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Kapitel 1

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Sie woll­te ge­hen, schon lan­ge her­aus sein aus die­ser Dis­co­thek. Eine Wol­ke aus Schweiß, ver­brauch­ter Atem­luft, trie­fen­den Kör­per­ge­rü­chen, Pa­r­fum und von drau­ßen mit­ge­brach­tem Zi­ga­ret­ten­qualm wa­ber­te über den Köp­fen der Men­schen. Zu­dem er­füll­te der Ge­schmack von Te­s­tos­te­ron den Raum. Ein Zu­viel an Aus­düns­tun­gen, die um­her os­zil­lier­ten und die Dis­co­thek in ein Kli­ma drü­cken­der Schwe­re tauch­ten. Alle Sin­ne über­reizt, flo­gen die Lei­ber nur noch me­cha­nisch durch den Saal, ohne über den Sinn ih­rer Be­we­gun­gen nach­zu­den­ken. Es wa­ren auf­ge­kratz­te Tan­zen­de, an­ge­säu­selt vom Al­ko­hol, be­rauscht von der At­mo­sphä­re, die dumpf auf ih­nen las­te­te.

Und mit­ten­drin Rebecca, die schon vor ei­ner hal­b­en Stun­de auf­bre­chen woll­te. Doch ir­gen­d­et­was hielt sie da­von ab, den Heim­weg an­zu­tre­ten. Sie ver­sank in der schie­ren Mas­se an schö­nen Kör­pern, ließ sich mit­rei­ßen von den halt­los Zap­peln­den um sie her­um und ver­web­te sich mit ih­nen. Hin­zu kam, dass sie ih­ren Blick nicht von ihm ab­wen­den konn­te. Den ge­sam­ten Abend über hat­te sie den Un­be­kann­ten be­ob­ach­tet, wie er an der Bar stand, an sei­nem Bier nipp­te und sich mit sei­nen Kum­pels un­ter­hielt. Ein jun­ger Typ ohne Na­men, der zur nä­he­ren Be­trach­tung ein­lud. Und doch kam Rebecca nie nah ge­nug her­an, um ihn ge­nau­er zu er­grün­den. Sie sah bloß, dass der Ju­gend­li­che schlank war, dunk­le Kla­mot­ten trug und kur­ze, hel­le­re Haa­re be­saß.

Er war seit Lan­gem das At­trak­tivs­te, was Rebecca vor die Au­gen ge­kom­men war. Eine Er­obe­rung – knackig ge­nug, um sich zu loh­nen.

Um Mit­ter­nacht ging mit ei­nem Schlag die Mu­sik aus und der gut aus­se­hen­de Kerl wur­de vom DJ auf die Büh­ne ge­holt. Als wür­de er je­den Tag von hun­der­ten Schau­lus­ti­gen ge­mus­tert wer­den, stol­zier­te die­ser Bur­sche auf die Büh­ne, die ihm vom ers­ten Mo­ment an ge­hör­te. Er strahl­te eine un­ge­heu­re Prä­senz aus, die Rebeccas Blut in Wal­lung brach­te. Sie be­wun­der­te, wie selbst­be­wusst er zum Misch­pult schritt, an dem der DJ stand und ihn in Emp­fang nahm.

»So­eben«, schrie der Disc­jo­ckey ins Mi­kro­fon, »hat die­ser jun­ge Mann hier eine wich­ti­ge Gren­ze in sei­nem Le­ben über­schrit­ten. Er ist näm­lich ge­ra­de acht­zehn Jah­re alt ge­wor­den und da­mit voll­jäh­rig.«

Ju­bel­schreie durch­zo­gen den Saal. Ein paar Ju­gend­li­che er­ho­ben die Glä­ser und pros­te­ten dem auf der Büh­ne Ste­hen­den zu, der sich selbst­si­cher im Bei­fall der Men­ge aal­te und bei­de Au­gen­brau­en tri­um­phie­rend hob. Er ge­noss es, im Mit­tel­punkt zu ste­hen und an­ge­st­arrt zu wer­den. Bei­de Hän­de hat­te er in der Jeans ver­gra­ben und mit stolz ge­schwell­ter Brust bau­te er sich ne­ben dem Misch­pult auf. Sein durch­drin­gen­der Blick glitt über die Mas­sen hin­weg, die ihn un­ver­hoh­len an­gaff­ten. Rebecca ein­ge­schlos­sen, die sich an dem Schön­ling nicht satt­se­hen konn­te.

»Gra­tu­lie­re dir«, sag­te der DJ. »Fang was Or­dent­li­ches mit dei­nem Le­ben an, sonst lan­dest du hier oben.« Ge­läch­ter bran­de­te auf, be­vor sich der Disc­jo­ckey sei­ne Kopf­hö­rer auf­setz­te und die Mu­sik wie­der laut­hals aus den Bo­xen drin­gen ließ.

