Menschen haben bezeugt, dass sie ewiges Leben und den Glauben an Christus nur deshalb gefunden haben, weil ein großer Sturm sie zu Gott trieb.
Auch hier müssen wir uns vor Schnellschüssen hüten. Die ersten Kapitel der Bibel zeigen uns, dass Gott die Welt und die Menschheit nicht erschuf, um sie Leiden, Krankheiten, Naturkatastrophen, das Altern und den Tod erleben zu lassen. Das Böse kam in die Welt, als wir uns von Gott abwandten. Gott hat sein Herz mit unserem so verbunden, dass es ihn zutiefst betrübt, wenn er all die Sünde und das Leiden in der Welt sieht (vgl. 1. Mose 6,6). „In all ihrer Bedrängnis war auch er bedrängt“ (Jesaja 63,919). Gott ist kein Schachspieler, der uns Bauern gelangweilt über das Spielfeld schiebt, und meist sehen wir erst nach Jahren (wenn überhaupt in diesem Leben), was das Gute war, das er durch unser Leiden bewirkte.
Wie Gott durch Stürme arbeitet
So schwierig es sein kann, Gottes liebevollen, weisen Plan hinter unseren Problemen und Schwierigkeiten zu erkennen – die Vorstellung, dass er sie nicht unter Kontrolle hat, oder dass unsere Leiden zufällig und sinnlos sind, wäre noch viel hoffnungsloser.
Jona konnte nicht sehen, dass tief in dem Wüten des Sturms Gottes Gnade steckte, die dabei war, ihn zu sich zu ziehen und sein Herz zu verändern. Es überrascht nicht, dass Jona das nicht sofort erkannte. Er wusste ja noch nicht, wie Gott in die Welt kommen würde, um uns zu erlösen. Wir dagegen, die wir nach dem Kreuz leben, wissen, dass Gott durch Schwäche, Leiden und scheinbare Niederlagen retten kann. Die, die Jesus am Kreuz sterben sahen, sahen nichts als Elend und Schmerz. Doch inmitten dieser Finsternis war die Gnade Gottes mächtig am Werk, um uns Vergebung und Erlösung zu bringen. Gottes Erlösung kam durch Leiden in die Welt und so kann seine erlösende Gnade und Macht immer mehr in unserem Leben wirksam werden, wenn wir durch Schwierigkeiten und Leid gehen. Tief in unseren Stürmen finden wir Gnade.