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Kapitel 1

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Anka lag auf ihrem Bett und war nun schon seit etwa zwei Stunden in ein interessantes, von Liebe und Leid handelndes Buch vertieft, als ein Schrei sie aufhorchen ließ.

„Feuer!!!“ schrie diese Männerstimme erneut, lauter und panischer als vorher. Hatten ihre Eltern mal wieder den Fernseher zu laut gestellt? Jedenfalls kam das Geschrei unten aus dem Wohnzimmer.

Anka dachte sich nichts weiter dabei und suchte die Zeile in ihrem Buch, bei der sie eben angelangt war.

Plötzlich polterte es auf der Treppe, ihr Vater riss die Tür zu ihrem Zimmer auf und rief atemlos: „Los, raus hier, es brennt!“

„Waaas?“ Jetzt sprang sie auf und schnappte geistesgegenwärtig ihren Rucksack, in dem sich ihre Papiere und ein paar persönliche Dinge befanden. Ihre Augen waren vor Entsetzen geweitet. „Wo?“ fragte sie schnell und mit einer ungeheuren Angst in der Stimme. Der Vater griff sie am Arm und zog sie mit sich aus dem Zimmer. „Im Keller!“

Auf der Treppe nach unten schlugen ihnen bereits erste Rauchschwaden entgegen. Petra Weiß, Ankas Mutter, wartete an der Haustür ungeduldig auf die Beiden.

„Hast du die Feuerwehr gerufen?“ rief Martin Weiß im Hinunterlaufen seiner Frau zu.

„Es ging nicht, das Telefon ist gestört“, antwortete sie nur, dann liefen alle Drei hinaus ins Freie und erst mal weg von ihrem Haus.

An der Kellertreppe knackte es. Schon kroch das Feuer an der Wand entlang hinauf in das Erdgeschoss.

„Oh mein Gott“, stöhnte Ankas Mutter und schluchzte trocken auf.

Anka zitterte am ganzen Körper. Ihr Blick haftete an dem Haus, hinter dessen Fenstern im Erdgeschoss es vereinzelt gefährlich zu flackern begann.

Der Vater lief unterdessen zu einem Nachbarn, um von dort aus die Feuerwehr zu alarmieren. Vielleicht hatte auch einer der Nachbarn sie schon gerufen.

Wenig später kehrte Martin Weiß zurück zu Frau und Tochter.

Fassungslos standen sie da und starrten auf die Flammen, die sich nach und nach im gesamten Erdgeschoss ausbreiteten.

Zu allem Unglück explodierten im Keller auch noch zwei Gasflaschen. Durch die Druckwelle splitterten die Scheiben meterweit in den Garten. Im Nu stand auch die obere Etage in Flammen.

Verzweifelt stöhnte Anka auf. Nein, mein schönes Zimmer, meine ganzen Erinnerungen…

Nach wenigen Minuten kam die erste Feuerwehr angerauscht. Rasch und routiniert leiteten die Feuerwehrleute die ersten Löscharbeiten ein. Ein erbitterter Kampf gegen eine wahre Flammenhölle begann.

Keine zwei Minuten später rollten zwei weitere Löschfahrzeuge heran. Schläuche wurden ausgerollt, angeschlossen und Wassersäulen auf die Flammen gerichtet, so dass es überall zischte, knackte, dampfte.

Immer wieder loderte das Feuer an neuen Stellen wieder auf. Die Feuerwehrleute hatten mächtig zu tun.

Es dauerte lange, ehe sie den Brand einigermaßen unter Kontrolle bekamen.

„Petra?“ rief hinter den Dreien eine Frau und trat zaghaft näher.

Ankas Mutter drehte sich um und erkannte die Person, von der sie gerade gerufen worden war. „Ingrid!“ Die beiden Frauen machten einen Schritt aufeinander zu und umarmten sich.

„Ich war gerade auf dem Heimweg vom Krankenhaus, als ich die Rauchwolken sah. Ich hatte so ein ungutes Gefühl, dass es hier bei euch sein könnte. Verdammt, hier brennt es wirklich!“ Entsetzt starrte sie auf das Haus der Familie Weiß. Doch dann wandte sie den Kopf wieder den Dreien zu. Stumm ließ Frau Weiß, die ständig mit den Tränen kämpfte, sich von ihr wieder in die Arme nehmen.

Dazu konnte man einfach nichts mehr sagen.

Immer mehr Schaulustige kamen hinzu. Einige Leute aus der Nachbarschaft erkundigten sich bei Ankas Eltern, ob sie helfen konnten.

Da bot Frau Heller ganz spontan an: „Ich nehme euch nachher erst mal mit zu uns. Dann sehen wir weiter.“ Sie hatten genug Platz in ihrem Haus. Martin Weiß nickte nur und legte Frau und Tochter je einen Arm um die Schultern.

Anka flüsterte erstickt: „Jetzt ist alles weg...“

Stumm vor Entsetzen und Hilflosigkeit verfolgten sie das schreckliche Schauspiel nur wenige Meter vor ihnen.