Der Acht­zehn­jäh­ri­ge ver­ließ das Po­dest über das gan­ze Ge­sicht strah­lend und fiel ge­ra­de­wegs in die Arme sei­ner Kum­pels, die ihn mit Al­ko­hol in Emp­fang nah­men und ihm ka­me­rad­schaft­lich auf die Schul­ter klopf­ten. Ei­ni­ge Mäd­chen, die ab­seits der Grup­pe stan­den, wa­r­fen dem hüb­schen Ge­burts­tags­kind schwär­me­ri­sche Bli­cke zu.

Wie schön wäre es, noch ein­mal so jung zu sein, träum­te Rebecca. Gute fünf­zehn Jah­re la­gen zwi­schen ihr und die­sem Ju­gend­li­chen, der sein gan­zes Le­ben noch vor sich hat­te. Der al­len Flau­sen, die er im Kopf aus­brü­te­te, nach­ja­gen und sein Schick­sal von nun an selbst in die Hand neh­men konn­te.

Sie schau­te er­neut auf die Uhr. Ja, es war spät und sie war er­schöpft. Aber wer war­te­te schon zu Hau­se auf sie? Nie­mand be­grüß­te sie um drei Uhr mor­gens. Es gab kei­ne wär­me­n­den Hän­de, die sie um­fan­gen wür­den, wenn sie da­heim an­kam. Kein Mund, der ihr sag­te: »Du bist aber spät dran. Hast du je­man­den ken­nen­ge­lernt?« War­um soll­te sie den Heim­weg an­tre­ten? Statt­des­sen be­weg­te sie sich Rich­tung Tanz­flä­che, wo das Ge­burts­tags­kind an­ge­hei­tert zwi­schen an­de­ren Leu­ten eine Show ab­zog. Wild ges­ti­ku­lier­te er mit den Ar­men in der Luft her­um, tanz­te aus­ge­las­sen. Ne­ben ihm sei­ne grau­en Freun­de mit den durch­schnitt­li­chen Ge­sich­tern. Al­ler­welt­s­ty­pen, wie sie über­all her­um­lie­fen.

Rebecca be­trach­te­te den Acht­zehn­jäh­ri­gen. Zum ers­ten Mal an die­sem Abend, in die­ser Nacht, hat­te sie es ge­wagt, sich in sei­nen Dunst­kreis zu be­ge­ben, ob­wohl sie sei­ne in­ter­es­san­te Aura schon seit ei­ni­gen Stun­den fas­zi­nier­te. Er be­saß dun­kel­blon­de Haa­re, die an der Stirn län­ger wa­ren und ihm ins Ge­sicht hin­ein­rag­ten. Im­mer wie­der strich er die wil­den Sträh­nen ver­füh­re­risch mit der gan­zen Hand nach hin­ten ins vol­le Haar hin­ein. Er sah gut aus, hat­te aber kein eben­mä­ßi­ges Ge­sicht. Viel­mehr war es mar­kant, denn die leicht schrä­ge Nase ver­lieh ihm ein ed­les Aus­se­hen. Dazu pas­send trug er einen Drei­ta­ge­bart, der ihn deut­lich äl­ter aus­se­hen ließ.

Aus der Nähe be­trach­tet, er­kann­te Rebecca, dass der Acht­zehn­jäh­ri­ge au­ßer­or­dent­lich viel Sport be­trei­ben muss­te, denn ihr fie­len so­fort sei­ne gut trai­nier­ten Ober­ar­me auf.

Die Wei­ber, die um ihn her­um tanz­ten, be­rühr­ten ihn im­mer wie­der wie zu­fäl­lig am Ober­kör­per oder stri­chen über sei­ne Arme. Rebecca frag­te sich, ob er die Mä­dels kann­te oder sich zum Spaß von ih­nen an­bag­gern ließ. Er selbst ge­fiel sich of­fen­bar dar­in, die Be­rüh­run­gen zu­rück­zu­ge­ben. Mal lan­de­te sei­ne Hand auf ei­nem Hin­tern, mal auf ei­ner Brust. Die Mäd­chen zupf­ten ihre knap­pen Ober­tei­le zu­recht oder fuh­ren sich mit der Hand durch ihre lan­gen Mäh­nen. Vor al­lem zo­gen sie den Kerl mit ih­ren Bli­cken aus.

