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DIE WELT MUSS NICHT VON GOTT STAMMEN

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Wer war zuerst da, der Schöpfer oder die Schöpfung? Die Frage hat die gleiche Berechtigung wie die: Was war zuerst da, das Ei oder die Henne? Ganz eindeutige Antworten gibt es in dem einen wie im anderen Fall nicht.

Wir wollen uns nicht um die Fundamentalisten kümmern. Richtig scheint aber Folgendes zu sein: Der biblische Text meint unmissverständlich, dass die Welt und der Mensch ihre Existenz wie auch immer einem Schöpfer verdanken.

Muss man diese Meinung teilen? Nicht unbedingt. Es könnte auch ganz anders gewesen sein.

Etwa so: Stellen wir uns vor, die Schöpfung sagte sich einmal: Wenn ich Schöpfung heiße, dann habe ich logischerweise einen Schöpfer. So wie Descartes, der eines Morgens aufwacht und einen Gedanken aufschnappt, der zufällig und überraschend durch seinen Kopf rast. Er ruft verwundert und überzeugt zugleich: cogito ergo sum (ich denke, also bin ich). So sagte sich die Schöpfung: creatio sum, ergo creator est. Wo eine Schöpfung existiert, dort ist auch ein Schöpfer.

Und so fabuliert die Schöpfung ihren Schöpfer aus der puren Lust an der eigenen Sprachlogik. Der Schöpfer ist für sie eine einfache, klare, logische Notwendigkeit.

Besonders der Teil der Schöpfung, der gerade vor kurzem seine Affenähnlichkeit aufgegeben und angefangen hatte, nicht nur seine Vorfahren, sondern den Rest der Mitbewohner der Erde als sein Eigentum zu behandeln, betrachtete sich als etwas Besonderes.

Der Mensch also, oder wie er sich damals nach dem zweiten Schöpfungsbericht nannte: ›Adam‹, weil er in seiner damaligen Sprache meinte, aus der Erde – sowieso besser als vom Affen! – zu stammen, also der Mann und die Frau waren mit sich sehr zufrieden.

Der Mensch hat im Schöpfungsgedicht alles ein wenig idealisiert, um sich selbst auf den Thron der Schöpfung zu setzen: Gott Elohim schaute sich jeden Tag (man muss um der Wahrheit willen unterscheiden: Für Gott gibt es keine Tage und Nächte, keine Minuten und Sekunden – aber wie soll man die Schöpfung, wenn sie schon erschaffen ist, mit ihrer leider zeitlichen Dimension anders erfassen als in Tagen, Stunden, Minuten und Sekunden?) … Also Gott Elohim schaute sich sein Tagewerk (schon wieder so ein absurder Ausdruck für Gott!) jeden Abend (so was!) an und sagte bewundernd: Es ist gut geworden.

Am bewundernswertesten war seine Tat am sechsten Tag: Der Mensch selbst meinte, da muss Gott Elohim mich ein bisschen mehr bewundern als die Sonne und den Mond und die Sterne und die blöden Affen, die sich einbilden, meine Vorfahren zu sein.

Und siehe da: Gott sagte tatsächlich: »Es ist alles sehr gut«, natürlich weil der Mensch endlich auch da war. Vielleicht hat er sogar gemeint: »Er ist sehr schön, der Mensch.« Der Eitle auf seinem Planeten fragte den sich auf Besuch befindlichen kleinen Prinzen: »Bewunderst du mich wirklich sehr?« Und der erste Mensch, als Mann und Frau wurde er erschaffen, war eitel genug, befand sich auch auf einem gerade für ihn geschaffenen Planeten und war deshalb zu Recht ein wenig eitel.

Gott Elohim sagte aber nicht direkt zu den Menschen, sie seien sehr gut geworden. Am Ende des sechsten Tages schaute sich Gott Elohim sein ganzes Werk an und meinte, mit der Erschaffung der Menschen sei das Ganze sehr gut geworden. Die Menschen aber sind ihrer (der Menschen und folgerichtig Gottes) Meinung nach die Krone der Schöpfung, das Abbild Gottes auf Erden. Ihnen wurde der gerade erschaffene Kosmos unterstellt. Sie sollen ihn sich gefügig machen und ihn mit ihren Nachkommen (Abbilder des Abbilds Gottes) füllen.

Müde und zufrieden ruht Gott am siebten Tag. Der siebte Tag ist heilig und ewig. Gott Elohim hat sich zurückgezogen in seinen Sabbat, in seine Ewigkeit, und seitdem ruht (vielleicht schläft) er zufrieden.

Nehmen wir aber an, die Schöpfung sei gar keine Schöpfung, so wird die innere Sprachlogik überflüssig und leider auch der darin subsumierte Schöpfer. Entweder gibt es dann keinen Gott oder, wenn es einen gibt, hat er mit der Welt kein Schöpfungsverhältnis.