Knacken, knistern, lodernde Flammen, durch das Wasser erstickendes Feuer, Zischen, Wiederaufflackern, dichter grauer und weißer Qualm...

Es verging unendlich viel Zeit, bis die Flammen schließlich gelöscht waren. Immer noch stieg vereinzelt Rauch aus den Hausöffnungen empor.

Ein Mann in kompletter Feuerwehrmontur trat auf sie zu und schüttelte nur mit dem Kopf. „Da war leider nicht mehr viel zu machen.“

Herr Weiß erinnerte sich daran, dass sie ihre ganzen Versicherungs- und andere wichtige Dokumente in einem feuerfesten Behälter im Wohnzimmerschrank aufbewahrt hatten. Er fragte den Feuerwehrmann, ob es möglich war, diesen sicherzustellen. Rasch erklärte er, wo im Haus - was es bis vor zwei Stunden zumindest noch gewesen war - sich dieser Kasten befand und wie er aussah. Man wollte sich darum kümmern.

Nach einiger Zeit kam einer der Männer wirklich mit einer ruß verschmierten Metallkiste zu ihnen. Herr Weiß schaute sofort nach dem Inhalt derselben und stellte nebenbei fest, dass sich noch etwas Bargeld darin befand.

Der Überbringer der Kiste fragte, ob noch nach weiteren wichtigen Sachen gesucht werden sollte.

Das eine oder andere Teil wurde ihnen danach noch gebracht, aber dann fiel den Dreien zunächst nichts an wertvollen, eventuell unversehrt gebliebenen Dingen mehr ein.

Der Rest war eh den Flammen zum Opfer gefallen.

Frau Heller hatte inzwischen ihre Familie angerufen und sie auf die Situation, die nun auf alle zukam, vorbereitet.

Jetzt kehrte sie zurück zu den drei Obdachlosen und sagte: „Kommt mit, ihr Drei. Ich habe Heinz und Dirk Bescheid gegeben, dass ich mit Euch zusammen zu uns nach Hause fahre.“

Herr Weiß sah als erster ein, dass es keinen Sinn hatte, wenn sie noch länger auf das zerstörte Haus starrten und hofften, dass noch irgendein Wunder geschah.

Der Polizei hatte er auch längst Rede und Antwort gestanden, hätte sich sogar beinah noch mit einem der Herren angelegt, weil der Beamte doch tatsächlich geäußert hatte, dass man Brandstiftung nicht ausschließen konnte.

Anka nahm ihren Rucksack und folgte den drei Erwachsenen. Dabei wischte sie die Tränen fort und versuchte, nun um die Augen herum trocken zu bleiben. Was sollte Dirk von ihr denken?

Sie stieg bei ihrem Vater in den Wagen, während ihre Mutter bei Ingrid auf dem Beifahrersitz Platz nahm.

Nach wenigen Fahrminuten hatten sie das Einfamilienhaus, in dem Familie Heller wohnte, ziemlich zeitgleich erreicht.

Dirk saß auf der Treppe vor der Haustür.

Anka wusste sofort, dass er es war, denn er hatte ein schwarzes Tuch um den Kopf gebunden, trug einen Ring im Ohr und sah auf den ersten Blick aus wie ein Räuber. So lief er immer auf Partys oder in der Disco herum, so kannte man ihn.

So kannte Anka ihn.

Als Dirk auf seine Mutter und die befreundete Familie aufmerksam wurde, rief er ins Haus nach seinem Vater und erhob sich langsam.

Sofort erschien auch Herr Heller in der Haustür.

Anka ließ sich von dem etwa zwei Jahre älteren Dirk in die Arme nehmen.

Obwohl heute etwas Furchtbares passiert war, lächelte er sie verschmitzt an. „Um uns zu besuchen, hättet ihr eigentlich nur anzurufen brauchen. Müsst ihr gleich euer Haus in Brand stecken?“

Nun fiel auch von Anka der Schrecken ein wenig ab.

Sie versuchte zu lächeln.

„Und deshalb hast du dir auch gleich die Ferien ausgesucht“, stellte Dirk fest.

Sie nickte nur. Dann wurde sie auch von Dirks Vater begrüßt und betrat hinter den Erwachsenen das Haus.

Als sie im Wohnzimmer Platz genommen hatten, brauchten sie noch eine Weile, um das Geschehene einigermaßen zu verdauen. Entsprechend gedrückt war die Stimmung zunächst.

Ingrid begann, von ihrem Dienst im Krankenhaus zu erzählen, was sich dort heute zum Beispiel auf ihrer Spätschicht wieder Interessantes oder Amüsantes zugetragen hatte. Sie wollte die Anspannung etwas lösen.