Rebecca war nicht bes­ser. Auch sie glotz­te und pro­vo­zier­te den Blick­kon­takt. Aber noch hat­te er kei­ne No­tiz von ihr ge­nom­men, son­dern sich den Mä­dels ge­wid­met, die ne­ben ihm tanz­ten. Bis jetzt. Denn mit ei­nem Schlag la­gen sei­ne Au­gen auf Rebecca und fuh­ren an ih­rem Kör­per auf und ab. Hat­te sie bis eben die Mus­te­rung her­bei­ge­sehnt, war sie ihr mit ei­nem Male un­an­ge­nehm. Stimm­te et­was nicht, weil er die Au­gen­brau­en so skep­tisch ver­zog und die Stirn run­zel­te? Rebecca hat­te an die­sem schwül­war­men Abend ex­tra ein kur­z­es schwa­r­zes Kleid mit tie­fem Aus­schnitt ge­wählt. Nor­ma­le­r­wei­se zog sie in der Dis­co lie­ber Weiß an, um das flu­o­res­zie­ren­de Licht auf ih­rem Kör­per zu ver­ei­ni­gen. Aber sie hat­te Lust zu flir­ten. Sie woll­te mit ih­rem Kleid, das viel nack­te Haut zeig­te, die Auf­merk­sam­keit frem­der Män­ner auf sich len­ken. Vor al­lem die der Jün­ge­ren. Aber die­ser Kerl, der sie jetzt so kri­tisch be­trach­te­te, war wohl doch eine Num­mer zu jung für sie. Nein, er sah viel zu gut für sie aus. Rebecca war noch nie der Typ Frau, der Män­ner mit ei­ner der­art of­fen­sicht­li­chen Ero­tik an­zog. Das mach­te ihn gleich noch mal so at­trak­tiv.

Nicht lan­ge und der Un­be­kann­te schau­te wie­der weg.

Schä­men brauch­te sich Rebecca wahr­lich nicht: Dass sie Mit­te drei­ßig war, ver­ri­et ihr Äu­ße­res auf kei­nen Fall. Ihre lan­gen brau­nen Haa­re, die wel­len­ar­tig über ihre Schul­tern fie­len, ver­lie­hen ihr den nö­ti­gen Sex­ap­pe­al und die Run­dun­gen sa­ßen ex­akt da, wo sie sein soll­ten. Wie­so das nicht zei­gen?

Doch der Blick die­ses Tee­n­a­gers sprach eine an­de­re Spra­che. Be­schämt dreh­te sich Rebecca weg und war da­bei, die Tanz­flä­che zu ver­las­sen, als sie un­er­war­tet am Arm fest­ge­hal­ten wur­de. »Halt!«, rief ihr je­mand hin­ter­her. »Wo­hin so schnell?« Als sie sich um­dreh­te, er­kann­te sie einen der Kum­pels des Acht­zehn­jäh­ri­gen. Der schwa­rz­haa­ri­ge Mann konn­te nicht viel äl­ter sein, sah aber nicht halb so sexy und fes­selnd aus wie das Ge­burts­tags­kind. Eben Durch­schnitt.

Sein nach Al­ko­hol stin­ken­der Atem stieg Rebecca au­gen­blick­lich in die Nase, als er dicht vor sie trat und sei­ne Zäh­ne zeig­te. »Mir ge­fällt dein Look«, schrie der Ju­gend­li­che über die Mu­sik hin­weg, die in­zwi­schen nur noch nerv­te. Woll­te er mit ihr flir­ten?

»Bin ich nicht eine Num­mer zu groß für dich?«, rief Rebecca, um ihn auf Ab­stand zu hal­ten. »Und zu alt?« Ohne Er­folg. Ihre Wor­te schie­nen ihn nur wei­ter an­zu­sta­cheln. Als wür­de er aus­tes­ten wol­len, ob er sie ha­ben konn­te.

»Li­nus«, über­ging er ge­ra­de­wegs ih­ren Ein­wurf und ver­kürz­te die Di­stanz, in­dem er auf sie zu­trat, Rebecca aber­mals am Arm er­griff und wie­der auf die Tanz­flä­che zerr­te, wo sie in die Men­ge ein­tauch­te, die ek­sta­tisch zum Rhyth­mus der ihr un­be­kann­ten Bäs­se wipp­te.

Sie woll­te ge­hen. Wie spät es wohl in­zwi­schen war?

»Wie heißt du?«, woll­te Li­nus wis­sen.

»Rebecca.«

Er streck­te selbst­be­wusst den Kopf in die Höhe und tanz­te vor ihr. Sei­ne Be­we­gun­gen sa­hen we­nig ge­schmei­dig aus. Ih­nen fehl­te jeg­li­che Re­gel­mä­ßig­keit und An­mut. Li­nus’ dunk­les Shirt flat­ter­te um sei­nen dün­nen, schlak­sig wir­ken­den Kör­per. Pein­lich be­rührt be­trach­te­te Rebecca sei­ne un­ge­len­ken Schritt­fol­gen. Sie dreh­te ih­ren Kör­per nach links und ent­fern­te sich stü­ck­wei­se von Li­nus, denn ne­ben ihm ge­se­hen wer­den woll­te sie nicht. Der Tee­n­a­ger hat­te of­fen­bar schon den gan­zen Abend zu tief ins Glas ge­schaut, weil er sich an eine Frau her­an­pirsch­te, die fast dop­pelt so alt war wie er. Konn­te er kein Mäd­chen in sei­nem Al­ter ab­be­kom­men, dass er aus­ge­rech­net sie für sich in An­spruch nahm?

