Читать книгу Rebeccas Schüler - Tira Beige - Страница 12
Kapitel 6
ОглавлениеEs würde ein Marathon werden, alle zwölf Jungs und Mädchen zu interviewen. Aber es musste sein, damit Rebecca von Anfang an einen Draht zu ihnen aufbaute. Wie eng der sein würde, hing jetzt ganz allein von ihrem pädagogischen Geschick ab.
Mit Emely würde sie heute das erste Gespräch führen. Gleich vor der ersten Stunde sollte es stattfinden. Rebecca hatte einen leeren Klassenraum organisiert. Die Schülerin erschien pünktlich und klopfte pflichtbewusst an der Tür an. »Herein!«, rief Rebecca, die bereits am Lehrertisch saß, einen Kugelschreiber zwischen ihren Fingern drehte und auf ihre Schülerin wartete.
Emely steckte schüchtern ihren Kopf durch den Türschlitz. »Darf ich reinkommen?«, fragte sie mit ihrer piepsigen Stimme. Rebecca wies mit der Hand auf den Stuhl gegenüber ihres Tisches und Emely huschte scheu auf den freien Platz. Sie war ein bildhübsches Mädchen mit einem rundlichen Gesicht und einer niedlichen Stupsnase. Ihre Haare besaßen einen ähnlichen Braunton wie die von Rebecca. Statt aber wellig zu sein, fiel ihr die lange Mähne glatt über die Schultern. Beim Reden fingerte Emely immer wieder an den Spitzen ihrer Haare herum oder wickelte Locken mit Daumen und Zeigefinger.
Die Zeit verging rasch. Das Mädchen erzählte nahezu allein von dem, was sie preisgeben sollte, ohne dass Rebecca nachfragen musste. Sie schien eine Schülerin mit durchschnittlichen Noten zu sein. Zwar ehrgeizig, aber nicht so erpicht darauf, die Beste sein zu müssen.
Rebecca wollte mehr über das Privatleben von ihr erfahren und fragte Emely nach ihren Hobbys. »Sport natürlich«, gab sie feixend zurück und erzählte, wie gern sie joggen ging und wie oft in der Woche sie Volleyball mit ihren Freundinnen spielte. Während sie sprach, zwirbelte sie die Spitzen ihrer Haare zwischen den Fingern, roch daran und ließ sie los.
»Hast du einen Freund?«, wollte Rebecca interessiert wissen. Emely schüttelte den Kopf und kicherte. »Was ist los?«, fragte Rebecca nach. »Du stehst doch auf jemanden oder warum druckst du so herum?« Sie waren unter sich. Die Schülerin wusste, dass nichts von dem Gespräch nach außen dringen würde.
»Cedric …«, deutete Emely an, ohne aufzuschauen. Sie griente wie eine verknallte Dreizehnjährige. Offensichtlich hatte sie noch nie einen Freund gehabt, da sie so blauäugig reagierte.
»Magst du ihn?«, fragte Rebecca vorsichtig nach.
Emely nickte und flüsterte kaum hörbar, als würde sie sich schämen, mit ihrer neuen Tutorin darüber zu sprechen: »Er ist so süß.« Wie naiv sie den Satz aussprach. Zusammengekauert und unschuldig verträumt hockte sie Rebecca gegenüber. Gegen die feuchten Träume mit Cedric, mit denen sie selbst im Bett lag, verblassten die sicherlich mehr als arglosen Mädchenfantasien dieser Schülerin.
Rebecca wagte einen Vorstoß: »Hat Cedric eine Freundin?«
»Ich glaube nicht«, antwortete Emely. »Aber da müssen Sie Lara fragen. Die hängt immer mit ihm ab.« Autsch. Rebecca ahnte, einen wunden Punkt getroffen zu haben. Emely verzog ihren Mund zu einem schmalen Spalt. Sie war neidisch auf die dürre Lara, die in Rebeccas Augen null Potential besaß, Cedric in ihre hageren Hände zu bekommen.
»Kopf hoch«, tröstete sie Emely. Doch das Lächeln, das sie ihr zurückgab, war nicht ehrlich genug, um Rebecca zu überzeugen.
Auf dem Gang hörte sie Geräusche: Stimmen durchdrangen den Flur; zudem Schuhe, die über das Linoleum trappelten. Jeden Moment würde der Gong erschallen, der den Beginn der ersten Stunde ankündigte.
»Wir müssen jetzt Schluss machen«, sagte Rebecca. »Danke, dass du so offen warst.«
Jetzt strahlte Emely wieder. »Gern.« Sie mochte ihre Schülerin schon jetzt.
Am Freitag führte Rebecca weitere Gespräche mit den Mädels ihres Kurses. Cedric und Linus hatte sie sich für die neue Woche aufgehoben, genau wie einige der Mädchen. Die Gespräche offenbarten, was sie bereits geahnt hatte: Dass sie ganz freundliche Menschen besaß, die sie den Rest des Schuljahres begleiten durfte. Ein enger Draht wurde noch nicht aufgebaut, aber zumindest erste Bande geknüpft, die die Basis für einen gelungenen Start boten.
Am Montagabend, eine Woche vor der Kursfahrt, hatten Robert und Sabrina den Elternabend angesetzt, an dem Rebecca offiziell als dritte Tutorin und als Vertretung für die sich im Babyjahr befindliche Kollegin vorgestellt werden sollte. Obwohl es bereits 18:30 Uhr war, drückte sich die Hitze in alle erdenklichen Winkel der Aula des Sportgymnasiums hinein. Als Rebecca erschien, riss Robert gerade an den Griffen sämtlicher Fenster, die es in dem Saal gab, während Sabrina auf der Bühne stand und sich mit einem Papierstreifen Luft zufächelte. »Ich glaube nicht, dass du Erfolg damit hast, Robert. Immerhin ist es draußen auch nicht kälter als hier drin!«, rief sie mit ihrer kratzigen Stimme dem Kollegen zu. Unablässig wedelten ihre knolligen Hände durch die stickige Luft.
