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Verhör und Verwanzung

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Neo sitzt in einem kleinen Zimmer und wartet auf seine Vernehmung durch die Vertreter der Staatsgewalt. Was folgt, ist ein zunächst vorhersehbarer, dann jedoch ein ganz und gar unerwarteter Handlungsverlauf.

Beginnen wir mit dem erwartbaren Teil. Agent Smith betritt den Raum, zusammen mit seinen beiden ständigen Begleitern, die sich rechts und links hinter Neo aufpflanzen und ihn offenbar schon durch ihre rein physische Präsenz verunsichern sollen (bildsprachlich durch eine Verzerrungsoptik unterstrichen, welche die beiden Hilfsagenten übergroß erscheinen lässt – die Dreizahl, in der die Agenten von Beginn an stets auftreten, erinnert Fontana 2003, S.173 an die „unheilige Trinität“ aus »dragon/Satan, the First Beast, and the Second Beast« der Offenbarung). Smith trägt das seine zur Einschüchterung bei, indem er sich Neo gegenübersetzt und einen gut gefüllten Sammelordner auf den Tisch legt, in dem er alsdann demonstrativ zu blättern beginnt. Eine bestimmte Seite, an der er kurz innehält, soll auch Neo zu Gesicht bekommen, denn sie bedeutet einen moralischen Tiefschlag – Smith ist offensichtlich im Besitz von Informationen, die Neo für bislang unaufgedeckt hielt.21 Damit drohen ihm harte strafrechtliche Konsequenzen; Neos Körpersprache wirkt resignierend. Smith will das Momentum nutzen und schlägt Neo einen Deal vor: zwar hätte dieser als Hacker so ziemlich jedes Vergehen begangen, das die Gesetzbücher erwähnen, doch könne er die Folgen gering halten, wenn er sich kooperativ zeige. Man wisse von seinem Kontakt zu einem Subjekt Namens Morpheus, der bei den meisten Behörden der Welt ganz oben auf den Fahndungslisten rangiert. Alles, was Neo zu leisten habe, sei Unterstützung beim Aufspüren des Terroristen – im günstigsten Fall könnte dies einen kompletten Straferlass bedeuten, einen »neuen Anfang«.

Im Folgenden ist es nicht nur überraschend, dass Neo diesen „vernünftigen“ Vorschlag zurückweist, sondern auch die Art und Weise, wie er es tut. Abgesehen vom Mittelfinger, den er Smith präsentiert, ist es vor allem die bestimmte Art, mit der er auf seine Rechtskenntnis verweist und einen Anwalt zu sprechen verlangt. Ist dies die Naivität eines weltfremden Idealisten? Immerhin hat Neo doch gerade selbst gesehen, dass die Gegenseite Beweise für seine Computerkriminalität besitzt, und in Anbetracht der Rechtslage müssten ihm die harten Strafen, die ihm drohen, nur all zu deutlich vor Augen stehen.

Warum also knickt Neo nicht ein, sondern bedeutet Smith, dass dieser ihn mit seiner »Gestaposcheiße« nicht einschüchtern könne? Die beste Erklärung lautet, dass Neo in irgendeiner Weise auf diese Situation vorbereitet war, sprich, nicht nur auf Ebene der Gesetzestexte, sondern in Form eines konkreten Planes für den schlimmsten denkbaren Fall, wie er jetzt eingetreten ist. Zwei Personen könnten für diesen „Notfallplan“ eine Rolle spielen, nämlich einmal Neo selbst, dann aber auch sein Vorbild Morpheus.

Beginnen wir mit Neo: die Dokumente im Sammelordner von Smith weisen eine eigenartige inhaltliche Diskrepanz auf (im englischen Wikipediaeintrag zu Neo wird diese nicht nur angesprochen, sondern auch mittels screenshots demonstriert). Sein Pass zeigt nämlich das Geburtsdatum 13.9.1971, sein Führungszeugnis jedoch den 11.3.1962 – eine Diskrepanz von gut 9 Jahren (bezogen auf den Schauspieler wäre das zweite Datum realistischer; Keanu Reeves wurde 1964 in Beirut geboren. Für die Filmhandlung favorisieren wir aber erstgenanntes Geburtsjahr, halten Neo also für einen Mittzwanziger). Eine witzige Erklärung wäre, dass Neo selbst hierfür verantwortlich ist: möglicherweise sind ihm zwecks Sabotage seiner behördlichen Registrierung schon allerlei Hackereinbrüche gelungen. Es könnte also sein, dass Smith’ Dokumente mit irreführendem Unsinn durchsetzt sind, so dass ihnen im Prozessfall die juristische Beweiskraft abginge. Und hier wiederum kommt Neos nächtliche Beschäftigung mit dem Phänomen Morpheus hinzu: sie könnte ihm ein sehr spezielles Wissen erschlossen haben, welches im Ernstfall gegen die ermittelnden Behörden einsetzbar ist – etwa Sonderkenntnisse über illegale Überwachungsmethoden und routinemäßig gefälschte Beweise. Letztendlich wäre dies der Grund, warum Neo Morpheus zu verehren gelernt hat: nämlich als idealismusgetriebenen Gegner eines hochkriminell agierenden Staates.22