Rebecca pass­te sich zwar sei­nem Tanz­stil an, schau­te aber im­mer wie­der in die Rich­tung des Acht­zehn­jäh­ri­gen, der in­zwi­schen von ei­nem Pulk an Mäd­chen um­rahmt wur­de, die ihn ei­sern in den Blick nah­men. Die meis­ten ga­cker­ten auf­rei­zend. Ein Mäd­chen warf ihre Haa­re über die Schul­tern, um ihr De­kol­leté frei­zu­le­gen, aus dem ihre Früch­te bei­nah her­au­spur­zel­ten. Das Ge­burts­tags­kind sprang doch glatt auf die­ses bil­li­ge Ge­ha­be an, in­dem es sie an­lä­chel­te und ihre Schrit­te nach­ahm­te.

»Das ist Ce­d­ric«, rief ihr Li­nus ent­ge­gen. »Er ist heu­te acht­zehn ge­wor­den.«

»Ja, ich weiß«, sag­te Rebecca bei­läu­fig. »Habt ihr das für ihn or­ga­ni­siert?«

Li­nus über­leg­te an­ge­strengt. Of­fen­bar ar­bei­te­te sein Ge­hirn un­ter Al­ko­ho­l­ein­fluss nicht mehr so gut. »Na, dass er um Mit­ter­nacht auf die Büh­ne ge­zerrt wird«, er­klär­te Rebecca er­schöpft. Sie woll­te jetzt heim.

»Ach so, ja. Wir dach­ten, wir über­ra­schen ihn mit et­was Be­son­de­rem.«

Sie nick­te in Be­zug auf sei­ne nichts­sa­gen­de Äu­ße­rung und schau­te wie­der zu Ce­d­ric hin­über, der un­ge­ni­ert mit den Mä­dels flir­te­te, die ihn ein­kreis­ten.

»Bist du müde?«, frag­te Li­nus, nach­dem Rebecca zum zwei­ten Mal in sei­ner An­we­sen­heit gähn­te.

»Ich will ab­hau­en. Aber wenn du mich jetzt wei­ter­hin auf­hältst …«

Li­nus’ Mund­win­kel zuck­ten nach oben. »Ist doch schön hier«, rief er und strei­chel­te wie zu­fäl­lig über ih­ren Un­ter­arm. Es war ganz si­cher kein Zu­fall, dass sei­ne Hand ihre nack­te Haut streif­te. Die Be­rüh­rung ließ Rebecca auf­zu­cken. Viel zu lan­ge schon hat­te sie kei­nen Mann mehr in ih­ren Ar­men, ge­schwei­ge denn im Bett ge­habt. Seit der Tren­nung von Paul vor drei Jah­ren gab es nur Sex ohne Be­deu­tung. Die Män­ner, die sie seit­dem ken­nen­ge­lernt hat­te, wa­ren alle nicht an et­was Fes­tem in­ter­es­siert ge­we­sen. Im Grun­de war es Rebecca egal, denn sie such­te eben­falls nicht mehr nach der gro­ßen Lie­be. Nur nach Aben­teu­ern. Nach Män­nern, die an­sehn­lich ge­nug aus­sa­hen, um einen One Night Stand zu ris­kie­ren. Heu­te wür­de dar­aus nichts wer­den. Li­nus kam op­tisch nicht in Fra­ge und Ce­d­ric – der mit Ab­stand in­ter­es­san­tes­te Typ hier – schien kein In­ter­es­se an ihr zu be­sit­zen. Au­ßer­dem er­tapp­te sich Rebecca im­mer wie­der da­bei, zu gäh­nen oder ab­we­send ins Lee­re zu stie­ren. Kla­res Zei­chen da­für, dass es an der Zeit war, end­lich ab­zu­rück­en.

»Ich muss jetzt ge­hen«, rief sie und ver­ließ zü­gig die Tanz­flä­che, da­mit Li­nus nicht auf die Idee kam, ihr zu fol­gen. Sie zwäng­te sich durch die ein­en­gen­de Men­schen­trau­be hin­durch, die schein­bar nichts an­de­res im Sinn hat­te, als sie am Ge­hen zu hin­dern. Müh­sam quetsch­te sich Rebecca an den Tan­zen­den vor­bei und steu­er­te ziel­si­cher auf die Gar­de­ro­be zu, wo sie ihr leich­tes Som­mer­jäck­chen ent­ge­gen­nahm.