Rebecca steuerte auf Sabrina zu, die an den Tisch trat, der sich neben dem Rednerpult befand. Dort sortierte sie zwei Stapel mit Zetteln, Belehrungen und Übersichten der Unternehmungen. Die Eltern kannten den groben Ablauf und sollten nun genauere Instruktionen erhalten.
»Meinst du, dass alle Eltern da sein werden?«, fragte Rebecca zögerlich, weil sie einen brechend vollen Raum befürchtete mit hunderten Augenpaaren, die sie wie Dolche durchstoßen würden.
»Nein. Du brauchst keine Angst zu haben. Guck mal, manche Eltern haben ihr Kind am Internat untergebracht, weil sie in einem ganz anderen Bundesland wohnen. Auf der anderen Seite«, wägte Sabrina ab, »nehmen sich etliche Eltern auch bewusst frei, damit sie herkommen können.«
Bitte nicht. Rebecca hoffte auf einen abgemilderten Zustrom, wurde aber eines Besseren belehrt, denn die ersten Mütter und Väter fluteten bereits den Saal. Während ein Bruchteil Richtung Bühne lief und die Tutoren persönlich begrüßte, ließen sich die meisten Elternteile gleich nach dem Eintreten auf den Stühlen nieder. Da sich viele aus den Jahren der Klassengemeinschaft kannten, folgten laute Wortwechsel, teils über ganze Sitzreihen hinweg.
»Erkennst du Eltern aus meinem Kurs?«, fragte Rebecca ihre neue Kollegin, während sich ihr gehemmter Blick durch den Saal bewegte und versuchte, Ähnlichkeiten zwischen Mutter und Tochter beziehungsweise zwischen Vater und Sohn zu entdecken.
»Da sind schon welche da. Julias Eltern sehe ich«, sagte Sabrina, drehte ihren Kopf aber wieder weg, um sich erneut der Zettelwirtschaft auf dem Tischchen zuzuwenden.
»Und sonst?«, fragte Rebecca zögerlich.
Sichtlich genervt strichen Sabrinas skeptische Augen durch die Reihen der Anwesenden. »Ja, da sind noch welche da, glaube ich. Robert hatte mehrheitlich deine Leute in seiner Klasse. Ich kann dir da wenig helfen.«
Robert redete abseits der Bühne stark gestikulierend mit einem Elternteil. Er lachte. Geheucheltes Getue, schoss es Rebecca durch den Kopf. Obwohl: Bei Robert war sie sich da nicht so sicher. Er hatte irgendwie immer gute Laune.
Rebecca dachte zurück an die Zeit an ihrer alten Schule: Sie hasste Elternabende, weil sie sich einen ganzen Abend lang ein Dauergrinsen ins Gesicht meißeln musste. Positive Worte zu finden hatte, wo es Kritik geben sollte. Bloß nicht anecken, um nicht beim Schulleiter zu sitzen und sich rechtfertigen zu müssen.
So hing Rebecca ihren Gedanken nach. Verloren stand sie auf der Bühne und betrachtete die namenlose Masse, die sich in die Sitzreihen zwängte. Sie musste zusehen, ihre Aufregung, die Vibrationen und Elektrostöße durch ihren Körper schickte, unter Kontrolle zu bekommen.
Es war heiß in der Aula.
Wie bereits in den Einführungsveranstaltungen fühlte Rebecca einen unsäglichen Druck auf ihrem Körper. Da sie nur leicht bekleidet war – sie hatte sich einen sommerlich kurzen Rock übergeworfen – konnte sie wenigstens das Schwitzen halbwegs regulieren. Bei ihrem Bauch war sie sich da nicht so sicher. Es drückte und gurgelte laut hörbar. Hätte sie doch bloß zu Hause Abendbrot gegessen, anstatt mit leerem Magen in die Schule zu gehen.
Und nun stand sie auch noch auf der Bühne! Sie konnte sich nicht einfach in die erste Reihe setzen und sich verkriechen. Erst recht durfte sie nicht abhauen. Obwohl sie nichts zu sagen brauchte, sondern von ihren beiden Kollegen vorgestellt wurde, drohte ihr Herz aus der Brust zu springen, als sie die immer voller werdende Aula registrierte und die interessierten Blicke der Eltern wahrnahm, die sie erdolchten.
»Guten Abend, liebe Eltern«, unterbrach die resolute Stimme von Sabrina die Unruhe im Saal. Rebecca knetete ihre durchtränkten Hände vor dem Schoß und mühte sich zaghafte Freundlichkeit ab. »Ich freue mich, dass Sie so zahlreich zu unserem Elternabend erschienen sind.« Eine kurze Pause. Rebeccas Augen wanderten über die Unbekannten. »Wir werden Sie an diesem Abend über die Fahrt nach Italien aufklären. Sie erhalten das detaillierte Programm vorgestellt. Außerdem bekommen Sie die Belehrungen mitgeteilt, die auch die Schüler von ihren Tutoren erhalten haben oder noch erhalten werden.«
Wieder ließ Sabrina einige Sekunden vergehen, bevor sie weitersprach: »Zunächst aber zu der Frau, die hier neben mir steht.« Sabrina streckte ihre wulstige Hand nach Rebecca aus. »Frau Peters wird in diesem Schuljahr die Schwangerschaftsvertretung für Frau Fritsche übernehmen. Als Tutorin wird sie uns selbstverständlich nach Italien begleiten.« Sabrina hielt kurz das Mikrofon zu und wandte sich an Rebecca: »Willst du noch selbst ein paar Worte zu dir sagen?«, fragte sie.
