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ENTSTEHUNGSGESCHICHTEN DER EINE UND DER ANDERE GOTT

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Am Anfang der Bibel steht das Buch Genesis (oder, wie die evangelischen Christen es benennen: das erste Buch Mose). ›Genesis‹ bedeutet Entstehung. Das Buch Genesis erzählt von der Entstehung der Welt, der Menschen und des kleinen, aber überaus wichtigen Volkes Israel, das seinerseits wiederum die Entstehung der Bibel zu verantworten hat.

Die Erschaffung von Himmel und Erde und mittendrin des Mittelpunkts der Schöpfung, der Menschen, wird in zwei knappen Kapiteln dargestellt.

Zu Beginn des ersten Kapitels, also ganz zu Beginn der ganzen Bibel, steht als erstes Wort: Am Anfang.

Gleich kommen einem eine ganze Menge Assoziationen in den Sinn: Darwin und Evolution, Kreationismus, Divine Design, Gut und Böse. Glaubensrichtungen und Fundamentalismen jeglicher Couleur treffen sich hier, um die wenigen Verse dieser zwei Kapitel hin und her zu wälzen.

Ist die Bibel Gottes Wort, und wenn ja, wie sind die Texte der Schöpfungsgeschichte zu verstehen? Sind sie offenbarte Wahrheiten oder sind sie Mythen (das verneinen wohl sehr viele, die der Meinung sind, in der Bibel könne es keine Mythen geben), oder gar primitive Legenden?

Bereits der Text der ersten zwei Kapitel verrät eine gewisse eigene Unsicherheit bei der Beantwortung dieser Fragen. Schon damals muss es ziemlich umstritten gewesen sein, wie die Erschaffung des Menschen und der Welt vonstatten gegangen ist. In den zwei Kapiteln der Bibel, die sich mit dem Anfang von Leben und Welt befassen, werden zwei unterschiedliche Versionen und Visionen der Erschaffung der Welt wiedergegeben.

Man redet von zwei Schöpfungsberichten (dabei achte man auf das Wort ›Bericht‹, als ob Reporter dabei gewesen wären!). Im ersten, der nach den heutigen Schriftgelehrten bis zum Vers 4a des zweiten Kapitels geht (eine sehr unsaubere Arbeit bei der Kapiteltrennung seitens derjenigen, die sie zu späterer Zeit vorgenommen haben), ist Elohim tätig. Im zweiten übernimmt Jahwe die Regie. Siehe auch den betreffenden Exkurs.

Auch literarisch kann man die zwei Schöpfungserzählungen gut unterscheiden: In der ersten wird die Erschaffung der Welt hymnisch, episch besungen, in der zweiten eher mythisch erzählt.

Elohim spricht, und es wird. Elohim erschafft die Welt nach einer Vorplanung in genau sechs Tagen und erholt sich am siebten. Er ruft zunächst die äußeren Rahmenbedingungen ins Dasein, den Himmel und die Erde, den Raum und die Zeit, die Sonne und die Sterne, Licht und Dunkelheit, Pflanzen und Tiere, und erst zum Schluss den Menschen als die Krone der Schöpfung. Und er findet alles, was er macht, gut. Sein Erschaffen ist kein richtiges Schaffen, weil er sich die Hände, soweit er welche hatte, nicht schmutzig machte. Und ob er zum Sprechen einen Mund brauchte, wird in der Bibel auch nicht berichtet. Eher nicht. Aber er sprach, und das Wort wurde Welt.

Und es wurde alles gut.

Die Welt, die Elohim schuf, ist nicht die heute bekannte Welt, und die heute bekannte Erde ist lange nicht gleichzusetzen mit der, der zur römischen Zeit oder davor bekannt war. Das mare nostrum, das damalige Mittelmeer, ist auch heute schön, aber klein im Angesicht der großen Ozeane – im Angesicht des ganzen Universums, des riesigen, unerforschten Sternenmeeres ein unsichtbares Pünktchen.

Sehr klein ist die von Elohim erschaffene Welt gegenüber dem weiter expandierenden Universum, das im Buch Genesis erst als Dach über der Erde gedacht, als ›Firmament‹ bezeichnet wird. Die Erwähnung des Firmaments im ›Schöpfungsbericht‹ ist kaum der Rede wert. Irgendwo müssen Sonne, Mond und Sterne aufgehängt werden. Dafür braucht Elohim nur einen Tag, den zweiten. Heute wissen wir, dass die Sonne nicht der größte und der Mond gar kein Stern ist.