Nach einiger Zeit gab Heinz seiner Neugier nach und fragte schließlich: „Wie kam es eigentlich zu dem Brand?“

Ankas Vater antwortete: „Die Feuerwehr geht nach ersten Angaben von einem Kabelbrand im Sicherungskasten aus. Und der befand sich im Keller.“

Seine Frau fand nun auch die Sprache wieder: „Wir haben ferngesehen und wollten eigentlich bald schlafen gehen. Da ging plötzlich der Fernseher aus. Zuerst begann es, stark verschmort zu riechen, und dann stank es innerhalb kurzer Zeit auf einmal immer mehr nach Rauch. Martin ging, um nachzuschauen. Als er zum Keller hinunter stieg, sah er schon, wie der Qualm unter der Kellertür raus quoll. Er brauchte die Tür gar nicht zu öffnen, vielmehr war es wohl auch besser, dies zu unterlassen. Ich bin zu ihm hin. Wir hörten, wie es hinter der Tür laut geknistert hat. Martin hat Anka von oben heruntergeholt und ich habe nur noch schnell unsere Ausweise, Schlüssel und das Nötigste eingesteckt. Und dann ging alles sehr schnell. Wir waren gerade aus dem Haus raus, als das Feuer vom Keller durchbrach. Und dann gab es auch noch diese Explosion!“

„Bis zum Dach alles in Schutt und Asche. Das Haus können wir nur noch abreißen“, meinte Martin betrübt.

„Aber ihr seid doch versichert, oder?“ warf Dirk ein. Bei dem Gedanken daran, wie es geendet hätte, wenn die Drei nur ein paar Sekunden später auf den Brand aufmerksam geworden wären, wurde ihm ganz flau.

Ankas Vater nickte. Ein schwacher Trost.

Die persönlichen, emotionalen Werte waren nicht zu ersetzen, ein harter Fakt. Besonders für Anka. Sie saß auf der Couch wie ein Häuflein Elend und hatte Mühe, gegen die Tränen anzukämpfen.

Was ein Feuer innerhalb weniger Stunden doch alles zerstören konnte. Dirk gab sein Bestes, um das Mädchen wenigstens etwas aufzumuntern.

Ingrid stand nach einer Weile auf und sagte: „So, ich werde jetzt mal das Gästezimmer herrichten.“

„Warte, ich helfe dir“, entgegnete Ankas Mutter und erhob sich ebenfalls.

„Anka kann ja erst mal bei mir einziehen“, schlug Dirk vor und zwinkerte dem Mädchen dabei zu.

Seine Mutter drehte sich zu ihm um, hob drohend den Finger und schimpfte lächelnd: „Das sieht dir wieder ähnlich. Aber Dummheiten unterbleiben! Sonst gibt’s was auf die Ohren!“

„Na hör mal!“ Dirk setzte ein völlig unschuldiges Gesicht auf. „Wofür hältst du mich eigentlich.“ Für diese Frage hatte seine Mutter nur ein wissendes Lächeln übrig.

Dann drehte sie sich um, die Frauen verschwanden nach nebenan in das Gästezimmer.

„Du siehst müde aus“, meinte Dirk leise zu seiner Nachbarin.

„Schau mal auf die Uhr. Ist nicht mehr ganz meine Zeit, für mitten in der Woche...“ Anka hielt ihm ihre Armbanduhr hin und direkt vor die Augen, so dass Dirk lachend zurückwich. Es war kurz nach zwei Uhr.

„Na dann ab mit Euch in die Falle“, meinte Martin gutmütig.

Anka erhob sich und zog Dirk vom Sofa hoch. Allerdings folgte er ihr sofort bereitwillig.

„Mein Bett ist groß genug für Zwei.“ Spitzbübisch funkelte er sie an, als sie in seinem Zimmer angekommen waren. Vor den Erwachsenen hätte er das freilich nicht sagen dürfen, da hätte er gleich eins drüber gekriegt.

Anka stieß ihm in die Rippen. „Wenn du auf der Kante schläfst, bestimmt.“

„Hey, das ist ganz schön hart!“ jammerte er.

„Ja nun… Was soll mein Freund sonst dazu sagen?!“ hob sie nur kühl die Schultern. Vor allem, was hat das dann noch mit schlafen zu tun? Wir beide im gleichen Bett, das geht niemals gut…

„Upsss“, duckte Dirk sich. „Ist er groß und stark?“

Anka nickte und bekräftigte dies mit einem äußerst überzeugten „Hmmm“.

„Na dann spiel ich doch lieber nur den Bettvorleger“, gab er kleinlaut zurück.

Dirk stellte ein Gästebett auf und holte noch Bettzeug von seiner Mutter herauf. Dann gab er Anka eins von seinen T-Shirts, das ihr aufgrund der Größe als Nachthemd diente.

Damit verschwand sie im Bad, das sich gegenüber von seinem Zimmer befand. Kurze Zeit später kam sie zurück. Sie schlüpfte in Dirks Bett, da er ihr großzügig gestattet hatte, darin zu übernachten.

Als auch Dirk es sich auf seinem Lager bequem gemacht hatte, erzählten sie noch eine Weile.

Dann wurde es bald ganz ruhig in diesem Zimmer.

Feuer und Flamme

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