Sabrina hatte noch nicht einmal den Satz beendet, da schüttelte Rebecca schon mit schreckgeweiteten Augen den Kopf. Ihr war gleichgültig, wie das auf die anwesenden Eltern wirken musste. Solange sie nicht gezwungen wurde zu sprechen.
»Frau Peters steht Ihnen für ein persönliches Kennenlernen zur Verfügung. Am Ende dieser Veranstaltung können Sie gern mit ihr in Kontakt treten, wenn Sie Fragen zum Kurs haben oder wenn Sie unsere neue Kollegin kennenlernen möchten.« Rebecca hoffte, dass nicht allzu viele davon Gebrauch machen würden. Innerlich dankte sie ihrer neuen Kollegin dafür, dass sie nicht selbst vor allen Anwesenden einen Monolog führen musste. Sabrina zog die Mundwinkel in die Höhe. Rebecca erkannte die Gequältheit, die in ihrer Mimik lag. Offenbar war sie nicht die Einzige, die Freundlichkeit vortäuschte.
Mit jedem weiteren Satz, den Sabrina durch das Mikrofon sandte, entspannten sich ihre Nerven und ihr Herz schlug in einem gesünderen Rhythmus. Ihre Kollegin schien schon öfter derartige Elternabende abgehalten zu haben, da sie mit einer Leichtigkeit sprach, die Rebecca ehrfürchtig werden ließ. Sogar Robert brauchte kaum Ergänzungen vorzunehmen, als Sabrina den detaillierten Ablauf mithilfe einer Power Point Präsentation erklärte und an die Einhaltung der Regeln appellierte. Erst, als gegen Ende der Veranstaltung Fragen gestellt werden durften, mischte sich Robert in die Erläuterungen ein. Aber auch er wirkte kein bisschen unsicher.
Insgesamt dauerte es eine geschlagene Stunde, bis alle Unklarheiten beseitigt waren und die Eltern zufrieden die Aula verließen. Nur wenige kamen noch einmal nach vorn, um Rebecca persönlich die Hand zu schütteln und mit ihr ins Gespräch zu kommen. Sie lernte die Eltern von Julia kennen, und auch die Mutter von Emely war erschienen. Ihre Schülerin machte immer so einen eingeschüchterten Eindruck. Ihre Mutter hingegen strahlte Lebensmut und Elan aus. Die Worte sprudelten nur so aus ihr heraus, als sie wissen wollte, wie es ihrer Tochter ging. Da Rebecca die Klassenkonstellationen davor nicht kannte, konnte sie der Mutter wenig Rückmeldungen geben. Sie zog trotz allem beruhigt ab und Rebecca war froh, dass niemand sonst ihre wertvolle Abendruhe störte.
Am Dienstag erwartete sie Linus. Rebecca saß auf einer Bank im Schulhof. Über ihr spendete das dichte Geäst einer Kastanie ein wenig Schutz vor der Sonne, die nach wie vor unerbittlich ihre Kraft zur Erde schickte. Rebecca spürte das heiße Holz unter ihrem Oberschenkel, da sie einen karierten Faltenrock trug, der ihr noch nicht einmal bis zum Knie reichte.
Sie wartete. Entweder kam Linus nicht pünktlich aus dem Unterricht oder er ließ sie bewusst warten. Letzteres glaubte Rebecca allerdings nicht, da sie ihren Schüler für zuverlässig und achtsam hielt. Doch nun das: Fünf Minuten waren verstrichen, ohne dass Linus erschien. Kostbare Zeit, die sie dringend benötigte, um mit ihm zu sprechen.
Die Schwingtür des Schulgebäudes öffnete sich und heraus trat Linus, der sofort in eine Gloriole aus Sonnenlicht getaucht wurde, als er den Schulhof durchschritt. Seine weiße Haut an den Armen und an den Beinen bildete einen auffallenden Kontrast zu der dunklen Kleidung, die er am Körper trug.
»Entschuldigen Sie bitte, Frau Peters«, sagte er, »aber Herr Krenz hat noch mit mir …«
»Ist gut«, fiel sie ihm ins Wort. »Setz dich erst einmal hin und dann reden wir in Ruhe, okay?«
Linus nickte, stellte seinen Rucksack ab und ließ sich auf die Bank nieder.
Rebecca blickte in ihre Unterlagen. Sie wollte nachsehen, welche Fragen sie ihrem Schüler unbedingt stellen musste. Linus drehte seinen Oberkörper leicht in ihre Richtung.