Am Aus­gang an­ge­kom­men, sah sie Li­nus. Er brei­te­te die Arme aus, ge­treu dem Mot­to: »War­um haust du ein­fach ab?« Rebecca spür­te, dass ihm ge­nau die­ser Spruch auf den Lip­pen lag.

»Hör mal, Li­nus«, kam sie ihm zu­vor. »Ich weiß ja nicht, was du vor­hast. Aber mit uns wird das nichts.« Er zog ver­wun­dert die Stirn in Fal­ten. Aus sei­nem be­trun­ke­nen Ge­sichts­aus­druck konn­te sie ent­neh­men, dass sie ge­nau ins Schwa­r­ze ge­trof­fen hat­te.

Er rich­te­te sei­ne gla­si­gen Au­gen auf Rebecca. »Was ich vor­ha­be?«, frag­te er und kratz­te sich mit ei­ner Hand am Hin­ter­kopf. Erst hier, ab­seits der dröh­nen­den Laut­stär­ke, fiel ihr das leich­te Lal­len in sei­ner Stim­me auf. Wie­der er­reich­te sie sein al­ko­ho­li­sier­ter Atem, der sie an­ge­wi­dert einen Schritt nach hin­ten tre­ten ließ.

Rebecca zog sich die Ja­cke über, denn durch die of­fen ste­hen­de Tür weh­te eine kal­te Bri­se in den Ein­gangs­be­reich der Dis­co­thek hin­ein und ließ sie frös­teln.

»Wie meinst du das denn?«, frag­te er. »Ich woll­te …« Li­nus stock­te und über­leg­te be­müht. Rebecca wuss­te ge­nau, was er woll­te, näm­lich eine x-be­lie­bi­ge Frau auf­ga­beln, die er schnell wie einen Scho­ko­rie­gel ver­na­schen und des­sen Pa­pier er da­nach weg­wer­fen konn­te. Ge­nau­so soll­te es ab­lau­fen. So lief es im­mer ab. Sie wuss­te es, denn sie war kei­nen Deut bes­ser. Hat­te schon des Öf­te­ren Män­ner mit nach Hau­se ge­nom­men und sie am nächs­ten Tag »ent­sorgt«. So what.

Rebecca ver­schränk­te die Arme vor der Brust und blick­te ge­nervt auf ihre Arm­band­uhr, die in­zwi­schen 3:40 Uhr an­zeig­te. »War eine lan­ge Nacht, ich will jetzt end­lich nach Hau­se ge­hen.« Sie tipp­te mit den Fin­ger­kup­pen ner­vös auf ihre Ober­ar­me und wipp­te von ei­nem Bein auf das an­de­re. Nach­dem Li­nus nichts mehr sag­te, glitt sie, ohne ihn an­zu­se­hen, ele­gant an ihm vor­bei und ver­ließ die Dis­co­thek. Ei­ni­ge Men­schen stan­den da­vor und rauch­ten. Den Ge­ruch von Ta­bak konn­te sie um die­se Uhr­zeit gar nicht er­tra­gen und ent­fern­te sich da­her schleu­nigst vom Ein­gangs­be­reich. Ab­seits da­von er­kann­te sie ein knut­schen­des Pär­chen. Nei­disch wand­te Rebecca den Blick ab. Es war schon zu lan­ge her, dass sie so be­gehrt wor­den war.

Als sie sich um­blick­te, sah sie, dass eine dunk­le Ge­stalt ihr schwan­kend hin­ter­her­lief. Li­nus war et­was grö­ßer als sie. Trotz sei­nes un­si­che­ren Gangs hat­te er et­was Be­droh­li­ches an sich.

Rebecca blieb ste­hen, so­dass er den Ab­stand zu ihr ver­kür­zen konn­te. »War­um ver­folgst du mich?«, frag­te sie auf­brau­send. In der Dun­kel­heit, die sie um­hüll­te, hät­te er wer weiß was mit ihr an­stel­len kön­nen. Aber da­für sah er zu brav aus. »Ich sage es dir noch ein­mal«, setz­te Rebecca an, »ich bin zu alt für dich. Da drin sind vie­le jun­ge Mäd­chen, die be­stimmt auf dich ste­hen.« Sie nicht, ob­wohl es ihr schmei­chel­te, dass er sie so um­garn­te und nicht lo­cke­r­ließ, sie ab­zu­schlep­pen. Er hat­te zwar einen sport­li­chen Kör­per, aber sein pe­ne­tran­ter Schweiß­ge­ruch, den er durch ein auf­dring­lich rie­chen­des Pa­r­fum zu über­de­cken ver­such­te, wi­der­te sie an. Au­ßer­dem war sie zu aus­ge­laugt, um sich mit ihm zu un­ter­hal­ten oder Aus­ein­an­der­set­zun­gen zu füh­ren.