In diesem Zusammenhang lohnt es sich, an die ersten Szenen in Neos Bude zurückzudenken, sprich, an die Nachrichtenseiten, die über eine vergebliche Jagd auf den Terroristen Morpheus berichten, wie sie am Flughafen Heathrow stattgefunden haben soll. Wenn der Zuschauer später erfährt, was die Matrix ist, so muss er sich bald fragen, wie viele Matrizianer angeschlossen sind und wie groß eigentlich die virtuelle Welt ausfällt, in der sie sich bewegen (vgl. auch Watson 2003, S.131f.). Gibt es eine „Maximalsimulation“, in der wirklich die gesamte Erde mit einer Milliardenpopulation abgedeckt wird (Smith wird später von »billions of people living out their lives« reden), oder war die Zahl der Kriegsverlierer am Ende der globalen Katastrophe so klein, dass sie auch mit der anschließenden künstlichen Nachzucht eine Millionenzahl nicht überschreitet? Wenn letzteres der Fall ist, so könnte der Chicago/Sydney-Verschnitt, in dem Neo lebt (und der den Agenten vom Architekten, der seine Diener ebenfalls im Unklaren lässt, als Operationsgebiet zugewiesen wurde) schon die ganze Matrixwelt sein. Dann aber wären alle Nachrichten aus anderen Teilen der Welt – wie etwa Flughafen Heathrow – vom System gefälscht, und Morpheus könnte seiner Hackergemeinde überzeugende Beispiele für derartige Manipulationen angeboten haben (ohne freilich genau zu verraten, von welcher Wahrheit all diese Fälschungen ablenken sollen).

Man darf also über eine lange Reihe von Gründen spekulieren, die Neos renitente Haltung verständlich, ja sogar vernünftig erscheinen lassen, und seine Forderung nach einem Anwalt stellt den angemessenen Abschluss dar. An diesem Punkt angelangt, kippt jedoch die Situation – die Verhörszene bedeutet von jetzt an eine neue Steigerungsstufe, wenn es darum geht, den noch „ahnungslosen“ Zuschauer zu verunsichern. Durfte dieser sich zu Beginn über die ungewöhnlichen Fähigkeiten wundern, welche Trinity und der auf sie angesetzte Agent zeigen, so endet das Verhör in einem verstörenden body horror (Neos Lippen und Mundöffnung verschwinden, und eine an eine bizarre Insektenlarve erinnernde Abhör- beziehungsweise Trackervorrichtung23 wühlt sich in seinen Körper). Diesmal aber wird ein einfacher Ausweg aus den gezeigten „Unmöglichkeiten“ offeriert, indem Neo zuhause aus dem Schlaf aufschreckt und ebenso wie der Zuschauer glauben muss, dass sein Erlebnis auf dem Polizeirevier – genauer gesagt das bizarre Ende dieses anfänglich realen Geschehens – nur ein Alptraum war. Viel Zeit bleibt ohnhehin nicht, um die Grenze zwischen der wirklich erlebten Vernehmung und der geträumten „Verwanzung“ festzulegen, denn gleich darauf klingelt Neos Telefon, und wieder – also genau wie schon morgens auf seiner Arbeitsstätte – ist Morpheus am Apparat, der Neo dringend rät, sich nach draußen in den nächtlichen Regen zu begeben und an der Adams Street-Brücke auf seine Leute zu warten.