»Erzähl mir, wie du an diese Schule gekommen bist. Du bist immerhin ein Jahr älter als deine Mitschüler.«
»Ich komme ursprünglich nicht aus dieser Stadt. Meine Familie wohnt gute hundert Kilometer weg. Ich habe in meiner alten Heimat die zehnte Klasse mit ganz passablen Noten abgeschlossen.«
»Und da wolltest du das Abitur nachholen, oder wie?«
»In der Grundschule war ich in einem Handball-Verein. Ich habe wahnsinnig gern Handball gespielt, müssen Sie wissen. Viele Kinder kamen und gingen. Ich war irgendwie immer in diesem Verein aktiv, viele viele Jahre lang. Mit jeder Trainingsstunde verbesserte ich mich. Das gab mir unglaublich Selbstvertrauen. Irgendwann kam der Trainer auf mich zu und meinte, dass er mehr in mir sieht. Er sagte, wenn ich weiter übe, würde ich es noch weit bringen mit dem Sport. Er erkannte, dass ich sehr ehrgeizig war. In der Schule hatte ich damals keine besonders guten Noten. Ich schwamm immer im Mittelfeld mit, aber es gab kein Fach, in dem ich besonders gut war. Sport allerdings habe ich schon immer gern gemacht, obwohl es einige Jungen gab, die besser waren als ich. Als mich der Trainer unseres Vereins gelobt hat, war es das erste Mal, dass mir jemand ein Kompliment gemacht hat, das sich auf den Sport bezog. Ich war mega stolz auf mich. Also dachte ich: Mach was aus deiner Leidenschaft und studiere Sport! Dafür reichte aber der Realschulabschluss nicht aus. Also habe ich mich nach der zehnten Klasse hier beworben und wurde genommen. Die Aufnahmeprüfung war schwer. Da wurden Disziplinen abgeprüft, die mir nicht so liegen. Sprint zum Beispiel ist gar nicht meins.« Linus senkte den Kopf und starrte auf die ausgedörrte Erde zu seinen Füßen. Mit den Turnschuhen zeichnete er Kreise in den trockenen Sand.
»Aber nun bist du ja hier«, lächelte Rebecca ihn an. Linus hob sein Gesicht und blickte sie an. Da lag etwas in seinen grünen Iriden, das sie nicht ergründen konnte.
»Ich bin nach der Schule umgezogen, im Internat untergekommen und musste die zehnte Klasse wiederholen. Seitdem kenne ich auch Cedric.« Ein dunkler Schatten legte sich um seine Augen. Zumindest glaubte Rebecca, eine kurze Reaktion, ein Zucken um seine Augenpartie, wahrgenommen zu haben.
Da er die Andeutung selbst gab, bohrte Rebecca weiter nach. »Wie ist dein Verhältnis zu ihm?«
Er hielt kurz inne, dann fragte Linus: »Bleibt das Gespräch unter uns?«
Sie nickte. Das gab ihm das nötige Vertrauen, um weiterzusprechen: »Als ich in nach meinem Abschluss herkam, war Cedric der Schwarm der Mädchen. Sowohl in unserer Klasse als auch in der Stufe. Ich glaube, dass ihn auch manche Acht- oder Neuntklässlerin angeschmachtet hat.« Der Neid zerfraß ihn. »In unserer Klasse gab es noch elf andere Jungs, mit mir zwölf, aber Cedric war der absolute Star. Beim Sport war er immer der Beste, obwohl er ansonsten nicht unbedingt gute Noten hatte. Aber dazu können Sie ihn selbst befragen.«
Rebecca hörte interessiert zu. Obwohl Linus sehr kontrolliert sprach, merkte sie trotzdem, dass es in dem Jugendlichen arbeitete, denn er zog die Augenpartie zusammen und verkniff den Mund zu einem dünnen Schlitz. Sein Gesicht war schmal, aber nicht unbedingt hässlich. Er besaß eine gerade Nase, die ihm einen eleganten Touch verlieh. Seine schwarzen Haare waren akkurat geschnitten. Nicht so ungezähmt wie die seines Mitschülers. Linus trug ein ziemlich aufdringliches Parfum, das Rebecca bereits in der Disco unangenehm aufgefallen war. Es stach in ihrer Nase. Da sie nicht unfreundlich sein wollte, blieb sie nah neben ihm sitzen, auch wenn der penetrante Geruch ihr zu schaffen machte.
»Jedenfalls ließ er mich recht offensichtlich wissen, dass er von meinen sportlichen Leistungen nicht viel hielt.« Linus presste die Lippen noch fester aufeinander und überlegte bemüht, was er preisgeben wollte. Er sprach aber nicht weiter.
»Wurdest du gemobbt?«, sprach Rebecca die Vermutung offensiv aus.
»Nicht direkt«, deutete er an. »Er hat es mir nie ins Gesicht gesagt, was er von mir hält. Aber wenn ich zum Beispiel gerannt bin, hat er manchmal seltsame Geräusche von sich gegeben, gepfiffen oder sich in einem ganz speziellen Tonfall geräuspert. Alle anderen Jungs haben mich komisch angeglotzt. Ich denke, dass sie hinter meinem Rücken gelästert haben. In der Umkleidekabine wurde es jedenfalls immer still, wenn ich reinkam.«
Rebecca beschloss, Cedric unauffällig dazu zu befragen, ohne ihr Gespräch mit Linus zu erwähnen. »Reden wir doch mal darüber, dass ihr beide in einem Kurs seid.«
»Sie meinen, weil wir beide Deutsch-Leistungskurs gewählt haben und nicht Mathe? Nun ja, ich bin eine Niete in Mathe. Von daher war klar, dass ich nach der zehnten Klasse Deutsch als Leistungskurs nehmen werde. Cedric hatte ähnliche Probleme mit den Zahlen und Gleichungen. Alle anderen Jungs haben sich für den Mathe-Leistungskurs entschieden. Ich habe inständig gehofft, im anderen Deutsch-Kurs zu sein, aber das Schicksal wollte es, dass wir zusammenbleiben. Hm…« Ein angespanntes Grinsen trat auf sein Gesicht.
»Hat sich das Verhältnis zwischen euch gebessert, als ihr in die elfte Klasse gekommen seid?«, wollte Rebecca wissen, weil Linus nach wie vor aufgerührt wirkte.
