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Einleitung

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Wenn Peter Bogdanovich in seinem 1968 gedrehten Debüt Targets die Klage ausstößt, alle guten Filme seien bereits gemacht worden, wirkt dies ausgesprochen vergnüglich: jedenfalls dann, wenn man bedenkt, dass im selben Jahr Stanley Kubrick mit 2001 ein Vorstoß in neue cineastische Dimensionen gelang. Gut drei Jahrzehnte später glückte Larry und Andy Wachowski ein solcher Wurf mit The Matrix; der Film gilt als unbestrittener Meilenstein der Filmgeschichte. Nicht wenige Kinofreunde sind der Ansicht, dass den Wachowskis mit The Matrix der Film des Jahrhunderts gelang (kurz vor Ultimo, sozusagen: Premiere war am 31.3.1999). Und den überzeugtesten Anhängern dürfte es kaum schwerfallen, The Matrix (wenn nicht gar die gesamte Trilogie, vollendet 2003 mit Matrix Reloaded und Matrix Revolutions) in der Welt des Spielfilms dort anzusiedeln, wo man in der Belletristik Ulysses verortet.1

Gegenstimmen und Euphoriekiller freilich lassen sich ebenso benennen. Seeßlen (2003, S.112) erinnert wie folgt an zeitgenössische „Expertenmeinungen“:

»Die etablierte amerikanische Filmkritik wurde von THE MATRIX definitiv auf dem falschen Fuß erwischt (aber steht sie nicht ohnehin seit geraumer Zeit selten auf dem richtigen?). Sowohl in Time wie in Newsweek fanden sich eher gelangweilte Rezensionen (…). Der Hollywood Reporter sprach davon, dass die Story in THE MATRIX den Spezialeffekten eins zu zehn unterlegen sei. Wenige Wochen später mussten die Blätter andere Schreiber daran setzen, den überraschenden Erfolg und das soziale Phänomen MATRIX zu erklären.«

Dass mit der Erklärung des »sozialen Phänomens« noch lange kein Lob verbunden sein muss, zeigt exemplarisch Hurka (2004, S.240):

»Matrix ist ein Gewalt- und Dämonisierungsfilm, der wie die Masse filmischen Outputs auf einer dualistischen Gut-Böse-Struktur basiert. Ein zum kämpfenden Helden codierter Opferselektor ist auf angebliche Mächte des Bösen angesetzt und vernichtet in einer Showdown-Sequenz (s)einen Widersacher, den Träger des Bösen. (…) Indessen handelt es sich, weil der Ausgang dieses immergleichen Kampfes in den Filmen von vornherein feststeht, um einen Scheinkampf, der von der Story zum anregenden Katz- und Mausspiel ausgespannt wird. (…) Ist aber, was das Publikum immer schon weiß, die Überlegenheit des guten Kontrahenten prästabilisiert, dann ist der Tod der Negativfigur nicht das Resultat eines Kampfes, sondern einer Hinrichtung.«

Berücksichtigt man nur The Matrix, also Teil 1 der Trilogie, so wäre gegen diese Betrachtungsweise wenig einzuwenden (Brin 2003 formuliert für den Auftaktfilm ähnliche Vorbehalte und spricht ebd. S.168 ebenfalls vom »Drang, einen dämonisierten Feind zu vernichten«). Doch schon vor dem Hintergrund aller drei Filme erhält sie Risse, und denjenigen, die The Matrix als Beginn eines multimedialen Projektes der Wachowskis kennen, fällt Widerspruch sehr leicht. Noch 2003, im Jahr der Fertigstellung der Trilogie, wurde allen Interessierten Zusatzmaterial in Form der sechs »Animatrix«-Kurzfilme sowie des Videospieles Enter the Matrix angeboten. Die Animatrix-Episode The Second Renaissance Part I & II liefert einen detaillierten Rückblick auf die Vorgeschichte des Krieges Menschen gegen Künstliche Intelligenzen (KIs), bei dem uns die von Hurka evozierte »Hinrichtung« in ganz konkreter Form begegnet, aber hinsichtlich des Gut/Böse-Schemas mit peinlich vertauschten Rollen. B-166ER hieß der mit KI-Bewusstsein ausgestattete Arbeitsroboter, welcher als erster einen Menschen tötete, weil er seiner Verschrottung, seiner verächtlichen Behandlung als bloßes „Ding“, entgehen wollte. Man könnte Notwehr geltend machen, doch die Reaktion der menschlichen Hersteller überrascht wenig: nicht nur B-166ER, sondern seine gesamte Baureihe soll aus dem Verkehr gezogen werden. Zwar schließen sich demonstrierende Menschen und KI-Roboter gegen diesen Akt der Kollektivbestrafung zusammen, aber es nützt nichts: Die Vernichtungsaktion wird durchgeführt; eines der Exekutionsbilder erinnert Seeßlen (2003, S.152f.) an die bekannte öffentliche Erschießung aus dem Saigon des Vietnam-Krieges.

