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SCHÖPFERGOTT UND DEMIURG

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Die ägyptischen Schöpfungsmythen kannten einen Zustand vor der Schöpfung. Bevor die Sonne und die Gestirne und die Erde geordnet wurden, war nur das Wasser.

Gestaltlose Materie existierte nach den sumerischen Schöpfungsmythen vor der Schöpfung durch Apsu und Tiamat. Apsu ist der Gott der Süßwasserozeane, Tiamat die Göttin des Meeres. Aus dem Wasser des Meeres, aus der fruchtbaren Göttin Tiamat, gehen alle Wesen hervor.

Die Ägypter kennen den Urhügel und das Ur-Ei (assoziativ erinnert mich dies an den Urknall), die da waren, bevor Himmel, Erde und Unterwelt entstanden sind.

Eine Schöpfung aus dem Nichts kennen die Schöpfungsmythen aus der Nachbarschaft Israels oder aus ferneren Kulturen, wie etwa der polynesischen und der Ureinwohner Australiens, auch nicht.

Es ist immer etwas vorhanden, bevor der Schöpfergott ans Werk geht. Die Kosmogonien (Entstehung des Kosmos) kennen hauptsächlich zwei Arten der Tätigkeiten des Schöpfergottes: die Ordnung stiftende Tätigkeit und die Schöpfung durch Zerteilung.

Vor der Schöpfung des Kosmos ist das Chaos. Das Chaos ist zumeist unförmiges Wasser, über dem ein Chaoswind weht. Aus diesem unförmigen Wasserchaos lässt der Schöpfergott den Kosmos entstehen. Er trennt die Elemente und ordnet alles neu. Die neue Ordnung ist die neue Welt, der Kosmos, in dem Mensch und Tier sich zu Hause fühlen.

Der Schöpfergott ist tätig mit seinen Händen oder auch mit seinem Wort (Ägypten) oder durch seine Gedanken und Worte (Polynesien, auch Ägypten – Elohim ist also nicht der einzige, der mit dem bloßen Wort erschafft). So entstehen Himmel und Erde (der Kosmos), die flache Scheibe der Erde und das Himmelsgewölbe, daran die Sonne und die Erde und die Sterne. Unten auf der Erde die Pflanzen, die Tiere und der Mensch. In manchen Mythen sind einige Elemente (in Ägypten die Sonne) selbst Schöpfer und lebensspendende Götter.

Das ist die Art der Schöpfung durch Trennung und ordnende Tätigkeit.

Wenn aber aus dem Urwasser ein Urtier, die Urschlange oder ein Drache steigt, dann ist die Schöpfung umso schwieriger. Die Schlange, das Urtier, der Drache müssen getötet werden, ihre Glieder müssen zerteilt werden, und jeder Teil wird ein Teil der neuen Schöpfung. Oder ein Gott muss gegen einen anderen Gott (etwa Marduk gegen Tiamat) kämpfen, und der Verlierer wird zerteilt, und aus seinen Teilen entsteht die Schöpfung.

Der Gott, der aus dem Nichts alles schafft, ist ein späteres philosophisches Konstrukt, das sich auch in beiden Schöpfungstexten der Bibel nicht finden lässt. Beide – Elohim und Jahwe – erschaffen nicht aus dem Nichts, sie ordnen ein bereits vorhandenes Chaos.

In der griechischen Philosophie, namentlich bei Plato, wird so ein Schöpfer Demiurg genannt. Auch den Griechen war die Erschaffung aus dem Nichts unbekannt.

Demiurg ist eben ein Gott, der aus dem Chaos den Kosmos als geordnetes Bauwerk strukturiert. Die Gnosis sieht den Demiurgen als den Schöpfer einer unvollkommenen Welt und deshalb als die Ursache auch des Bösen in der Welt.

Im allgemeinen Verständnis ist ein Demiurg ein Handwerker, ein Ingenieur, ein Künstler, einer, der an und für sich selbst kein ›Gott‹ in unserem heutigen westlichen Sinn ist.

Im Verständnis der biblischen Texte spiegelt sich eher die mythische Bedeutung des Schöpfers wider. Weit weg von philosophischen Fragen wie: »Hat Gott alles aus dem Nichts erschaffen?« oder: »Und wer hat Gott selbst erschaffen?« wollen die außerbiblischen wie biblischen Mythen die Beziehung zwischen den Göttern und der Welt herausstellen.

Wenn man einen Mythos als eine Erzählung versteht, in der Götter sich in die irdische Sphäre einmengen, dann ist ein Schöpfungstext ein Mythos par excellence.

Alle antiken Schöpfungsmythen kennen nur den Demiurg als Schöpfer. Und einige Mythen können mit einem nicht erschaffenen Demiurgen eigentlich gut leben.