»Wir waren die einzigen Jungen im Kurs. Irgendwie hat sich Cedric am ersten Schultag in der elf neben mich gesetzt. Frau Fritsche hat ganz erstaunt geguckt, als sie uns auf einer Bank gesehen hat. Sie wusste natürlich, dass wir keine Freunde waren. Aber scheinbar hatten die Sommerferien davor bewirkt, dass Cedric einfach die zehnte Klasse vergessen hat. Er saß dort am ersten Tag nach den Ferien und seitdem immer. Aber nur im Tutorkurs. Sobald Pause war und er mit seinen Freunden abhing oder wenn er mit seinen früheren Kumpels zusammen Unterricht hatte, war ich Luft.«
Rebecca schwieg. Ließ nachwirken, was er ihr offenbarte.
»Hast du noch den Wunsch, Sport zu studieren?«
»Unbedingt. Ich arbeite sehr hart dafür, trainiere immer fleißig, wenn ich nachmittags im Internat bin.« In seiner Stimme lag der unbedingte Wille, sein Ziel zu erreichen. Das achtete Rebecca sehr. Bisher hatte sie geglaubt, in Linus einen wenig ehrgeizigen Schüler zu finden. Doch er steckte voller Überraschungen. Auch als er ihr erzählte, dass er sehr gläubig erzogen wurde und sich später eine Familie mit Kindern wünschte.
»Hast du schon eine Freundin, mit der du diesen Plan durchziehen willst?«
Doch auch darauf reagierte Linus seltsam in sich versunken. »Ich hatte noch nie eine Freundin«, sagte er und blickte Rebecca zum ersten Mal in dieser Unterhaltung für längere Zeit in die Augen, ohne weiterzusprechen. Ein Kribbeln durchzuckte die Luft. Der Schulhof knisterte. Das Grün über ihren Köpfen bewegte sich keinen Millimeter. Rebecca spürte den verdorrten Boden unter ihren Fußsohlen. Sie hatte die Pumps ausgezogen und streifte mit dem großen Zeh den warmen Sand. Linus stieß mit seinem Bein an ihr nacktes Knie an. Statt es sofort zurückzuziehen, harrte es dort aus. Er drückte sein Bein sogar noch fester gegen ihres. Sie hielten die Zeit mit ihrem Schweigen an.
Die Hand von Linus, die bisher auf seinem Oberschenkel gelegen hatte, rückte nur wenige Zentimeter in Richtung seines Knies. Zentimeter, die ausreichten, um auch Rebeccas Haut zu streifen. Sie schluckte und ließ zu, dass er sie zart berührte. Sekunden verstrichen, in denen sie gar nichts fühlte, außer den sanften Druck der Fingerkuppen auf ihrem Knie. Erst ein Windhauch riss sie aus ihrer Lethargie.
»Okay«, sagte sie und zerschnitt den Moment mit ihrer lauten Stimme. Linus zog die Hand zurück und erhob sich gemeinsam mit ihr. »Ich danke dir, dass du so offen warst und mir so viel erzählt hast. Ich denke, dass du das Abi schaffen kannst, aber dir auch irgendwie klar machen musst … Dass es ein weiter Weg für dich ist. Ich meine, dass du in den Fächern, die dir Probleme bereiten … Also in Mathe und Physik irgendwie die Kurve schaffst.« Sie eierte furchtbar herum, anstatt klare Ansagen zu machen. Seine Augen lagen trotzdem konzentriert auf ihrem Gesicht und bewegten sich erst von dort weg, als sie ihre Tasche ergriff und mit ihm Richtung Schulhaus ging.
»Verzeihen Sie mir?«, wechselte Linus unerwartet das Thema und sorgte dafür, dass Rebecca kurz vor dem Eintritt ins Gebäude innehielt.
»Was?«
Linus forcierte einen Augenkontakt, der viel zu intensiv war.
»Dass ich in der Disco mit Ihnen geflirtet habe.«
Er wusste es also doch noch. »Ich dachte, du wärst zu betrunken gewesen, um dich daran zu erinnern.«
»Cedric war sehr spendabel an diesem Abend. Er hat alle aus der Stufe, die in die Disco kommen wollten, eingeladen. Er hat den Eintritt bezahlt, die Getränke. Einfach alles.« Woher hatte er so viel Geld? Bevor sie nachfragen konnte, redete Linus weiter. »Es hat mich gefreut, dass ich mal rauskam und Cedric ausgegeben hat. Da hatte ich vielleicht das ein oder andere Bierchen zu viel intus.«
»Und dann hast du mich gesehen und gedacht …« Sieht gut aus, kann ich mal probieren. Rebecca verkniff sich, ins Detail zu gehen. Sie ahnte, dass er mehr für sie fühlte.
»Alle Mädchen hatten nur Augen für Cedric an diesem Abend«, sagte er. Und nach einer Pause fügte er hinzu: »Sie auch.« Dass er sich traute, mit ihr über solche pikanten Dinge zu sprechen. Rebecca wusste nicht, wie sie dem Gespräch etwas Unverfängliches abgewinnen konnte, ohne sich zu verstricken. Ohne ihm Antworten zu liefern, die sich nicht geziemten.
Sie schwieg daher einfach. Und siegte, denn Linus setzte die Unterhaltung fort: »Also, was ist? Verzeihen Sie mir?«
»Schwamm drüber. Ich muss jetzt in den Unterricht.«
Er nickte, hielt ihr die Tür zum Schulgebäude auf und verschwand in die entgegengesetzte Richtung. Nicht ohne Rebecca vorher ein doppeldeutiges Lächeln zum Grübeln mitzugeben.