Diese Gedanken werden von ernsthaften Autoren natürlich auf einem ganz anderen Niveau behandelt, nicht so läppisch wie hier, sondern: philosophisch, naturwissenschaftlich … Natürlich haben bereits richtige Philosophen gemeint, dass die Materie nicht unbedingt einen Schöpfer brauchte, ja, dass der Gedanke einer ewigen Materie gar nicht so abwegig wäre. Sogar der summus theologus, Thomas von Aquin, mochte diese Möglichkeit nicht ausschließen. Und die Naturwissenschaften negieren nicht unbedingt die Möglichkeit eines Schöpfers, sie sagen aber eindeutig, dass es für die Existenz der Welt seiner Tätigkeit nicht bedürfte.

Und – wie bereits geschrieben – die vorhin angesprochenen Schöpfungsmythen und sogar auch der biblische Schöpfungsmythos gehen implizit oder gar explizit davon aus, dass vor der Neuordnung der Schöpfung bereits etwas vorhanden war, das nicht vom jeweiligen Schöpfer ins Dasein gerufen wurde.

Zwischen Evolution und dem Glauben an einen Schöpfer ist kein Gegensatz auszumachen, auch wenn heute noch Vertreter beider Glaubensrichtungen der inzwischen obsoleten Meinung sind, dass die zwei Lehren sich nicht vertragen. Sogar der Vatikan hat diesen lange von ihm vertretenen Gegensatz aufgegeben, auch wenn immer noch daran festgehalten wird, dass bei jeder Zeugung eines neuen Menschen Gott selbst ihm die Seele eingibt.

Was heißt aber, dass der Glaube an einen Schöpfer und die Evolution der uns bekannten Welt sich durchaus vertragen können? Wie ist das zu verstehen?

Hat Gott in die amorphe Natur den schöpferischen Ansatz gesetzt, den Samen der Entwicklung gesät und es der Natur dann überlassen, sich selbst zu entwickeln?

Hat Gott eventuell den Big Bang selbst verursacht und es dem Universum überlassen, sich zu entwickeln? Das würde einiges klären und einiges wieder verdunkeln.

Ist Gott ein Wesen außerhalb der Natur und der Welt? Ist er allwissend, allmächtig, gütig? Warum hat er dann die ›Software‹ der Evolution nicht besser entwickelt, sodass wir heute eine bessere Welt haben könnten? Warum so viel Verschwendung an Materie und Geist in der Welt, bis die Natur irgendwie einen guten Ausweg aus der Verstrickung der Entwicklung findet?

Oder ist Gott eine der Natur immanente Kraft (Pantheismus)? Wenn das der Fall ist, kann man noch zwischen Natur und Gott unterscheiden? Wahrscheinlich ist dieser Gott genau so unvollkommen wie die Natur, wahrscheinlich entwickelt er sich mit der Natur mit, bis er – genau so wie die Natur – den Gipfel der Entwicklung erreicht?

Es gibt den berühmten, wieder von Thomas von Aquin ausformulierten, Gottesbeweis: Kann man aus der Natur (e natura) auf die Existenz Gottes schließen? Ja, sagt der summus theologus. In der Natur gibt es überall Spuren Gottes: das Gute, die Ordnung, die Zielorientierung der Dinge … All das zeugt dafür, dass da eine Ursache außerhalb der Natur selbst am Werk war: causa non causata, creator non creatus: eine nicht verursachte Ursache, ein nicht erschaffener Schöpfer.

Und doch. Obwohl man meilenweit davon entfernt ist, selbst ein summus theologus zu sein, möchte man Thomas bescheiden, aber dezidiert darauf hinweisen, dass es in der Natur auch unübersehbare Spuren der Übels und des Bösen, Spuren der Unordnung und der Desorientierung gibt. Sie würden mit der gleichen Logik den Gegenbeweis der Existenz eines Schöpfers bzw. den Beweis der Nichtexistenz Gottes lauthals verlangen.

Buddha etwa hat von einem Schöpfergott aus zwei Gründen abgesehen: Nach dem Prinzip der Kausalität müsste auch ein Schöpfergott erschaffen werden, und wenn es einen Schöpfergott gäbe, dann könnte er nicht nur gut sein, sondern gut und böse zugleich, weil beide Prinzipien in jedem und allem präsent sind.

Damit ist, wenigstens für Buddha, die via e natura von Thomas von Aquin außer Gefecht.

Camus schreibt seinerseits im Mythos von Sisyphos: »An sich ist diese Welt nicht vernünftig – das ist alles, was man von ihr sagen kann.«

Meinerseits will ich an dieser Stelle nur den Zweifel zum Arbeitskriterium erheben: Was ist, wenn das ganze Gerede um die Schöpfung und den Schöpfer reine Einbildung, reines Wunschdenken der Menschen ist?

Der Zweifel hat seine Berechtigung – und er soll uns weiter begleiten.

Gott, Götter und Idole

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