Im Verlauf dieses Treffens wird Neos Glaube, schlecht geträumt zu haben, auf schockierende Weise widerlegt: er hat tatsächlich ein biomorphes Überwachungssystem im Körper, das von Trinity entfernt und aus dem Autofenster hinaus auf die Straße geschleudert wird. Neos entsetzter Aufschrei »Das war ja doch kein Traum!« muss sich unweigerlich in der Wahrnehmung des Zuschauers festsetzen: Alle Erlebnisse beim Verhör, besonders aber der alptraumhafte Verlauf der Verwanzung, waren real. Neos Realitätsbild muss so stark erschüttert sein, dass er nunmehr bereit ist für die Begegnung mit Morpheus: bereit, die Wahrheit über das zu erfahren, was als „Matrix“ schon gerüchteweise im Raum stand. Dem Zuschauer geht es gewiss nicht anders, während der Film auf diesen nächsten Höhepunkt der Handlung zusteuert – ebenso wie Neo ist es ihm nicht mehr möglich, eine klare Grenze zwischen Realität und „Wahn“ zu definieren.24

Doch lassen wir Neos Aufklärung im Hotelzimmer hier noch beiseite und fragen uns, ob wir bei seiner „Entwanzung“ im Auto wirklich lernen mussten, dass seine Erlebnisse im Verhörraum „echt“ waren. Denkt man genauer über den Verlauf der Dinge nach – vor allem, nachdem man über die Matrix und die Funktion der Agenten Bescheid weiß – treten hier mindestens zwei Probleme auf, die mit den potenziellen Fähigkeiten der Agenten zusammenhängen. Ist Agent Smith höchstpersönlich in der Lage, die (Bio)-Physik der Matrix zu ändern, als Neo die Zusammenarbeit verweigert und ein Telefongespräch mit seinem Anwalt verlangt? Kann Smith genau in diesem Augenblick Neos virtuellen Körper angreifen und dessen simulierte Anatomie verändern? Dies wäre ein erstaunlicher Eingriff in die „Naturgesetzlichkeit“ der Matrix. Kennt man Teil zwei der Trilogie, könnte man die Bildsprache der allerersten Verhörraum-Einstellung als Hinweis darauf verstehen, dass Smith tatsächlich über diese Macht verfügt: der wartende Neo wird in einer Art „Ommatidien-Optik“ gezeigt; man sieht ihn auf einer Vielzahl von Bildschirmen, wie durch das Facettenauge eines Insekts (vielleicht ein Filmzitat: der Chimären-Horror The Fly von 1958). In Reloaded lernen wir, dass dies ein bildästhetischer Vorgriff auf jenen Raum war, in dem Neo mit dem Architekten der Matrix zusammentrifft – in beiden Szenen werden z.B. auch Kamerafahrten durch die Monitore genutzt, um kurz die vertikalen Matrixcodereihen aufscheinen zu lassen. Der Architekt scheint also dem in Teil 1 stattfindenden Verhör beobachtend beizuwohnen, und mit seiner „Autorisierung“ könnte die erschreckende Machtfülle, die während der body horror-Sequenz vom höhnisch lächelnden Smith ausgeht, möglich werden. Auch im späteren Verlauf von Teil 1 lernen wir ja, dass die Agenten „taktische“ Veränderungen an der Matrix vornehmen können, wenn sie Gefährder jagen (die Szenen, in denen Morpheus & Co. aus Fenstern entkommen wollen und dabei von Mauerwerk gestoppt werden, welches sich vorher nicht dort befand). Da es zentrale Aufgabe des Architekten ist, die Matrix vor dem Zusammenbruch zu schützen, muss er den Agenten zumindest zeitweilig auf diese Art helfen: entweder, indem er die nötigen Veränderungen selbst vornimmt und die Agentenprogramme hierüber informiert, oder, indem er den Agenten selbst diese (temporäre) Befähigung zukommen lässt.