»Ich hatte euch ja schon gesagt, dass wir uns einige Gedichte aus der Zeit des Sturm und Drang ansehen, bevor wir nach der Kursfahrt mit den ›Räubern‹ von Friedrich Schiller einsteigen. Ich habe ein Arbeitsblatt vorbereitet, auf dem vier Gedichte enthalten sind«, sagte Rebecca und zeigte den vorbereiteten Blätterstapel in die Höhe.
»Ihr werdet gleich zu dritt zusammenarbeiten und sollt jeweils ein Gedicht davon untersuchen.« Damit übergab sie Victoria den Schwung an Blättern, die sofort aufstand und mit dem Verteilen begann.
Das Los entschied. Linus wurde Sarah und Julia zugeteilt. Cedric sollte mit Emely und Helena zusammenarbeiten. Als die Zuordnung vorgelesen wurde, strahlte Emely wie ein Honigkuchenpferd. Sie war so was von verknallt in Cedric, dass sie errötete, als sie sich an einen gemeinsamen Tisch setzten und ihr männlicher Mitschüler ihr direkt gegenübersaß. Scheue Blicke wurden gewechselt. Emely konnte dem Augenkontakt mit ihm überhaupt nicht standhalten. Sie schaute immer wieder auf das Papier, das sich unter ihren klammen Fingern verbog. »Er ist so süß«, waren ihre Worte, als sie vor Kurzem mit Rebecca das Gespräch geführt hatte. Cedric schien gar nicht zu bemerken, dass die Mitschülerin tiefere Gefühle für ihn hegte, sondern war nur daran interessiert, die Aufgabenstellung möglichst schnell zu erfüllen, um danach quatschen oder auf sein Handy schauen zu können.
Einige Gruppen verzogen sich nach draußen, zwei blieben im Klassenraum sitzen, darunter Cedric mit seinen Mädchen. Rebecca beobachtete, wie er zur Interpretation eines Gedichts ansetzte, aber von Helena aus den Angeln gehoben wurde. Mit ihr hatte sich Rebecca gestern unterhalten. Sie war eine der Spitzen des Kurses, unglaublich ehrgeizig, in allen Fächern sehr bemüht, den Anforderungen gerecht zu werden. Das strebsame Aussehen unterstrich sie durch einen strengen Zopf, der ihr gemeinsam mit dem strammen Gesicht und den böse blickenden Augen das Aussehen einer Domina verlieh.
Cedric hatte ihren Aussagen überhaupt nichts entgegenzusetzen und so wurde letztlich die Deutung von Helena gewählt. Emely hatte sowieso nichts zur Unterhaltung beizutragen, sondern saß stumm auf ihrem Platz und glitt mit ihren Augen an Cedric auf und ab, der noch immer nicht durchschaute, mit welcher Inbrunst er angestarrt wurde. Nur Rebecca merkte das Knistern in der Luft. Sie würden ein verdammt süßes Pärchen abgeben, mutmaßte sie, als sie die beiden betrachtete.
Nach zwanzig Minuten tauchten die anderen Gruppen auf, sodass die Präsentationen der Gedichte beginnen konnten. Cedrics Gruppe war die letzte. Als sie dran waren, erhob er sich wenig energisch vom Platz und schlenderte nach vorn. Helena ging strammen Schrittes Richtung Lehrertisch. Sie strahlte ein Selbstbewusstsein aus, das Rebecca Angst machte. Wenn Sie jemals mit Helena in einen Disput geriet, konnte sie schon jetzt die Geigen einpacken. Der lange Zopf von Helenas pechschwarzen Haaren flog von links nach rechts, als sie sich nach vorn bewegte. Emely trottete ihren Mitschülern hinterher. Es war klar, dass sie nichts zu melden hatte. Mit einem solchen Auftreten würde sie unmöglich bei Cedric landen können, der sicherlich auf Mädchen mit Charakter stand. Emely sah zwar besser aus als Helena, aber sie würde nie über den Status eines grauen Mäuschens hinausgelangen.
»Wir haben uns das Gedicht ›Der Bauer an seinen Durchlauchtigen Tyrannen‹ von Gottfried August Bürger angesehen«, stieg Helena forsch in die Interpretation ein.
»Wie ihr lesen könnt, geht es um einen Bauern, der seinen Herrn anklagt. Er wirft ihm zum Beispiel vor, dass sein Jagdhund über den Acker rennt, den er bewirtschaften muss.«
Während Helena das Gedicht für die Mitschüler auseinandernahm, standen Cedric und Emely schweigend daneben. Cedric schaute entweder gelangweilt aus dem Fenster oder warf genervte Blicke in Richtung Lara. Es war offensichtlich, was er davon hielt, Deutsch zu haben. Emely schaute scheu durch den Raum oder lugte verstohlen nach rechts zu Cedric. Dabei knabberte sie nervös an ihrer Unterlippe herum. Helena beendete ihre Ausführungen souverän.
»Kann einer von euch, vielleicht Cedric oder Emely, die bisher gar nichts gesagt haben, die Überschrift erklären. Was ist denn ein ›durchlauchtiger Tyrann‹?«, forderte Rebecca auf.