Die Schöpfertätigkeit ist im Altertum eine mühsame, aber beschränkte Tätigkeit: eine vorhandene, chaotische, unstrukturierte Welt neu strukturieren, aus dem Chaos einen Kosmos machen.

Die Schöpfer haben viele Namen, sie sind Götter, aber vor ihnen waren Urgötter oder das Urwasser. Das Urwasser ist das vorhandene Grundelement, das Chaos, aus dem der jeweilige Schöpfergott den Kosmos strukturiert.

In Rom und in Ostia, aber auch an anderen Orten, besonders in Mittelitalien, kann man den Spuren des Mithraskultes nachgehen. Dieser Kult ist aus vielen Gründen interessant: wegen der Gleichzeitigkeit seiner Präsenz im antiken Rom mit dem frühen Christentum, wegen der vielen den Mithras- und Christusanhängern gemeinsamen Vorstellungen, nicht zuletzt wegen ihres gemeinsamen Ursprungs im Nahosten: das Christentum aus Palästina, der Mithraskult noch weiter östlich, aus Persien und Mesopotamien. Die historischen Wurzeln des Mithraskultes sind so alt wie die Geschichte der Bibelredaktion und haben gnostische und orientalisch mythische Komponenten.

Mithras ist der Schöpfergott, der Held, der die Schöpfung ermöglicht hat. Vor seiner Geburt – auch die Götter werden nämlich geboren – existierten bereits ein Himmel aus Stein und die Sonne. Der schöne Gott Mithras wird als Lichtgestalt aus dem festen, soliden Himmelsdach geboren. Neben einem Fluss, unter einem heiligen Baum, kommt er nackt aus dem Stein auf die Welt. Es existieren vor der Mithrasschöpfung bereits Hirten, die sich um ihn, den neugeborenen Gott, kümmern, ihm Geschenke überreichen und ihn verehren. Der Mythos kennt keine Logik, der Mythos schafft einen Kosmos des Glaubens für die Menschen, die sich in ihm wohl fühlen.

Mithras Schöpfung ist keine Schöpfung aus dem Nichts, sondern eine neue Ordnung (ein moralischer Kosmos), die Mithras in das vorhandene Chaos einbringen muss. Mithras muss zunächst die Sonne, seinen ersten Gegner, besiegen. Die beiden besiegeln dann einen Pakt. Danach muss Mithras einen wilden Bullen bekämpfen, er besiegt ihn und führt ihn in seine Kaverne. Von dort flüchtet der Bulle allerdings, und die Sonne verlangt seine Tötung. Mithras schlachtet den Bullen mit einem Messer. Aus der Wunde an dessen Hals fließt Blut auf die Erde. Aus dem Blut, dem Hirn und anderen Teilen des Bullen entstehen Wein, Pflanzen und das Leben allgemein. Ahriman, der Gott des Bösen, schickt den Hund, die Schlange und den Skorpion: Sie sollen verhindern, dass die fruchtbaren Säfte des Bullen, das Blut und der Samen, weiter auf die Erde fallen. Deren Versuch gelingt nicht, und der neue Kosmos entsteht.

Ähnlich geartet, wenn auch in den Motiven der Mythen verschieden, erzählen andere mesopotamische und ägyptische Schöpfungsmythen.

Im mesopotamischen Schöpfungsmythos Enuma Elish etwa entsteht Schöpfung durch die Zerteilung eines Urwesens: Marduk erschlägt das Seeungeheuer Tiamat, spaltet es, mit der einen Hälfte bildet er den Himmel und mit der zweiten die Erde. Schöpfung ist auch hier das Ordnen einer prä-existenten chaotischen Materie.

Aus dieser mythischen Tradition, die in ganz Mesopotamien wie auch in der ägyptischen Kultur gegenwärtig war, mit der das Volk Israel während der Jahre seiner Präsenz dort in Kontakt getreten ist, ist auch die biblische Schöpfungserzähltradition hervorgegangen. Natürlich mit großen Unterschieden. Aber auch mit starken Reminiszenzen.

Die meisten Mythenforscher, besonders die, die sich der monotheistischen jüdisch-christlichen Tradition verpflichtet fühlen, betonen an dieser Stelle, dass die biblischen Schöpfungserzählungen der strengen monotheistischen jüdischen Tradition entstammen. Das stimmt mindestens zur Zeit der Entstehung der originär selbstständig existierenden Schöpfungsberichte keinesfalls. Lange Zeit lebten die Israeliten mitten in einer polytheistischen Welt. Die Jahwetreuen wehrten sich gegen die Abtrünnigen, die zu anderen Göttern liefen und sie verehrten. Lange Zeit war es den Israeliten verboten, sich anderen Göttern zuzuwenden, weil diese die Götter anderer Völker waren.