Wichtiger für Elohims kurzsichtigen Blick ist die Scheibe unterhalb des Himmels, der er ganze vier Tage widmet.

Im Übrigen müssen die Schöpfungstage sehr kurz gewesen sein. Zum Beispiel der erste: »Da sprach Elohim: ›Es werde Licht!‹ Und es wurde Licht. Elohim sah, dass das Licht gut war, und Elohim schied zwischen dem Licht und der Finsternis. Elohim nannte das Licht Tag, die Finsternis nannte er Nacht. Es wurde Abend, und es wurde Morgen: Erster Tag.«

Ähnlich schnell vergehen alle sechs Schöpfungstage. Am siebten musste sich Elohim ausruhen. Das Sprechen hatte ihn angestrengt.

Elohim wirkt wie eine selbstherrliche Gottheit: Er fühlt sich mächtig, er meint, ein Wort von ihm erwirke Himmel und Erde. Er schaut sich seine Schöpfung an und findet sie gut. Ob er sich dabei auf die Schulter klopft?

Diesen ersten ›Bericht‹ nennen einige Schriftgelehrten ›Priesterschrift‹ (siehe Exkurs), weil unterstellt wird, dass eine dem Tempel und dem Kult nahestehende Schule diese Texte geschrieben hat. Und der Kult braucht, wie bekannt, einen rhythmischen Text, ein dem Epos nahestehendes Gedicht, einen bekennenden, anhimmelnden Text, auch wenn das darin besungene Leben steril bleibt und stark vereinfacht dargestellt wird. So sehen die Welt und das Leben doch nicht aus.

Bekanntlich brauchen Priester, ob jüdische oder christliche, einen Tag, an dem sie kultisch tätig sein können. Sie wählten natürlich alle den Sabbat, den Tag, an dem Elohim ruhte. Für die Juden ist der Sabbat Samstag, für die Christen Sonntag, für die Muslime Freitag.

Anders als Elohim macht sich Jahwe für seine Schöpfung regelrecht schmutzig. Die Erde war auch vor seiner schaffenden Tätigkeit schon da, aber sie war trocken.

Deshalb ließ er es regnen, denn er brauchte Feuchtigkeit für Sträucher und Bäume, und er brauchte Lehm, um seine Schöpfung zu formen.

Er lässt Sträucher und Bäume wachsen – später werden sie zu einem Garten. Anscheinend gab es bereits Wolken am Himmel und die Sonne und das Licht, das auch damals nötig für die pflanzliche Fotosynthese war. Jahwe hat eigentlich einen noch engeren Horizont als Elohim, er will nur einen Garten pflanzen und darin die Menschen wohnen lassen. Zuvor muss er ihn natürlich ›herstellen‹.

Jahwe bastelt mit dem Lehm den ersten Mann, dann will er dem Mann eine geeignete Gesellschaft anbieten und bastelt allerlei Tiere, eventuell schaffte er es bis zum Schimpansen und Gorilla, dem Menschenaffen, aber den Quantensprung zum Mitmenschen schaffte er auf Anhieb nicht. Mehrere Versuche scheitern, bis ihm der Versuch mit der Frau aus der Rippe des schlafenden Mannes endlich gelingt. Ein sympathischer, aber nicht ganz fehlerfreier Gott.

Die von Jahwe erschaffene Welt ist sichtlich kleiner als die von Elohim mit seinem Wort erschaffene.

In beiden Schöpfungsmythen entsteht eine heute nicht mehr vorhandene Welt: eine geozentrisch, anthropozentrische Sicht der Welt, die heute nur noch von wenigen Blindgläubigen vertreten wird: die Erde in der Mitte der Welt und der Mensch als ihr Mittelpunkt.

EL, ELOHIM UND JAHWE: QUELLEN UND TRADITIONEN DER SCHÖPFUNGSBERICHTE – EIN EXKURS

Nicht nur im Zusammenhang mit den Schöpfungsberichten redet man von mehreren Quellen, die irgendwann zusammengefügt wurden und – so die Absicht der damaligen Bibelredakteure – harmonisiert werden sollten.

Die zwei Schöpfungsberichte – sagen die modernen Schriftdeuter – wurden etwa 550 v. Chr. während des Babylonischen Exils Israels zusammengetragen.