Cedric fühlte sich genötigt zu antworten: »Ein Tyrann ist jemand, der anderen seinen Willen aufzwingt.«
Geschichtliche Kenntnisse schien er keine zu besitzen. Helena griff ein: »Ich glaube, es geht hier um Alleinherrschaft. In der Antike gab es solche Menschen.«
Rebecca bejahte. »Und durchlauchtig? Was bedeutet das, Cedric?«
Er zuckte mit den Schultern. Auch hier musste Helena die Auflösung geben: »Ich denke, das ist ein anderes Wort für Adliger.«
»Genau. Das Wort kommt von ›durchleuchten‹. Emely, warum wählt denn Bürger diesen Widerspruch?«
Auch sie zuckte, genau wie Cedric, unwissend mit ihren Schultern. Was solche Schüler im Leistungskurs Deutsch zu suchen hatten, erschloss sich Rebecca nicht. Wieder war es Helena, die sagte: »Der Dichter zeigt schon in der Überschrift die Kritik am Adel auf. Daher das Paradoxon.«
»Ich habe das Gedicht nicht umsonst ausgesucht. Wenn wir uns die ›Räuber‹ ansehen, werden wir in der Person des Franz von Moor auch auf einen Adligen treffen, der alle Macht an sich reißt.«
Es klingelte zur Pause.
»Gut, ich sehe ja Lara und Julia heute nochmal.« Die Schüler packten zusammen. Cedric knallte das Blatt mit dem Gedicht auf seinen Tisch und räumte dann alles ein. Wieder waren es bloß Linus sowie ein paar Mädchen, die sich von ihr verabschiedeten.
In der vierten Stunde erschien Lara zum Gespräch bei Rebecca. Obwohl sie drei Minuten zu spät dran war, entschuldigte sich nicht dafür. Beinah arrogant plumpste sie in den Stuhl.
»Hallo Lara, schön dass du da bist«, begrüßte Rebecca sie freundlich, was ihr nur ein kurzes Zucken ihres Mundwinkels abnötigte. Viel zu wenig, um als Freude durchzugehen.
Die Schülerin kam schnell zur Sache, erklärte aus freien Stücken, was Rebecca von ihr hören wollte, sodass sich das Gespräch viel zu flink dem Ende näherte. Weil Rebecca von Emely wusste, dass Lara eng mit Cedric befreundet war, wollte sie wissen: »Hast du einen Freund?« Lara bejahte. Jetzt zu fragen, ob es Cedric war, wäre zu auffällig gewesen. »Erzähl doch mal von ihm«, bat sie sie daher.
»Ja, mein Freund heißt Kenneth«, sagte Lara fast gelangweilt. Eine irgendwie geartete Leidenschaft war bei Weitem nicht in ihrer Stimme zu hören.
»Klingt exotisch der Name«, versuchte Rebecca sie aus der Deckung zu locken.
»Er ist Amerikaner. Wir führen eine Fernbeziehung.«
»Klingt spannend. Wie funktioniert das in der Praxis?«
Lara eine Emotion zu entlocken, stellte sich als schwierig heraus. Sie verzog kaum einen Mundwinkel. Ihre wasserstoffblonden Haare, die ihr knapp über die Schultern hingen, glänzten fast grau und ließen sie abgeklärt und reif wirken.
»Na ja, wir haben uns im Internet kennengelernt und chatten miteinander.« Rebecca musste jeden Satzbrocken mühsam aus ihr herauskitzeln. Von Kitzeln konnte allerdings keine Rede sein. Lara ließ sich zu keinem ungezwungenen Plausch herab.
»Habt ihr euch schon mal live gesehen? Besucht er dich manchmal?«
Lara schüttelte den Kopf. Trotzdem glaubte das Mädchen offenbar, dass eine solche Bekanntschaft von Dauer sein könnte.
»Wir skypen.« Und das war auch das Letzte, was Lara sagte, bevor sie vorgab, sich auf eine Leistungskontrolle vorbereiten zu müssen. Ohne dass sie Rebecca vorher die Gelegenheit gab, zu entscheiden, ob sie gehen durfte, stand Lara auf. Freundlichkeit und Respekt schien sie aus ihrem Elternhaus nicht mitbekommen zu haben.
Beim Aufstehen bemerkte Rebecca, wie dürr ihre Schülerin war. Sie trug lediglich ein schulterfreies Top mit Spaghetti-Trägern, sodass sich die Knochen an ihrem Schlüsselbein ungesund nach vorn wölbten. Ihre Arme glichen Zahnstochern. Vor allem der Knöchel, der den Übergang zwischen Handrücken und Arm bildete, stach hervor. Erst jetzt fiel Rebecca auf, dass auch ihr Gesicht furchtbar dünn wirkte. Ob Lara unter Magersucht litt, zu viel Sport betrieb oder einfach nur von Natur aus sehr schlank war, erschloss sich ihr nicht.
Überhaupt waren viele Mädchen an dieser Schule unglaublich fixiert darauf, ihren Körper fit zu halten. Da hier mehr Sport als üblich gelehrt wurde, war es kein Wunder, dass lauter athletische Jungen- und Mädchenkörper durch die Schule liefen.
»Ciao«, sagte Lara gelangweilt, als sie den Raum verließ und sich nicht noch einmal zu Rebecca umdrehte.
Das Beste kommt immer zum Schluss. Nach einer Woche, in der Rebecca vollauf mit der Vorbereitung der Kursfahrt und den Gesprächen mit ihren Kursschülern beschäftigt war, stand am Freitagnachmittag die Unterhaltung mit Cedric an. Rebecca hatte sich extra für diesen Tag, oder vielmehr für diesen Moment, einen knappen Rock und eine enge weiße Bluse angezogen. Sie saß mit zusammengeschlagenen Beinen am Lehrertisch und wartete gespannt auf ihren heißen Schüler. Sie stellte sich im Geiste vor, wie er in den Raum kommt, einen Mundwinkel diabolisch hebt und mit seinen unverhohlenen Blicken ihren Körper scannt. Allein beim Gedanken an Cedric geriet ihr Blut in Wallung. Sie drehte sich so auf ihrem Stuhl herum, dass er einen direkten Blick auf die hohen Schuhe hatte, wenn er den Raum betrat.