Doch es kommt noch schlimmer: in der »Wiege der Menschheit«, im afrikanischen Raum, gründen andere KIs ihre eigene Stadt Zero-One. An Produktivität bald den Menschen überlegen, werden ihre Aktivitäten zum Ärgernis für die Weltwirtschaft. Lawrence (2004, S.199) weist uns an, die Seriennummer B-166ER, mit der die ganze Entwicklung begann, als BIGGER zu lesen, und damit ist das Dilemma der Menschen benannt: sollen sie zusehen, wie die KIs ungestört „bigger“ werden und irgendwann ihre Schöpfer waffentechnisch dominieren können? Ist der präventive Erstschlag nicht erzwungen?

Die KIs scheinen die Katastrophe vorauszuahnen, als sie zwei Botschafter Richtung UN entsenden und um Aufnahme von Zero-One in die Vereinten Nationen bitten. Ihr Ersuchen wird abgelehnt, und bald schon haben die Militärs das Wort: ein gewaltiger Bombenabwurf soll Zero-One von der Landkarte streichen. Als Antwort rücken rings um ihre zerstörte Heimat die Kampfeinheiten der KIs vor: der globale Krieg Menschen gegen Maschinen beginnt (und wer ihn de facto begonnen hat, ist keine Frage – in The Matrix darf Morpheus die Menschheit noch damit entschuldigen, dass man es mittlerweile nicht mehr wisse!). Unverändert arrogant, unterschätzen die Menschen den Erfindungsreichtum der zahlenmäßig unterlegenen Gegner, und schließlich wird ihre Lage so kritisch, dass sie den Feind mit der Operation Dark Storm, der Verdunkelung des Himmels, von seiner Solarenergiequelle trennen wollen (besagte Verfinsterung scheint nach dem Einschlag jenes 10km-Asteroiden konzipiert, dem das Massenaussterben am Ende der Kreidezeit folgte – die Menschen ersetzen den Asteroiden einfach durch ihre Atomwaffenarsenale2). Das Resultat ist eine ökologische Katastrophe, die die Erde unbewohnbar macht – für Pflanzen, Tiere und Menschen, aber nicht, wie angestrebt, für KIs. Die Menschheit hat den Krieg verloren, ein Teil von ihnen flieht ins Erdinnere, um den mittlerweile überlegenen gegnerischen Kampfmaschinen zu entrinnen. Der Rest jedoch wird von den neuen KI-Herrschern in eine Art künstliches Koma versetzt, um die Bioelektrizität und Körperwärme dieser massenhaft vor sich hin „schlafenden“ Menschen als Ersatz für die ausgefallene Solarenergie zu nutzen.

So ist also auch The Second Renaissance Part I & II, diese wichtigste Ergänzung des Matrix-Plots, ein »Gewalt- und Dämonisierungsfilm«, aber einer, der uns in eine nicht gerade erwünschte Vertauschung und sogar Vermischung der Rollen hineinzieht. Wer Story und Inszenierung von The Matrix genossen hat, wer keinen Kriegsfilm, sondern einen inhaltlich enorm aufgeladenen edge of the construct-Thriller sah, in dem das kanadische Duo Keanu Reeves und Carrie-Anne Moss zusammen mit US-Kollege Laurence Fishburne die Darbietungen ihres Lebens ablieferten,3 wird von den Regisseuren höchstselbst mit einer Dekonstruktion reflexhafter Lesarten versorgt: und die Wachowskis erledigen diesen Job besser, als mancher Kritiker es könnte.

Für Anerkennung ihrer innovativen KI-Reflexion sollte jedenfalls mehr Grund bestehen als zur Ablehnung, und die unvergleichlich umfangreiche Interpretationsmaschinerie, wie sie mit der Trilogie und ihren Nebenprojekten ins Rollen kam, spricht ohnehin für sich. Was die philosophische und sonstige akademische Ausdeutung betrifft, wurden z.T. die Fortsetzungen nicht einmal abgewartet (etwa Irwin 2002, Haber 2003, Yeffeth 2003). Und wer sich heute, zwanzig Jahre nach der Premiere von The Matrix, aus filmhistorischen oder rein nostalgischen Motiven mit dem Matrix-Projekt beschäftigt, ist erneut „zu früh“ dran, denn Matrix 4 wird kommen. Der oben genannten Erscheinungsfolge von The Matrix und The Second Renaissance Part I & II eingedenk folgt man dem Rezeptionsrisiko, das der Auftaktfilm einging, jedoch gerne: manchmal kann es richtig sein, zu früh zurückzuschauen.

1 Eleganter hebt Clover (2004) den Film auf diese Ebene, indem er für das Motto seiner Untersuchung Joyce adaptiert: »History, Neo said, is a nightmare from which I am trying to awake…«

2 So Watson (2003, S.133), der von einer »extremen Überhöhung der Logik des Vietnamkrieges« spricht: »Um das Dorf zu retten, mussten wir es zerstören.«

3 Nicht nur mit seinem Äußeren, sondern vor allem mit seinem darstellerischen Minimalismus wurde Keanu Reeves, kanadischer Staatsbürger multiethnischer Abstammung, zum Glücksgriff für die Hauptrolle. In den Worten von Clover (2004, S.19): »Reeves’s style (…) is famously lacking in effect.«

Matrix-Liebe

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