»Geh zu­rück, Li­nus.« Rebecca dreh­te sich um und ließ ihn ste­hen.

So viel Ge­gen­wehr schien ihn wohl zu über­for­dern, denn er folg­te ihr nicht mehr. Statt­des­sen hör­te sie, wie je­mand nach ihm rief. »Komm rein, Al­ter! Was willst du denn da drau­ßen?« Rebecca schüt­tel­te den Kopf und ließ sich von den Häu­sern und der Dun­kel­heit ver­schlu­cken.

Ein Hund bell­te ir­gend­wo sei­ne schril­len Töne in die Nacht­luft, die als bi­zar­res Echo an den Häu­ser­fron­ten wi­der­hall­ten. An­sons­ten durch­schnitt kein Laut die To­ten­stil­le der schla­fen­den Stadt. Die Stra­ßen wa­ren er­starrt und grau. Jeg­li­ches Le­ben war aus ih­nen ge­wi­chen, als Rebecca über den As­phalt husch­te und auf­pas­sen muss­te, nicht das Gleich­ge­wicht auf ih­ren High­heels zu ver­lie­ren. Ihr schwa­r­zes Kleid flat­ter­te um die Knie, wäh­rend sie das leich­te Jäck­chen fest um ih­ren Kör­per schloss. Sie konn­te gar nicht schnell ge­nug den Wohn­block er­rei­chen, in dem sie die letz­ten drei Jah­re ih­res Le­bens zu­ge­bracht hat­te. Es war nicht das schi­cke Le­ben, das sie mit Paul ge­führt hat­te. Die we­nig ge­räu­mi­ge Woh­nung, die Rebecca be­zahl­te, war kein Ver­gleich zu dem ed­len Häus­chen, dem gro­ßen Gar­ten und dem üp­pi­gen Platz, den das Grund­s­tück ge­bo­ten hat­te. Das be­que­me Le­ben, das sie einst be­ses­sen hat­te, gab es nicht mehr. Nun reich­te ihr Aus­kom­men ge­ra­de so, um nicht in Selbst­mit­leid zu zer­flie­ßen.

Ab­ge­kämpft er­reich­te Rebecca die Häu­ser­front, an de­ren Fas­sa­de sie sich mit den Hän­den ab­stütz­te, um nicht ins Tau­meln zu ge­ra­ten. Ihr Atem ging schwer und sie hör­te das Blut in ih­ren Oh­ren ra­sant rau­schen, als sie sich nach vorn beug­te und ge­gen den Schwin­del an­kämpf­te, der sie über­fiel, als sie den Kopf senk­te. Der Abend und die Nacht hat­ten sie in die Schraub­zwin­ge ge­nom­men und hin­ter­lie­ßen ein Ge­fühl er­drü­cken­der Matt­heit. Rebecca spür­te, wie ihre Au­gen­li­der schwe­rer wur­den und sie nichts sehn­li­cher wünsch­te, als end­lich in die Fe­dern zu fal­len. Ob sie es noch schaf­fen wür­de, sich das Kleid über den Kopf zu zie­hen?

Die Trep­pen­stu­fen im fins­te­ren Haus­flur ka­men ihr un­ge­wöhn­lich hoch vor. Im­mer wie­der blieb sie mit den Pumps dar­an hän­gen und muss­te auf­pas­sen, nicht das Gleich­ge­wicht zu ver­lie­ren. Ob die Nach­barn von ih­rem lär­men­den Ge­stol­per, das den Haus­flur er­füll­te, auf­wach­ten, war Rebecca egal. Es wäre wohl ein­fa­cher ge­we­sen, den Licht­schal­ter zu be­tä­ti­gen, aber das hät­te ihre Netz­haut nicht mehr er­tra­gen. Nicht nach die­ser Nacht. Wäre Paul in ih­rer Nähe, hät­te er wohl ge­sagt: »Muss­test du aus­ge­rech­net noch einen Cock­tail trin­ken? Hat dir der letz­te um kurz nach zwei nicht ge­reicht?« Was für eine be­scheu­er­te Hal­lu­zi­na­ti­on, ih­ren Ex vor sich zu se­hen. Er hat­te sich seit ih­rer Tren­nung nur ein ein­zi­ges Mal ge­mel­det und das bloß, weil Rebecca noch einen Kar­ton auf dem Dach­bo­den hat­te ste­hen las­sen. Sie woll­te nicht an ihn den­ken …

Es war stock­dus­ter, als sie in ihre Woh­nung ein­trat. Ein­zig durch die Fens­ter im Wohn­zim­mer und Flur drang das schwa­che oran­ge Licht ei­ner Stra­ßen­la­ter­ne. Bloß ab ins Bett! Es muss­te kurz vor vier Uhr sein. Nicht mehr lan­ge und es wür­de hell wer­den.