Cedric erschien den Erwartungen zum Trotz überpünktlich. Er erweckte beim Eintreten in den Kursraum den Eindruck, schon gänzlich im Italienfieber zu sein. La bella italia. Nächste Woche um die Zeit würden sie hoffentlich wieder in Deutschland sein.
Lässig schlenderte Cedric in den Raum hinein, ohne seine Augen durchdringend auf Rebecca zu heften. Er spürte nicht die Funken, die sie aussandte, sondern setzte sich machogleich auf den Stuhl, der gegenüber vom Lehrertisch stand. Dort hockte er breitbeinig und hinterließ nicht den Eindruck, sich auf das Gespräch mit ihr vorbereitet zu haben.
»Schön, dass du da bist. Du weißt, worüber wir reden wollen?«, hauchte Rebecca mit einer besonders dunklen, erotischen Stimmlage in seine Richtung.
»Äh ja, ich denke schon«, sagte er, sprach aber nicht weiter.
Rebecca richtete sich verführerisch in ihrem Stuhl auf und stemmte die Faust unter ihr Kinn. So pushte sie ihre Brüste.
»Dann erzähl mir mal etwas von dir.« Wieder unterstrich sie die Worte durch eine dunkle Tonlage.
»Na ja, ich bin Cedric Weise, bin achtzehn Jahre alt …«
Rebecca streckte die Hand aus, um ihn zu unterbrechen. »Das weiß ich doch alles. Vielleicht kannst du mal auf die Fragen zurückkommen, die ich euch als Zettel ausgeteilt habe.«
»Welchen Zettel?«, wollte Cedric ignorant wissen. Er spürte rein gar nicht die aufgeheizte Atmosphäre, die Rebecca fühlte. Und nun musste sie ihm das Blatt mit den Fragen zuschieben. Insgeheim hatte sie gehofft, er würde sich auf die Unterhaltung mit ihr vorbereiten. Aber so, wie er seine stahlgrauen Augen über das Papier wandern ließ, betrachtete er das Schreiben zum ersten Mal.
»Na ja, ich bin schon seit der fünften Klasse hier. Meine Lieblingsfächer sind Sport und … Ja Sport. Ich will mein ganzes Leben schon Profifußballer werden.« Wie naiv er über seine Leidenschaft sprach! Als wäre es ein Leichtes, einer solchen Anstellung nachzugehen. Seine Ausführungen glichen denen eines Zwölfjährigen, nicht denen eines Zwölftklässlers. Rebecca fragte sich, ob sich Cedric jemals über »richtige« Arbeit Gedanken gemacht oder ob er lediglich seinem Traum gefrönt hatte.
Rebecca musste einsehen, dass er sie nicht als seine Beute betrachtete, sondern als das, was sie war: seine Lehrerin und Tutorin. Ihr sexy Outfit, ihr aufgesetztes Benehmen, die erotische Stimme – nichts davon fruchtete bei diesem arroganten Kerl.
Zehn Minuten lang zog sie Cedric eine Info nach der anderen aus seiner wunderschönen Nase, einen Wortfetzen nach dem anderen aus seinem anbetungswürdigen Mund. Sie hatte gehofft, dass die Aussagen aus ihm heraussprudeln würden, aber da irrte sie sich. Nach ihrem feuchten Traum vor etwa einer Woche hatte sie auf ein Funkeln gehofft. Auf ein Prickeln, das die Luft durchmischte. Aber da war nichts zwischen ihnen. Die Unterhaltung war genauso spröde und langatmig wie die mit Lara.
Rebecca störte dieser Umstand massiv. Sie wollte ihn aus der Reserve locken, ihn reizen und fertigmachen. Wie gern hätte sie jetzt den Lehrertisch umrundet und sich auf seinem Schoß niedergelassen. Sie fantasierte, wie sie ihm den Reißverschluss öffnete und ihm eine Erektion verschaffte.
»Hast du eine Freundin?« Ein letztes Mal versuchte sie mit ihrer butterweichen Stimme ihn zum Schmelzen zu bringen.
»Nein«, war die Antwort und ein kleines Grinsen stahl sich auf sein Gesicht.
»Nein?«, hakte sie provokant nach und verhakte ihre Augen mit seinen. Mal sehen, wer zuerst wegblicken würde. Am liebsten hätte sie ihn gefragt, ob bei einem solchen Aussehen überhaupt ein Singleleben möglich war. Aber sie unterließ den Kommentar, da sie nicht unprofessionell erscheinen wollte.
»Nein«, erwiderte Cedric und verengte die Augen zu schmalen Schlitzen. Nun war er es, der es auf Provokation ankommen und seinen Mundwinkel nach oben zucken ließ. Dann fuhr seine Zunge über die Oberlippe, in die Rebecca sofort hineingebissen hätte. Sie wollte ihn verschlingen, aufessen und sich in ihn verbeißen. Dieser selbstherrliche Kerl hatte etwas derart Anziehendes an sich, dass Rebecca die Schamesröte ins Gesicht stieg.
»Nein, wirklich nicht«, bekräftigte Cedric erneut.
Die Antwort genügte Rebecca, um mit anregenden Fantasien an ihn ins Wochenende starten zu können.