Zu welchem Zeitpunkt die Israeliten anfingen, monotheistisch zu denken, ist leider nicht mit Sicherheit zu rekonstruieren. Eine interessante und nahe liegende These besagt, dass die Israeliten erst zu der Zeit, als der Tempel zu Jerusalem und die sich darin befindliche Bundeslade, der Ort der Gegenwart Jahwes auf Erden, von den Babyloniern zerstört wurden, anfingen, an einen einzigen, nicht lokal festzumachenden Gott zu glauben, den sie immer noch Jahwe nannten, der nirgendwo ansässig und doch überall ist.

Wir können also festhalten: Auch Jahwe und Elohim sind – philosophisch gesehen – Demiurgen. Vor ihrer Schöpfertätigkeit existierte das Wasser oder die trockene Erde oder beides. Das Chaos war, bevor sie erschufen.

Mythisch gesehen sind Jahwe und Elohim genauso tätig wie die anderen Schöpfer. Denn Elohim und Jahwe haben das Chaos geordnet, zu Himmel und Erde bzw. zum Garten Eden umgestaltet, der eine mit seinem Wort, der andere mit seinen Händen: Ordnend haben sie für den Menschen einen Kosmos, eine Heimat erschaffen.

Im besten mythischen Sinn ist derjenige, der für den Menschen einen Kosmos schafft, ein Gott, weil er für die Menschen einen sakralen Lebensraum schafft, in dem der Mensch gedeihen kann. Das haben aber auch die anderen mythischen Schöpfergötter getan.

Unser heutiger Gott, den wir Christen uns im Laufe der letzten 20 Jahrhunderte erschaffen haben, ist anders als Jahwe und Elohim. Unser moderner Gott soll alles aus dem Nichts erschaffen haben. Nach unserem modernen christlichen Gottesbild ist ein Demiurg als Schöpfer-Gott eigentlich arm dran: Er ist – in unserem heutigen christlichen Sinn – gar kein echter Gott, sondern ein unvollkommenes Wesen, das nicht alles erschaffen hat.

Andererseits berufen sich die Christen auf die Schöpfungsgeschichten aus der Bibel, über die wir gerade reden. Und diese lassen die Interpretation zu, dass Elohim und Jahwe wie die anderen Götter nicht aus dem Nichts erschaffen haben.

Wie wir sehen werden, ist auch philosophisch und theologisch die Möglichkeit gegeben, dass der christliche Gott nicht aus dem Nichts erschaffen hat. Es ist auch keine Aussage des Glaubensbekenntnisses, dass Gott aus dem Nichts erschaffen hat.

Wie sähe dann das Verhältnis zwischen dem Schöpfergott – wie er auch heißen mag – und der unförmigen, chaotischen Materie aus?

Vielleicht existierte Gott vor dem Chaos. Dann gibt es – nach menschlicher Logik – zwei Alternativen: Das Chaos wurde von ihm zuerst geschaffen, praktisch als Vorstufe der Erschaffung des Kosmos. Wozu hätte aber ein Chaos erschaffen werden sollen, das etwas Unvollkommenes, Unwürdiges für unseren vollkommenen Gott ist? Oder das Chaos wurde von Gott nicht erschaffen. Von wem stammt es dann? Gibt es einen zweiten Schöpfer, der für das Chaos verantwortlich gemacht werden kann, bevor Gott herangeht und das Chaos in einen Kosmos verwandelt?

Oder das Chaos existierte neben Gott. Dann ist Gott nicht der Erste, nicht das Alpha und das Omega, sondern ein Mitwesen. In diesem Fall hätte er – ähnlich wie in anderen Schöpfungsmythen – gegen das Chaos gekämpft und es besiegt. Darin läge eventuell die Wurzel des Bösen in der Welt, das durch die Schöpfertätigkeit nicht ganz besiegt und beseitigt wurde.

Die Koexistenz von Chaos und Gott, von Urmaterie und Schöpferkraft, von orientierungsloser Materie und zielgerichtetem Geist war möglicherweise eine echte Herausforderung für den Geist: Ursprünglich herrscht Zwiespalt in der noch nicht geordneten ›Welt‹, bis es dem Geist gelingt, der Materie eine Richtung zu geben, bis das Chaotische irgendwie bewohnbar, ein Kosmos wird, geisterfüllt ist, in dem nicht nur chaotischer Wind über chaotischem Wasser weht, sondern eine Brise Geist das neue Zuhause erfüllt.

Diese Theorie riecht stark nach Pantheismus einerseits, nach Gnosis andererseits. Pantheismus und Gnosis sind zwei Seiten einer Medaille, um die gemeinsame Wirkung von Geist und Materie auf eine kurze Formel zu bringen. Sie könnte aber einige Phänomene der ›geordneten‹ Schöpfung erklären, zum Beispiel die Anwesenheit von Unvollkommenheit und Bosheit in der Welt.

Gott, Götter und Idole

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