All dies klingt nach einer konsistenten Erklärung: Agent Smith besaß tatsächlich die Macht, Neos virtuellen Körper zu „attackieren“, soll heißen zu transformieren und das Einsetzen der biomorphen Wanze vorzubereiten. Letztgenannte Prozedur ist für Neo so schmerzhaft, dass er das Bewusstsein verliert und erst zuhause im Bett wieder aufwacht. Aber mit dieser Zusammenfassung ist immer noch nicht der gesamte Ablauf erklärt, denn die Agenten müssten hierzu noch viel mehr anstellen: es scheint ja so, als könnten sie auch Neos Träume kontrollieren und aus den schrecklichen Erlebnissen im Verhörzimmer einen Alptraum machen, aus dem Neo punktgenau aufwachen soll. Diese nachträgliche, mentale Manipulation wäre natürlich nötig, damit Neos Realitätsbild nicht ins Wanken gerät – ebenso wie alle anderen Matrizianer darf er nicht an der Realität der Matrixwelt zweifeln. Doch geht die Macht der Agenten (oder des Architekten) wirklich so weit? Es ist grundsätzlich eine interessante Frage, welche Freiheitsgrade die Menschen in der Matrix besitzen. In gewisser Hinsicht können sie tun und lassen, was sie wollen, solange nur das Illusionäre ihrer Umgebung unerkannt bleibt beziehungsweise sie ein solches zerstörerisches Wissen nicht publik zu machen drohen. Es dürfte sogar so sein, dass die Gefühle, Gedanken und Träume der Matrizianer keinen beliebigen Eingriffen des Architekten ausgesetzt sind: entweder, weil genau diese genuin „menschlichen“ Matrizianer-Eigenschaften den Maschinen nicht verständlich und deshalb nicht vollständig kontrollierbar sind, oder, da jeder derartig direkt ansetzende Kontrollversuch zu riskant wäre. Wie man später erfährt, besteht hierin ja der Grund, warum die Matrixwelt stets in einem latenten Zustand der Gefährdung schwebt: das menschliche Gefühlsleben bleibt weitgehend autonom, aus diesem können Zweifel an der Realität der Matrix erwachsen, und im Zuge einer verhängnisvollen Kettenreaktion kann letztendlich das gesamte Konstrukt einstürzen – in Reloaded wird der Architekt davon berichten, dass die Matrix schon mehrfach auf diese Weise scheiterte. Wenn dies also stimmt, ist das Unterbewusstsein, und damit auch die Welt der Träume, dem Architekten nur schwer oder gar nicht zugänglich – und genau deshalb müssen wir plötzlich daran zweifeln, ob Neo wirklich aus einem „von außen“ eingegebenen Alptraum erwachte. Die Frage stellt sich aufs Neue: hat er die Schrecken des Verhörzimmers wirklich erlebt (also „wirklich“ im Sinne der Matrixrealität, denn eine andere kennt er noch nicht), und konnten ihm diese Erlebnisse gezielt als nachträgliches Traummaterial verabreicht werden, um ihn zu verwirren und zu täuschen?

Wahrscheinlicher mutet bei erneutem Nachdenken an, dass es eben nicht so war. Man muss hier zunächst daran erinnern, dass die Agenten keineswegs ahnen, wen sie im Verhörraum vor sich haben – für sie ist Neo nicht »der Auserwählte«, sondern ein aussichtsreicher Lockvogel, der ihnen Morpheus’ Festnahme ermöglichen soll. Wie Morpheus kurz darauf am Telefon sagt, wäre Neo wahrscheinlich tot, wenn die Agenten um seine wahre Bedeutung für die Rebellion gewusst hätten. Ihnen geht es nur um Morpheus, genauer gesagt um den Code des Zentralrechners der letzten menschlichen Zufluchtsstätte. Von Neo wollen sie folglich eine Aussage, ob er bereit ist, ihnen bei der Jagd auf Morpheus zu helfen. In dem Augenblick, als Neo seine Kooperation unmissverständlich verweigert (übrigens auch dies ein klarer Ausdruck seiner Willens- und Gedankenfreiheit, die eben nicht einfach von den KIs ferngesteuert werden kann!), wollen Smith und seine Leute sicherlich keine Sekunde mehr mit ihm verschwenden. Deshalb wird in Wahrheit folgendes passiert sein: als Neo das Angebot von Smith mit betonter Verachtung zurückweist und ein sofortiges Gespräch mit einem Anwalt verlangt, infiziert einer der beiden hinter ihm stehenden Agenten seinen Körper (theoretisch auch ein vierter Agent, der vorher nicht im Zimmer anwesend war, oder sogar Smith selbst). Der Zuschauer lernt später, dass die Agentenprogramme sich tatsächlich auf diese Weise von einem Matrizianer-Wirtskörper zum anderen bewegen: Neo wäre in diesem Augenblick schlicht verschwunden, ein Agent hätte seinen Platz auf dem Stuhl eingenommen. Dieser Agent nun, der die Infektion ausgeführt und auf diese Weise das Verhör beendet hat, begibt sich zu Neos Wohnung, wo er sich in Ruhe nach weiterführenden Hinweisen auf Morpheus umsehen kann. Dann legt er sich in Neos Bett und verlässt den Wirtskörper wieder, so dass ein schlafender Neo zurückbleibt. In diesem speziellen Fall aber war der Infektionsvorgang mit der Einbringung eines Überwachungsprogrammes verbunden, das sich von nun an als biomorphe Wanze in Neos virtuellem Leib befindet. Aus den Bildern, die der Film uns später liefert, wird deutlich, dass ein Infektionsvorgang durch einen Agenten einen kurzen Moment intensiven Schreckens für den Wirt bedeutet. Genau so empfindet es folglich auch Neo, als er im Verhörzimmer plötzlich infiziert wird. Seine Erinnerung muss an diesem Punkt abbrechen, und die Agenten nehmen es in Kauf, dass er später in seinem Bett aufwachen und sich über den „Filmriss“ wundern wird. Eine ernsthafte Gefährdung seiner Realitätswahrnehmung dürfte dies nicht bedeuten – immerhin hat Neo einen völlig verrückten Tag hinter sich, an dem er morgens beinahe den Metacortex-Tower hinabgestürzt wäre und anschließend von Bundesagenten verhaftet wurde. Dass dieser Stress in einer Art Nervenkollaps endete, so dass irgendein nicht mehr memorierbares Szenario aus Streit, Zusammenbruch, Beruhigungsspritze und Krankentransport ihn schließlich ins heimische Bett zurückführte, wäre keine ganz fern liegende Erklärung für seine Erinnerungslücke.

