Читать книгу Verhaltenstherapie bei Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen - Tina In-Albon - Страница 10
1 Geschichte der Verhaltenstherapie mit dem Blick auf Kinder und Jugendliche Lernziele
Оглавление• Sie kennen den kleinen Albert und die ethischen Aspekte sowie die Relevanz des Experiments für die Klinische Psychologie des Kindes- und Jugendalters.
• Sie kennen die Grundprinzipien der Verhaltenstherapie.
Lightner Witmer gründete 1896 in den USA die erste »Psychologische Klinik«. Zuvor hatte er bei dem Persönlichkeitspsychologen Raymond Cattell und bei Wilhelm Wundt, dem Gründer des ersten Instituts für experimentelle Psychologie, studiert. In der Klinik beobachtete er Kinder, die Lernschwächen oder Verhaltensauffälligkeiten zeigten. Die Kinder besuchten mehrheitlich öffentliche Schulen in Philadelphia und Umgebung und wurden entweder von ihren Eltern oder Lehrerinnen in die Klinik gebracht. Die Klinik war insofern neu und bedeutsam, weil mit psychologischen Mitteln versucht wurde, Kindern mit Schulproblemen zu helfen. Häufig auftretende Schwierigkeiten waren z. B. Sprachprobleme, Schlafstörungen, Verhaltensstörungen, Hyperaktivität und Schulverweigerung. Jedes Kind wurde bei Aufnahme auf Geist und Körper untersucht. Die angewandten Methoden in der Klinik waren verhaltenstherapeutisch, und Witmers Ansatz war es, Informationen für die Kinder so zu vereinfachen, dass diese verständlich waren. Zudem gründete er 1897 die Zeitschrift »Clinical Psychology«, die erste wissenschaftliche Zeitschrift in der Psychologie. Eine Besonderheit bestand darin, dass die Zeitschrift Studien mit Kindern aufnahm. In seinem Artikel zur Erstausgabe stellte Witmer seine Idee vor, dass alle Kinder (klug oder intelligenzgemindert) mit Unterstützung ihr volles Potenzial erreichen könnten.
Ein weiterer wichtiger Meilenstein in der Geschichte der Verhaltenstherapie mit Kindern und Jugendlichen waren 1924 die Veröffentlichungen von Mary Cover Jones. Jones war eine Schülerin von Watson, der 1920 die berühmt-berüchtigten Konditionierungsexperimenten am »kleinen Albert« ( Kasten) (Watson & Rayner, 1920) durchführte. Die von Watson beschriebenen Methoden zur Rekonditionierung und Beseitigung von Ängsten wurden von Cover Jones in der Behandlung des »kleinen Peters« angewendet.
Die Geschichte des kleinen Peter ist der erste Fall der Verhaltenstherapie, dessen Behandlungsgeschichte bekannt ist (Pongratz, 1973). Peter war ein fast drei Jahre alter Junge mit einer starken Angst vor Kaninchen, Ratten, Pelzmänteln, Federn und Baumwolle. Am stärksten ausgeprägt war seine Angst vor Kaninchen. Zunächst bestand die Behandlung darin, ihn mit einem Kaninchen zu konfrontieren. Da dieses Vorgehen nicht zur gewünschten Angstreduktion führte, bekam Peter in Anwesenheit des Kaninchens jedes Mal sein Lieblingsessen. Dabei wurde das Kaninchen graduiert immer näher an Peter herangeführt. Peter wurde immer vertrauter mit dem Kaninchen und war in der Folge fähig, das Kaninchen zu berühren und mit ihm zu spielen.
Bei Peters Behandlung wurde in Anwesenheit des angstauslösenden Reizes eine positive Reaktion provoziert, die inkompatibel und stärker als die negative Reaktion war (Peter erhielt sein Lieblingsessen, während ein Kaninchen anwesend war). Diese Form wird als Gegenkonditionierung bezeichnet. Die Annäherung an das angstauslösende Objekt (Kaninchen) erfolgte dabei schrittweise.
Trotz dieses Erfolges ist zu berücksichtigen, dass beispielsweise ein Wechsel der Behandlungsmethode – von der einfachen Präsentation des angstauslösenden Stimulus zur Präsentation mit der Darbietung des Lieblingsessens – sowie die Generalisierung der Effekte auf andere angstauslösende Stimuli (z. B. Ratten, Pelzmäntel und Federn) nicht überprüft wurde. Zudem wurden keine Nachuntersuchungen durchgeführt, so dass keine Aussagen zur Stabilität des Behandlungserfolges gemacht werden können.