Schon damals waren Redakteure nicht die Dümmsten: Sie mussten oft unterschiedliches und manchmal sperriges Material zusammenflicken. Hier gelang es ihnen soweit, dass es immer noch Menschen gibt, die meinen, was im biblischen Schöpfungstext steht, solle man wörtlich verstehen. Der Text selbst glaubt nicht daran, denn er erzählt die Erschaffung der Welt zweimal und auf unterschiedliche Weise.

Die Schriftgelehrten, die antiken, die diese Texte verschiedener Herkunft zusammenbrachten, versuchten zu harmonisieren und – als Juden – Jahwe zum universalen Elohim zu machen.

Jahwe (zweiter Schöpfungsbericht) hatte bei seiner Schöpfungsarbeit seinen Blick auf die Erde und den Menschen gerichtet. Es interessierten ihn der Himmel, die Sterne, die Sonne, das Licht gar nicht. Jahwe hat sie nicht erschaffen. Er wollte auf der bereits existierenden trockenen Erde einen Garten pflanzen, darin einen Mann einsetzen, ihm eine Gesellschafterin beigeben. Mehr wollte er nicht. Anscheinend lebte er selbst bereits seit langer Zeit auf der Erde. Für den Himmel interessiert sich Jahwe seltsamerweise gar nicht.

Was machen die Bibelredakteure? Sie setzen einen anderen, zusätzlichen Schöpfungsmythos davor, lassen als Schöpfer einfach ›Gott‹, also Elohim (nicht namentlich Jahwe), tätig sein, der eben mehr gen Himmel gerichtet ist. Er erschafft den Himmel und die Erde, teilt zwischen Wasser oberhalb und unterhalb des Himmelsgewölbes, unterteilt den Tag und die Nacht, hängt am Himmel vielerlei Sterne, unter ihnen die zu dem Zeitpunkt bekannten größten, die Sonne und den Mond … – ein regelrechtes Gewerke am Himmelsgewölbe. Dann füllt Elohim die Erde mit allerlei Wesen, inklusive der Menschen. Danach ruht er sich aus.

Und an dieser (Text)Stelle setzt Jahwe mit seiner Tätigkeit an. Ungeachtet dessen, dass Elohim die Erde schon mit allerlei Bäumen, Sträuchern, Seen und Flüssen, sogar mit Tieren und den Menschen bedacht hatte, wiederholt Jahwe diese letzten Tätigkeiten.

Die Nahtstelle ist sichtbar, den Versuch zu harmonisieren kann man allerdings als gelungen gelten lassen, denn viele halbblinde, aber doch gläubige Generationen meinen, der Elohim des ersten Schöpfungstextes sei auch der Jahwe aus dem zweiten Schöpfungstext. Das jedoch gilt nur in der Intention der jüdischen Gelehrten und für die späteren Gläubigen. Trotz aller redaktioneller Bemühungen: Elohim und Jahwe sind bei der Erschaffung der Welt unterschiedlich tätig.

Den ersten Schöpfungstext (Gen 1,1–2,4a) schreibt man einer so genannten ›Priesterschrift‹ zu. Die Bibelforscher meinen, dieser Text sei jünger als der zweite (Gen 2,4b ff). Und das stimmt wohl, was die heutige Form des Textes angeht. Der heutige Stand ist eine während und nach dem Babylonischen Exil der Juden (550 v. Chr.) entstandene Nie

derschrift. Diese Bibelschule verwendet für den Schöpfer das Wort ›Elohim‹. Über ihn und über die Nähe zu den anderen Elohim des Nahostens haben wir schon einiges gesagt. Diese Nähe lässt aber vermuten, dass die originäre Quelle (man hat sie deshalb auch ›Elohist‹ genannt) viel älter war als der heutige Text und auch älter als der zweite Schöpfungsbericht.

Die andere Quelle, die im zweiten Schöpfungsbericht sich niederschlägt, nennt man Jahwist oder abgekürzt ›J‹, weil sie ›Jahwe‹ als Schöpfer kennt. Sie wird in der jetzigen redaktionellen Form als die ältere der zwei Quellen angesehen.

Die Zusammenfügung ist das Werk von Schriftgelehrten, die die zwei Quellen zu harmonisieren versuchten. Die Schnittstellen sind allerdings manchmal so sichtbar, dass sogar blinde Leser mindestens stolpern.

Interessant für uns ist weniger die Geschichte des Textes selbst, interessanter sind die Traditionen, die sich auf die Namen Jahwe und Elohim berufen.

Es lohnt sich, in den ersten elf Kapiteln der Genesis, und später noch, die Spuren zu verfolgen, die die zwei Götternamen hinterlassen.