Dies aber bedeutet: der body horror zum Schluss der Verhörzimmerszene war doch nur ein Traum; Neo hat das Einsetzen der Wanze in dieser Form nicht erlebt. Vielmehr spürt sein Unterbewusstes seinen veränderten Zustand, nachdem der Infektor ihn verlassen und das Überwachungsprogramm zurückgelassen hat. Die plötzliche, temporäre Infektion durch den Agenten und das dauerhaft eingebrachte Wanzenprogramm werden als Gefährdung beziehungsweise als Fremdkörper wahrgenommen: Neos Gehirn reagiert darauf mit Alpträumen, während er im Bett liegt und schläft. Folglich ist der Traum, aus dem er schließlich erwacht, ein Zufallsprodukt in Form einer autonomen Reaktion seiner Psyche, und keine direkte Kontrolleinwirkung der Matrix. Im Rahmen dieser autonomen psychischen Reaktion wird der eingebrachte Fremdkörper von Neos Unterbewusstsein „abgescannt“; er wird in einer Art und Weise verbildlicht, die mehr oder minder dem entspricht, was er später bei der von Trinity vorgenommenen „Entwanzung“ zu sehen bekommt.

21 Kurz darauf wird Neos Pass eingeblendet, auf dem man das Geburtsdatum 13. September 1971 erkennen kann – gemessen an den Anrufdaten der Eingangsszene stünde er also im sechsundzwanzigsten Lebensjahr (siehe aber auch Haupttext). Für Aufregung sorgte einige Jahre nach Erscheinen von The Matrix das Ablaufdatum, welches das Dokument zeigt, nämlich der 11. September 2001. Unausbleiblicherweise werden seitdem die Zahlenbilder des Films nach „Hinweisen“ durchforstet, welche man z.B. in den Anrufdaten vom Anfang und Ende der Handlung zu finden glaubt (2/9/98 ergibt 119, 9/18/99 ergibt 126, woraus man die Quersummen 11 und 9 bilden kann).

22 In diesem Fall würde Morpheus zwar für das große Selbstvertrauen Neos gesorgt, ihn aber auch getäuscht haben, da er im Gegensatz zu Neo ja wüsste, dass dieser niemals einen Gerichtsprozess gewinnen (oder überleben) würde, in dem es gegen die Belange des Kontrollsystems geht. Die Täuschung wäre insofern verzeihlich, da Neo ohnehin bald aus der Matrix entkoppelt werden soll.

23 Lloyd (2003, S.114) spricht von einem bugbot und stellt die Frage, warum dieser so groß ist, wenn es nur um Abhören und Tracking geht. Er vermutet eine äußerst gefährliche Einrichtung: sie könnte Sprengstoff erhalten, der Morpheus töten soll. Letzteres wäre aber zu bezweifeln, da die Agenten Morpheus suchen, um von ihm die Zugangscodes für den Zentralrechner von Zion zu erhalten.

24 Eine in der romantischen Literatur beliebte Erzählstrategie – es ist wohl nicht falsch festzustellen, dass von den Matrix-Filmen trotz Science Fiction-Sujet jede Menge Schwarze Romantik ausgeht. Brin (2003, S.165f.) stellt diese sogar als dominant dar, allerdings nur in Kenntnis des ersten Teils (vgl. Kapitel »Neos Vision und Re-Vision« weiter unten).

Matrix-Liebe

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