Rebecca schaff­te es nur müh­sam, ins Bad zu ge­hen und das Make-up zu ent­fer­nen. Sie mach­te noch nicht ein­mal das Licht an, son­dern rieb sich in der schwa­chen Be­leuch­tung le­dig­lich grob die Spu­ren der Dis­co­nacht aus dem Ge­sicht, um nicht mor­gen früh die Au­gen­tu­sche und das Pu­der auf ih­rem Kis­sen vor­zu­fin­den.

Wie er­schla­gen sank sie mit dem Kopf vor­an in die La­ken und glitt so­fort in einen schumm­ri­gen Däm­mer­schlaf hin­ein, der sie wie ein Was­ser­stru­del nach un­ten zog, ge­nau dort­hin wie­der zu­rück, wo sie ge­ra­de erst her­ge­kom­men war …

Her­ge­kom­men war … Ge­ra­de her­ge­kom­men war …

Be­fremd­lich dun­kel ist es um sie her­um, als sie, einen Fuß lang­sam vor den an­de­ren set­zend, über den As­phalt tip­pelt. War­um kommt sie nur so müh­se­lig vor­wärts? Ir­gend­ei­ne Kraft hält sie auf, sich schnel­ler zu be­we­gen. Ver­rä­te­rische Schrit­te hin­ter ihr nä­hern sich un­auf­halt­sam. Sie dreht nur leicht den Kopf in die Rich­tung und sieht hin­ter sich zwei Män­ner. Die Ge­sich­ter kann sie nicht se­hen. Sie möch­te so gern ei­li­ger lau­fen, doch es funk­tio­niert schlicht­weg nicht. Sie scheint auf der Stel­le ste­hen zu blei­ben, kann kaum das Bein he­ben und nach wie vor sind die dunk­len Ge­stal­ten hin­ter ihr, die sie bei­nah er­reicht ha­ben. Auch sie ist fast da. Sie sieht be­reits den ver­trau­ten Wohn­kom­plex. Nur noch we­ni­ge Me­ter. Doch schon wird sie am lin­ken Hand­ge­lenk fest­ge­hal­ten.

»Sie ge­hört mir.« Wem soll sie ge­hö­ren? Sie ist eine freie Frau.

Der an­de­re Mann packt sie am rech­ten Ober­arm an. »Sie ge­hört mir.« Es ist die Stim­me von Li­nus. Ob der Un­be­kann­te Ce­d­ric ist? Die Fins­ter­nis ist be­klem­mend und noch im­mer er­kennt sie nicht, wer ne­ben ihr steht. Bei­de zer­ren wei­ter an ihr. Ei­ner will nach rechts ge­hen, der an­de­re nach links. War­um ist nie­mand auf der Stra­ße, der das sieht?

Sie ge­hört mir.

Nun ist sie sich si­cher, dass es die bei­den Ker­le aus der Dis­co sein müs­sen. Wo­her sie das weiß? Ce­d­ric lässt ihre Hand sin­ken und nä­hert sich mit sei­nem Ge­sicht dem ih­ri­gen. Schon im nächs­ten Mo­ment glei­ten sei­ne Lip­pen ver­lan­gend über ih­ren Mund und sei­ne Zun­ge bahnt sich einen Weg nach in­nen. Li­nus, der hin­ter ihr steht, fährt mit sei­ner Hand un­ter ihr schwa­r­zes kur­z­es Kleid, strei­chelt sinn­lich über ihre Po­b­a­cken, um an­schlie­ßend mit sei­nen Fin­gern in ih­ren Slip ein­zu­drin­gen und über ihre Schamlip­pen zu rei­ben. Sie stöhnt in den Mund des at­trak­ti­ven Ju­gend­li­chen, der im­mer un­ge­zü­gel­ter sei­ne Zun­ge mit ih­rer ver­schmilzt.

Sie ge­stat­tet, dass Li­nus sei­ne Hand in ih­rem Hös­chen lässt. Mit dem Zei­ge­fin­ger lieb­kost er ihre emp­find­li­che Knos­pe. Sie wird feucht. Er soll sie wei­ter be­rüh­ren. Dass sie noch im­mer auf der Stra­ße ste­hen und je­den Mo­ment je­mand vor­bei­kom­men kann, macht sie tie­risch an.