Die Schriftgelehrten, die für die Redaktion der Bibel tätig waren, haben versucht, durch die Voranstellung des Elohim-Berichts zu suggerieren, dass Elohim und Jahwe der eine und derselbe Gott waren. In einem weiteren Exkurs im zweiten Teil dieses Buches wird geschildert, wie die zwei Traditionen später tatsächlich ineinander münden.

Ursprünglich waren sie es nicht. Das ist meine Arbeitshypothese.

Elohim ist die Mehrzahl von El oder Eloah und bedeutet an und für sich ›Götter‹. Für die Juden muss sich diese Mehrzahl von Göttern irgendwann zu einer Summe oder zu einem Konzentrat der Gottheit und zu einem Synonym für ›Gott‹ verwandelt haben, da Elohim meist in Verbindung mit der Singularform eines Verbs benutzt wird. Auch heute wird Elohim ins Deutsche mit ›Gott‹ übertragen.

Aber ›Elohim‹ oder ›Gott‹ ist gar nicht der ›einzige Gott‹. Damals hatten viele Völker einen eigenen El oder Eloah oder eigene Elohim. El war zum Beispiel der Gott der Kanaaniter, eines Nachbarvolkes Israels. Zu El gesellte sich später Baal, ein Fruchtbarkeitsgott. El galt im Sumer – unweit von Israel – auch als der Schöpfergott, der mit einem Chaos zu kämpfen hatte.

Man muss wissen, dass die Juden kein Problem hatten, das Wort ›Elohim‹ auszusprechen. Wohl aber hatten sie vor dem Tetragramm, also vor den vier hebräischen Buchstaben, die das Wort ›Jahwe‹ bilden, Respekt und sprachen das Wort so nicht aus, sondern sagten dafür entweder ›Adonai‹ (das heißt ›Herr‹) oder ›schem‹ (das heißt ›der Name‹).

Die Juden hatten somit zu den zwei Wörtern eine unterschiedliche Beziehung. Mit Sicherheit teilten sie das Wort ›El‹ mit den anderen semitischen Völkern – El (Gott) oder Elohim (Götter) wurde von allen verwendet und nicht nur von den Juden.

Der Gott der Juden, Israels, ist nur Jahwe, ›Jahwe Elohim‹ ist der ›Gott Jahwe‹.

Es ist wichtig, von vornherein die zwei Schöpfer zu unterscheiden und zu beobachten. In der Bibel scheint Elohim der Schöpfergott aller Völker zu sein, Jahwe ist aber der Schöpfergott Israels, das sich nicht nur als das Volk der Nachkommen Abrahams verstand, sondern Adam als seinen Stammvater ansah.

Es ist eine Arbeitshypothese, an der ich zunächst festhalte. Vielleicht haben wir zwei parallele oder miteinander verwobene Entstehungsgeschichten: die Entstehungsgeschichte der Welt und des Menschen und die Entstehungsgeschichte des Volkes Israel.

Was am Anfang nicht ganz klar ist, wird im Laufe der Erzählung deutlicher. Es ergibt sich im Laufe der Geschichte Israels und der benachbarten Völker eine interessante Spur: Bei jeder Trennung der Väter Israels von anderen Völkergruppen – Trennungen, die letztlich zur Bildung des Volkes Israel führen – trennt sich auch Jahwe von den anderen Elohim und deren Völkern und begleitet Israel.

Jahwe ist auch der Gott, der die Menschen erzieht und sich dadurch sein Volk formt. Kain, der Mörder seines Bruders, muss vom Angesicht Jahwes in das Land Nod, in dem Jahwe nicht anwesend ist. Nach der Sintflut trennen sich die drei Söhne Noahs. Und Jahwe wird der Gott Sems, des Vaters der Semiten. Nach der Zerstreuung der Menschen in alle Welt ruft Jahwe Abraham und verspricht ihm große Nachkommenschaft in dem Land, in das er ihn führen will, in Israel.

Die Spur geht weiter. Ich denke, es ist eine heiße Spur, um die Urgeschichte auch von dieser Perspektive aus zu lesen.

Später, zur Zeit der Propheten, geht der Prophet Elija auf dem Berg Karmel ins Gericht gegen Achab, der zu Baal hält, um die Interessen des wahren Gottes, Jahwes, zu vertreten. Elijahu, abgekürzt Elia oder Elija oder Elijah, heißt ja: ›Mein Gott ist Jahwe‹ (1 Kön 19).

Zwischen El und Jahwe wird es später einen faustdicken Streit geben.

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