Doch schon ver­liert sie den Halt un­ter ih­ren Fü­ßen und schwebt nach oben in die Luft, tie­fer hin­ein in die Dun­kel­heit. Es kommt ihr nicht selt­sam vor, dass die Schwer­kraft nicht mehr exis­tiert. Sie fühlt sich fe­der­leicht. Die zwei Män­ner zie­hen sich aus. Sie sieht, wie ihre Kla­mot­ten nach un­ten fal­len. Zu­erst se­geln die Ho­sen wie ei­gen­ar­ti­ge En­gels­fi­gu­ren durch die Luft. Dann flat­tern die Shirts hin­ab, als wä­ren sie über­gro­ße Vö­gel mit bun­ten Schwin­gen und zu­letzt sin­ken die So­cken und Shorts zu Bo­den. Al­les lan­det ir­gend­wo ver­streut auf der Stra­ße, die mitt­ler­wei­le kaum noch zu er­ken­nen ist. Le­dig­lich ein paar Stra­ßen­la­ter­nen sind als win­zi­ge gel­be Punk­te aus­zu­ma­chen.

Und wo ist ei­gent­lich ihr Kleid? Sie ist voll­kom­men nackt, ge­nau wie die zwei Män­ner, die sich im­mer wei­ter mit ihr in die Lüf­te schrau­ben und hö­her flie­gen. Ihr Wohn­block wirkt von oben er­schre­ckend un­be­deu­tend. Da ist die Schu­le, in der sie über­mor­gen das ers­te Mal ihre neu­en Kol­le­gen ken­nen­ler­nen wird. Und ne­ben ihr – wie zwei zu groß ge­ra­te­ne Vö­gel – die bei­den nack­ten Män­ner.

Je­der von ih­nen will sie mit sich rei­ßen. Der nack­te Li­nus zerrt links, der gut trai­nier­te Ce­d­ric rechts. Es tut ihr weh, wie an ih­ren Ar­men ge­zo­gen wird. Sie är­gert sich dar­über, dass die zwei Ju­gend­li­chen sich strei­ten, wo sie doch eben noch zu­sam­men­ge­ar­bei­tet ha­ben und je­der einen Teil von ihr be­rüh­ren durf­te.

»Sie ge­hört mir!«, schreit ei­ner von bei­den.

»Mir!«, brüllt der an­de­re.

Die Ge­sich­ter ver­än­dern sich, je mehr die Tee­n­a­ger in Streit ge­ra­ten. Sie ha­ben kei­ne mensch­li­chen Na­sen mehr, son­dern Schnä­bel.

»Sie ge­hört mir«, faucht es aus ei­nem Schna­bel und wie­der­holt wird so fest an ihr ge­ris­sen, dass sie meint, gleich zer­bers­ten zu müs­sen. Ei­ner wird ge­win­nen. Aber sie wird die Ver­lie­re­rin sein, denn sie fühlt auf ein­mal, wie ihre Arme er­lah­men und ih­ren Geist auf­ge­ben. Im glei­chen Mo­ment fällt sie ge­mein­sam mit den Män­nern nach un­ten.

Doch was ist das? Die Jungs ent­wi­ckeln un­er­war­tet Ad­ler­schwin­gen an ih­ren Ar­men und se­geln durch die Luft, wo­bei sie sich schnell von ihr ent­fer­nen. Sie ver­sucht nun selbst wie ein Vo­gel zu flat­tern, aber da ist nichts, was ihr Auf­trieb ver­leiht! Ihre Arme sind noch im­mer wie be­täubt. Sie be­sitzt kei­ne Flü­gel, die sie vor dem Auf­prall be­wah­ren wer­den. Und die Stra­ße kommt im­mer nä­her. Krach!

Rebecca er­schrak, auf dem Bauch lie­gend, und rich­te­te sich dö­sig in ih­rem Bett auf. Ihre Au­gen brann­ten, als sie die Li­der öff­ne­te. In ih­rem Kopf und Be­cken häm­mer­te es. Die Bett­de­cke lag auf dem Fuß­bo­den. Of­fen­bar hat­te sie sie von sich ge­wir­belt, als sie wie ein Vo­gel durch die Lüf­te flie­gen woll­te. So wie es die bei­den Frem­den ge­tan hat­ten.

Was für ein wir­rer Traum.

Rebeccas Blick ging Rich­tung We­cker. Der zeig­te ihr an, dass sie gute an­dert­halb Stun­den ge­schla­fen hat­te. Drau­ßen war es be­reits hin­rei­chend hell, so­dass sie auf­stand und in ih­rem Schlaf­zim­mer die Ja­lou­si­en her­un­ter­ließ, um das Zim­mer voll­stän­dig zu ver­dun­keln. Dann stieg sie er­neut ins über­hitz­te Bett und ver­schlief den Tag.

Rebeccas Schüler

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